Grundmandatsklausel

[Wahlrechtslexikon]

Begriff: Grundmandatsklausel

Eine Grundmandatsklausel regelt, dass eine Partei, die in einem ersten Schritt eine bestimmte Anzahl von Sitzen erhält, an der weiteren Sitzverteilung teilnehmen kann.

Die Grundmandatsklausel in Deutschland ist eine Regelung in einem personalisierten Verhältniswahlrecht mit einer Fünfprozenthürde, die eine Partei bei Gewinn eines Direktmandats in einem oder mehreren Wahlkreisen (je nach Wahlgesetz) an der Verteilung der Sitze teilnehmen und ins Parlament einziehen lässt, auch wenn ihr Stimmenanteil unter fünf Prozent liegt.

Die Grundmandatsklausel im Bundestagswahlrecht

Auszug aus dem Bundeswahlgesetz (§ 6 Abs. 6 BWahlG)

Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung. [Hervorh. durch die Verf.]

Ähnliche Grundmandatsklauseln gibt es in auch in verschiedenen Landeswahlgesetzen (Berlin, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein).

Grundmandatsklausel als alternative Sperrklausel

Die Grundmandatsklausel wird meistens als Ausnahme zur Fünfprozenthürde gesehen, wobei die Fünfprozenthürde genauso gut als Ausnahme zur Grundmandatsklausel gesehen werden kann. Denn im jetzigen Bundestagswahlsystem stehen beide Regelungen gleichberechtigt als zwei Sperrhürden nebeneinander, von denen eine übersprungen werden muss. Allerdings scheitert eine Partei, die an der Fünfprozenthürde scheitert, in aller Regel auch an der Grundmandatsklausel, eine Anwendung gab es nur in Ausnahmen.

Beispiele der Anwendung

So ermöglichte die Grundmandatsklausel in der jetzigen, seit 1956 geltenden Form (drei Wahlkreisgewinne notwendig) der PDS bei der Bundestagswahl 1994 den Einzug in den Bundestag (mit 4,4 % der Zweitstimmen), während die Partei bei der Bundestagswahl 2002 mit nur zwei Direktmandaten (und 4,0 % der Zweitstimmen) daran scheiterte. Die Deutsche Partei (DP) profitierte bei den Bundestagswahlen 1953 und 1957 durch Wahlabsprachen (mit 3,2 % bzw. 3,4 % der Zweitstimmen) von der Regelung, bei der Wahl 1953 noch durch die bei den ersten beiden Bundestagswahlen geltenden Regelung mit einem Grundmandat.

Verfassungsrechtliche Überprüfung der Grundmandatsklausel

Die Verfassungsmäßigkeit der Grundmandatsklausel wurde vom Bundesverfassungsgericht in einem Verfahren zur Prüfung der Bundestagswahl 1994 mit Urteil vom 10. April 1997 (BVerfGE 95, 408) einstimmig bestätigt (vgl. auch die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 32/1997 vom 10. April 1997).

Wahlrechtlich ist dieses Verfahren beim Bundesverfassungsgericht noch in anderer Hinsicht interessant: Es war die erste Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Zurückweisung eines Einspruchs gegen die Gültigkeit einer Bundestagswahl durch den Deutschen Bundestag, die vom Bundesverfassungsgericht mündlich verhandelt wurde. Die Verhandlung fand am 19. November 1996 zusammen mit der in einem vom Land Niedersachsen angestrengten abstrakten Normenkontrollverfahren wegen der Überhangmandate statt.

Grundmandatsklausel in Österreich

In Österreich heißen die Mandate des ersten Verteilungsschrittes Grundmandate. Nur wenn eine Partei in diesem Verteilungsschritt in einem der Regionalwahlkreise per Verhältniswahl ein Mandat erzielt hat, kann sie auch mit weniger als 4 % der (im gesamten Bundesgebiet) abgegebenen gültigen Stimmen an der weiteren Mandatsverteilung teilnehmen.

Andere Bedeutung des Begriffs Grundmandat

Im kommunal- und parlamentsrechtlichen Bereich wird mit einem Grundmandat auch die Vertretung jeder Fraktion mit mindestens einem Sitz in einem Ausschuss bezeichnet, selbst wenn der Größe nach eigentlich kein Anspruch darauf besteht.


von Martin Fehndrich, Wilko Zicht und Matthias Cantow (05.04.2001, letzte Aktualisierung: 22.06.2008)