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07.12.2010

NRW: Überwachungskameras in Wahlkabine kein Wahlfehler?

Wahlkabinen mit Videokameras
Einspruch wegen in Wahlkabinen
gerichteter Videokameras

(mf) Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat am 16. September 2010 alle Einsprüche zur Landtagswahl 2010 zurückgewiesen. Darunter ist auch mein Einspruch wegen in Wahlkabinen gerichteter Überwachungskameras (vgl. Meldung vom 6. Juli 2010). Die ganze Wahlprüfung lässt nicht erkennen, dass darin ein ernsthaftes Problem gesehen wird: Als einzig greifbares Ergebnis wurde ermittelt, dass Aufzeichnungen durch die Überwachungskameras recht einfach gestartet werden können. Es scheint aber niemanden zu stören.

Am 14. September 2010 hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner viertelstündigen zweiten (bzw. ersten nach der nur konstituierenden) Sitzung Vorlagen der Landeswahlleiterin zu den Wahleinsprüchen unverändert angenommen. Eine Diskussion, Fragen oder inhaltliche Behandlung gab es nicht, allerdings eine kurze Erläuterung, warum sich der Ausschuss nicht intensiver mit den Wahleinsprüchen befasst. Zwei Tage später hat der Landtag ohne Aussprache diesem Ergebnis zugestimmt (LT-Drs. 15/146, Plenarprotokoll 15/7).

Als Einsprüchsführer finde ich die oberflächliche Prüfung naturgemäß nur beschränkt zufrieden stellend. Die Wahlfehler als solche werden nicht festgestellt, deren Vorliegen wird auch nicht bestritten, die Prüfung des Sachverhalts ist unvollständig, die rechtliche Prüfung vage und dementsprechend ist auch keine konkrete Maßnahme – bis auf die Verlegung des besuchten Wahllokals – für zukünftige Wahlen erkennbar.

Immerhin sind indirekt zwei (erschreckende) Tatsachen aufgedeckt worden, welche die Wahlprüfung als nicht völlig ergebnislos erscheinen lassen.

  1. Die Wahlbehörden des Landes und der Städte meinen, das bloße Ausschalten der in die Wahlkabinen gerichteten Kameras sei eine ausreichende Maßnahme.
  2. Aufzeichnungen der Überwachungskameras können recht einfach gestartet werden.

Abschalten reicht und ist nicht unbedingt geboten

Die Landeswahlleiterin (und nun auch der Landtag) scheinen bloßes Abschalten als ausreichende Maßnahme anzusehen. Mehr fordert die Landeswahlleiterin nicht, nach deren Empfehlung Überwachungskameras „abgeschaltet, verhängt oder verschwenkt werden“ sollten. In dem uns vorliegenden Rundschreiben der Landeswahlleiterin vom 15. März 2010 (Erlass Videoüberwachung, PDF) erscheinen diese Maßnahmen nicht einmal als ein Muss, sondern nur als Empfehlung („sollten … nach Möglichkeit … sollte“). Ein eher lockerer Umgang der Gemeinden mit dieser Empfehlung ist daher nicht überraschend.

Nach Auffassung des Wahlprüfungsausschusses dagegen stehe in dem Schreiben allerdings verbindlich, „dass eine tatsächliche Überwachung des Wählers oder aber auch das Gefühl des Wählers, überwacht zu werden, auf jeden Fall zu vermeiden sei.“ Leider macht sich der Landtag diese Verbindlichkeit nirgends zu eigen. Die Aussage ist vielmehr ein Indiz einer eher oberflächen Prüfung durch den Ausschuss.

Überwachungskamera erfasste angeblich nicht alles

Mein konkreter und gravierendster Vorwurf, die Kameras würden in die Wahlkabinen zeigen und die geheime Wahl gefährden, wurde noch am Wahltag vom Wahlamt überprüft. Demnach sollen die Kameras im Wahllokal Sparkasse Duisburger Straße nicht die „Wahlhandlung“ – gemeint ist vermutlich nur das Ausfüllen und Falten des Stimmzettels – erfasst haben können. Wegen des mir gegenüber ausgesprochenen Fotografierverbots lässt sich die genaue Ausrichtung von Kameras und Wahlkabinen nicht mehr überprüfen. Der Wahlvorstand hatte darauf im übrigen auch nicht hingewiesen. Ich hatte viel mehr den Eindruck, dass auch die Wahlhelfer davon ausgegangen sind, dass die Kameras auch die Wahlhandlung hätten erfassen können. Für Wähler dürfte dies jedenfalls genauso wenig erkennbar gewesen sein wie der Betriebsmodus der Kameras.

Zum Betriebszustand der Überwachungskameras während der Wahl gibt es übrigens keine klare Aussage. Es bleibt offen, ob die Kameras in Betrieb waren (ohne aufzuzeichnen) oder nicht. Dass die Kameras nicht für Aufzeichnungen aktiviert wurden, wird nur angenommen. Durch den Wahlvorstand kontrolliert oder gar öffentlich überprüft wurde dies nicht.

Hinweis: Kameras können Aufzeichnungen speichern

Explizit wird eingeräumt, wie einfach eine Kameraaufzeichnung angefertigt werden kann:

„Daraufhin habe ein Mitarbeiter der Stadtsparkasse erklärt, dass die Kameras nur durch aktives Handeln einer berechtigten Person Aufzeichnungen speichern würden. Er habe darum gebeten diesen Hinweis nicht zu publizieren.“

Es gibt also einen Personenkreis, der Aufzeichnungen speichern kann. Die prinzipielle Unsicherheit zum Betriebszustand der Kameras bleibt. Niemand weiß, ob ein Berechtigter die Aufzeichnungen speichert.

Der Missstand wird mit der Aussage eher unbeabsichtigt aufgedeckt. Denn mit der Aussage wird versucht, diesen Zustand zu rechtfertigen. Hier scheint die Vorstellung zu herrschen, dass nur Zugriff hat, wer berechtigt ist, und dass Berechtigte über jeden Verdacht erhaben sind. Eine solche Aufassung erklärt auch, warum z. B. die Stadt Bochum – hier waren ca. 20 Wahllokale in Räumen der Sparkasse untergebracht – zu ihren Geheimmaßnahmen nichts sagen möchte.

Die Rechtfertigung setzt zudem einige Ebenen zu tief an. Es wird nicht darüber diskutiert, ob ein Bild elektronisch erzeugt und via Kabel oder Funk sonstwohin übertragen wird. Schon gar nicht ob dies öffentlich nachprüfbar ausgeschlossen werden kann. Mit „Aufzeichnungen speichern“ wird auch noch nebulös zwischen „Aufzeichnen“ und „Speichern“ unterschieden, was eine sprachliche Ungenauigkeit sein könnte, oder aber eine Unterscheidung zwischen Zwischenspeichern und sicherem Abspeichern.

Da es zum Betriebszustand der Überwachungskameras während der Wahl keine klare Aussage gibt, ist dieser entweder nicht überprüft worden oder das Ergebnis der Überprüfung ist eher peinlich gewesen. Nur zum höheren Intensitätsgrad beim Aufnehmen gibt es eine Vermutung. Mit öffentlicher Überprüfbarkeit hat das alles nichts mehr zu tun und darum äußert sich der Landtag auch nicht zu dieser Forderung.

Allerdings wird in dem Rundschreiben der Landeswahlleiterin vom 15.03.2010 mit dem Maßstab „Vertrauen der Wahlberechtigten, die nicht wissen können, ob eine Kamera eingeschaltet ist oder nicht, in die Integrität des Wahlvorgangs“ das Prinzip öffentlicher Überprüfbarkeit zumindest indirekt angesprochen.

Zulässigkeit der Raumüberwachung bleibt offen

Auch die Zulässigkeit der Raumüberwachung wird offen gelassen. Dies ist insoweit konsequent, wenn schon die Wahlkabinenüberwachung nicht völlig unzulässig ist. Dabei werden die konkreten Aussagen und Folgerungen der Wahlprüfung der bayerischen Landtagswahl 2009 in Münchberg heruntergespielt, nach der „in Wahlräumen keine Überwachungskameras angebracht sein dürfen“ nur als (bayerisch) organisatorisches Problem interpretiert, nicht als wahlrechtliches. Allerdings wird dann bei der Rechtfertigung eines Fotografierverbots vom Landtag selbst mit einem Argument gegen Raumüberwachung argumentiert, nach dem „Wahlwillige unter Umständen in ihrem Wahlentschluss negativ beeinflusst werden [könnten]“.

Fotografierverbot nicht geboten

Das im Wahllokal ausgesprochene Fotografierverbot wird für den konkreten Fall als „nicht … geboten“ eingeordnet. Es wird aber auch kein Anspruch auf eine Fotografiererlaubnis gesehen. Selbst die Dokumentation möglicher Wahlfehler soll der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl nicht erfassen. „Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl dürfte … nicht so weit reichen, dass Kandidaten bei der Stimmabgabe fotografiert werden dürfen oder der Ablauf der Wahl inklusive möglicher Wahlfehler dokumentiert wird.“ Die Einschränkung wird letztlich mit der geheimen Wahl bzw. der möglichen negativen Beeinflussung von Wahlberechtigten begründet, also Gefahren, die im konkreten Fall des leeren Wahllokals nicht vorlagen. Diese Begründung stellt allerdings die Videoüberwachung in Wahllokalen in Frage. Auch das Rundschreiben der Landeswahlleiterin an die Kreiswahlleiter zum Fotografieren im Wahllokal (Erlass Fotografieren in Wahllokalen, PDF) geht nicht über den Maßstab „ordnungsgemäße Ablauf des Wahlgeschäfts“ hinaus. Allerdings wird dieser Maßstab nicht als Entscheidungsgrundlage für ein Fotografierverbot gesehen, sondern diese wird praktisch dem freien Ermessen des Wahlvorstands überlassen. In der Praxis wird es damit dabei bleiben, dass Prominente im Wahllokal bei der Stimmabgabe fotografiert werden dürfen (auch bei zeitweiliger Beeinträchtigung der der Ordnung im Wahllokal), eine Dokumentation von Wahlfehlern aber unterbunden werden kann.

Wie viele betroffene Wahllokale gibt es nun?

Der Einspruch wird fälschlicherweise nur auf das eine Wahllokal in Düsseldorf bezogen und nicht auf alle Wahlräume in videoüberwachten Kreditinstituten. So bleibt dann auch die explizite Frage unbeantwortet, wie viele und welche Wahllokale mit Überwachungskameras (neben den ermittelten) ausgestattet waren. Die fünf Wahllokale in Düsseldorf werden erwähnt, die zwanzig in Bochum nicht und konkret benannte Verdachtsfälle aus den Wahlen im Vorjahr (Hilden, Erkrath, Ratingen) wurden gar nicht erst überprüft.

Maßnahmen? Keine!

Die einzige konkrete Maßnahme, die Verlegung des beobachteten Wahllokals, fällt damit sogar hinter die Maßnahmen in Münchberg und Bonn zurück. Aber hier wird auch kein Wahlfehler erkannt, sondern die Verlegung wird mit der Raumsituation begründet.

Der Hoffnung des Landeswahlausschusses, die Landeswahlleiterin werde „bei der nächsten Wahl […] entsprechende Hinweise geben, die sicherlich bei der Auswahl der Wahllokale beherzigt würden.“ kann man kaum folgen, wenn unklar bleibt, welche Hinweise unterblieben, welche gegeben werden sollten und welche nicht beherzigt wurden. Im übrigen war die Landtagswahl 2010 in Nordrhein-Westfalen schon die „nächste Wahl“ nach der Bundestagswahl 2009, bei der ein solcher Fall beklagt wurde und ausreichende Hinweise unterblieben.

Am Rande fällt in der Begründung das Fehlen der sonst praktisch immer vorhandenen Feststellung „Der Einspruch ist auch unbegründet“ auf. Verwirrend ist dagegen die Aussage „Weitere Beschwerden zu Wahllokalen in Düsseldorf liegen dort nicht vor“, denn auch die Piratenpartei hat wegen einer ähnlichen Beobachtung eines Kandidaten die Überwachungskameras in dem Wahllokal in einer Wahlbeschwerde gerügt (Dokument 15/45, PDF). Die Beschwerde der Piratenpartei zum selben Thema ist auch deshalb interessant, weil bei einer privilegierten Parteibeschwerde der Unzulässigkeitsvorwurf ins Leere läuft. (Einsprüche von einzelnen Wahlberechtigten sind nur zulässig, wenn mindestens 50 Unterstützungsunterschriften vorgelegt werden.)

Einspruch der Piratenpartei

Die Piratenpartei hatte sich darüberhinaus über eine falsche Auszählung in 100 konkret benannten Wahllokalen beschwert. Hier wurden Zweitstimmen für die Piratenpartei fälschlicherweise einer anderen Partei zugeordnet. Dies führte allerdings nicht zu einer Nachprüfung der Stimmzettel, sondern nur zu einer Überprüfung der Wahlniederschriften. So sind auch nur 13 Wahllokale aufgefallen, bei denen durch Übertragungsfehler Ergebnisse falsch ins Gesamtergebnis eingeflossen sind. Auch bei dieser Wahlprüfung sucht man vergeblich nach Maßnahmen für zukünftige Wahlen.

Hat der Landtag wirklich geprüft?

Zudem ist fraglich, ob der Landtag (bzw. der Ausschuss) die Landtagswahl geprüft hat, indem er die Beschlussvorschläge der Landeswahlleiterin 1:1 abnickte. Artikel 33 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen schreibt explizit vor, dass die Wahlprüfung Sache des Landtags ist. Es ist zweifelhaft, ob die reine Übernahme aller Vorlagen – ohne jede Aussprache, Nachfrage oder inhaltliche Auseinandersetzung – diesen verfassungsrechtlichen Ansprüchen genügt. Für das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht sind Indizien einer hinreichenden parlamentarischen Wahlprüfung die Erläuterung des Vorprüfungsberichts durch die Landeswahlleiterin, gezielte Fragen zu einzelnen Einsprüchen oder eine kontroverse Diskussion (LVerfG 1/10, S. 18 f., Rz 36). Von alledem hier keine Spur.

Gegen eine Prüfung durch den Ausschuss spricht auch die falsche Aussage zum Schreiben der Landeswahlleiterin (aus „nach Möglichkeit“ in der E-Mail wird ein „auf jeden Fall“ im Ausschussprotokoll). Und dies nachdem die Bemerkung im Ausschuss aufgrund meiner schriftlichen Stellungnahme mit konkreten Nachfragen zu genau diesem in der Ausschussvorlage erwähntem Schreiben erfolgte.

Eine tiefergehende Prüfung durch den Landtag wäre – wegen der vorgeschriebenen dreimonatigen Prüfungsfrist – bei dem gewählten Vorgehen auch gar nicht mehr möglich gewesen. Selbst ein bloßes Abweichen von der Vorlage – z. B. zur Beseitigung offensichtlicher Fehler in der Begründung – konnte man zum Zeitpunkt der 2. Sitzung des Wahlprüfungsausschusses als ein sportliches Unterfangen sehen.

Fazit

Ein Ziel des Wahleinspruchs war eine Absage des Landtags zu Überwachungskameras in oder hinter Wahlkabinen im Speziellen bzw. ein Bekenntnis zu Transparenz und dem Prinzip der Öffentlichkeit im Allgemeinen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Immerhin wurde dokumentiert, wie einfach heimliche Videoaufzeichnungen angefertigt werden können und wie niedrig die Maßstäbe bei den Wahlrechtsgrundsätzen sind. Die Art der Prüfung scheint dabei unabhängig von der Zulässigkeit der Einsprüche zu sein. Ich hatte beim Einspruch auf die formal notwendigen 50 Unterstützungsunterschriften verzichtet, da der Landtag in der Vergangenheit auch ohne diese Formalie den Sachverhält geprüft hatte. Der automatisch zulässige Einspruch der Piratenpartei wurde auf ähnliche Weise abgehandelt.

Hoffentlich fällt die Wahlprüfung des Deutsche Bundestag zu dem analogen Fall bei der Bundestagswahl in Bonn deutlicher aus.


von Martin Fehndrich (07.12.2010, letzte Aktualisierung am 12.12.2010)