Deutscher Bundestag |
[Wahlprüfung] |
Tenor und
Begründung
(BVerfGE 106, 253) der und
Informationen zur Entscheidung
zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung,
Entscheidung (2 BvE 3/02) in der Hauptsache,
Entscheidungen 2000–heute
Beginn: 9.00 Uhr | (A) |
Präsident Wolfgang Thierse: | |
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. | 1 |
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Anträge zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen sowie um den Antrag zur Einsetzung von Ausschüssen zu erweitern und jetzt anschließend als Zusatzpunkte 1 bis 3 zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. | 2 |
Ich rufe die soeben aufgesetzten Zusatzpunkte 1 bis 3 auf: ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen – Drucksache 15/18 – ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen – Drucksache 15/17 – ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Einsetzung von Ausschüssen – Drucksache 15/19 – |
(B) 3 |
Interfraktionell ist für die Aussprache eine Fünfminutenrunde vereinbart worden. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. | 4 |
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion. | 5 |
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): | 6 |
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wählerinnen und Wähler haben der SPD und den Grünen am 22. September den Auftrag gegeben, die Regierungsgeschäfte hier in diesem Hause weiterzuführen und dafür die durch die Wahl erhaltene Mehrheit in Anspruch zu nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Auftrag gilt, auch wenn er bei einigen in der Opposition noch nicht ganz angekommen zu sein scheint. |
7 |
Nach den klaren Regelungen unserer Geschäftsordnung hat das unmittelbar zur Folge, dass sich diese Mehrheit in allen Ausschüssen und Gremien des Deutschen Bundestages widerspiegeln muss. Denn Mehrheit muss Mehrheit bleiben. Das ist ein verfassungsrechtliches Gebot. | (C) 8 |
Genau diesem Ziel dient der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen, der heute zur Abstimmung vorgelegt wird. In § 12 unserer Geschäftsordnung ist vorgesehen, dass die Zusammensetzung der Ausschüsse im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen ist. Ergänzend ist in § 57 festgelegt, dass der Bundestag das System bestimmt, nach dem das Stärkeverhältnis der Fraktionen zueinander Berücksichtigung zu finden hat. | 9 |
(Rainer Funke [FDP]: Richtig!) Diese so genannten Zählverfahren, Herr Funke, sind dabei lediglich Hilfsmittel, um die Abbildung der Mehrheit im Einzelfall im jeweiligen Ausschuss zu gewährleisten. Sie haben ausschließlich den Zweck, die vom Wähler getroffene Mehrheitsentscheidung in jedem Gremium umzusetzen. |
(D) |
Diese Grundsätze, insbesondere der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit, sind vom Verfassungsgericht in mehreren Entscheidungen ausdrücklich bekräftigt worden. Ich weise auf das uns aus anderen Zusammenhängen hinlänglich bekannte Wüppesahl-Urteil und das PDS-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus vergangenen Wahlperioden hin. | 10 |
Nun stellt sich bei einer Reihe von Gremien heraus, dass die bekannten Zählverfahren St. Lague/Schepers, d’Hondt oder Hare/Niemeyer bei bestimmten Gremiengrößen nicht geeignet sind (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) – das ist eben so; das alles hat mit Rechnen zu tun; das ist doch völlig klar; (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) wenn Sie nicht rechnen können, ist das Ihr Problem und nicht meines –, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) |
11 |
eine Zusammensetzung der Gremien so zu ermöglichen, dass eine Widerspiegelung der Mehrheitsverhältnisse – was, wie ich bereits betont habe, das oberste Prinzip ist – zustande kommt. | (A) |
Dies ist insbesondere beim Vermittlungsausschuss der Fall. (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Gerade nicht!) Kein Verfahren kann gewährleisten, dass die Mehrheitsverhältnisse auf der Bundestagsbank abgebildet werden. Damit käme es zu einer Pattsituation, die mit der Geschäftsordnung des Bundestages nicht im Einklang stünde. Als pragmatischer Ausweg lässt sich auch nicht daran denken, die Gremiengröße zu verändern, um auf diesem Wege zu einer Widerspiegelung der Mehrheitsverhältnisse zu gelangen. Diesen Weg wählen wir zwar oftmals; aber hier ist er uns verwehrt, weil die Größe des Vermittlungsausschusses verfassungsrechtlich festgelegt ist. |
12 |
Aus diesem Grund benötigen wir ein System, das in solchen Fällen die Umsetzung des Wählerwillens
gewährleistet. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Willkür!) Ein solches abstraktes System schlagen wir mit diesem Antrag vor. Es stellt einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Ziel der Abbildung der Mehrheit einerseits und der angemessenen Berücksichtigung aller Fraktionen andererseits dar. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Absurd!) |
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Dies ist im Übrigen auch der große Unterschied zur damaligen CDU/CSU-FDP-Koalition. Sie standen in der 13. Legislaturperiode vor genau demselben Problem wie wir heute. Auch Sie wählten ein Verfahren, um die Mehrheit im Vermittlungsausschuss für sich zu sichern. – „Hört! Hört!“, hätte ich beinahe hinzugefügt. | (B) 14 |
Ihr Verfahren führte aber dazu, dass nicht alle Fraktionen bzw. Gruppen im Vermittlungsausschuss vertreten waren. Unser Verfahren stellt im Gegensatz dazu sicher, dass auch die kleinste Fraktion im Hause, nämlich die FDP, auf der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss vertreten sein wird. Insofern ist die FDP von diesem Antrag überhaupt nicht negativ betroffen, Herr Funke. | 15 |
Der durch die Verfahrensweise der CDU/CSU und der FDP ausgeschlossenen PDS, die daraufhin das Verfassungsgericht anrief, verdanken wir im Übrigen eine wesentliche Klarstellung: Das Bundesverfassungsgericht hat im so genannten PDS-Urteil – gerade bezogen auf die Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss – explizit den Grundsatz der Abbildung der politischen Mehrheit in den Ausschüssen bekräftigt. | 16 |
Meine Damen und Herren von der Opposition, vor diesem rechtlich klaren Hintergrund und diesem Verlauf
ist mir unverständlich, aus welchem Grund Sie gegen diesen Antrag vor das Verfassungsgericht ziehen wollen, wie man
der Presse entnehmen konnte. Sie treten insoweit in die Fußstapfen der schon damals erfolglosen PDS und dürften
– genauso wie diese – an der geltenden Rechtslage scheitern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) |
17 |
Akzeptieren Sie endlich, dass Sie in der Opposition sind! Hören Sie auf, gegen die vom Wähler
gewollten Mehrheitsverhältnisse vor das Verfassungsgericht zu ziehen! Spielen Sie nicht länger die beleidigte
Leberwurst in diesem Hause! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist unparlamentarisch, du Lümmel!) |
(C) 18 |
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Kollegen Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion. | 19 |
Ronald Pofalla (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler will sich persönlich um eine Verbesserung des Verhältnisses zur Opposition bemühen. (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit allen!) Das waren noch in der letzten Woche die hehren Worte von Bundeskanzler Schröder. Die Koalition führt nun vor, was sie unter fairer Zusammenarbeit versteht. Als Ouvertüre dazu dient ihr die Besetzung der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses. Eiskalte Machtpolitik überlagert die süßlichen Sirenentöne des Bundeskanzlers. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) |
20 |
Herr Schmidt, es gibt drei anerkannte und etablierte mathematische Berechnungsverfahren, die allesamt zu Sitzanteilen im Verhältnis von sieben Sitzen für die SPD, sieben für die CDU/CSU, einem für Bündnis 90/Die Grünen und einem für die FDP und damit zu einem Patt zwischen Regierung und Opposition auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses führen. Jede Abweichung davon ist Willkür. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie werden aber überlagert, wie Sie wissen!) |
(D) 21 |
Deutlicher als in Ziffer 2 des Antrages der Koalitionsfraktionen kann man die Willkür nicht ausdrücken. Wenn einem das Ergebnis der anerkannten Verfahren nicht passt, zimmert man sich ein abweichendes Verfahren und behauptet, nur durch seine Ergebnisse spiegle sich die politische Mehrheit auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wider. Noch nie ist in einer Bundestagsdrucksache so offen der Gedanke der Willkür formuliert worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Sie nehmen überhaupt nicht alle Verfassungsgerichtsurteile zur Kenntnis!) Wir fordern den Bundeskanzler und die Koalitionsfraktionen auf, diesen verfassungswidrigen Antrag ersatzlos zurückzuziehen und unserem Antrag zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) |
22 |
Bei der von Rot-Grün beantragten Verteilung würde die SPD mit acht Sitzen genau 50 Prozent der Plätze im Vermittlungsausschuss beanspruchen, obwohl sie nur über 41,6 Prozent der Mandate im Bundestag verfügt und lediglich 38,5 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl erhalten hat. | (A) 23 |
Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, zwischen den drei verschiedenen vom Verfassungsgericht anerkannten Zählsystemen zu wählen, ist nach den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts auf genau diese drei Zählsysteme beschränkt. Nur durch Auswahl eines dieser Zählsysteme und nicht – so machen Sie es, Herr Schmidt – durch die Veränderung eines einzelnen Zählsystems kann den politischen Mehrheitsverhältnissen im Plenum Rechnung getragen und der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit verwirklicht werden. Alles andere, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, ist verfassungswidrig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Diese Feststellung kann nur das Verfassungsgericht treffen!) |
24 |
Es ist sonnenklar, dass die rot-grüne Mehrheit den Bundestag ausschließlich für ihre parteipolitischen Zwecke instrumentalisieren will. Der Vermittlungsausschuss wird dadurch diskreditiert und denaturiert. Der Vermittlungsausschuss ist ein Gremium singulärer Prägung; so hat es das Verfassungsgericht festgestellt. Seine Aufgabe liegt darin, einen politischen Kompromiss zu suchen und diesen Kompromiss im Bundestag und im Bundesrat mehrheitsfähig zu machen. Dies kann nur im Konsens und nicht durch unechte Vermittlungsergebnisse geschehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) |
25 |
Sollte Rot-Grün heute sein verfassungswidriges Vorhaben durchdrücken, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist nicht verfassungswidrig! Lassen Sie Ihre unsinnigen Behauptungen!) wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unverzüglich das Bundesverfassungsgericht anrufen, um den Schröder-Plan zu stoppen. Unsere Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD) |
(B) 26 |
Dann wird eben Karlsruhe die Fairness herstellen, von der der Bundeskanzler auch in anderen Zusammenhängen so viel redet. Die Worte Gerhard Schröders sind das eine, die Taten das andere. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Besetzung des Vermittlungsausschusses wird Gerhard Schröder notfalls in Karlsruhe zu spüren bekommen, dass sich die Unionsfraktion ein solches Verhalten hier im Plenum des Deutschen Bundestages durch die Koalitionsfraktionen nicht gefallen lässt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ist das jetzt auch ein verfassungsgemäßer Grundsatz? Das Verhalten als verfassungsgemäßer Grundsatz?) |
27 |
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. | (C) 28 |
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Morgen, meine Damen und Herren! Herr Kollege Pofalla, so weit geht die Liebe nicht. Wir bieten Ihnen eine faire Zusammenarbeit an; aber dass wir Ihnen unsere Mehrheit als Morgengabe darbieten, ist nun wirklich ein bisschen zu viel verlangt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) |
29 |
§ 12 unserer Geschäftsordnung regelt die Stellenanteile der Fraktionen. Dazu gibt es zwei Rechtsgrundsätze. Zum einen muss das Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen durch Anwendung von Zählverfahren abgebildet werden. Dabei sind wir um eine proportionale Abbildung bemüht. Zum anderen müssen bei diesem Verfahren auch die Mehrheitsverhältnisse des Deutschen Bundestages in all seinen Gremien und Ausschüssen abgebildet werden. Diesem Ziel dient der vorgelegte Antrag. | 30 |
Wir haben als Bundestag in der Vergangenheit auch im Falle knapper Mehrheiten die Zählverfahren geändert und gewechselt, um die Mehrheitsverhältnisse des Deutschen Bundestages in allen Ausschüssen und Gremien entsprechend abzubilden. Das haben wir in der 13. und 14. Wahlperiode getan und das ist auch zulässig. | 31 |
Im Wüppesahl-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht 1989 klar festgestellt, dass die Ausschüsse die Zusammensetzung des Plenums verkleinert abbilden und die Vorbereitung von Entscheidungen und Beschlüssen des Plenums die Erarbeitung mehrheitsfähiger Entscheidungsgrundlagen voraussetzt. Damit wäre schwerlich vereinbar, wenn sich die politische Gewichtung innerhalb des Parlamentes in den Ausschüssen nicht widerspiegeln würde. – Das führte das Bundesverfassungsgericht 1989 aus. | (D) 32 |
1997 wird das Gericht im zweiten PDS-Urteil noch einschlägiger:In der Abweichung von dem üblicherweise bei der Gremienbesetzung angewandten Verfahren ... liegt keine missbräuchliche Handhabung der Geschäftsordnungsautonomie. Und: Ein Wechsel des Zählsystems mit dem Ziel, die Mehrheitsverhältnisse des Plenums in der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses wiederzugeben, So das hohe Gericht, das Sie anzurufen gedenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) |
33 |
Da wir hier scheinbar vor Gericht sind – wenn auch nicht im Strafprozess –, rufe ich jetzt den
damaligen
Parlamentarischen Geschäftsführer Joachim Hörster in den Zeugenstand. In der 13. Wahlperiode, am 16. Februar 1995,
sagte er:Bei der Besetzung der Ausschüsse und Gremien des Deutschen Bundestages muss sich diese vom Wähler getroffene Entscheidung widerspiegeln, dass heißt, Mehrheit muss Mehrheit bleiben. Dies ist ein verfassungsrechtliches Gebot.Und weiter: Um dem Wählerwillen Rechnung zu tragen, ist es erforderlich, das Zählverfahren auszusuchen, das die Mehrheitsverhältnisse widerspiegelt. Recht hat er. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) |
(A) 34 |
Nirgendwo steht geschrieben, dass die Zahl der Zählverfahren endlich ist. Wir legen hier eine allgemein
anwendbare Regel vor. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist nur das Zählverfahren!) Wir wollen sie nur dort anwenden, wo es unbedingt erforderlich ist. Dies war nach Ihrer Meinung in der Vergangenheit richtig. Auch das Bundesverfassungsgericht hat es so gesehen. Ich bedaure, dass Herr van Essen heute nicht nach mir reden kann. Ihm will ich aber sozusagen meine Schlussworte überlassen. Er äußerte in der gleichen Debatte: |
35 |
Aber der Gedanke, der dabei – in einem Gutachten des Bundestages – geäußert worden ist, ist einleuchtend: Zum Demokratieprinzip gehört auch das Mehrheitsprinzip. Deshalb kommt diese wissenschaftliche Arbeit zu dem Ergebnis, dass der Bundestag nicht gezwungen werden kann, bei der Besetzung des politisch so bedeutsamen Vermittlungsausschusses auf eine Abbildung seiner Mehrheitsverhältnisse, hier also der Mehrheit der Koalition, zu verzichten. |
(B) |
Dabei bleiben wir. Wir bleiben Ihren Grundsätzen treu. Wir sind uns sicher, dass Sie vor dem Bundesverfassungsgericht eine Niederlage erleiden werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) |
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Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, FDP, das Wort. |
37 |
Rainer Funke (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag der Koalitionsfraktionen handelt es sich um eine schlichte, machtpolitisch motivierte Trickserei. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD) – Ich werde gleich darauf eingehen. |
38 |
In diesem Land bestand immer Konsens darüber, dass der Vermittlungsausschuss ein eigenständiger und herausgehobener Ausschuss ist, in dem Vertreter aus Bundestag und Bundesrat gemeinsam versuchen – oft unabhängig von der Parteidisziplin –, tragfähige Lösungen zu finden. Diesen Konsens möchte Rot-Grün nach langer Tradition aufkündigen. | (C) 39 |
Nach allen zur Verfügung stehenden Berechnungsverfahren müsste es bei der Ausschussbesetzung bei einem Patt von 7 : 7 : 1 : 1 bleiben. Die Koalition möchte daher durch eine Änderung der Geschäftsordnung erreichen, dass eine rot-grüne Mehrheit auf Bundestagsseite im Vermittlungsausschuss gesichert ist. | 40 |
Dies zeigt deutlich, dass es hier nicht um die Herrschaft des Rechts geht, wie es dem Sinn unserer Geschäftsordnung, die wir uns selber gegeben haben, entspricht, sondern vielmehr um die rücksichtslose Durchsetzung von Machtinteressen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) | 41 |
Wenn Sie auf die Mehrheitsverhältnisse abstellen, können Sie nicht sagen, dass es noch gerecht wäre, wenn die Koalition neun Stimmen bekäme und die Opposition sieben. Ihr Antrag würde aber zu diesem Ergebnis führen. Eine solche Abweichung vom bisherigen Zählsystem wäre in sich nicht logisch und im Übrigen auch unsystematisch. Dies weiß auch Herr Schmidt, der Geschäftsordnungsexperte ist. | 42 |
Falsch ist meines Erachtens auch der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfassungsgericht hat sich bisher nur mit der Frage befasst, ob es zulässig ist, einen Wechsel in den bekannten Zählverfahren oder aber im Einzelfall eine Abweichung zugunsten einer anderen mathematischen Proportion vorzunehmen. Hier liegt aber keine Abweichung von der mathematischen Proportion vor. Es ist kein anerkanntes Zählverfahren, das Sie anwenden wollen, sondern das ist reine Willkür.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) |
(D) 43 |
Das Gericht hat sich aber nie mit der Frage befasst, ob der Bundestag auch die Befugnis besitzt, die Mehrheitsfrage mit einem gesonderten, nicht unter die bekannten Zählverfahren fallenden Schlüssel zu beeinflussen. | 44 |
Es kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu, Kollege Schmidt. Es wäre verfehlt, davon auszugehen, der Vermittlungsausschuss sei mit den Ausschüssen des Bundestages vergleichbar und man könne daher bei der Frage der Besetzung die gleichen Maßstäbe anlegen. Die Andersartigkeit des Vermittlungsausschusses ergibt sich bereits daraus, dass er eigenen geschäftsordnungsmäßigen Regelungen unterliegt (Ludwig Stiegler [SPD]: Nur für seine Verfahren, nicht für seine Zusammensetzung!) und sich eine vom Bundestag und vom Bundesrat getragene Geschäftsordnung gibt, die im Übrigen in beiderseitigem Einvernehmen bestimmt wird und auch nur in beiderseitigem Einvernehmen geändert werden kann. Die besondere Stellung des Ausschusses kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass die Mitglieder des Bundesrates an Weisungen und Aufträge nicht gebunden sind. Bewusst soll im Vermittlungsausschuss nicht entlang von Parteiproporzen gearbeitet werden. |
45 |
Sie weichen von diesen Grundsätzen, die wir uns alle selbst gegeben haben, ohne erkennbaren Sinn ab. Ich glaube, wir würden viel besser fahren, wenn wir im Vermittlungsausschuss gemeinsam daran arbeiten würden, vernünftige Gesetze durchzusetzen, statt Gesetze durchzupeitschen. | (A) 46 |
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) | 47 |
Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. | 48 |
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen auf Drucksache 15/18. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. | 49 |
Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen auf Drucksache 15/17. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. | (B) 50 |
Abstimmung über den interfraktionellen Antrag zur Einsetzung von Ausschüssen auf Drucksache 15/19. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. | 51 |