Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen

[Wahlprüfung]

Urteil vom 26. November 2001

15 A 662/02

 

„Spiegelbildlichkeit kommunaler Ausschüsse“


Entscheidungen 2000–heute

Urteil

des 15. Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. November 2003
– 15 A 662/02 –

[Umdruck S. 1]  in dem Verwaltungsstreit

der Fraktion der U., vertreten durch den Fraktionsvorstand, dieser vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden F.
– Klägerin –,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Günter Scheuer, Wachtendonker Str. 10, 47906 Kempen,
gegen
 
den Rat der Stadt T., vertreten durch den Bürgermeister
– Beklagten –,
Beteiligter: Der Vertreter des öffentlichen Interesses beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Innenministerium, Haroldstraße 5, 40213 Düsseldorf, Az.: V B 5 – 18-4
15 A 662/02 
wegen Wahl von Mitgliedern der Ratsausschüsse
hat der 15. Senat [Umdruck S. 2] auf die mündlichen Verhandlung vom 26. November 2002
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Dr. Kallerhoff,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schneider,
den Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Kampmann,
den ehrenamtlichen Richter Clemens,
den ehrenamtlichen Richter Frech
auf die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2001
für Recht erkannt:
Soweit die Klägerin die Berufung zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

[Umdruck S. 3] Tatbestand:

Die Klägerin ist seit der Kommunalwahl vom 12. September 1999 im 38 Mitglieder umfassenden Rat der Stadt T. mit 6 Sitzen vertreten, nachdem sich ein erfolgreicher Einzelbewerber der Klägerin angeschlossen hatte. Auf die Fraktion der CDU fallen 17 Sitze, der SPD 10 Sitze, auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 3 Sitze und auf die Fraktion der FDP 2 Sitze. Dem lag eine Stimmenverteilung bei der Wahl wie folgt zu Grunde: CDU 44,33 %, SPD 26,57 %, Wählergemeinschaft U. (Gruppierung der Klägerin) 14,37 %, Bündnis 90/Die Grünen 7,81 %, FDP 5,7 %, Einzelbewerber 1,22 %. Nachdem der Beklagte in seiner ersten Sitzung am 1. Oktober 1999 beschlossen hatte, 7 Ausschüsse zu bilden und diese jeweils mit 11 Mitgliedern (vorherige Wahlperiode:13 Mitglieder) zu besetzen, reichten die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die nächste Ratssitzung am 20. Oktober 1999, in der u.a. die Ausschüsse besetzt werden sollten, einen gemeinsamen Wahlvorschlag ein. Die Klägerin legte einen eigenen Wahlvorschlag vor. Bei den Wahlen erhielt der gemeinsame Wahlvorschlag 32 Stimmen, während auf den Vorschlag der Klägerin 6 Stimmen fielen. Unter Anwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens ergeben sich damit jeweils 10 Sitze für den gemeinsamen Wahlvorschlag und 1 Sitz für den Wahlvorschlag der Klägerin. Ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Bildung eines gemeinsamen Wahlvorschlages blieb vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf ohne Erfolg (1 L 3171/99).
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Beschlüsse über die Besetzung der Ratsausschüsse vom 20. Oktober 1999 gewandt und vorgetragen: Die Beschlüsse verletzten ihr Mitwirkungsrechts aus § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW). Diese Vorschrift erlaube es den Fraktionen nicht, sich zu einem gemeinsamen Wahlvorschlag zusammenzuschließen. Dies ergebe sich im Umkehrschluss aus § 58 Abs. 5 Satz 2 GO NRW, der für die Besetzung der Stellen der Ausschussvorsitzenden im Zugriffsverfahren einen Zusammenschluss der Fraktionen ausdrücklich zulasse. Das insoweit beredte Schweigen der Vorschrift über die Ausschussbesetzung sei [Umdruck S. 4] als Verbot eines Zusammenschlusses zu einem Wahlvorschlag zu verstehen. Auch die Formulierung des § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW, wonach die Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen zur Abstimmung zu stellen seien, führe hier hinsichtlich des Begriffs der Gruppen nicht weiter. Fraktionszusammenschlüsse seien keine Gruppen. Die Zulässigkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlags mehrerer Fraktionen könne aus dem Grundsatz des freien Mandats nicht gefolgert werden, der lediglich Sachentscheidungen betreffe. Im Übrigen verstoße der Zusammenschluss zu einem gemeinsamen Wahlvorschlag auch gegen das Prinzip der repräsentativen Demokratie. Danach müsse ein Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein. Daraus ergebe sich, dass schon von Verfassungs wegen die wörtliche Anwendung des § 50 Abs. 3  Satz 3 GO NRW zu fordern sei. Demnach stünde ihr, der Klägerin, jeweils zwei Ausschusssitze zu, während die Fraktion der FDP keinen eigenen Ausschusssitz erhalte.
Die Klägerin beantragt,
  1. festzustellen, dass die Wahl zur Besetzung der Ausschüsse des Rates der Stadt T. in der Ratssitzung am 20. Oktober 1999 rechtswidrig war und unwirksam ist,
  2. hilfsweise, für den Fall des Obsiegens,
    1. den Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, bei einer Wahl zur Besetzung der Ausschüsse des Rates der Stadt T. nach § 50 Abs. 3 GO NRW Listenverbindungen, freiwillige Fraktionszusammenschlüsse und gemeinsame Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates zur Wahl zuzulassen, wenn es sich um Zusammenschlüsse solcher Gruppen handelt, die auch ohne den Zusammenschluss einen Ausschusssitz erhalten würden,
    2. dem Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nummer 2a ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,– DM anzudrohen, dessen [Umdruck S. 5] konkrete Höhe in das Ermessen des Gerichts zu stellen ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen: Die Reduzierung der Zahl der Ausschussmitglieder von 13 auf 11 sei unbedenklich, da die Zahl immer noch, wie es in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes gefordert werde, mehr als ein Viertel des Plenums erreiche. § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW stehe einem gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen nicht entgegen, da der Gesetzestext Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen, nicht Wahlvorschläge jeder einzelnen Fraktion oder Gruppe fordere. Aus den Prinzipien der repräsentativen Demokratie könne ein Verbot des Zusammenschlusses zu einem Wahlvorschlag nicht gefolgert werden. Die proportionale Verteilung der Ausschusssitze entsprechend der Verteilung im Plenum werde auch durch den hier in Rede stehenden Zusammenschluss zu einem gemeinsamen Wahlvorschlag gewährleistet.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
Dagegen richtet sich die zugelassenen und rechtzeitig begründetet Berufung der Klägerin, mit der sie neben ihrem erstinstanzlichen Feststellungsbegehren noch beantragt hat festzustellen, dass der Berufungsklägerin die Kosten des Verfahrens vom Berufungsbeklagten zu erstatten sind. Diesen Klageantrag hat sie in der mündlichen Verhandlung über die Berufung zurückgenommen. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere trägt sie vor: Die Sitzverhältnisse in den Ausschüssen müssten dem Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen im Rat entsprechen. Insoweit habe der Gesetzgeber wie auch beim Wahlrecht nur einen engen Spielraum, der insbesondere den gleichen Erfolgswert der Stimmen erfordere. Daher sei es zwar zulässig, das d’Hondtsche Höchstzahlenverfahren für die Besetzung der Ausschüsse anzuwenden, jedoch nicht, es durch Zusammenschluss mehrerer Fraktionen zu einem Wahlvorschlag [Umdruck S. 6]  zu verzerren. Der Grundsatz des freien Mandats stehe einem so abzuleitenden Verbot von Listenverbindungen nicht entgegen. Hinsichtlich des Wahlverfahrens stehe den Ratsmitgliedern die Entscheidung nämlich nicht frei. Im Übrigen habe es auch keinen sachlichen Grund für eine Verbindung aller anderen Fraktionen gegen die Klägerin gegeben, vielmehr sei es lediglich um eine Manipulierung der Sitzzahl gegangen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, dass die Wahlbeschlüsse des Beklagten vom 20. Oktober 1999 zur Besetzung der Ratsausschüsse sie, die Klägerin in ihren Rechten verletze.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt insbesondere vor: Ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen sei schon deshalb zulässig, weil § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW die Wahl der Ausschussmitglieder sogar auf Grund eines einheitlichen Wahlvorschlags durch einstimmigen Beschluss ermögliche. Dann könne nichts anderes gelten, wenn sich alle Fraktionen bis auf eine zu einem einheitlichen Wahlvorschlag zusammenschlössen. Der Grundsatz des freien Mandats wäre im Übrigen verletzt, wenn es den Ratsmitgliedern verwehrt würde, sich fraktionsübergreifend zusammenzuschließen. Wahlrechtsgrundsätze stünden einem gemeinschaftlichen Wahlvorschlag nicht entgegen. Kein Verhältniswahlsystem könne eine genaue Wiederspiegelung des Wahlergebnisses bewirken. So bedeute die von der Klägerin gewünschte Verteilung der Ausschusssitze eine noch stärkere Verzerrung zu Lasten der FDP als sie die getroffene Wahlentscheidung zu Lasten der Klägerin darstelle.
[Umdruck S. 7] Am 8. August 2002 hat die Klägerin vor dem erkennenden Senat um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (15 B 1519/02), später jedoch beantragt, das Verfahren bis zur Hauptsacheentscheidung zum Ruhen zu bringen. In der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klage im Berufungsverfahren erweitert und sodann insoweit zurückgenommen worden ist, war das Berufungsverfahren gemäß §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen. 1
Die zulässige Berufung im Übrigen ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet. 2
Die Klage ist als Feststellungsklage im Rahmen eines Organstreits (Kommunalverfassungsstreits) zulässig. Denn ein Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO ist nicht auf Außenrechtsverhältnisse beschränkt, sondern umfasst ebenso die Rechtsverhältnisse zwischen Organen oder Organteilen juristischer Personen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8.10.2002 – 15 A 4734/01 –, S. 10 des amtl. Umdrucks.
3
Hier ist zwischen den Hauptbeteiligten streitig, ob § 50 Abs. 3 GO NRW dem Rat gegenüber der klagenden Fraktion erlaubt, die Wahl zur Besetzung der Ratsausschüsse auch auf der Grundlage von Wahlvorschlägen durchzuführen, die mehrere Fraktionen gemeinsam einreichen. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis [Umdruck S. 8] ist damit zu bejahen. Die für eine Feststellungsklage zu fordernde Klagebefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO,
vgl. BVerwG, Urteil vom 26.1.1996 – 8 C 19.94 –, NJW 1996, 2046 <2048>; OVG NRW, Urteil vom 9.6.1992 – 15 A 1565/90 –, DVBl. 1993, 60 <61>; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 42 Rn. 63, m.w.N.,

erfordert hier, dass das geltend gemachte Recht dem klagenden Organ oder Organteil als wehrfähiges subjektives Organrecht zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen ist, was durch Auslegung der jeweils einschlägigen innerorganisatorischen Norm zu ermitteln ist.
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 5.2.2002 – 15 A 2604/99 –, NWVBl. 2002, 381, und vom 24.4.2001 – 15 A 3021/97 –, DVBl. 2001, 1281.
4
Nach diesen Maßstäben ist das von der Klägerin geltend gemachte Recht auf Wahrung der Wahlgrundsätze für die Besetzung der Ratsausschüsse nach § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 GO NRW ein solches wehrfähiges Recht. Mit dieser Vorschrift soll für den Fall, dass ein einheitlicher Wahlvorschlag, auf den sich die Ratsmitglieder geeinigt haben (§ 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW), nicht zustande kommt, im Interesse des Minderheitenschutzes verhindert werden, dass eine Mehrheit im Rat eine Minderheit bei der Ausschussbesetzung übergeht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2002 – 15 B 855/02 –, S. 4 des amtl. Umdrucks.
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Wenn sich die Klägerin hier dagegen verwahrt, dass das nach diesen Vorschriften anzuwendende Verfahren zu ihren Lasten falsch angewandt worden sei, macht sie damit eine auch und gerade im Interesse von Minderheitsfraktionen aufgestellte Rechtsnorm geltend, die ihr somit als wehrfähige Innenrechtsposition zugewiesen ist. 6
[Umdruck S. 9] Auf Anraten des Gerichts hat die Klägerin ihren ursprünglichen, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wahl gerichteten Antrag dahin geändert, festgestellt zu wissen, dass sie durch die angegriffenen Wahlbeschlüsse in ihren Rechten verletzt ist. Damit ist keine Klageänderung i.S.d. § 91 VwGO verbunden, sodass es auf dessen Voraussetzungen nicht ankommt. Vielmehr handelt es sich nur um einen sachdienlich formulierten Klageantrag (§ 86 Abs. 3 VwGO), der – ohne dass damit eine inhaltliche Änderung des Streitgegenstands verbunden wäre – präziser zum Ausdruck bringt, dass nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wahl als solcher, sondern die Feststellung der – zur Rechtswidrigkeit der Wahl führenden – Verletzung wehrfähiger Rechte der Klägerin Streitgegenstand ist. 7
Die so zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Die angegriffenen Wahlbeschlüsse verletzen die Klägerin nicht in ihrem – hier allein in Betracht kommenden – Recht auf Einhaltung der Wahlvorschriften zur Besetzung der Ausschüsse nach § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 GO NRW. Danach wird dann, wenn ein einheitlicher Wahlvorschlag nicht zustande kommt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in einem Wahlgang abgestimmt. Dabei sind die Wahlstellen auf die Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates nach der Reihenfolge der Höchstzahlen zu verteilen, die sich durch Teilung der auf die Wahlvorschläge entfallenden Stimmenzahlen durch 1, 2, 3 usw. ergeben. Das vom Beklagten angewandte Verfahren steht mit diesen Vorschriften im Einklang. 8
Der Wortlaut schließt einen gemeinsamen Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen nicht aus. § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW verlangt lediglich, dass über „die Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates“ abgestimmt wird. Der hier von der Klägerin monierte Wahlvorschlag ist ein solcher der übrigen Fraktionen. Die Vorschrift regelt zur Repräsentation der politischen Verhältnisse des Rates im Ausschuss, dass jede Gruppierung im Rat einen eigenen Wahlvorschlag unterbreiten können soll, der jeweils nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zum Zuge kommen soll.

[Umdruck S. 10] Ob über den Wortlaut hinaus aus Gründen des freien Mandats auch Wahlvorschläge Einzelner zulässig sind, so Kirchhof, in: Held u.a., Kommunalverfassungsrecht, Loseblattsammlung (Stand: Mai 2002), § 50 GO NRW Erl. 6. 4, und zum inhaltsgleichen § 35 KrO Erl. 7.3, kann hier offen bleiben.
9
Dass jede Gruppierung nur einzeln berechtigt sein soll, einen Wahlvorschlag zu unterbreiten, kann der Vorschrift nicht entnommen werden.
So auch Kirchhof, a.a.O., zum inhaltsgleichen § 35 KrO, Erl. 7.3; Rehn/Cronauge/v. Lennep, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., Loseblattsammlung (Stand: Januar 2002), § 50 Erl. IV.3.
10
Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte folgt nichts anderes. Die Anordnung der Verhältniswahl für die Besetzung der Ausschüsse besteht schon seit alters her.
Vgl. etwa § 35 Abs. 2 Satz 4 GO NRW i.d.F. der Bekanntmachung vom 28.10.1952, GV. NRW. 1952 S. 283.
11
Durch Gesetz vom 16.7.1969 (GV. NRW. 1969 S. 514) wurde der Begriff der Verhältniswahl präzisiert, indem der neu eingeführte § 35 Abs. 3 GO NRW eine Verteilung der „Wahlstellen auf die Wahlvorschläge“ ähnlich der heutigen Regelung nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren anordnete. Die Änderung sollte unter Anlehnung an die Formulierung der schon seit alters her so gefassten Landkreisordnung (§ 27 Abs. 3 LKrO NRW vom 21.7.1953, GV. NRW. 1953 S. 305) Zweifel und Auseinandersetzungen klären.
Vgl. die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs, LT-Drs. VI/695, S. 21.
12
[Umdruck S. 11] Mit Gesetz vom 15.5.1979 (GV. NRW. 1979 S. 408) wurde in § 35 Abs. 3 GO NRW anlässlich einer Umstellung des Verhältniswahlsystems vom d’Hondtschen Höchstzahlverfahren auf ein Proportionalverfahren hinter die Wendung „Wahlstellen auf die Wahlvorschläge“ der Terminus „der Fraktionen und Gruppen des Rates“ eingefügt, ohne dass der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs,
LT-Drs. 8/3152, S. 62,
die sich alleine zu dieser Wahlsystemumstellung verhält, ein Hinweis auf die Möglichkeit oder das Verbot gemeinsamer Wahlvorschläge zu entnehmen wäre. Schließlich kann auch der Einführung der Nachfolgerregelung in § 35 Abs. 3 Satz 5 GO NRW a.F. (jetzt: § 50 Abs. 3 Satz 5 GO NRW) durch Gesetz vom 17.5.1994 (GV. NRW. 1994 S. 270) nichts für die hier in Rede stehende Frage der Zulässigkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlags entnommen werden. Nach der genannten Vorschrift wählt der Rat dann, wenn jemand vorzeitig aus einem Ausschuss ausscheidet, auf Vorschlag der Fraktion oder Gruppe, welcher das ausgeschiedene Mitglied bei seiner Wahl angehörte, einen Nachfolger. Ausweislich der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs,
vgl. LT-Drs. 11/4983, S. 14,
diente die Ergänzung allein der Ermöglichung einer Nachfolge ohne einstimmigen Ratsbeschluss oder die Ausschussauflösung und anschließende Neuwahl der Ausschussmitglieder. Die Vorschrift bezweckt also nicht etwa, was für die hier in Rede stehende Frage von Bedeutung wäre, die Begrenzung der Wahlvorschlagsberechtigung auf eine Fraktion oder Gruppe mit einer Nachfolgerregelung dahin, dass die Fraktion, die den Wahlvorschlag für das ausgeschiedene Mitglied unterbreitet hatte, den Nachfolger vorschlagen dürfe. Vielmehr verknüpft die Vorschrift – ohne dass der Wahlvorschlag für das ausgeschiedene Ausschussmitglied von Bedeutung ist – die Fraktions- oder Gruppenzugehörigkeit des ausgeschiedenen Mitglieds mit der Berechtigung zum Vorschlag des Nachfolgers.
13
[Umdruck S. 12] Der systematische Zusammenhang des § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 GO NRW mit § 58 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz GO NRW spricht nicht für die von der Klägerin vertretene Auffassung. Nach der letztgenannten Vorschrift können sich bei der Verteilung der Ausschussvorsitze nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren gemäß der Fraktionsstärke mehrere Fraktionen zusammenschließen. Aus der Nichterwähnung der Möglichkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlags in § 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 GO NRW lässt sich im Umkehrschluss aus dem § 58 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz GO NRW nichts für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des gemeinsamen Wahlvorschlages folgern, weil – wenn eine Zusammenschlussmöglichkeit beim Zugriffsverfahren gewünscht war – dies ausdrücklich hat geregelt werden müssen, während dies bei der Möglichkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlags nicht erforderlich war: Die Zugriffsregelung teilt die Ausschussvorsitze „den Fraktionen“ zu. Zusammenschlüsse von Fraktionen sind keine Fraktionen, sodass die Zusammenschlussregelung zwingend hat erfolgen müssen. Demgegenüber verteilt § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW die Ausschusssitze „auf die Wahlvorschläge der Fraktionen“. Ein gemeinsamer Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen ist aber ein Wahlvorschlag der Fraktionen, sodass es angesichts des Wortlautes keiner Sonderregelung für einen gemeinsamen Wahlvorschlag bedurfte. 14
Schließlich ergibt sich auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift nicht das von der Klägerin gewünschte Ergebnis. Wie oben bereits ausgeführt, soll im Interesse des Minderheitenschutzes verhindert werden, dass eine Mehrheit im Rat eine Minderheit bei der Ausschussbesetzung übergeht. Dem entspricht auch eine Wahl zwischen zwei Wahlvorschlägen, deren einer von mehreren Fraktionen gemeinsam und deren anderer von einer Minderheitsfraktion allein eingereicht wird. Dann findet nämlich der Minderheitswahlvorschlag seine volle Berücksichtigung nach Verhältniswahlgrundsätzen, wie das hier geschehen ist, indem der Klägerin jeweils ein Sitz zugeteilt wurde. Insofern kommt auch den auf den Minderheitswahlvorschlag entfallenden Stimmen im Rahmen des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens derselbe Erfolgswert zu wie den auf den Mehrheitswahlvorschlag entfallenden Stimmen. 15
[Umdruck S. 13] Soweit die Klägerin glaubt, ihr Begehren werde durch das bundesverfassungsrechtliche Verbot von Listenverbindungen bei der Bundestagswahl gestützt,
vgl. BVerfG, Urteil vom 29.9.1990 – 2 BvE 1,3,4/90, 2 BvR 1247/90 –, BVerfGE 82, 322 <343 ff.>,

verkennt sie schon im Ansatz, dass dieses Verbot sich aus der für Bundestagswahlen, nicht aber für Ratsausschusswahlen geltenden 5 v.H.-Sperrklausel ergibt, denn durch eine Listenverbindung wird der Erfolgswert von Stimmen, die auf verbundene Listen entfallen, in dieser Hinsicht gegenüber solchen, die auf nicht verbundene Listen entfallen, vergrößert. Darüber hinaus handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um eine bloß rechnerische Verbindung mehrerer Wahlvorschläge im Sinne einer Zählgemeinschaft, sondern um einen einzigen, von mehreren Fraktionen gemeinsam getragenen Wahlvorschlag, dem im Falle einer Bundestagswahl eine Listenvereinigung entspräche und die bundesverfassungsrechtlich unbedenklich wäre.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 29.9.1990 – 2 BvE 1,3,4/90, 2 BvR 1247/90 –, a.a.O. <346 f.>.
16
Entgegen der Auffassung der Klägerin verbietet auch das Verfassungsrecht im Übrigen nicht einen gemeinsamen Wahlvorschlag. Nach dem Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen insbesondere des demokratischen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Namentlich schreibt das Bundesverfassungsrecht in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG die Existenz von Volksvertretungen in den Gemeinden vor, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen sind. Aus diesen bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, wie es das BVerfG auf Grund anderer Normen für die Ausschüsse des Bundestages entsprechend ausgeführt hat,
[Umdruck S. 14] 
vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.1997 – 2 BvE 4/95 –, BVerfGE 96, 264 <282>, Urteile vom 16.7.1991 – 2 BvE 1/91 –, BVerfGE 84, 304 <323>, und vom 13.6.1989 – 2 BvE 1/88 –, BVerfGE 80, 188 <222>,

und das BVerwG auf den Bereich der kommunalen Ratsausschüsse übertragen hat,
vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.10.1993 – 7 B 19.93 –, NVwZ-RR 1994, 109, und vom 7.12.1992 – 7 B 49.92 –, NVwZ-RR 1993, 209,

dass der Rat die Gemeindebürger repräsentiert und sich die Repräsentation auch in den Ausschüssen des Rates vollzieht, sodass diese als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum grundsätzlich widerspiegeln müssen (Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Rat und Ausschüssen).
17
Dem ist hier indes genüge getan. Dadurch, dass jede Fraktion frei war, einen Wahlvorschlag zu unterbreiten, wovon die Klägerin Gebrauch gemacht hat, und dass über die eingereichten Wahlvorschläge nach Verhältniswahlgrundsätzen, und zwar – rechtlich unbedenklich –,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.2.1997 – 8 B 19.97 –, Buchholz 160, Wahlrecht Nr. 43, S. 7,

nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren, abgestimmt wurde, ist gewährleistet, dass die politische Zusammensetzung der Ausschüsse die politischen Kräfteverhältnisse im Rat widerspiegelt. Darin, dass ein gemeinsamer Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen zulässig ist, liegt keine unzulässige doppelte Anwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens, wie die Klägerin meint. Vielmehr ist es eine Konsequenz der gesetzgeberischen Entscheidung, dass die [Umdruck S. 15] Ausschüsse nicht notwendig ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat nach Fraktionen, sondern ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat über Wahlvorschläge sein sollen, und damit auch über fraktionsübergreifende Wahlvorschläge. Bundesrecht gebietet keine Spiegelbildlichkeit gerade nach Fraktionen.

18
Nach alledem wird an den Ausführungen im Urteil des OVG NRW vom 3.11.1954 – III A 353/54 –, OVGE 10, 143 <151>, wonach bei der Ausschussbesetzung gemeinsame Wahlvorschläge zulässig sind, festgehalten. 19
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. 20
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des 3 132 Abs. 2 VwGO entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vorliegen. 21

Matthias Cantow