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Deutscher Bundestag

Drucksache 15/3873

29.09.2004


[BT-Drucks. 15/3873, S. 1] Unterrichtung

durch die Bundesregierung

Bericht zur Änderung von Wahlrechtsvorschriften aufgrund von gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland 1999 eingegangenen Wahleinsprüchen

Der Deutsche Bundestag hat aufgrund einer Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses (Bundestagsdrucksache 14/2761) in seiner 92. Sitzung am 15. März 2000 die Wahleinsprüche gegen die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland 1999 behandelt und u. a. Prüfbitten an die Bundesregierung beschlossen. Das Bundesministerium des Innern nimmt zu diesen Prüfbitten wie folgt Stellung:

Prüfbitte Buchstabe a

Sind die Wahlrechtsvorschriften dahin gehend zu ändern, dass

  • die Teilnahme von im Ausland lebenden deutschen Wahlberechtigten an der Europawahl durch bessere Information und Verlängerung der Fristen erleichtert wird?
     
  • in der Bundesrepublik Deutschland lebende wahlberechtigte Bürger aus anderen Staaten der Europäischen Union, die 1999 oder bei einer späteren Europawahl auf ihren Antrag in Deutschland in ein Wählerverzeichnis eingetragen worden sind, bei dann folgenden Europawahlen grundsätzlich von Amts wegen eingetragen werden?
     
  • rechtzeitig bei der für die Zustellung zuständigen Filiale der Deutschen Post AG vorliegende Wahlbriefe, die aber durch Verschulden eines Bediensteten der Deutschen Post AG, eines Beauftragten des Kreiswahlleiters oder der Gemeindebehörde oder aufgrund sonstiger, vom Wähler nicht mehr zu vertretender Umstände erst nach Ablauf der Frist des § 36 Abs. 1 BWG beim Kreiswahlleiter eingehen, bei der Feststellung des Wahlergebnisses zu berücksichtigen sind?
     
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Zum 1. Anstrich:

Eine Änderung von Wahlrechtsvorschriften zur Erleichterung der Wahlteilnahme von Auslandsdeutschen ist nicht erforderlich bzw. nicht sinnvoll. 2
Auslandsdeutsche werden auf vielfältige Weise und rechtzeitig über die Voraussetzungen einer Wahlteilnahme informiert. Die Information erfolgt zunächst aufgrund zwingender Wahlrechtsvorschriften. Hierdurch wird ein Mindestinformationsstandard festgelegt, der grundsätzlich geeignet ist, alle Auslandsdeutschen zu erreichen. Dabei wird vorausgesetzt, dass ein im Ausland lebender Deutscher sich rechtzeitig vor der Wahl aktiv um die Wahlteilnahme bemüht. Die vorgeschriebenen Informationswege für Auslandsdeutsche sehen Folgendes vor: 3
  • Unverzüglich nach der Bestimmung des Wahltages – also etwa ein halbes Jahr vor der Wahl – machen die diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland in überregionalen und regionalen Tageszeitungen öffentlich bekannt, unter welchen Voraussetzungen im Ausland lebende Deutsche an der Wahl zum Deutschen Bundestag bzw. der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus Deutschland teilnehmen können und welche Modalitäten für die Eintragung in ein deutsches Wählerverzeichnis gelten (§ 19 Abs. 2 Satz 1 und 2 Europawahlordnung – EuWO).
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  • Ist eine solche Bekanntmachung in begründeten Einzelfällen nicht realisierbar, so erfolgt zumindest ein entsprechender Aushang in der deutschen Vertretung, und soweit möglich, eine individuelle Unterrichtung der der deutschen Auslandsvertretung namentlich bekannten, wahlberechtigten Deutschen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 EuWO).
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  • [BT-Drucks. 15/3873, S. 2] Etwa zwei bis drei Monate vor der Wahl halten die deutschen Auslandsvertretungen, der Bundeswahlleiter und die Kreis- sowie Stadtwahlleiter die notwendigen Antragsformulare bereit (§ 17 Abs. 5 EuWO).
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Unabhängig hiervon werden weitere Möglichkeiten genutzt, um alle Wahlberechtigten zu erreichen. Zu den freiwilligen Zusatzinformationen zählten bei der Europawahl 1999 Informationen des Bundeswahlleiters sowie ein vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hergestelltes und über den Postrentendienst verteiltes Informationsblatt für Auslandsdeutsche zur Europawahl 1999 (einschließlich eines Vordrucks zur Anforderung der Antragsunterlagen) sowie TV-Spots der Deutschen Welle. 7
Seit der Bundestagswahl 2002 ist als wichtige zusätzliche Informationsquelle das Internet dazu gekommen. Seither stellt die Bundesregierung Informationsangebote auf breiter Basis zur Verfügung, da besonders das Internet für im Ausland lebende Deutsche Informationen ohne zeitliche Verzögerung bietet. So stellt der Bundeswahlleiter im Internet detaillierte Informationen unter dem Stichwort „Service für Auslandsdeutsche“ unter www.bundeswahlleiter.de zur Verfügung. Dieser Service beinhaltet auch die Möglichkeit, ein Merkblatt sowie den notwendigen Vordruck für den Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis herunterzuladen. Um die Anschrift der zuständigen Gemeindebehörde herauszufinden, wird darüber hinaus eine Suchhilfe zur Verfügung gestellt, sodass Auslandsdeutsche die Anträge auch mit der korrekten Anschrift ihrer letzten Heimatgemeinde versehen können. Eine durch unkorrekte Anschriften verursachte Verlängerung von Postlaufzeiten kann so – insbesondere wenn die Zeit für die Beantragung knapp geworden ist – vermieden werden. Dieser Service des Bundeswahlleiters ist bei Auslandsdeutschen beliebt und wird gut angenommen. Auch das Bundesministerium des Innern, das Auswärtigen Amt und die deutschen Auslandsvertretungen sowie das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung stellen seither ausführliche Informationen in ihr Webangebot ein. 8
Praktische Mängel, wie sie in der Wahlanfechtungssache EuWP 13/99 (Bundestagsdrucksache 14/2761 – Anlage 27) bei der zusätzlichen freiwilligen Information von Auslandsdeutschen festgestellt wurden, lassen sich durch rechtzeitige und sorgfältige Vorbereitung vermeiden, nicht jedoch durch eine Änderung der Wahlrechtsvorschriften. 9
Eine Verlängerung der Frist zur Eintragung in das Wählerverzeichnis (bis spätestens zum 21. Tag vor der Wahl – § 17 Abs. 1 Satz 1 EuWO) würde Auslandsdeutschen die Teilnahme an der Wahl nicht erleichtern. Denn Auslandsdeutschen steht hierfür nur die Briefwahl zur Verfügung. Die Übersendung der Briefwahlunterlagen an den Wählberechtigten und die Rücksendung des Wahlbriefes an die Gemeindebehörde benötigen einen zeitlichen Vorlauf. Stünden hierfür weniger als drei Wochen zur Verfügung, wäre eine Wahlteilnahme grundsätzlich infrage gestellt. Bei unverschuldeter Fristversäumnis steht ihnen im Übrigen noch die Möglichkeit zur Verfügung, nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 EuWO einen Wahlschein zu beantragen. 10

Zum 2. Anstrich:

Mit der Verordnung zur Änderung der Europawahlordnung und der Bundeswahlordnung vom 28. August 2000 (BGBl. I S. 1338) hat der Bundesminister des Innern die Modalitäten für die Eintragung von ausländischen Unionsbürgern in das Wählerverzeichnis dahin gehend geändert, dass diejenigen, die erstmals 1999 auf ihren Antrag hin in ein Wählerverzeichnis für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus Deutschland eingetragen waren, von Amts wegen in ein Wählerverzeichnis für eine folgende Europawahl eingetragen werden, sofern sie die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 EuWO erfüllen, d. h. insbesondere am 35. Tag vor der Wahl für eine Wohnung bei einer deutschen Meldebehörde gemeldet sind. Hiervon ausgenommen sind nur die in Deutschland lebenden, ausländischen Unionsbürger, die bis zum 21. Tag vor der Wahl bei der zuständigen Gemeindebehörde beantragen, nicht im Wählerverzeichnis geführt zu werden (§ 17b Abs. 2 EuWO). 11
Die Erstbeantragung ist erforderlich, weil nach Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (ABl. L 329 v. 30. Dezember 1993), jeder ausländische Unionsbürger ein Wahlrecht hat. Er kann entweder in seinem Herkunfts- oder in seinem Wohnsitzmitgliedstaat sein aktives Wahlrecht ausüben. 12

Zum 3. Anstrich:

Eine Änderung von Wahlrechtsvorschriften zur Berücksichtigung von Wahlbriefen bei der Ergebnisfeststellung, die zwar rechtzeitig bei der für die Zustellung zuständigen Filiale der Deutschen Post AG vorliegen, aber erst nach Ablauf der Frist des § 36 Abs. 1 BWG beim Kreiswahlleiter eingehen, ohne dass der Wähler dies zu vertreten hätte, hält das Bundesministerium des Innern nicht für angezeigt. 13
Nicht rechtzeitig eingegangen sind nach der geltenden Rechtslage die bei der Deutschen Post AG rechtzeitig eingelieferten, aber nicht vor dem Wahlzeitende der zuständigen Stelle zugeleiteten Wahlbriefe. Solche Wahlbriefe sind zurückzuweisen und die Stimmen der Einsender gelten als nicht abgegeben (§ 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BWG). Maßgeblich ist dabei der Wahltag und die Wahlzeit. Hiervon ausgenommen sind lediglich Naturkatastrophen oder ein vergleichbares Ereignis höherer Gewalt (§ 68 Abs. 10 EuWO). 14
Das Bundeswahlgesetz überträgt dabei die Verantwortung dafür, dass der Wahlbrief rechtzeitig vorliegt, und für das bei einer Übermittlung per Post nie auszuschließende Risiko einer verspäteten Ankunft des Wahlbriefes grundsätzlich auf den Wähler (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BWG), selbst wenn ihn persönlich kein Verschulden trifft. Dies schließt [BT-Drucks. 15/3873, S. 3] auch eventuelle Erschwernisse ein, die z. B. Auslandsdeutsche oder Seeleute bei einer Versendung des Wahlbriefes aus dem Ausland zu berücksichtigen haben. Hierauf wurden in der Vergangenheit Petenten oder Wahleinspruchsführer auch regelmäßig verwiesen. Ausnahmen hiervon bilden Ereignisse höherer Gewalt, weil niemand sie vorhersehen kann und alle Beteiligten von deren Folgen gleichermaßen betroffen sein können. 15
Von dieser Verantwortung sollte der Wähler auch nicht entlastet werden. Denn er hat sich bewusst für diese Form der Wahl mit den ihm bekannten, aber hingenommenen Unwägbarkeiten entscheiden. Ihm ist auch bekannt, dass der maßgebliche Zeitpunkt der Wahltag ist. Will er die Unwägbarkeiten nicht in Kauf nehmen, hat er im Allgemeinen auch Möglichkeiten, diese auszugleichen, etwa durch sehr frühzeitigen Postversand, durch persönliches Abgeben des Wahlbriefes oder auch durch Präsenzwahl mit Wahlschein vor dem Wahltag. 16
Die Zulassung verspäteter Wahlbriefe würde im Übrigen den maßgeblichen Zeitrahmen für die Wahl – Wahltag und Wahlzeit – infrage stellen. Es wäre außerdem nicht auszuschließen, dass damit eine indirekte Förderung der Briefwahl einherginge. Die Briefwahl ist nach dem bisherigen Verständnis nicht die Regelform der Wahl, sondern stellt eine Ausnahme dar. Gleichwohl steigt ihr Anteil ständig und lag bei der Bundestagwahl 2002 bei 18 Prozent. Sie würde zudem eine komplizierte Regelung erfordern,
  • die einen alsbaldigen Endzeitpunkt festschreiben müsste, um eine zügige Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses einschl. der gewählten Bewerber nicht zu behindern,
     
  • die gleichwohl nicht ausschließen könnte, dass die Zulassung der Wahlbriefe letztlich von dem Zufall abhängt, dass die Briefe rechtzeitig aufgefunden werden,
     
  • die an Voraussetzungen geknüpft werden müsste, deren Ermittlung bürokratischen Aufwand für die Wahlorganisation bzw. die Gemeindebehörden verursachen und die Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses hinauszögern würde, und
     
  • die die Wahrung des Wahlgeheimnisses sicherstellt.
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Prüfbitte Buchstabe b

Wie kann die Umsetzung von § 18 Abs. 1 EuWG, wonach mit der Stimmenauszählung erst nach dem Ende der Stimmabgabe in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union begonnen werden darf, in der Praxis gewährleistet werden? 18
§ 18 Abs. 1 Satz 1 EuWG wurde aufgrund des Artikel 2 Nr. 3 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Europawahlgesetzes und des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vom 18. August 2003 (BGBl. I S. 1655) dahin gehend geändert, dass die einschränkende Regelung, wonach die Stimmenauszählung erst nach dem Ende der Stimmabgabe in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft begonnen werden darf, gestrichen wurde. Gleichzeitig wurde das Ende der Wahlzeit auf 18.00 Uhr festgelegt (Artikel 2 Nr. 1 der Vierten Verordnung zur Änderung der Europawahlordnung vom 12. Dezember 2003 – BGBl. I S. 2551). Die Änderungen traten am 1. April 2004 in Kraft und wurden damit erstmals bei der Europawahl 2004 angewandt. Bei der Europawahl 2004 konnten daher die Wahlvorstände bereits unmittelbar nach dem Ende der Wahlzeit am 13. Juni 2004 um 18.00 Uhr mit der Stimmenauszählung beginnen. 19
Die Änderung war möglich geworden, nachdem die zugrunde liegende europäische Wahlrechtsvorschrift, Artikel 9 Abs. 2 des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (Direktwahlakt), mit Wirkung vom 1. April 2004 geändert worden war (BGBl. II S. 520). Damit wurde die bestehende Verknüpfung des Beginns der Ergebnisfeststellung mit dem Ende der Wahlzeit in allen Mitgliedstaaten aufgehoben. Um eine eventuelle Beeinflussung des Stimmabgabeverhaltens der Wähler in anderen Mitgliedstaaten zu vermeiden, bestimmt Artikel 9 Abs. 1 Direktwahlakt nunmehr, dass ein Mitgliedstaat das ihn betreffende Wahlergebnis erst dann amtlich bekannt geben darf, wenn die Wahl in dem Mitgliedstaat, dessen Wähler innerhalb des Wahlzeitraums als letzte wählen, abgeschlossen ist. 20
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Zugeleitet mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 27. September 2004 gemäß Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. März 2000 (Bundestagsdrucksache 14/2761).

 


eingetragen von Matthias Cantow