Zu billige Restsitze

[Systemfehler]

Zu „billige“ Restsitze im zweiten Ermittlungsverfahren

„Billige“ Restsitze sind Sitze in einem zweiten oder späteren Verteilungsschritt der Sitzverteilung, für die weniger Stimmen nötig sind, als im ersten Verteilungsschritt und die zu einem negativen Stimmgewicht führen, wenn eine Partei durch zu viele „teure“ Sitze im ersten Verteilungsschritt nicht mehr ausreichend „billige“ Restsitze gewinnen kann.

Österreichische Landtagswahlsysteme (Steiermark, Wien, ...)

Bei den Wahlen zu einigen österreichischen Landtagen werden die Sitze in zwei Ermitttlungsverfahren zugeteilt. Dabei werden Sitze, die im ersten Verteilungsschritt nicht zugeteilt wurden, und Stimmen, die im ersten Verteilungsschritt nicht verbraucht wurden (Restsitze, Reststimmen), in einem zweiten Ermitttlungsverfahren zusammengefasst und zugeteilt.

Wenn die Sitze im zweiten Verteilungsschritt billiger sind als im ersten, kann eine Partei davon profitieren, durch weniger Stimmen im ersten Verteilungsschritt weniger, insgesamt mehr Sitze zu erhalten.

Beispiel: Landtagswahlsystem in der Steiermark

Die Sitze werden in zwei Ermittlungsverfahren zugeteilt.

  1. Im ersten Ermittlungsverfahren werden Sitze im Wahlkreis (Mehrpersonenwahlkreis – Bezirk, in Wien Stadtbezirk) zugeteilt. Dazu erhält eine Partei für jeweils eine Wahlzahl = (Stimmen im Wahlkreis)/(Sitze im Wahlkreis + 1) einen Sitz (Grundmandat) zugeteilt.
  2. Im zweiten Ermittlungsverfahren werden die im ersten Ermittlungsverfahren nicht zugeteilten Sitze (Restsitze) und nicht verbrauchten Stimmen (Reststimmen) zusammengefasst. Die Restsitze werden auf Basis der Reststimme nach d’Hondt verteilt.

... Partei B verliert im Wahlkreis 1.100 Stimmen, verliert dadurch ein Grundmandat, aber gewinnt dadurch zwei weitere Restmandate ...

ParteiWahlkreis 1 Wahlkreis 2 Wahlkreis 3 Wahlkreis 4 Gesamt
A80.00065.00080.00073.000298.000
B70.50060.00050.00020.000200.500
C8.0008.0006.0004.00026.000
D7.0004.0004.00015.000
Stimmen158.500140.000140.000101.000539.500
Sitze1710121756
Wahlzahl8.80612.72810.7705.612
Erstes Ermittlungsverfahren
A9,085,117,4313,01
B8,014,714,643,56
C0,910,630,560,71
D0,550,370,71
Abrunden
A9571334
B844319
C00000
D0000
Restsitze01113
Reststimmenberechnung
A7461.3604.610446.760
B529.0886.9203.16419.224
Wahlzahl6.760
Restsitze
A1
B2

Das heißt:
Partei A: 298.000 Stimmen, 35 Sitze
Partei B: 200.500 Stimmen, 21 Sitze

Nun nehmen wir an, 100 Wähler in Wahlkreis 1 würden nicht Partei B wählen. Dann verliert Partei B ein Grundmandat im Wahlkreis 1, aber kann dadurch viele Reststimmen ins zweite Ermittlungsverfahren schieben, wo diese ein höheres Stimmengewicht haben und Partei B zwei weitere Restmandate erhält.

ParteiWahlkreis 1Wahlkreis 2Wahlkreis 3Wahlkreis 4Gesamt
A80.00065.00080.00073.000298.000
B70.40060.00050.00020.000200.400
C8.0008.0006.0004.00026.000
D7.0004.0004.00015.000
Stimmen158.400140.000140.000101.000539.400
Sitze1710121756
Wahlzahl8.80612.72810.7705.612-
Erstes Ermittlungsverfahren
A9,085,117,4313,01
B7,994,714,643,56
C0,910,630,560,71
D0,550,370,71
Abrunden
A9571334
B744318
C00000
D0000
Restsitze11114
Reststimmenberechnung
A7461.3604.610446.760
B8.7589.0886.9203.16427.930
Wahlzahl6.983
Restsitze
A0
B4

Das heißt:
Partei A: 298.000 Stimmen, 34 Sitze
Partei B: 200.400 Stimmen, 22 Sitze

Dies ist nicht ganz unwahrscheinlich, da in der Steiermark im zweiten Ermittlungsverfahren nur die Parteien teilnehmen können, die schon im ersten Ermittlungsverfahren (1. EMV) Sitze erhalten haben (Grundmandatsklausel). So lagen bei der steirischen Landtagswahl 2005 die Wahlzahlen im ersten Ermittlungsverfahren zwischen 11.103 und 12.092, die Wahlzahl im zweiten Ermittlungsverfahren bei 8.400.

Korrekturmöglichkeit

Nationalratsvariante

Verteilung der Restsitze mit d’Hondt, unter Anrechnung der schon zugeteilten Sitze (also Berechnung und Verwendung von Reststimmen)

Also für alle Parteien im zweiten Ermittlungsverfahren wird die Reihe Stimmen/(Grundmandate + 1), Stimmen/(Grundmandate + 2), ... berechnet. Dies entspricht dem letzten Ermittlungsverfahren bei den Nationalratswahlen.

Entschärftere Variante

Soweit eine Verletzung der Wahlgleichheit durch billigere Grundmandate im ersten Verteilungsverfahren explizit gewollt ist (als eine Art Bonus für die große Parteien wie in Wien), kann man auch nur bei der Berechnung der Reststimmen sicherstellen, dass die Wahlzahl zur Ermittlung der Reststimmen im Wahlkreis nicht größer als die Wahlzahl für die Restsitze wird. Zur Ermittlung der Reststimmen (aber nicht der Grundmandate und Restsitze!) gilt in den Wahlkreisen eine Wahlzahl, die das kleinere der Wahlzahl im Wahlkreis (1. EMV) und der Wahlzahl im 2. EMV ist.


von Martin Fehndrich (letzte Aktualisierung: 13.11.2005)