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Hadrian Silberer
Veröffentlicht am Samstag, 06. August 2005 - 19:50 Uhr:   

Hallo zusammen.

Mir ist beim Duchstöbern eurer schönen Internetseite folgendes aufgefallen:

Bei der bayerischen Landtagswahl wird ja von vornherein die Zahl der Abgeordneten pro Wahlkreis festgelegt (von Überhang- Ausgleichsmandaten abgesehen).

Artikel 14 der bayerischen Verfassung besagt aber: "Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach einem verbesserten Verhältniswahlrecht von allen wahlberechtigten Staatsbürgern in Wahlkreisen und Stimmkreisen gewählt."

Wenn aber die Wahlbeteiligung die Mandatsverteilung nicht berührt, so übte doch ein mittelfränkischer Wähler mehr Einfluß aus als ein oberbayerischer, wenn noch ein zweiter Oberbayer zur Wahl geht. Denn die Entscheidungsgewalt über die oberbayerischen Mandate verteilt sich auf mehr Wähler, als es proportional dazu in Mittelfranken der Fall ist. Bei solch unterschiedlich gewichtigen Stimmen kann man nach meiner Ansicht eigentlich nicht mehr von einer Gleichheit der Wahl sprechen.

Es heißt in Artikel 14 aber auch: "Je Wahlkreis darf höchstens ein Stimmkreis mehr gebildet werden als Abgeordnete aus der Wahlkreisliste zu wählen sind."

Die Abgeordneten pro Wahlkreis sind also auch dort schon vorgesehen.

Ist euch vielleicht bekannt, daß in dieser Sache einmal vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt wurde?
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Lars Tietjen
Veröffentlicht am Sonntag, 07. August 2005 - 09:43 Uhr:   

Leider kenne ich mich mit den bayerischen Wahlrecht nicht so aus. Es gab mal eine Klage gegen die Anwendung von d'Hondt in Bayern. Durch die Anwendung in jeden Wahlkreis war aus Sicht des Gerichtes die Verzerrung zu groß. In dem Urteil mag man Hinweise zu den auch hier zu verwendenen Maßstäben finden.

Es gibt in Bremen ein ähliches Problem. Dort sind die Mandate zwischen den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven fest erteilt. Dazu gibt es eine Entscheidung des bremischen Staatsgerichshofes über die Zulässigkeit (und die Grenzen der Zulässigkeit) [http://www2.bremen.de/staatsgerichtshof/Kap4/e04_02.pdf].
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Juwie
Veröffentlicht am Sonntag, 07. August 2005 - 10:05 Uhr:   

Eher sind die verbundenen Landeslisten bei der BTW ungewöhnlich. Bayern entspricht hier wohl eher den weltweit üblichen "Standards". Ein Problem bestünde höchstens, wenn die Wahlkreisgrößen nicht angepasst würden.

Tatsächlich ist es wohl so, dass die Unverbundenheit der Listen den größeren Verzerrungseffekt hat als das Zuteilungsverfahren (zumindest war das bei der Landtagswahl 1990 so, ich habe das mal ausgerechnet).
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Sonntag, 07. August 2005 - 15:45 Uhr:   

@Lars
Die Klage gegen die siebenfache Anwendung von d’Hondt ist am 24. April 1992 vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof – Vf.5-V-92 – (VerfGHE BY 45, 54) (hier leider noch nicht im Volltext, kommt nach der Wahl im Herbst).

@Hadrian
Wenn aber die Wahlbeteiligung die Mandatsverteilung nicht berührt, so übte doch ein mittelfränkischer Wähler mehr Einfluß aus als ein oberbayerischer, wenn noch ein zweiter Oberbayer zur Wahl geht.

Das ist ein Problem, dass es bei allen Einteilungen von Wahlkreisen (also Gebieten mit einer festen Zahl zu vergebender Mandate ab einem Mandat aufwärts) gibt, da man die Wahlbeteiligung vorher nicht kennt. Daher wird dann die Verteilung nach dem Anteil an der (deutschen) Bevölkerung vorgenommen (müsste in Bayern auch so sein). Eine andere Frage ist aber, ob das nicht vermeidbar ist. In Bayern (oder etwa in Baden-Württemberg) gibt ja keinen Grund, wegen der Regionalisierung auch unterschiedliche Erfolgswerte hinnehmen zu müssen.

Ist euch vielleicht bekannt, daß in dieser Sache einmal vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt wurde?
Zu diesem Problem ist mir keine Klage bekannt. Zur Einteilung in Wahlkreisen hat sich das Gericht schon ausgelassen, etwa in den Leitsätzen von VerfGHE BY 45, 54:

2. Es verstößt nicht gegen das Grundrecht der Wahlgleichheit, wenn die Verteilung der auf einen Wahlkreis gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 LWG entfallenden Abgeordnetensitze jeweils getrennt in den sieben Wahlkreisen durchgeführt wird. Eine solche Verteilungsregelung muß sich aber unter dem Gebot des möglichst gleichen Erfolgswerts jeder Wählerstimme an dem Ziel orientieren, eine Zusammensetzung des Landtags entsprechend dem landesweiten Proporz herbeizuführen. [...]

Hier muss man aber bedenken, dass das Gericht in dieser Entscheidung immerhin schon die siebenfache Verzerrung über den Haufen geworfen hat, das es dann weitere Punkte kritischer beleuchtet hätte, wie etwa d’Hondt oder diese feste Mandatszuteilung war dann nicht zu erwarten.

Starke Verzerrungen durch die Wahlkreiseinteilung gäbe es auch nur dann, wenn die politischen Kräfteverhältnisse im Freistaat in den Wahlkreisen stark unterschiedlich wären. In diesem Fall wäre das Festhalten an der Regionalisierung auch vom BayVerfGH micht mehr zu halten.

BTW: Interessant und aus dem gleichen Leitsatz:

[...] Wenn verschiedene Berechnungsmethoden für die Sitzverteilung innerhalb der Wahlkreise zur Verfügung stehen, muß sich der Gesetzgeber für ein Verfahren entscheiden, das diesem Ziel möglichst nahe kommt. [Hervorhebung d. d. Verf.]

Der Leitsatz enthält eine erstaunliche Aussage und damit Kritik an der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts und des Bundesverfassungsgerichts zur Freiheit des Gesetzgebers bei der Wahl des Zuteilungsverfahrens, die Entscheidung wird aber im Gegenteil immer als Bekräftigung der Rechtsprechung zitiert.

@Juwie
Tatsächlich ist es wohl so, dass die Unverbundenheit der Listen den größeren Verzerrungseffekt hat als das Zuteilungsverfahren (zumindest war das bei der Landtagswahl 1990 so, ich habe das mal ausgerechnet).

Ja, korrekt:

ParteiCSUSPDGRÜNEFDPSumme
Gesamtstimmen6.093.5142.882.008712.101573.33810.260.961
Wahlergebnis 199012758127204
Mit WK (d’Hondt)12758127204
Mit WK (Sainte-Laguë)121571412204
Ohne WK (d’Hondt)122571411204
Ohne WK (Sainte-Laguë)122571411204


WK: Sitzuteilung nach Wahlkreisen

Berechnung mit d’Hondt
ParteiSitzeCSUSPDGRÜNEFDP
Oberbayern65391754
Niederbayern2014510
Oberpfalz1913600
Oberfranken2012710
Mittelfranken28151021
Unterfranken2315611
Schwaben2919721
Summe20412758127


Berechnung mit Sainte-Laguë
ParteiSitzeCSUSPDGRÜNEFDP
Oberbayern65381764
Niederbayern2013511
Oberpfalz1911611
Oberfranken2012611
Mittelfranken28141022
Unterfranken2315611
Schwaben2918722
Summe204121571412


Diese zufällige Übereinstimmung bei landesweiter Verteilung (was ja vor allem an der großen Sitzzahl und der Sperrklausel im Landeswahlgesetz liegt – siehe dagegen etwa die Verzerrungen bei der Wahl der Bezirkstage) haben die Richter in VerfGHE BY 45, 54 gleich wieder zum Anlass genommen, die vorher festgestellte Überlegenheit von Hare/Niemeyer (Sainte-Laguë war damals in Bayern noch kein Thema) abzuschwächen – trotz der Feststellung von Abweichungen bei anderen Landtagswahlen:

Übrigens bestätigen die vorgelegten Berechnungen für die Landtagswahlen von 1974 bis 1990 die Gleichwertigkeit des d'Hondt'schen Höchstzahlverfahrens für den Fall der Sitzverteilung in einem einzigen Wahlgebiet. Wären nämlich die 204 Sitze – fiktiv – unter landesweiter Anwendung des d'Hondt'schen Höchstzahlverfahrens verteilt worden, hätte das Ergebnis entweder vollständig mit dem landesweiten Proporz übereingestimmt oder es wäre davon bei keiner Partei um mehr als ein Mandat abgewichen.
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Hadrian Silberer
Veröffentlicht am Montag, 08. August 2005 - 00:19 Uhr:   

Danke miteinander, das hilft mir wirklich weiter.

Der Bremer Staatsgerichtshof begründet die Billigung der Ungleichheit der Wahl mit den gewachsenen Traditionen der Bremer Verfassung. Ob sich solch ein System auch auf Bundesebene durchsetzen ließe, wenn man auf die Jahrhunderte alten förderalen Strukturen Deutschlands hinweisen würde?
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Montag, 08. August 2005 - 20:30 Uhr:   

"Ob sich solch ein System auch auf Bundesebene durchsetzen ließe, wenn man auf die Jahrhunderte alten förderalen Strukturen Deutschlands hinweisen würde?"

Wenn es sich um die Wahl eines föderalen Organs handeln würde, warum nicht. Die Mitglieder des einzigen Organs dieser Art in Deutschland werden allerdings schon in den Ländern gewählt. Der Bundestag ist aber ein unitarisches Organ, es gibt keinen Grund, Wähler in Konstanz anders zu behandeln als in Kiel (auch wenn es das bei Bundestagswahlen schon gab).
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Juwie
Veröffentlicht am Dienstag, 09. August 2005 - 16:48 Uhr:   

@Hadrian

Verbundene Landeslisten gibt es auch bei der Wahl zum Deutschen Bundestag erst seit 1957.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. Oktober 2012 - 22:42 Uhr:   

Mit der heutigen Entscheidung zur Stimmkreisreform (ziemlich gut begründet übrigens) hat der bayrische Verfassungsgerichtshof nebenbei auch deutlich gemacht, dass ein Verhältnisausgleich inzwischen nicht mehr verfassungsgemäß wär, weil er negatives Stimmengewicht verursacht. In Bayern kommen Lösungen wie interne Kompensation sicher nicht infrage, weil die Wahlkreise (= Bezirke) in der Verfassung grundsätzlich als eigenständige Wahlkörper garantiert sind.

Allerdings hat das bayrische Wahlsystem trotzdem negatives Stimmengewicht. Um das zu beseitigen, müsste man noch die Ausgleichsmandate streichen oder die Erststimme wertlos machen und Hare/Niemeyer durch Sainte-Laguë ersetzen.

@Matthias Cantow: Es wär grad wieder Herbst :-) Vf.5-V-92 (VerfGHE BY 45, 54) wär sicher ein schönes Urteil in der Sammlung, das es leider bis heute nirgends online gibt.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 05. Oktober 2012 - 09:52 Uhr:   

Negatives Stimmrecht wird nur dort zu einem Problem, wo es vom Wähler kalkuliert werden kann. In Dresden war das z.B. der Fall, weil das Bundestagswahlrecht eine zeitlich abweichende Stimmabgabe für einzelne Wahlkreise zulässt. Da sollte man ansetzen, wie ich den Bundestagsfraktionen u. a. mitgeteilt habe.

Bayern hat ein grundsätzlich anders konzipiertes Wahlrecht. Ein evtl. existierendes negatives Stimmrecht kann hier nicht zu Änderungen im Wahlverhalten führen.

Z. B. wird sich sicher kein Wähler bei der Stimmabgabe mit dem Gedanken beschäftigen, die CSU könnte die 5%-Hürde nicht schaffen, obwohl auch das theoretisch möglich wäre.
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El Tres
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 05. Oktober 2012 - 10:58 Uhr:   

"Negatives Stimmrecht wird nur dort zu einem Problem, wo es vom Wähler kalkuliert werden kann. In Dresden war das z.B. der Fall, weil das Bundestagswahlrecht eine zeitlich abweichende Stimmabgabe für einzelne Wahlkreise zulässt."

Die Nachwahl hat das Problem des negativen Stimmrechts nur offensichtlich gemacht. Eine Nachwahl oder eine Wiederholungswahl ist unabhängig vom Wahlrecht immer problematisch, weil der Wähler bei der Nachwahl einen Informationsvorsprung hat. Siehe zum Beispiel die 27.6%, welche die Bürger in Wut im Stimmbezirk Freizeittreff Eckernfeld bei der Wiederholungswahl 2008 zur Bremischen Bürgerschaftswahl 2007 hatte.

Das negative Stimmrecht ist dagegen auch bei regulären Wahlen relevant, weil es eben vom Wähler durchaus kalkuliert werden kann (siehe die bekannten Tipps: http://www.wahlrecht.de/bundestag/2009/parteien.html). Nur, wenn man davon ausgehen könnte, dass der Wähler keine Ahnung vom Ausgang der Wahl hat, wäre das negative Stimmrecht kein Problem. Das ist höchst unrealistisch.

Nebenbei ist das Vorwissen des Wählers für mich auch ein Problem der Sperrklausel: Dem Wähler glaubt zu wissen, dass die Kleinparteien sowieso keine Chance auf den Einzug haben, also wählt er sie nicht. Die Sperrklausel hat also gar nicht die beabsichtigte Wirkung -- die Regierungsbildung zu fördern -- sondern vielmehr die Wirkung, kleine Parteien klein zu halten.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 05. Oktober 2012 - 16:57 Uhr:   

@Werner Fischer:

Das ist zwar richtig, aber leider irrelevant, weil nur die Auffassung des Verfassungsgerichtshofs zählt, der sich nun dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen hat. Wobei es Nach- und Wiederholungswahlen auch in Bayern gibt. Allerdings hat Bayern nicht die schwachsinnige Regelung, dass es beim Tod von Kandidaten Nachwahlen gibt.

@El Tres:

Es hat in Sachsen 2005 kein kalkulierbares negatives Stimmengewicht gegeben, und das war vorher auch klar. Das tatsächlich aufgetretene war rein nachwahlbedingt.

2009 war absolut sicher, dass es bei der CDU kein kalkulierbares negatives Stimmengewicht geben wird; möglich war das allenfalls bei der SPD. Für den Wähler ist das aber sowieso völlig irrelevant; die zitierten Tipps wären auch bei einem Wahlsystem, das keinerlei negatives Stimmengewicht hat, unverändert gültig (der Tipp, gegebenenfalls eine ungültige Zweitstimme abzugeben, ist zumindest bei der CDU ohnehin schwachsinnig). Es geht bloß drum, dass einerseits der zu erwartende Erfolgswert nahe null sein kann und andererseits doppeltes Stimmengewicht möglich ist.

Ob der Erfolgswert exakt null ist oder möglicherweise minimal positiv oder negativ, spielt für den Wähler keine wesentliche Rolle. Die Wahl der Zweitpräferenz ist dann so gut wie immer sinnvoller; das Problem, eventuell das kleinere Übel wählen zu müssen, hat er bei einer Wahl sowieso.

Dass taktische Überlegungen eine Rolle spielen, sollte ein gutes Wahlsystem zwar möglichst vermeiden, aber ganz ausschließen kann man das nicht. Z.B. kann es für einen CDU-Anhänger auch bei einer reinen Verhältniswahl sinnvoll sein, FDP zu wählen, wenn er FDP-nähere Positionen durchsetzen will und absehn kann, dass das Ergebnis mangels ausreichendem Gewicht der FDP trotzdem im Terrain der CDU liegen wird.

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