Bundesverfassungsgericht

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 17. Januar 1973

2 BvC 5/70

BVerfGE 34, 201

„Erledigung einer Wahlprüfungsbeschwerde“


Informationen Informationen zur Entscheidung, Entscheidungen 1970–1979

[BVerfGE 34, 201 (201)] Beschluß

des Zweiten Senats vom 17. Januar 1973
– 2 BvC 5/70 –
in dem Verfahren
über
die Beschwerden
1. des Herrn X ... und anderer Mitglieder des Präsidiums der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands,
2. des Herrn Dr. H...,
– Bevollmächtigter zu 1: Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Huber, München 15, Sonnenstraße 14 –
gegen
den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 11. November 1970.

Entscheidungsformel:

Die Wahlprüfungsbeschwerde hat sich erledigt.

Gründe:

I.

1. Mitglieder des Präsidiums der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) haben am 14. Oktober 1969 beim Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 eingelegt. Bei dieser Wahl erhielt die NPD 4,3 % der Zweitstimmen; ein Direktmandat konnte sie nicht erringen. Infolgedessen war sie im 6. Deutschen Bundestag nicht vertreten. 1
Zur Begründung ihres Einspruchs haben die Beschwerdeführer behauptet, folgende Rechtsverletzungen hätten den Ausgang der Wahl zum Nachteil der NPD beeinflußt: 2
a) das jahrelang systematisch betriebene „Verbotsgeschrei“,
3
b) gegen die NPD gerichtete offizielle Äußerungen höchster Repräsentanten des Staates,
4
c) eine auf Wahlbeeinflussung ausgerichtete Ansprache des Bundestagspräsidenten,
5
d) die Bekämpfung der NPD durch das Bundesinnenministerium mit Steuergeldern,
6
e) die Inseratenkampagne der Gewerkschaften und der „Initiative Staat und Gesellschaft“,
7
[BVerfGE 34, 201 (202)] f) die Manipulation des Wählerwillens durch die Massenmedien,
8
g) die Verweigerung angemessener Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen,
9
h) die Weigerung großer Tageszeitungen, Inserate der NPD aufzunehmen,
10
i) der Versammlungsboykott der Städte und Gemeinden durch Verweigerung von Sälen und durch Verbot oder Auflösung von Kundgebungen,
11
k) die Störung und Vereitelung von Kundgebungen durch meistens von den Gewerkschaften „aufgehetzte und entlohnte Gesetzesbrecher“,
12
l) die Weigerung des Bundestages, die der NPD zustehende Vorauszahlung der Wahlkampfkosten fristgerecht zu leisten.
13
Die Beschwerdeführer haben im einzelnen dargelegt, welche Vorgänge nach ihrer Ansicht diese Rügen stützen. 14
2. Der Deutsche Bundestag hat den Wahleinspruch in seiner 78. Sitzung am 11. November 1970 als unbegründet zurückgewiesen. Die Mehrzahl der Rügen greifen seiner Ansicht nach nicht durch. Soweit Wahlfehler vorgekommen seien, hätten sie sich auf die Mandatsverteilung nicht ausgewirkt. 15
3. Gegen diesen Beschluß richtet sich die am 10. Dezember 1970 erhobene Beschwerde. Sie wird von mehr als einhundert Wahlberechtigten unterstützt. 16
Die Beschwerdeführer wiederholen die Rügen a bis d, f und h bis l. 17
Der Bundesminister des Innern hält die Beschwerde für unbegründet. 18
4. Am 22. September 1972 hat der Bundespräsident den 6. Deutschen Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 GG aufgelöst (BGBl. I S. 1833). Am 19. November 1972 hat die Wahl für den 7. Deutschen Bundestag stattgefunden. Der 7. Deutsche Bundestag hat sich am 13. Dezember 1972 konstituiert. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, daß nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung bestehe. 19

[BVerfGE 34, 201 (203)] II.

Die Wahlbeschwerde hat sich mit der Auflösung des 6. Deutschen Bundestages und der Konstituierung des 7. Deutschen Bundestages erledigt. 20
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Wahlprüfungsverfahren dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten (BVerfGE 4, 370 <372>; 21, 196 <199>; 22, 277 <280>). Da der 6. Deutsche Bundestag inzwischen aufgelöst worden ist und ein neuer Bundestag sich konstituiert hat, könnte eine Entscheidung über die vorliegende Beschwerde Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages nicht mehr haben. Die Beschwerde ist somit gegenstandslos geworden (vgl. BVerfGE 22, 277 <280 f.>). 21
2. In Anbetracht dessen ist für eine Sachentscheidung kein Raum mehr. Dieses Ergebnis wird durch den Hinweis der Beschwerdeführer auf ihr fortbestehendes Interesse an einer Sachentscheidung nicht in Frage gestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führen Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl dann nicht zu einem Eingriff der Wahlprüfungsinstanzen, wenn sie die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages nicht berühren (BVerfGE 1, 430 <433>; 22, 277 <281>). Die Verletzung subjektiver Rechte kann nur der Anlaß für ein Wahlprüfungsverfahren sein, bildet jedoch nicht dessen Gegenstand. Die Verfolgung subjektiver Rechte Einzelner muß im Wahlprüfungsverfahren zurücktreten gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen (BVerfGE 22, 277 <281>; vgl. auch BVerfGE 14, 154 <155>; 28, 214 <219>). 22

III.

Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen. 23
Seuffert, Dr. Rupp, Dr. Geiger, Hirsch, Dr. Rinck, Dr. Rottmann, Wand

 


Matthias Cantow