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Mitdenker (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Samstag, 22. April 2006 - 15:29 Uhr: | |
Im Europäischen Parlament, und in einigen anderen Parlamenten, wird elektronisch über Gesetzesvorhaben abgestimmt. Ich denke, dass sich der Bundestag sich einmal, mit diesem Thema befassen sollte. Ein elektronisches Verfahren, bei offenen Abstimmungen im Plenarsaal, bietet viele Vorteile. Ich werde nun, einige davon, nennen. Das Auszählen der Stimmen geht schneller. Es gibt eher Gewissheit, ob das Gesetz angenommen wird. Es werden mehr Themen in der gleichen Zeit behandelt. Die Sitzungszeit wird verkürzt. Der Bundestag sollte, bei dieser Gelegenheit auch den Hammelsprung abschaffen. Diese Methode ist eine altmodische Angelegenheit. Sie hat im einem heutigen Parlament nichts mehr zu suchen. Was denkt Ihr über über elektronische Abstimmungen im Bundestag? |

Lars Tietjen
| Veröffentlicht am Samstag, 22. April 2006 - 18:23 Uhr: | |
Ich kann im Bundestag kein Problem bei den Abstimmungen erkennen. Ich finde de Abstimmungen direkt nach der Debatte sinnvoller als diese Abstimmungsblöcke im EP. Im EP sind die genauen Ergebnisse wichtiger, weil in der zweiten Lesung im EP eine Absolute Mehrheit der (gewählten)Abgeordneten zustimmen muss. Im Bundestag kommt es meist nur auf die Mehrheit an. Die wenigen anderen Fälle machen nicht wirklich Probleme. "Es gibt eher Gewissheit ob ein Gesetz angenommen wird." Im Bundestag geht es in der Regel mindestens genause schnell. Ausnahme sind die namentlichen Abstimmungen. Aber auch da kann ich kein Problem erkennen. "Es werden mehr Themen in der gleichen Zeit behandelt. Die Sitzungszeit wird verkürzt." Das glaube ich nicht. Die Abstimmungsblöcke getrennt von der Beraung im EP sind eher weniger effizient. Elektronische Abstimmungen erzwingen mehr anwesende Abgeordnete im Plenum. Dies reduziert die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes. (Ausschussberatungen müssen ständig unterbrochen werden oder sind parallel zum Plenum nur eingeschränkt möglich etc.) Faktisch ist dies nur durch Abstimmungsblöcke zu lösen. Im Ergebnis hat man dann aber das Ergebnis später als im jetzigen Verfahren. In der 13. und 14. WP gab es übrigens jeweils 6 "Hammelsprünge". Also kein wirklich relevantes Thema dort etwas zu ändern. Auch die jeweils rund 170-180 Namentlichen Abstimmungen in den letzten Wahlperioden machen keine Probleme. |

juwie
| Veröffentlicht am Sonntag, 23. April 2006 - 09:35 Uhr: | |
Ausnahmsweise teile ich die Meinung von Mitdenker. Allerdings ist der Zweck nicht, die Mehrheiten eindeutig feststellen zu können, sondern die Transparenz bzgl. des Abstimmungsverhaltens des einzelnen Abgeordneten zu erhöhen. Anfang der 70er Jahre hat der Bundestag übrigens schon einmal mit einer Abstimmungsanlage experimentiert. Der Versuch endete in einem Desaster (vgl. Schindler, Peter, Datenhandbuch Deutscher Bundestag 1949-1999, Baden-Baden 1999, s. 1729f.). |

Florian (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Sonntag, 23. April 2006 - 18:00 Uhr: | |
Mir geht es genauso wie juwie. auch ich teile ausnahmsweise die Meinung von Mitdenker. Übrigens hatte ich schon mal eine ähnliche Diskussion losgetreten: http://www.wahlrecht.de/forum/messages/42/865.html?1066393049 Und hier noch einmal eine ähnliche Diskussion, basierend auf einem aberwitzigen Sitzungsprotokoll des Bundestags: http://www.wahlrecht.de/forum/messages/40/1852.html#POST23440 |

Görd (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 09:41 Uhr: | |
Der Bundestag ist ein "Arbeitsparlament" und kein "Abstimmungsparlament", d.h. während der Debatten oder Abstimmungen im Plenum sind viele Abgeordneten in Ausschüssen etc. und gehen dort ihrer parlamentarischen Arbeit nach. Bei den weniger wichtigen Gesetze sitzen nur wenige im Plenum und stimmen ab. Sollten dann einmal die Mehrheitsverhältnisse unklar sein, wird ein Hammelsprung durchgeführt. Das gibt den Fraktionen Gelegenheit ihre Abgeordneten aus Ausschüssen etc. zu mobilisieren. Würde man anstatt dessen elektronische Abstimmungen einführen, müsste die Abgeordneten immer ihre Ausschusssitzungen unterbrechen, wenn irgendein Gesetz zur Abstimmung steht. Ich bin daher gegen elektronische Abstimmungen im Bundestag, da sein Aufbau für diese nicht geeignet ist. |

juwie
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 16:17 Uhr: | |
@Görd Das scheint mir eine sehr kurzsichtige Argumentation zu sein. Schließlich gilt der US-Kongress als Arbeitsparlament par excellence.  |

Florian (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 16:18 Uhr: | |
@ Görd: Ist das wirklich so, dass es Ausschuss-Sitzungen gibt, während gleichzeitig im Plenum Gesetze verabschiedet werden? Ich hatte das bisher anders verstanden - nämlich so, dass es nur etwa 50 Tage im Jahr mit Plenumsveranstaltungen gibt und dass an diesen Tagen dann keine Ausschüsse tagen. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren. |

libi (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 17:55 Uhr: | |
Z.B.: Am Do., den 11.05.06 findet von 09.00 bis 23.15 Uhr die Plenarsitzung statt. Um 16.00 Uhr tagt der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Am Mi., den 10.05.06 findet von 13.00 - 15.45 Uhr die Plenarsitzung statt. Von 12.30 Uhr bis 14.30 Uhr tagt der Finanzausschuss; Um 11.00 Uhr beginnt die öffentliche Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung; ab 09.30 Uhr tagt der Umweltausschuss; ab 15.00 Uhr tagt der Ausschuss für Tourismus; um 09.30 Uhr beginnt der Bildungsausschuss; ab 10.30 Uhr tagt der Europaausschuss (mit angekündigter Abstimmungszeit 13 Uhr) |

Florian (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 18:20 Uhr: | |
@ Libi: Danke, schon wieder was dazu gelernt. Gilt denn wenigstens folgende schwächere Formulierung: Während im Plenum über Gesetze abgestimmt wird, gibt es keine gleichzeitigen Ausschuss-Sitzungen? |

MMA (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 18:43 Uhr: | |
@Florian: Im vorliegenden Fall kann man sich unter http://www.bundestag.de/parlament/plenargeschehen/to/35.html angucken, wann ungefähr die wichtigen Abstimmungen (zweite/dritte Lesungen) anstehen (falls die Tagesordnung nicht noch geändert wird!); es dürfte nicht so schwer sein, dafür einen Zeitpunkt zu erreichen, wo die Ausschusssitzungen beendet sind |

Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 21:14 Uhr: | |
Erst einmal ganz naiv gefragt: Was ist der Unterschied zwischen einem Arbeits- und einem Abstimmungsparlament? Mir ist bspw. bekannt, dass es in gewissen Staaten, etwa den USA, vorübergehend einberufene Versammlungen gibt, deren Aufgabe darin besteht, über bestimmte Themen zu entscheiden, etwa Verfassungsänderungen. Dies bedeutet aber nicht, dass dort nicht auch debattiert wird, umgekehrt handelt es sich aber nicht wirklich um Parlamente, da sie nur für ein bestimmtes Geschäft zusammengerufen und danach aufgelöst werden, im übrigen aber keines der Rechte eines Parlamentes besitzen, oft noch nicht einmal eine eigene Geschäftsordnung aufstellen können, sondern einfach jene des regulären Parlamentes übernehmen u. dgl. Ferner fragt sich, wie man eine Plenaristzung von 9.00 bis 23.15 durchhalten will und kann. Ohne eigentliche Pausen macht das niemand mit, und mal pinkeln oder was essen müssen auch begeisterte Vollblutparlamentarier. Da fragt sich jedenfalls, ob solche Marathon-Sitzungen überhaupt sinnvoll seien. Schliesslich ist auch nicht in Stein gemeisselt, dass der gegenwärtige Zustand so bleiben müsse. Es gibt gewiss auch Argumente abgesehen von der Frage einer elektronischen Abstimmungsanlage dafür, die Zeitplanung von Plenar- und Ausschusssitzungen sowie weiteren parlamentarischen Veranstaltungen anders zu gestalten als heute. Parlamente pflegen übrigens in aller Welt verschiedene Aufgaben zu erfüllen: Diskussion (Debatte), Abstimmungen (Entscheidungen) über Erlasse (Gesetze, Verträge, Verordnungen, Dekrete, Mandate usw.), Beratung und Aufträge an die Regierung, Vornahme von Wahlen, Ernennungen oder Bestätigungen, evtl. Entscheidungen "richterlicher" Natur wie Kompetenzkonflikte zwischen obersten Staatsbehörden, Entscheid über gewisse Rekurse u. dgl. Dies tun sie im Plenum, in Ausschüssen, Unterausschüssen, Abordnungen usw. usf. Der Mannigfaltigkeit von Bezeichnungen ist nur durch die menschliche Sprache und Phantasie eine Grenze gesetzt. Für Abstimmungen gibt es im übrigen verschiedene Verfahren. Statt Hammelsprunges kann (muss tatsächlich auch in gewissen Fällen) schriftlich mit Stimmzetteln abgestimmt werden; eine andere, ebenfalls langwierige, aber eigentlich sehr verlässliche Prozedur ist der Namensaufruf, der bspw. in den us-amerikanischen Parlamentskammern teilweise von Verfassungs wegen vorgeschrieben ist. Früher war er auch im Schweizer Nationalrat üblich, aber es dauerte jeweils einige Zeit, so an die 200 Namen der Reihe nach aufzurufen, die Antwort zu wiederholen und bestätigen zu lassen (das lief dann nach dem Muster: "Meyer 1?" - "Ja/Nein/Enthaltung" - "Meyer 1 Ja/Nein/Enthaltung" - "Korrekt!"); daher wurde dann vor einigen Jahren eine elektronische Abstimmungsanlage getestet. Zunächst bestanden wie in Deutschland vielerlei Vorbehalte gegen eine solche Anlage, schliesslich wurde sie aber definitiv eingeführt, heute will niemand mehr zum alten System zurück. Nota bene gibt's uch Piepser (Pager), mit denen das Bureau des Rates abwesende Parlamentarier rechtzeitig vor einer Abstimmung in den Saal locken kann. Wo ein Wille ist, ist meist auch ein Weg. |

Mitdenker (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 22:00 Uhr: | |
"Erst einmal ganz (...) regulären Parlamentes übernehmen u. dgl. Ferner fragt sich, (...) überhaupt sinnvoll seien. Schliesslich ist auch (...) gestalten als heute. Parlamente pflegen übrigens (...) eine Grenze gesetzt. Für Abstimmungen gibt (...) Saal locken kann. Wo ein Wille ist, ist meist auch ein Weg." Ein Arbeitsparlament kümmert sich mehr die Sachverhalten in Ausschüssen und im Plenum, als dass es viele Abstimmungen durchführt. Wollen Sie der Deutschen Bundesversammlung ihren parlamentarischen Charakter absprechen, das sie nur zur Wahl unseres Bundespräsidenten zusammentritt? Ich kann auch nicht verstehen, warum Parlamentsdebatten 12 Stunden dauern sollen. Die Abgeordneten können sich nach ca. 6 Stunden, doch sicher, kaum noch konzentrieren. Die enscheidenden Lesungen sollte zuerst abgehalten werden. Es sollte am Vormittag eine Kernzeit geben, in der alle Abgeordeten im Plenum sein müssen, und keine Ausschusssitzungen stattfinden dürfen. Ich sehe beide Maßnahme, als ersten Schritt hin zur effizienteren Organistion des Bundestags. Ausschüsse sollten nicht an Sitzungstagen arbeiten. |

Görd (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 22:08 Uhr: | |
Sorry, ich meinte nicht Abstimmungs- sondern Redeparlament. Ein "Redeparlament" ist z.B. das britische Unterhaus, dort werden alle politischen Fragen in Diskussionen und vorwiegend im Plenum erörtert, wohingegen im "Arbeitsparlament" mehr in den Ausschüssen diskutiert wird (wie z.B. in Deutschland). |

Mitdenker (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 22:33 Uhr: | |
Sorry, ich habe den Begriff "Arbeitsparlament" falsch definiert. Zu der Anzahl der Ausschüsse kann ich folgendes sagen: In Deutschland gibt es immer ungefähr 20, in Frankreich gibt es 6 Ausschüsse. Ist die Französische Nationalversammlung eine Rede- oder Arbeitsparlament? Außerdem gefragt, wird dort elektronisch abgestimmt? |

Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 22:37 Uhr: | |
Es fragt sich, ob die Zahl von Abstimmungen ein Kriterium sein kann. Es gibt Geschäftsordnungen, nach denen bspw. erst ein förmlicher Antrag auf Eintreten in die Behandlung eines Geschäftes gestellt werden muss. Ggf. kann über die Frage des Eintretens eine Debatte geführt werden. Schliesslich erfolgt förmliche Abstimmung. Wird das Eintreten bejaht, muss wiederum ein Antrag auf Debatte gestellt, ggf. beraten und schliesslich zur förmlichen Abstimmung gebracht werden. Je nach Geschäftsordnung finden dann auch mehr oder weniger förmliche Abstimmungen über die Einräumung von Redezeit, Abbruch oder Schluss der Debatte usw. statt. Andere Geschäftsordnungen lassen einen mehr oder weniger formlosen Prozess zu, bis schliesslich am Ende der Beratungen eine förmliche Abstimmung über das Geschäft als solches stattfindet. Ich kann darin allerdings keinen wesentlichen Unterschied erkennen ausser einem unterschiedlichen Grad an Formalisierung des Verfahrens. Formalisierung eines Verfahrens hat Vor- und Nachteile. Vorteil ist bspw. eine stärkere Strukturierung des Verfahrens und grössere Transparenz. U. U. kann dies auch Minderheiten im Parlament vor undemokratischen Machenschaften der Mehrheit schützen. Nachteile sind gewiss manche überflüssigen Formalia, die Zeit kosten. Ein Entscheid kann aber auch ohne förmliche Abstimmung zustande kommen. Bspw. kann vorgesehen sein, dass ein Antrag als angenommen gilt, wenn er nicht durch einen Gegenantrag in Frage gestellt wird. Am Ende der Debatte stellt dann jeweils der Vorsitzende fest, dass der Antrag ohne Gegenantrag zum Beschluss geworden sei. In andern, meist kleinen Gremien, gibt der Vorsitzende gegen Ende der Debatte eine Zusammenfassung, zu der andere Anwesende evtl. Korrekturen, Präzisierungen oder Änderungen anmerken. Diese Zusammenfassung wird dann durch Aufnahme ins Protokoll ohne förmliche Abstimmung (durch Kopfnicken, evtl. Akklamation) zum Beschluss. Der Vorteil eines förmlichen Beschlusses durch Abstimmung liegt wiederum darin, dass allen klar ist, dass sie nun etwas beschliessen. Er lässt sich auch eindeutig nachweisen, was in den andern Fällen nicht immer leicht fällt. Gerade in Ausschüssen u. dgl. kleineren Gremien wird aber oft ohne förmliche Abstimmung entschieden. Gleichwohl handelt es sich dabei um Beschlüsse (Entscheidungen). Nur zum Vergleich: Der Abschluss eines Vertrages im bürgerlichen Recht erfordert eine übereinstimmende Willensäusserung der Parteien. Diese kann förmlich bspw. durch schriftliche Unterzeichnung erfolgen, durch Handschlag, Versprechen vor Zeugen, notarielle Beurkundung, Erklärung gegenüber einem staatlich bestellten Beamten usw. In gewissen Fällen schreibt das Gesetz eine solche Form zwingend vor, um etwaige Missbräuche oder Irrtümer nach Möglichkeit auszuschliessen. In allen andern Fällen steht es den Parteien hingegen frei, eine beliebige oder gar keine Form zu verwenden. Auch stillschweigende Vertragsschlüsse sind möglich. So wird etwa durch das wortlose Hinreichen von Ware und Geld und Annahme des Geldes durch Verkaufspersonal in einem Geschäft ein Kaufvertrag geschlossen. Durch Arbeitsaufnahme bei einem Arbeitgeber mit beiderseitiger stillschweigender Übereinstimmung entsteht ein gültiger Arbeitsvertrag. Man spricht dann auch von konkludentem Verhalten, was auch ein Bestandteil der Regeln des internationlen Vertragsrechts unter Staaten ist. Es wird in Parlamenten und deren Ausschüssen also auch entschieden, ohne dass abgestimmt wird. Ausserdem fallen Entscheidungen auch in Ausschüssen, nicht allein im Plenum. Daher kann ich einen Gegensatz zwischen "Arbeit" und "Abstimmungen" nicht erkennen. Die Arbeit eines Parlamentes besteht ja nicht im Kohleschaufeln. Parlamente sind zwar da, um zu debattieren, aber eine Debatte erfüllt keinen Selbstzweck. Parlamente sind am Ende dazu da, gewisse Entscheidungen mit allgemeiner Verbindlichkeit zu fällen. Dies können Gesetze sein, aber auch andere Erlasse, ferner die Billigung einer Regierung, die Vornahme einer Wahl und noch viel mehr. Auch eine Wahl, das Vertrauensvotum für eine Regierung oder die Empfehlung einer Massnahme, die die Regierung ergreifen soll, stellen nichts anderes dar als Entscheidungen. Auch ein Ausschuss, der sich weigert, eine Vorlage ins Plenum zu schicken, fällt eine Entscheidung (letztlich gleichbedeutend mit Ablehnung eben dieser Vorlage). Wenn eine Stammtischrunde über Politik diskutiert, dann debattiert sie zwar auch, bloss bleiben ihre Debatten unverbindlich. Debatten eines Parlamentes hingegen werden früher oder später in Massnahmen umgesetzt, die allgemeine Verbindlichkeit entfalten. Ob die deutsche Bundesversammlung parlamentarischen Charakter trage oder nicht, ist letztlich eine Frage des Wortgebrauches. Immerhin setzt sie sich aus dem Bundestag und aus parlamentarischen Vertretern der Landtage zusammen. Wenn wir eine Abordnung eines Parlamentes betrachten, bspw. eine Abordnung in den Europarat, dann können wir diese durchaus als "parlamentarisch" bezeichnen, weil es sich um Parlamentarier handelt, die von ihrem Parlament entsandt sind und die als Parlamentarier handeln. Allerdings stellt eine solche Abordnung selbst kein Parlament dar. Wir wollen also ohne Streit der deutschen Bundesversammlung zugestehen, sie sei eine parlamentarische Versammlung. Sie stellt deswegen aber kein Parlament dar: Weder kann sie unabhängig eine Tagesordnung aufstellen noch ein eigenes Präsidium wählen, kann keine Geschäfte an sich ziehen, keine eigene Initiative entwickeln, keinen unmittelbaren Einfluss auf die Regierung und deren Geschäfte ausüben, kein Gesetz und keinen andern Erlass diskutieren oder beschliessen, nicht einmal anregen, kein Haushaltrecht ausüben und nichts anderes dergleichen, was Parlamente üblicherweise so zu tun haben. Sie hat einzig und allein die Aufgabe, den Bundespräsidenten zu wählen und dies nach engen formellen Vorgaben durch Verfassung und Gesetz. Wie immer man es also dreht und wendet, kann sie nicht den Anspruch erheben, selbst Parlament zu sein. |

Mitdenker (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Mai 2006 - 23:11 Uhr: | |
"Es fragt sich, (...) Debatte usw. statt. Andere Geschäftsordnungen (...) als solches stattfindet. Ich kann darin (...) die Zeit kosten. Ein Entscheid kann (...) (durch Kopfnicken, evtl. Akklamation) zum Beschluss. Der Vorteil eines (...) dabei um Beschlüsse (Entscheidungen). Nur zum Vergleich: (...) unter Staaten ist. Es wird in (...) fällt eine Entscheidung (letztlich gleichbedeutend mit Ablehnung eben dieser Vorlage). Wenn eine Stammtischrunde (...) allgemeine Verbindlichkeit entfalten. Ob die deutsche Bundesversammlung (...) kein Parlament dar. Wir wollen also (...) selbst Parlament zu sein." [klingt wie "Du bist Deutschland"] Ja, die Zahl der Abstimmungen ist ein Kriterium. Der jeweilige Zeitaufwand für Diskussionen und Abstimmungen entscheidet wesentlich mit über den Charakter eines Parlamentes. Formalien sollte nur gemacht werden, wenn sie nötig sind. Sie sind den Abgeordnete liebgewordene Rituale. Einige sind nützlich und strukturierend. Andere kosten unnötig Zeit. Ein Beschluss muss nach festgelegten Regeln, nach eingehender Prüfung sowie den notwendigen Mehrheiten gefasst werden. Die Bundesversammlung und z. B. die Paulskirchenversammlung mit dem selben Begriff zu belegen, halte ich für schwierig. Auch deshalb neige ich für die Bundesversammlung eher zum Begriff Parlament. |

Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Donnerstag, 04. Mai 2006 - 12:26 Uhr: | |
Wenn man fordert, dass "ein Beschluss nach festgelegten Regeln, nach eingehender Prüfung sowie den notwendigen Mehrheiten gefasst" werde, hat man sich allerdings bereits für einen ziemlichen Formalienreichtum entschieden. Fragt sich dann bloss, was als "Beschluss" zu gelten habe. Darüber lässt sich endlos streiten. Bspw. ist in der rechtswissenschaftlichen Theorie noch immer nicht geklärt, was das Handeln eines Lehrers oder einer Lehrerin im Unterricht darstellt: Handelt es sich dabei um blosses Verwaltungshandeln oder aber (z. B. Zensuren, Aufrufen oder Nichtaufrufen einzelner u. dgl.) um Verfügungen oder aber um Verfügungen, die ausnahmsweise von den Formpflichten befreit sind? Sinngemäss lässt sich auch bei parlamentarischem Handeln endlos darüber streiten, was nun als Beschluss zu gelten habe und was nicht. Ist bspw. die Verteilung (beschränkter) Redezeit auf einzelne Parlamentsmitglieder bereits ein förmlicher Beschluss? Ich meine, dass es in guten Treuen sehr verschiedene Auffassungen darüber geben könne. Die Paulskirchenversammlung hat sich selbst wohl doch als Parlament wenigstens in nuce gesehen; vor allem aber war sie eine verfassunggebende Versammlung (die allerdings in der Praxis am Ende scheiterte), die als solche schon etwas Ausserordentliches darstellte. Allein schon der beschränkte Zeitraum ihrer Existenz macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung. Zudem erfüllte sie Aufgaben, die Parlamente normalerweise nicht zu erfüllen brauchen (nämlich Staatsaufbau), weil Parlamente regelmässig ordentliche und ständige Institutionen bestehender Staatswesen sind. So ist der deutsche Bundestag zweifellos ein Parlament, bei der Paulskirchenversammlung gibt es je nach Blickwinkel sehr verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, was sie denn nun eigentlich gewesen sei. Genauso könnte man sich auch die Frage stellen, was der amerikanische Verfassungskonvent gewesen sei: Zweifellos hat er parlamentarische Verfahrensweisen auch verwendet, Parlament konnte er aber deswegen kaum sein, weil es keinen Staat gab, zu dem er gehören konnte - die USA entstanden ja erst einige Zeit nach Schluss des Konventes (die Ratifikation zog sich hin). Am ehesten wird man also wohl sagen, es sei eben eine verfassunggebende Versammlung gewesen, damit liegt man gewiss auf der sicheren Seite. Bei der Paulskirchenversammlung ist dies bereits weniger klar, weil sie ja faktisch auch als Parlament gehandelt hat und nicht nur als verfassunggebende Versammlung. Die Wirklichkeit ist eben (leider oder glücklicherweise, je nach Optik) doch mannigfaltiger und bunter als unsere theoretischen, ansatzweise fein säuberlich unterschiedenen Begriffe. |

Morice (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Donnerstag, 04. Mai 2006 - 13:13 Uhr: | |
Was heißt nur verfassunggebende Versammlung, das ist doch eine Stufe über dem normalen Gesetzgeber. |

Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
| Veröffentlicht am Donnerstag, 04. Mai 2006 - 14:29 Uhr: | |
Jein. In sehr vielen Staaten sind es die gewöhnlichen Parlamente, die auch über die Verfassung entscheiden - mit meist verschiedenen Einschränkungen oder Vorbehalten wie höheren Quoren, mehr Lesungen, ausgeklügelte Verfahrensfolgen, Vorbehalt der Volksabstimmung. u. dgl. Insofern ist der Verfassunggeber dem Gesetzgeber nicht übergeordnet, weil es sich in solchen Fällen ja um dasselbe Organ handelt. Es gibt aber auch andere Formen bzw. Fälle: - Ein Staat soll erst gegründet werden, etwa durch Zusammenschluss bisher selbständiger Staaten. Dann gibt es kein bestehendes Organ, das als Verfassunggeber wirken könnte. Meist wird dann eben eine Konferenz der beteiligten Vorläuferstaaten o. ä. einberufen, die eine Verfassung unter Vorbehalt der Ratifikation durch die entsendenden Staaten ausarbeitet (vgl. USA, EU-Verfassungsvertrag). - Ein Staat besteht zwar, aber durch Gründe wie Krieg, Bürgerkrieg, innere Zerrüttung, Putsch, Umsturz o. dgl. ist er faktisch handlungsunfähig und besitzt keine Organe, die fähig oder legitimiert wären, eine Verfassung zu erlassen. Dann wird meist dazu geschritten, eine verfassunggebende Versammlung wählen oder (durch "Repräsentanten") bestellen zu lassen (vgl. Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, Afghanistan, Irak). - Schliesslich gibt es auch Staaten, die vorsehen, nicht das Parlament, sondern ein besonderes Organ mit der Verfassungsgebung zu betrauen, insbesondere wenn es darum geht, periodisch oder unter besonderen Umständen die Verfassung insgesamt zu erneuern. Die Überlegung dahinter ist zumeist, dass eine solche Aufgabe breiter und durch besonderes Mandat abgestützt werden sollte, ausserdem auch oft einfach neben der parlamentarischen Alltagsarbeit nicht zu erfüllen ist. (Beispiele: Viele Schweizer Kantone: Verfassungsrat) In allen diesen drei Fällen nehmen die entsprechenden Organe zwar eine Aufgabe wahr, die der Alltagsarbeit eines Parlamentes grundsätzlich vor- oder gar übergeordnet ist. Hingegen besitzen sie regelmässig die üblichen Aufgaben und Rechte von Parlamenten nicht, also keine Legislative, keine Rechte gegenüber der Regierung, keine Wahl- oder Bestellungsrechte, keine Eigeninitiative, oft nicht einmal eine eigene Geschäftsordnung usw. Insofern sind sie in jeglicher Hinsicht einem Parlament untergeordnet, ihre Einberufung, Geschäftsordnung usw. verdanken sie im dritten Fall regelmässig einem Auftrag des Parlamentes, in den andern Fällen einem Mandat eines andern Organes. Es kann allerdings vorkommen, dass in den beiden ersten aufgeführten Fällen die verfassunggebende Versammlung in der neuen Verfassung vorsieht, dass es bis zu Neuwahlen als Parlament wirkt, einen Staatspräsidenten oder eine Regierung wählt u. dgl. Dann nimmt sie tatsächlich den Charakter eines Übergangsparlamentes an, wie das ja auch bei der Paulskirchenversammlung der Fall war. Wenn ein Verfassungskonvent (wie bspw. nach der US-Verfassung) gleichzeitig mit einem regulären Parlament besteht, dann wird überall das ordentliche Parlament in seinen Rechten nicht beschnitten und behält grundsätzlich volle Souveränität. Insofern handelt es sich eben "nur" um verfassunggebende Versammlungen. |

Simone Fuchs
Registriertes Mitglied
| Veröffentlicht am Samstag, 23. September 2017 - 10:57 Uhr: | |
Die Seite, die hier gepostet wurden funktionieren nicht mehr. Hat jemand einen Ersatz- Link ? https://www.bundestag.de/parlament/plenargeschehen/to/35.html [OT-Link entfernt – der Admin] |
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