Bundesverfassungsgericht

[Wahlprüfung]

Beschluss vom 18. September 1952

1 BvC 5/52

BVerfGE 1, 430

„Fristwahrung/Beitrittserforderlichkeit“


Informationen Informationen zur Entscheidung, Entscheidungen 1950–1959

[BVerfGE 1, 430 (430)] Beschluß

des Ersten Senats vom 18. September 1952 gemäß § 24 BVerfGG
– 2 BvC 5/52 –

in dem Verfahren
über
die Wahlprüfungsbeschwerde

des Josef C.

Entscheidungsformel:

Die Beschwerde wird gemäß § 24 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12.03.1951 – BGBl. I S. 243 – als unzulässig verworfen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer hat gemäß § 2 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes vom 12. 3. 1951 – BGBl. I S. 166 – Einspruch gegen die Wahl zum Ersten Bundestag eingelegt, weil in seinem Wohnort und in anderen Wahlbezirken, vermutlich in seinem ganzen Wahlkreis, die amtlich gelieferten und mit dem Aufdruck „Wahl zum ersten Bundestag am 14. August 1949 in Rheinland-Pfalz“ versehenen Wahlumschläge nicht auch amtlich abgestempelt waren, trotzdem aber die darin abgegebenen Stimmzettel als gültig gezählt worden sind; 37 Abs. 1 Nr. 2 der Ersten Landesverordnung zur Durchführung des Wahlgesetzes zum Ersten Bundestag vom 26. Juni 1949 – GVBl. S. 232 – bestimmt jedoch, daß Stimmzettel, „die nicht in einem amtlich abgestempelten Umschlag abgegeben worden sind“, ungültig seien. Der Bundestag hat den Einspruch am 26. März 1952 zurückgewiesen. Die Entscheidung mit Gründen und Rechtsmittelbelehrung ist dem Beschwerdeführer am 2. April 1952 zugestellt worden. In einem Begleitschreiben vom 29. März 1952 ist der Beschwerdeführer noch vorsorglich darauf hingewiesen worden, daß die Beschwerdefrist vom 26. März 1952 und nicht erst vom Tage der Zustellung an läuft (§ 48 BVerfGG). 1
Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde am 20. April 1952 „An das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durch den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages in Bonn“ eingelegt. Sie [BVerfGE 1, 430 (431)] ist beim Bundestag am 23. April 1952 eingegangen und von dort unter Beifügung der Wahlprüfungsakte des Bundestags am 30. April 1952, also nach Ablauf der Beschwerdefrist, an das Bundesverfassungsgericht weitergesandt worden, wo sie am 4. Mai 1952 eingegangen ist. 2
Die Beschwerde ist verspätet und deshalb als unzulässig zu verwerfen. Nach § 23 Abs. 1 BVerfGG gilt für die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht allgemein, daß Anträge, die das Verfahren einleiten, „beim Bundesverfassungsgericht einzureichen“ sind. Dies wird für die Beschwerde im Wahlprüfungsverfahren durch § 48 BVerfGG wiederholt. Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 48 BVerfGG) dadurch versäumt, daß er seine Beschwerde nicht unmittelbar an das Bundesverfassungsgericht, sondern erst kurz vor Ablauf der Beschwerdefrist an den Präsidenten des Bundestages gesandt hat. 3
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die das Bundesverfassungsgericht auf Grund seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Verfahrens im Rahmen des Gesetzes vielleicht gewähren könnte, müßte schon daran scheitern, daß die Fristversäumnis nicht auf für den Beschwerdeführer unabwendbaren Zufällen beruht. 4
Die Beschwerde ist aber auch deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil der Beschwerdeführer sie allein eingelegt hat, obwohl ein einzelner Wahlberechtigter nur dann Beschwerde einlegen kann, wenn ihm mindestens einhundert Wahlberechtigte beitreten (§ 48 BVerfGG). Hierauf ist der Beschwerdeführer zwar in der Rechtsmittelbelehrung und in dem Begleitschreiben vom 29. März 1952 nicht ausdrücklich hingewiesen worden; jedoch sagt die Rechtsmittelbelehrung, daß die Beschwerde „unter den im §  48 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes angegebenen Voraussetzungen zulässig“ sei und gibt auch Datum und Fundstelle dieses Gesetzes an, bezeichnet ferner die Beschwerdefrist ausdrücklich. Hieraus ergab sich für den Beschwerdeführer, [BVerfGE 1, 430 (432)] daß neben der Wahrung der Beschwerdefrist noch weitere Voraussetzungen zu beachten sein würden. 5
Der vom Gesetz geforderte Beitritt weiterer einhundert Wahlberechtigter muß dem Bundesverfassungsgericht innerhalb der Beschwerdefrist erklärt sein. Hierfür spricht schon der Wortlaut des § 48 BVerfGG. Die gesetzlichen Erfordernisse, an die die Zulässigkeit einer rechtlich erheblichen und innerhalb bestimmter Frist abzugebenden Erklärung gebunden ist, müssen im Zweifel innerhalb dieser Frist erfüllt werden. Für die Beschwerde im Wahlprüfungsverfahren ergibt dies auch der Zweck der Vorschrift. Sie soll Beschwerden beschränken auf solche Fälle, die nach der Ansicht wenigstens einer gewissen Zahl Wahlberechtigter Grund zur Beschwerde geben. Der Beitritt darf deshalb kein formaler sein; er könnte es aber werden, wenn Zustimmungserklärungen noch nachträglich gesammelt und nachgereicht werden dürften. 6
Es bleibt zu prüfen, ob die Vorschrift über den Beitritt zu einer Wahlprüfungsbeschwerde etwa in Widerspruch mit Art. 19 Abs. 4 oder Art. 41 Abs. 2 und 3 GG steht. Art. 19 Abs. 4 GG der dem einzelnen Rechtschutz gegen Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt gewährt, kann dann dem gesetzlichen Verlangen nach Beitritt zu einem Rechtsbehelf nicht entgegenstehen, wenn es sich nicht um die Verletzung eines subjektiven Rechts des Beschwerdeführers handelt, etwa um die Verletzung oder auch nur Gefährdung des Wahlgeheimnisses und damit gegebenenfalls auch der Wahlfreiheit, sondern um die Verletzung objektiver Ordnungsvorschriften, die nach dem eigenen Vortrag des Beschwerdeführers ein subjektives Recht nicht berührt haben. Art. 41 Abs. 2 enthält nur eine Rahmenvorschrift über die Beschwerde in Wahlprüfungssachen, während das Nähere gemäß Art. 3 aaO durch ein Bundesgesetz geregelt werden soll. Diese Ermächtigung allein würde die Beschränkung des Beschwerderechts durch das Erfordernis des Beitritts von 100 Wahlberechtigten (§ 48 BVerfGG) vielleicht nicht rechtfertigen, wenn der Zweck der Wahlprüfungsbeschwerde darin BVerfGE 1, 430 (433) bestünde, dem einzelnen Wähler Schutz seines subjektiven Rechts zu gewähren. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Wahlprüfungsverfahren dient nur dem Schutz des objektiven Wahlrechts, d. h. der Erzielung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Bundestages. Selbst Verletzungen subjektiver Rechte bei der Wahl führen dann nicht zu einem Eingriff der Wahlprüfungsinstanzen, wenn sie die gesetzmäßige Zusammensetzung des Bundestages nicht berühren. 7

 


Matthias Cantow