Verwaltungsgericht Düsseldorf

[Wahlprüfung]

Urteil vom 14. Dezember 2001

1 K 7978/99

 

„Spiegelbildlichkeit kommunaler Ausschüsse“


Entscheidungen 2000–heute

Urteil

 
der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 14.12.2001  
– 1 K 7978/99 –  
[Umdruck S. 1] In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
der Fraktion der U., vertreten durch den Fraktionsvorstand, dieser vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden F.
– Klägerin –,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reiner Krönert, Nordring 71, 47918 Tönisvorst,
gegen
den Rat der Stadt T., vertreten durch den Bürgermeister,
– Beklagten –,
wegen Wahl von Mitgliedern der Ratsausschüsse
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2001
[Umdruck S. 2] durch Präsident des Verwaltungsgerichts Dr. Klenke
Richter am Verwaltungsgericht Dr. Lascho
Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
ehrenamtlichen Richter Freistühler
ehrenamtliche Richterin Vier
für Recht erkannt:

Entscheidungsformel:

 
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Wahl der Mitglieder in den Ausschüssen des Beklagten.
Die Klägerin ist seit der Kommunalwahl am 12. September 1999 als Fraktion in dem beklagten Rat vertreten. Die Kommunalwahl erbrachte im Einzelnen folgende Ergebnisse: CDU 44,3 %, SPD 26,57 %, Klägerin 14,37 %, Bündnis 90/Die Grünen 7,81 %, FDP 5,70 %, H. E. 1,22 %. Herr E war als Einzelbewerber angetreten und schloss sich im Oktober 1999 der Klägerin an. Hieraus ergibt sich folgende Sitzverteilung bei insgesamt 38 Ratsmitgliedern: CDU 17 Sitze, SPD 10 Sitze, Klägerin 6 Sitze, Bündnis 90/Die Grünen 3 Sitze und FDP 2 Sitze.
In seiner Sitzung am 1. Oktober 1999 beschloss der Beklagte, die zu bildenden sieben Ausschüsse mit jeweils elf Mitgliedern zu besetzen. Vor der zweiten Ratssitzung am 20. Oktober 1999 kamen die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP überein, für die Wahl der Mitglieder der verschiedenen Ausschüsse jeweils einen gemeinsamen Wahlvorschlag vorzulegen.
Am 4. Oktober 1999 stellte die Klägerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel, es der Beklagten zu untersagen, bei der Wahl der Ausschussmitglieder [Umdruck S. 3] Listenverbindungen oder freiwillige Fraktionszusammenschlüsse zur Wahl zuzulassen. Diesen Antrag lehnte die Kammer mit Beschluss vom 19. Oktober 1999, Az.: 1 L 3171/99 A, ab.
Am 20. Oktober 1999 wählte der Beklagte die Mitglieder seiner Ausschüsse. Bei jeder Wahl unterbreiteten die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen gemeinsamen Wahlvorschlag sowie die Klägerin einen eigenen Vorschlag. Bei den Wahlen entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der genannten Fraktionen jeweils 32 Stimmen und auf den Wahlvorschlag der Klägerin jeweils sechs Stimmen. Dementsprechend entfielen auf die Klägerin in jedem Ausschuss ein Sitz und auf die übrigen Fraktionen insgesamt jeweils zehn Sitze.
Die Klägerin hat am 7. Dezember 1999 Klage erhoben, mit der sie in erster Linie die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Wahlen begehrt.
Zur Begründung ihrer Klage macht sie geltend, dass Listenverbindungen mehrerer Fraktionen bei Wahlen zur Besetzung der Ratsausschüsse nach § 50 Abs. 3 Gemeindeordnung (GO NW) nicht zulässig seien. Dies folge schon daraus, dass derartige Listenverbindungen in § 58 Abs. 5 Satz 2 GO NW ausdrücklich zugelassen seien, in § 50 Abs. 3 GO NW eine entsprechende Regelung jedoch fehle. Insoweit handele es sich um ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers. Das gegenteilige Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. November 1954 stehe diesem Normverständnis nicht entgegen, da es zu einer älteren Fassung der Gemeindeordnung ergangen und deshalb veraltet sei. Außerdem berücksichtige es den neuesten Stand der verfassungsrechtlichen Situation nicht.
Aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie und der Einbeziehung der Ratsausschüsse in dieses Prinzip über Art. 28 Abs. 1 GG leite die Rechtsprechung die Folgerung ab, dass Ausschusssitze nicht unabhängig von der Stärke der Fraktion vergeben werden könnten und Ausschüsse als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln müssten. Diese Entscheidungen übertrügen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Parlamentsausschüssen auf die kommunale Ebene. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe insoweit ausdrücklich entschieden, dass Fraktionsgemeinschaften bei Wahlen zur Ausschussbesetzung rechtswidrig seien.
[Umdruck S. 4] Dementsprechend stehe ihr ein Recht auf eine solche Mitwirkung in den Ausschüssen zu, die dem politischen Kräfteverhältnis der Fraktionen im Stadtrat entspreche. Durch den angegriffenen Wahlmodus sei das Kräfteverhältnis in den Ausschüssen zu Gunsten von Bündnis 90/Die Grünen und FDP verschoben worden. Wäre nach Fraktionslisten abgestimmt worden, hätte sie in jedem Ausschuss zwei Sitze gehabt, Bündnis 90/Die Grünen einen Sitz und die FDP keinen. Dieses Ergebnis wäre trotz der Nichtberücksichtigung der FDP im Hinblick auf den Schutz der Handlungsfähigkeit und Effektivität der Ausschüsse rechtlich unbedenklich. Jetzt hätten die drei genannten Fraktionen jeweils einen Sitz, obwohl sie selbst bei der Kommunalwahl mehr Stimmen erhalten hätte als Bündnis 90/Die Grünen und FDP zusammen.
Soweit die Kammer in der Entscheidung in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeführt habe, die Zulässigkeit der Bildung fraktionsübergreifender Gruppen sei Ausdruck des freien Mandats, sei zu beachten, dass das freie Mandat frühestens bei der sachlichen Arbeit im Plenum und in den Ausschüssen einsetzen könne. Bei der Frage der Zusammensetzung und Besetzung der jeweiligen Gremien verlange das Verfassungsrecht jedoch zwingend, auf das Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen abzustellen. Sie wende sich auch nicht gegen das d’Hondt’sche Höchstzahlverfahren bei der Sitzverteilung, sondern verlange dessen strikte Anwendung; bei richtiger Anwendung dieses Verfahrens hätten ihr zwei Sitze zugestanden.
Die Klägerin beantragt,
  1. festzustellen, dass die Wahl zur Besetzung der Ausschüsse des Rates der Stadt U in der Ratssitzung am 20. Oktober 1999 rechtswidrig war und unwirksam ist,

  2. hilfsweise, für den Fall des Obsiegens,

    1. den Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, bei einer Wahl zur Besetzung der Ausschüsse des Rates der Stadt U nach § 50 Abs. 3 GO NW Listenverbindungen, freiwillige Fraktionszusammenschlüsse und gemeinsame Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates zur Wahl zuzulassen, wenn es sich um Zusammenschlüsse solcher Gruppen handelt, die auch ohne den Zusammenschluss einen Ausschusssitz erhalten würden,

    2. dem Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 2. a) des Tenors ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,00 DM anzudrohen, dessen konkrete Höhe in das Ermessen des Gerichts zu stellen ist.
[Umdruck S. 5] Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Begründung der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren. § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NW hebe auf Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen ab, nicht auf Vorschläge einzelner Fraktionen und Gruppen. Es sei zutreffend, dass die Ausschüsse als verkleinerte Abbilder des (Rats)plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame Meinungs- und Kräftespektrum grundsätzlich widerspiegeln müssten. Diesen Anforderungen sei aber durch die Wahl der Ausschussmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl und durch die Sitzverteilung nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren Genüge getan. Dadurch sei ein ausreichender Minderheitenschutz Gewähr leistet; ein weiteres Korrektiv sei nicht erforderlich. Es sei nach ständiger Rechtsprechung rechtlich nicht zu beanstanden, wenn bei Anwendung dieses Systems eine Ratsfraktion wegen ihrer zu geringen Größe gar nicht in den Ausschüssen vertreten sei. Ebenfalls sei es nicht zu beanstanden, wenn die Sitzverteilung in den Ausschüssen der Sitzverteilung im Rat nicht mathematisch exakt entspreche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Tatbestand:

Die Klage ist nicht begründet. 1
Die Wahl der Mitglieder der Ausschüsse des Beklagten am 20. Oktober 1999 war rechtmäßig. Die Zulassung des gemeinsamen Wahlvorschlags der Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist rechtlich nicht zu beanstanden. 2
Die Wahl von Ausschussmitgliedern richtet sich nach § 50 Abs. 3 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV. NW. S. 666). Haben sich die Ratsmitglieder zur Besetzung der Ausschüsse auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt, ist nach § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NW der einstimmige Beschluss der Ratsmitglieder über die Annahme dieses Wahlvorschlags ausreichend. Kommt ein einheitlicher Wahlvorschlag nicht zu Stande, wird gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 GO NW nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in einem [Umdruck S. 6] Wahlgang abgestimmt. Dabei sind die Wahlstellen auf die Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates nach der Reihenfolge der Höchstzahlen zu verteilen, die sich durch die Teilung der auf die Wahlvorschläge entfallenden Stimmanteile durch 1, 2, 3, usw. ergeben (§ 50 Abs. 3 Satz 3 GO NW). Die Gemeindeordnung enthält in diesem Zusammenhang keine Bestimmung, nach der ein gemeinsamer Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen grundsätzlich unzulässig wäre. § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NW setzt die Zulässigkeit eines gemeinsamen, hier allerdings einheitlichen Wahlvorschlags sogar ausdrücklich voraus. 3
Die Zulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge im Rahmen des § 50 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO NW folgt auch aus einer an Sinn und Zweck dieser Vorschriften orientierten Auslegung. Gemeinsame Vorschläge sind unmittelbarer Ausdruck des freien Mandats, kraft dessen jedes einzelne Ratsmitglied seine Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und seiner freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung ohne Bindung an Aufträge auszuüben hat (vgl. § 43 Abs. 1 GO NW).
Zur verfassungsrechtlichen Absicherung des Grundsatzes des freien Mandats in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und zu dessen Geltung auch für Ratsmitglieder über Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. März 1992 –7 C 20.91 -, NVwZ 1993, 375 f.; Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1997, S. 97.
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Dies schließt es ein, sich zusammen mit anderen Ratsmitgliedern, sei es zusammen mit den Mitgliedern der eigenen Fraktion oder fraktionsübergreifend mit den Mitgliedern anderer Fraktionen, auf gemeinsame Positionen oder – wie hier – einen gemeinsamen Wahlvorschlag verständigen zu können. Der Grundsatz des freien Mandats greift auch nicht etwa erst mit dem Beginn der sachlichen Arbeit im Rat bzw. in den Ausschüssen ein, sondern knüpft unmittelbar an die Wahl in den Rat an. Er gilt damit für die Wahl der Ausschussmitglieder ebenso wie etwa für den Zusammenschluss mehrerer Ratsmitglieder zu einer Fraktion.
Zu Letzterem Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Loseblattsammlung Stand September 2000, § 56 GO Anm. 1 (S. 3).
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Hinsichtlich der Wahl der Ausschussmitglieder haben diese Wirkungen des freien Mandats zudem in § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NW ihre einfachgesetzliche Anerkennung gefunden. Die dort ausdrücklich zugelassene Befugnis der Ratsmitglieder, einen einheitlichen Wahlvorschlag einzureichen, zeigt, dass der Gesetzgeber dem freien Mandat grundsätzlich den Vorrang vor anderen Vorgaben über die Zusammensetzung der Ausschüsse [Umdruck S. 7] eingeräumt hat. Einstimmigkeit vorausgesetzt, ist in diesem Fall der Rat bei der Besetzung der Ausschüsse frei und an Einschränkungen hinsichtlich der Vertretung auch von Minderheiten nicht gebunden.
Im Ergebnis ebenso Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 3. November 1954 – III A 353/54 –, OVGE 10, 143 <147 ff.>, zu § 35 GO a.F., der ebenfalls die Wahl der Ausschussmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl vorsah (§ 35 Abs. 2 Satz 2 GO a.F.); zustimmend Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, a.a.O., § 50 Anm. 6.5.
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Aus der Entstehungsgeschichte der Regelung ergibt sich nichts Anderes. § 50 Abs. 3 Satz 2 GO NW entspricht § 35 Abs. 2 Satz 4 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Oktober 1952 (GO NW a.F.). Durch das Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Landkreisordnung und anderer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1969 (GV. NRW. 514) wurde als Satz 5 die dem heutigen § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NW entsprechende Regelung eingefügt, die allerdings nur auf „die Wahlvorschläge“ abstellte und nicht auf „die Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen“. Mit dieser Ergänzung sollte § 35 GO NW a.F. aus Gründen der Rechtssicherheit an die entsprechende Regelung der Landkreisordnung angepasst werden.
Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom 21. März 1968, LT-Drs. IV/695, S. 21.
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Die Charakterisierung der Wahlvorschläge dahin, dass es sich um solche „der Fraktionen und Gruppen“ handeln muss, wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 15. Mai 1979 (GV. NRW. 408) eingeführt, wonach nunmehr die Sitzverteilung nach dem Hare-Niemeyer-System in Ansehung der auf eine Fraktion oder Gruppe entfallenen Stimmen zu erfolgen hatte. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom 6. April 1978 (LT-Drs. 8/3152) findet sich allerdings kein Hinweis darauf, dass über die Veränderung des Sitzverteilungssystems hinaus eine inhaltliche Beschränkung der möglichen Wahlvorschläge beabsichtigt war.
Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom 6. April 1978, LT-Drs. 8/3152, S. 62.
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Auch die Möglichkeit der Ratsmitglieder, einen einheitlichen Wahlvorschlag vorzulegen und über diesen abzustimmen (§ 50 Abs. 3 Satz 1 GO NW), wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 15. Mai 1979 (GV. NRW. 408) eingeführt. Diese Regelung war allerdings in dem Gesetzentwurf der Landesregierung vom 6. April 1978 [Umdruck S. 8] (LT-Drs. 8/3152) noch nicht enthalten, sondern erschien erstmals in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik, Wohnungs- und Städtebau vom 25. April 1979 (8/4352). In der diesbezüglichen Begründung findet sich jedoch kein Hinweis darauf, dass hiermit eine grundlegend neue Wahlmodalität eingeführt werden sollte.
Vgl. den Ausschussbericht, LT-Drs. 8/4352, S. 75/76 („redaktionelle wie politisch-optische Umgestaltung des Absatzes 3“).
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Im Ergebnis kann deshalb aus der Entstehungsgeschichte des § 50 Abs. 3 GO NW mangels entsprechender Hinweise in den Begründungen der Gesetzentwürfe nicht abgeleitet werden, dass mit den Formulierungen in § 50 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO NW zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass fraktionsübergreifende Wahlvorschläge unzulässig seien. 10
Die Unzulässigkeit eines von Ratsmitgliedern mehrerer Fraktionen getragenen Wahlvorschlags im Rahmen von § 50 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO NW lässt sich auch nicht im Umkehrschluss aus § 58 Abs. 5 Satz 2 letzter Halbsatz GO NW ableiten. Zwar sieht die Gemeindeordnung dort ausdrücklich vor, dass sich mehrere Fraktionen bei der Verteilung der Ausschussvorsitze zusammenschließen können. Diese Regelung ist aber vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verteilung der Ausschussvorsitze kraft Gesetzes daran anknüpft, welche Fraktionen im Rat vortreten sind und in welchem Stärkeverhältnis diese zueinander stehen. Dementsprechend erfolgt die Verteilung der Ausschussvorsitze im sog. Zugriffsverfahren (vgl. § 58 Abs. 5 Satz 4 GO NW) ausgehend von den Mitgliederzahlen der Fraktionen nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren und nicht durch Wahl, und dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, wie die Ratsmitglieder im Rahmen eines freien Mandats abgestimmt haben würden. Ist aber der Verteilmodus durch den Gesetzgeber vorgegeben und knüpft dieser an die Stärke der Fraktionen im Rat an, ist eine abweichende Regelung, wie sie durch den Zusammenschluss mehrerer Fraktionen bewirkt ist, nur zulässig, wenn diesen eine entsprechende Abweichungsbefugnis eingeräumt wird. Damit liegt § 58 Abs. 5 Satz 2 zweiter Halbs. GO NW nicht die Bewertung zu Grunde, dass außerhalb seines Anwendungsbereichs der Grundsatz des freien Mandats in Bezug auf die Gruppenzusammensetzung nicht oder nur eingeschränkt gelte. Die Norm besagt vielmehr im Gegenteil, dass Zusammenschlüsse selbst dort vom Gesetzgeber akzeptiert werden, wo sie sich nicht aus dem Grundsatz des freien Mandats legitimieren lassen. 11
[Umdruck S. 9] Da § 50 Abs. 3 GO NW eine andere Struktur zugrunde liegt, die Besetzung der Ausschüsse nicht ausgehend von feststehenden Mitgliederzahlen im Zugriffsverfahren durch die Fraktionen, sondern im Wege der Wahl erfolgt, für die aus dem Kreis der Ratsmitglieder Wahlvorschläge zu machen sind, bestand hier von vornherein kein Anlass zur einer § 58 Abs. 5 Satz 2 zweiter Halbs. GO NW entsprechenden Regelung. Die Besetzung der Ausschüsse richtet sich allein danach, wie viele Ratsmitglieder für welchen Wahlvorschlag gestimmt haben, wobei das Stimmenverhältnis der bei der Wahl auf die verschiedenen Wahlvorschläge entfallenden Stimmen Ausgangspunkt für die Besetzung der Ausschüsse nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens ist. 12
Auch die Entstehungsgeschichte des § 58 Abs. 5 GO NW gibt keinen Anlass zu einer dem Klägervorbringen entsprechenden Deutung. Nachdem ursprünglich die Ausschussvorsitzenden von der Mehrheit ihrer Mitglieder zu wählen waren (vgl. § 42 Abs. 3 Satz 2 Gemeindeordnung vom 21. Oktober 1952), wurde das sog. Zugriffsverfahren durch das Änderungsgesetz vom 15. Mai 1979 eingeführt. Diese Regelung war in dem Gesetzentwurf der Landesregierung vom 6. April 1978 (LT-Drs. 8/3152) noch nicht enthalten, sondern wurde durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik, Wohnungs- und Städtebau vom 25. April 1979 (LT-Drs. 8/4352) eingefügt. In der diesbezüglichen Begründung (LT-Drs. 8/4352, S. 76) findet sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber bei der Regelung zur Möglichkeit des Zusammenschlusses mehrerer Fraktionen von einem sonst allgemein auch bei Wahlen geltenden Verbot solcher Zusammenschlüsse ausgegangen wäre. 13
Die Unzulässigkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlags mehrerer Fraktionen folgt auch nicht aus Verfassungsrecht. Weder verstoßen die zuvor genannten Bestimmungen gegen Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG, noch zwingt Verfassungsrecht zu einer von Wortlaut und Systematik abweichenden Auslegung im Sinne der Klägerin. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Zusammensetzung von Ausschüssen grundsätzlich spiegelbildlich der Zusammensetzung des demokratisch gewählten parlamentarischen Gremiums entsprechen muss. Insoweit muss – dem Prinzip der demokratischen Repräsentation folgend – die Zusammensetzung von Ausschüssen kommunaler Vertretungskörperschaften die politischen Kräfteverhältnisse in der Vertretungskörperschaft widerspiegeln.
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 13. Juni 1989 – 2 BvE 1/88 –, BVerfGE 80, 188 <222>, und Urteil vom 16. Juli 1991 – 2 BvE 1/91 –, BVerfGE 84, 304 <323>, jeweils für die Ausschüsse des Deutschen Bundestages; BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 – 7 C 20.91 –, NVwZ 1993, 375 <376 f.>; Beschluss vom 7. Dezember 1992 – 7 B 49/92 –, NVwZ-RR 1993, 209, jeweils für die Ausschüsse von Gemeinderäten.
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[Umdruck S. 10] Diese Prinzipien gehen den oben dargelegten Auswirkungen des Grundsatzes des freien Mandats jedoch nicht in dem Sinne vor, dass eine abweichende Gestaltung der Ausschusszusammensetzung in jedem Falle unzulässig wäre. Sie können vielmehr gerade durch die Ausübung des freien Mandats verwirklicht werden. Hat sich der Gesetzgeber, wie in Nordrhein-Westfalen, entschieden, dem Rat die Verteilung der Ausschusssitze durch Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu überlassen, obliegt es den Ratsmitgliedern, zu entscheiden, ob und wie sie die politischen Verhältnisse im Gesamtgremium in den Ausschüssen abbilden wollen. In diesem Fall spiegelt die Zusammensetzung der Ausschüsse die demokratisch legitimierte Zusammensetzung des Rates auch dann wider, wenn sie das durch die Fraktionsstärke vorgegebene Kräfteverhältnis nicht überträgt, was außer in der hier gegebenen Konstellation auch in anderen Fällen – etwa bei abweichendem Stimmverhalten von Mandatsträgern – denkbar ist. Soweit diese Entscheidung das Ergebnis eines Wahlvorgangs nach den Grundsätzen der Verhältniswahl ist, ist dies verfassungsrechtlich weder unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes zu beanstanden noch unter dem Aspekt der demokratischen Repräsentation, denn jedes Wahlergebnis des Rates enthält den Willen der durch den Rat vertretenen Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit.
Im Ergebnis ebenso OVG NRW, Urteil vom 3. November 1954 – III A 353/54 –, OVGE 10, 143 <149 ff.>; im Ergebnis für das insoweit vergleichbare rheinland-pfälzische Kommunalrecht auch Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. November 1995 – 7 A 11069/95 –, NVwZ-RR 1996, 591.
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Vollzieht sich aber die Bestimmung der Ausschussmitglieder durch Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, sind in diesem Rahmen auch gemeinsame Wahlvorschläge zulässig. Durch die Grundsätze der Verhältniswahl und die Sitzverteilung nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren ist dem Gedanken des Minderheitenschutzes in hinreichender Weise Genüge getan.
OVG NRW, Urteil vom 3. November 1954 – III A 353/54 –, OVGE 10, 143 <149 ff.>; dem folgend Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/ Wansleben, a.a.O., § 50 Anm. 6.4; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen, Loseblattsammlung Stand Juli 2001, § 43 Anm. I 1, § 50 Anm. IV 3.
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Im Übrigen kann der aus dem Verfassungsrecht abgeleitete Grundsatz der spiegelbildlichen Zusammensetzung von Ausschüssen und kommunaler Vertretungskörperschaft ohnehin nicht im Sinne einer exakten mathematischen Entsprechung gelten. Die Anwendung des d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens bei der Besetzung der Ausschüsse eines Gemeinderats, wie dies auch die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung vorsieht, führt – wie im Übrigen auch die Sitzverteilung nach Hare-Niemeyer – dazu, dass die politischen [Umdruck S. 11] Kräfteverhältnisse im Rat sich lediglich näherungsweise in der Zusammensetzung der Ausschüsse widerspiegeln. Gewisse prozentuale Abweichungen sind bei diesen mathematischen Verfahren unvermeidbar, insbesondere dann, wenn die Ausschüsse im Interesse einer effektiven Ausschussarbeit nach dem Willen des Rates klein sind (wobei bezüglich der Mindestgröße von Ausschüssen rechtlich gefordert ist, dass die Zahl der Ausschussmitglieder mindestens ein Viertel der Zahl aller Ratsmitglieder übersteigt, was hier bei den vorgesehenen 11 Ausschussmitgliedern und insgesamt 38 Ratsmitgliedern der Fall ist) und es um die Festlegung geht, ob kleinere Fraktionen mit zwei, einem oder keinem Sitz in den Ausschüssen vertreten sind. Besteht ein Gremium aus 11 Mandatsträgern setzte eine mathematisch exakte Entsprechung etwa 9 % der Ratssitze pro Mandatsträger voraus. Hiervon abweichende, d.h. weder diesem Koeffizienten entsprechende noch durch ihn teilbare Stärken der Gruppierungen im Rat bedürfen daher zwangsläufig einer Regelung, die zu entsprechenden Auf- oder Abrundungen führt. Die sich aus der Anwendung des d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens ergebenden Abweichungen von einer exakten mathematischen Entsprechung sind vor diesem Hintergrund unvermeidbar und mit Bundesrecht vereinbar; dies gilt selbst dann, wenn kleinere Fraktionen bei der Besetzung von Ausschüssen gänzlich unberücksichtigt bleiben.
BVerfG, Urteil vom 14. Januar 1986 – 2 BvE 14/83 und 4/84, BVerfGE 70, 324 <364>; BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 1977 – VII B 112/77 –, DÖV 1978, 415, vom 25. September 1985 – 7 B 183/85 –, NVwZ 1986, 41, vom 7. Dezember 1992 – 7 B 49/92 –, NVwZ-RR 1993, 209, vom 13. Oktober 1993 – 7 B 39/93 –, NVwZ-RR 1994, 109, und vom 14. Oktober 1993 – 7 B 19/93 –, NVwZ-RR 1994, 109.
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Schon deshalb besteht kein Anspruch der Klägerin als einer im Rat mit ca. 15,8 % der Sitze vertretenen Fraktion (6 von 38 Ratsmitgliedern) in jedem Ausschuss mit zwei Mitgliedern vertreten zu sein. 18
Dies wird daran sinnfällig, dass eine Vertretung der Klägerin mit zwei Sitzen in jedem Ausschuss – gemessen an der nach ihren eigenen Maßstäben maßgeblichen prozentualen Vertretung im Rat – zu einer Überrepräsentation der Klägerin in den Ausschüssen führen würde, da sie dann ca. 18,2 % der jeweiligen Ausschusssitze einnehmen würde, während die Fraktion der FDP – bei Verwirklichung der Vorstellungen der Klägerin – als eine mit ca. 5,3 % der Sitze im Rat vertretene Fraktion (2 von 38 Ratsmitgliedern) in keinem Ausschuss mit einem stimmberechtigten Mitglied vertreten wäre. Eine Besetzung der Ausschüsse mit jeweils einem Mitglied aus der Fraktion der FDP und der Klägerin führt demgegenüber zwar zu einer rechnerischen Unterrepräsentation der Klägerin und Überrepräsentation der Fraktion der FDP. Aus dem Demokratieprinzip lässt sich aber nicht [Umdruck S. 12] ableiten, dass nur die zu einer Überrepräsentation der Klägerin führende Lösung des Konfliktes verfassungsrechtlich zulässig und geboten wäre.
Ausdrücklich gegen den Anspruch selbst einer ansonsten nicht berücksichtigten Fraktion auf überproportionale Vertretung in den Ratsausschüssen BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 1977 – VII B 112/77 –, DÖV 1978, 415, und vom 7. Dezember 1992 – 7 B 49/92 –, NVwZ-RR 1993, 209.
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Eine abweichende Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes,
vgl. Urteil vom 15. Juli 1992 – 4 B 91.3106 –, NVwZ-RR 1993, 503 f.,
wonach Fraktionszusammenschlüsse bei der Verteilung von Ausschusssitzen grundsätzlich nicht zulässig sind. Diese Rechtsprechung beruht auf Art. 33 Abs. 1 Satz 2 Bayerische Gemeindeordnung (BayGO), wonach der Gemeinderat, der die Zusammensetzung der Ausschüsse nach Art. 33 Abs. 1 Satz 1 BayGO in der Geschäftsordnung regelt, dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen hat. Eine Wahl findet insoweit nicht statt.
Lissack, Bayerisches Kommunalrecht, 2. Aufl. 2001, § 4 Rdn. 99; Schreiber, Zum Gebot der Spiegelbildlichkeit bei der Bildung und Besetzung gemeindlicher Ausschüsse in Bayern, BayVBl. 1996, 134 ff. und 170 ff, hier S. 170: Ermessensentscheidung des Rates über Besetzungsmodus; ebenso Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 5. März 1986 – 4 B 85 A.2589 –, BayVBl. 1986, 366 f.
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Diese Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Gemeinderates und damit des freien Mandats der Ratsmitglieder hat in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung keine Entsprechung, so dass die diesbezüglichen Erwägungen auf das Kommunalrecht in Nordrhein-Westfalen nicht übertragen werden können. Im Übrigen ist auch dem bayerischen Kommunalrecht die Möglichkeit des Zusammenschlusses mehrerer Gemeinderatsmitglieder zu einem gemeinsamen Wahlvorschlag nicht gänzlich fremd, wie die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 33 Abs. 1 Satz 5 BayGO zeigt. Danach werden Ausschussgemeinschaften dann berücksichtigt, wenn es sich um Einzelgänger handelt oder die jeweiligen Gruppen ansonsten keinen Ausschusssitz erlangt hätten.
BayVGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 4 B 91.2372 –, NVwZ-RR 1993, 267 <269>.
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Zudem ist auch in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes anerkannt, dass die Verteilung der Ausschusssitze nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren den Anordnungen des Art. 33 Abs. 1 BayGO genügt und hieraus resultierende Abweichungen von dem mathematisch exakten Proporz im Gemeinderat rechtlich nicht zu beanstanden sind.
[Umdruck S. 13]Vgl. BayVGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 4 B 91.2372 –, NVwZ-RR 1993, 267 ff.; Beschluss vom 21. September 1990 – 4 CE 90.2106 –, BayVBl. 1991, 630 <631>.
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Da der Hauptantrag nach alledem keinen Erfolg hat, ist über den nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens gestellten Hilfsantrag nicht zu befinden. Ob dieser zulässig gewesen wäre, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Er wäre allerdings, wie sich aus den bisherigen Erwägungen ergibt, jedenfalls unbegründet gewesen. 23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Zivilprozessordnung. Für die Zulassung der Sprungrevision fehlt es an den Voraussetzungen (§ 134 VwGO). 24
Dr. Klenke, Dr. Lascho, Dr. Kuhlmann

 


Matthias Cantow