Negatives Stimmgewicht

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BVerfG: Neuregelung der Sitzzuteilung im Bundeswahlgesetz verfassungswidrig

Aktuell: Nachdem das Bundesverfassungsgericht für die Sitzzuteilung wesentliche Teile des Bundeswahlgesetzes am 3. Juli 2008 für verfassungswidrig erklärt hat und die vom Gericht gesetzte Frist zum 30. Juni 2011 zur Beseitigung der Mängel ungenutzt verstrich, ist am 3. Dezember 2011 ein Änderungsgesetz in Kraft getreten. Damit wird der Effekt des negativen Stimmgewichts ausgeweitet und Überhangmandate bleiben in gleicher Größenordnung erhalten. Zudem wird eine systemwidrige „Reststimmenverwertung“ eingeführt und auch die von Karlsruhe angemahnte Normenklarheit nun erst recht nicht mehr erfüllt. Aus diesen Gründen klagen wir derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht, das Urteil wird am 25. Juli 2012 verkündet.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2008: Negatives Stimmgewicht verfassungswidrigUrteil im Volltext • Archiv: Tipps und Tricks zur Bundestagswahl 2009

Bei allen Meinungsverschiedenheiten über die Anforderungen, die an ein gutes Wahlsystem zu stellen sind, dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass folgende Bedingung erfüllt sein sollte:

Eine Wählerstimme darf der gewählten Partei nicht schaden. Das heißt, eine Partei darf nicht für mehr Stimmen weniger Sitze erhalten und auch nicht für weniger Stimmen mehr Sitze.

Diese Bedingung ist so selbstverständlich, dass sie eigentlich nie ausdrücklich genannt wird. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass etliche der in Bund und Ländern angewendeten Wahlsysteme – insbesondere das Bundestagswahlrecht – diese Minimalbedingung nicht einhalten!

Im Folgenden soll gezeigt werden, wie es bei den in Deutschland praktizierten Wahlsystemen passieren kann, dass Stimmen für eine Partei zu einem Sitzverlust bei eben dieser Partei führen (oder umgekehrt weniger Stimmen zu einem Sitzgewinn). Leider handelt es sich dabei nicht nur um theoretische Zahlenspielereien; gerade bei Bundestagswahlen kommen derartige Paradoxien regelmäßig vor.

Wenn Stimmen für eine Partei nicht einen Zuwachs an Sitzen, sondern einen Verlust derselben bewirken – die Stimmen also quasi ein negatives Gewicht erhalten – wird der Wille des Wählers in gröbster Weise ins Gegenteil verkehrt. Der Wähler muss bei der Stimmabgabe befürchten, der „gewählten“ Partei zu schaden. Je nach Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieses Falles wird eine vernünftige Stimmabgabe erschwert oder gar unmöglich gemacht.

Die Fälle, in denen Stimmen bei Landtags- oder Bundestagswahlen ein negatives Gewicht bekommen können, lassen sich in zwei Gruppen einteilen:

A. Negatives Stimmgewicht unabhängig vom verwendeten Stimmenverrechnungsverfahren:

B. Negatives Stimmgewicht in Verbindung mit Hare/Niemeyer

Darüber hinaus tritt das Phänomen eines negativen Stimmgewichts in Verbindung mit dem Sitzzuteilungsverfahren nach Hare/Niemeyer auf. Dieses Verfahren leidet nämlich unter einigen Hare/Niemeyer-Paradoxien, die in folgenden Fällen ein negatives Stimmgewicht verursachen können:

Diese zweite Gruppe von Fälle von negativem Stimmgewicht ließen sich vermeiden, wenn zur Sitzverteilung statt des Verfahrens nach Hare/Niemeyer ein Divisorverfahren verwendet würde (also z. B. Sainte-Laguë).

C. Negatives Stimmgewicht auf Personenwahlebene


von Wilko Zicht und Martin Fehndrich (07.02.2000, letzte Aktualisierung: 06.07.2012, letzte Aktualisierung der Links: 06.07.2012)