Aufruf

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Mehr Demokratie e.V., Patriotische Gesellschaft von 1765

23.05.2006


Im Kontext stehende Meldungen: 50 Jahre Bundeswahlgesetz – Festveranstaltung in Hamburg

Aufruf zum 23. Mai 2006: Reform des Bundestagswahlrechts

Vor genau fünfzig Jahren, am 23. Mai 1956, ist das geltende Bundeswahlgesetz in Kraft getreten. Ohne Zweifel hat es zur positiven Entwicklung Deutschlands als stabile Demokratie erheblich beigetragen. Doch angesichts sinkender Wahlbeteiligung und großer Parteienverdrossenheit ist es nun höchste Zeit, das Bundestagswahlrecht weiterzuentwickeln. Immer mehr Personen des öffentlichen Lebens – genannt seien hier nur Altbundespräsident Herzog oder der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier – fordern zurecht, den bedrohlichen Entwicklungen unserer Demokratie durch eine Wahlrechtsreform entgegenzuwirken, die den Wählern mehr Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments gibt und zu einer Belebung der parlamentarischen Demokratie führt.

Schon im Jahre 1976 wurde diese Notwendigkeit auch von der Enquete-Kommission „Verfassungsreform“ gesehen, deren Vorschläge aber leider nie umgesetzt wurden: Eine Personalisierung des Wahlrechts bringe „eine echte Balancierung der Position der politischen Parteien bei der Kandidatenauswahl, ohne ihnen das Recht der Aufstellung der Kandidatenlisten zu beschneiden; diese Balancierung verhilft dazu, Wählereinfluss und Parteienmacht bei der Bestimmung der personellen Zusammensetzung der Volksrepräsentation in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und die Wechselbeziehungen zwischen den politischen Parteien und ihrer Wählerbasis zu verstärken. […] Sie vermag – gegenüber möglichen Weisungsansprüchen der Parteiapparate – die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten in der Wahrnehmung seines Mandats zu festigen. […] Die wichtige integrierende Funktion der politischen Parteien wird nicht geschwächt, sondern eher verstärkt. Indem dem Bürger eine Einwirkung auf die Reihenfolge der Kandidaten auf einer Liste eingeräumt wird, wird zugleich einer Abkapselung der politischen Parteien von den Bürgern vorgebeugt und in gewissem Umfang einer Rückkopplung zwischen der Kandidatenauslese der politischen Parteien und den personalpolitischen Wünschen der Bevölkerung hergestellt.“

Die Wahlen der letzten Jahre haben darüber hinaus mehrere Schwachstellen des geltenden Wahlrechts offengelegt, die es auszubessern gilt – z. B. die Regelung zu Überhangmandaten. Mit dem Jubiläum des Bundeswahlgesetzes geht zudem ein Beschluss des Bundesrats vom Februar dieses Jahres einher, der eine umfassende Evaluierung des Bundeswahlgesetzes anregt. Wir rufen den Bundestag auf, dies zum Anlass zu nehmen, die überfällige Wahlrechtsreform umgehend in Angriff zu nehmen und in der laufenden Legislaturperiode umzusetzen. Zur Klärung der Frage, welche wahltechnischen Mittel (Kumulieren und Panaschieren, Mehrmandatswahlkreise, Vorzugsstimmen etc.) für diesen Zweck am besten geeignet sind, mag die Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission sinnvoll sein. Wir hoffen, nicht zuletzt aufgrund der durch die Große Koalition bedingten höheren Kompromissbereitschaft zwischen den politischen Lagern stehen die Chancen besser als 1976, dass die Empfehlungen einer solchen Kommission nicht wieder wirkungslos verpuffen.

 


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