Bundesverfassungsgericht

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 25. Juli 1967

2 BvC 4/62

BVerfGE 22, 277

„Erledigung einer Wahlprüfungsbeschwerde“


Entscheidungen 1960–1969

[BVerfGE 22, 277 (277)] Beschluss

des Zweiten Senats vom 25. Juli 1967
– 2 BvC 4/62 –
in dem Verfahren
über
die Beschwerde
des Herrn ...
gegen
den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1962 – Az. 13/61 – (Drucksache IV/519).

Entscheidungsformel:

Die Wahlprüfungsbeschwerde hat sich erledigt.

Gründe:

I.

1. Der Beschwerdeführer, ein früherer Abgeordneter der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) im Niedersächsischen [BVerfGE 22, 277 (278)] Landtag, hat gemäß § 2 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes vom 12. März 1951 (BGBl. I S. 166 – WahlprüfG –) die Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom 17. September 1961 angefochten: Zur Bundestagswahl 1961 habe er im Wahlkreis 28 (Osnabrück-Stadt und -Land) unter dem Kennwort „L ...“ für sich als Einzelbewerber einen Wahlvorschlag form- und fristgerecht eingereicht. Den Wahlvorschlag habe der Kreiswahlausschuß Osnabrück unter Hinweis auf den Erlaß des Niedersächsischen Ministers des Innern vom 9. August 1961 – I/3-108/113– abgelehnt, weil die Kandidatur des Beschwerdeführers eine verbotene Fortsetzung der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten KPD sei. Diese Annahme sei unrichtig. 1
Gegen die Zurückweisung seines Wahlvorschlages hatte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde mit Beschluß vom 27. Juni 1962 (BVerfGE 14, 154 f.) als unzulässig verworfen, weil es wegen der Ablehnung eines Wahlvorschlages im Rahmen einer Bundestagswahl nicht unmittelbar, sondern erst nach Durchführung der Wahlprüfung durch den Bundestag angerufen werden könne (Art. 41 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 3 und 48 BVerfGG). 2
Den Wahleinspruch hat der 4. Deutsche Bundestag in seiner 36. Sitzung vom 27. Juni 1962 zurückgewiesen: Selbst wenn man unterstelle, daß die Annahme des Kreiswahlausschusses Osnabrück unrichtig sei, sei der Einspruch unbegründet; denn die Zulassung des Beschwerdeführers zur Wahl hätte die Mandatsverteilung im Bundestag nicht beeinflußt. Als Direktbewerber hätte der Beschwerdeführer so wenig Chancen gehabt, ein Mandat zu gewinnen, wie früher der Bewerber der KPD oder wie die von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands unterstützte Deutsche Friedens-Union (DFU). 3
Gegen diesen Beschluß hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24. Juli 1962, bei Gericht eingegangen am 26. Juli 1962, Beschwerde erhoben. Die Beschwerde wird von 113 Wahlberechtigten unterstützt. 4
Der Beschwerdeführer rügt Verletzung seines passiven Wahlrechtes [BVerfGE 22, 277 (279)] und seiner Grundrechte und trägt vor: Er bekenne sich zwar zur „kommunistischen Weltanschauung“, habe jedoch keine Verbindung zur verbotenen KPD. Das Bekenntnis zur kommunistischen Weltanschauung falle nicht unter das KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 (BVerfGE 5, 85ff.). Aus diesem Grunde hätte seine Wahlbewerbung zugelassen werden müssen und hätte der Bundestag seine Wahlaussichten nicht nach einem Vergleich mit dem Wahlerfolg der früheren KPD und der DFU beurteilen dürfen. 5
Der Bundesminister des Innern hält die Beschwerde für unbegründet. 6
2. a) Gegen den Beschwerdeführer hat die Große Strafkammer III des Landgerichts Oldenburg mit Beschluß vom 26. März 1962 – 2 KLs 1/61 – ein Strafverfahren wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 (BVerfGE 5, 85 ff.) und wegen Gründung einer verfassungswidrigen Vereinigung eröffnet. Die Hauptverhandlung in dieser Sache sollte auf Mitte Oktober 1963 angesetzt werden. Da der Erfolg der Wahlbeschwerde davon abhing, ob die Kandidatur des Beschwerdeführers einen Verstoß gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 enthielt (vgl. BVerfGE 16, 4 ff.), war im Verfahren über die Wahlprüfungsbeschwerde beabsichtigt, zu dieser Frage Beweis zu erheben. Um eine doppelte Beweisaufnahme zu vermeiden, sollte im Wahlprüfungsverfahren gemäß § 33 Abs. 2 BVerfGG der Ausgang des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer vor dem Landgericht Oldenburg abgewartet werden. Das Strafverfahren konnte jedoch bisher nicht durchgeführt werden, weil der Beschwerdeführer erkrankte und verhandlungsunfähig wurde. Wann und ob sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers bessern wird, ist nicht abzusehen. Das Landgericht Oldenburg hat daher das Strafverfahren gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt. 7
b) Die Wahlbeschwerde betrifft die Gültigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag. Die Legislaturperiode des 4. Deutschen [BVerfGE 22, 277 (278)] Bundestages ist mit dem 17. September 1965 abgelaufen. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit gegeben, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob sich die Beschwerde des Beschwerdeführers mit dem Ablauf der Legislaturperiode des 4. Deutschen Bundestages erledigt hat. Geäußert hat sich nur der Beschwerdeführer. Er meint, seine Beschwerde habe sich nicht erledigt. Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens sei die Frage, ob und inwieweit bei den Wahlen Gesetze verletzt worden seien oder nicht. An der Beantwortung dieser Frage habe der Beschwerdeführer heute noch ein berechtigtes Interesse. Er beabsichtige, weiterhin von seinem aktiven und passiven Wahlrecht Gebrauch zu machen. Daran werde er durch die Zurückweisung seines Wahlvorschlages gehindert. Das Bundesverfassungsgericht müsse auch deshalb über seine Wahlbeschwerde entscheiden, weil es bereits eine Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Zurückweisung seines Wahlvorschlages mit der Begründung verworfen habe, Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, könnten nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. Daher würde ihm jeder Rechtsschutz gegen die Zurückweisung seines Wahlvorschlages versagt, wenn seine Wahlbeschwerde für erledigt erklärt würde. 8

II.

Die Wahlbeschwerde hat sich durch den Ablauf der Legislaturperiode des 4. Deutschen Bundestages erledigt. 9
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Wahlprüfungsverfahren dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten (BVerfGE 4, 370 <372>); Beschluß vom 15. Februar 1967 – 2 BvC 1/66 – [BVerfGE 21, 196]). Da die Legislaturperiode des am 17. September 1961 gewählten Bundestages inzwischen abgelaufen ist, könnte eine Entscheidung über die vorliegende Beschwerde Auswirkungen auf die ordnungsmäßige Zusammensetzung des Bundestages nicht mehr haben. Die Beschwerde ist somit gegenstandslos geworden (vgl. auch: Niedersächsischer Staatsgerichtshof, OVGE Lüneburg und Münster 14, 509 <511>). 10
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führen Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl dann nicht zu einem Eingriff der Wahlprüfungsinstanzen, wenn sie die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages nicht berühren (BVerfGE 1, 430 <433>). Die Verletzung subjektiver Rechte kann nur den Anlaß für ein Wahlprüfungsverfahren bieten. Sie bildet jedoch nicht seinen Gegenstand. Denn die Verfolgung subjektiver Rechte Einzelner muß zurücktreten gegenüber der Notwendigkeit, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen (BVerfGE 14, 154 <155>). 11
Mit Art. 19 Abs. 4 GG ist diese Regelung vereinbar. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert den Rechtsweg, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Demgegenüber bestimmt Art. 41 GG, daß die Wahlprüfung „Sache des Bundestages“ und gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist. Damit wird die Korrektur etwaiger Wahlfehler einschließlich solcher, die Verletzungen subjektiver Rechte enthalten, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen. Daß die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht nach Art. 41 Abs. 2 GG nicht ein Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ist, ergibt sich im übrigen auch aus § 48 BVerfGG, nach dem die Zulässigkeit der Wahlbeschwerde vom Beitritt weiterer einhundert Wahlberechtigter abhängig ist (BVerfGE 1, 430 <432>). 12
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen. 13
Henneka, Dr. Leibholz, Geller, Dr. Rupp, Dr. Federer, Dr. Kutscher

 


Matthias Cantow