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29.01.2007

Mündliche Verhandlung – Wahlprüfung der Abgeordnetenhauswahl 2006

Am Dienstag, den 30. Januar 2007, findet eine mündliche Verhandlung in den Wahlprüfungsverfahren zweier Kandidaten der Abgeordnetenhauswahl 2006 statt. Diese hatten nach der vorläufigen Sitzverteilung noch einen Sitz erhalten, gingen nach der endgültigen Sitzverteilung durch den Landeswahlaussschuss aber leer aus.

Hintergrund sind die unklaren Regelungen der Landeswahlordnung, die die Unterverteilung der Ausgleichsmandate regeln.

Die vorläufige Verteilung hatte zu einer ungleicheren Verteilung der Sitze geführt, hinter der Verteilung durch den Landeswahlausschuss läßt sich kaum ein sauber definiertes Verfahren erkennen.

Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber sollte bei einer Ausgleichszuteilung generell für eine klare Regelung sorgen (siehe Vorschläge von Wahlrecht.de). Allerdings ist das nicht nur ein Berliner Problem – in sich widersprüchliche und unklare Vorgaben finden sich etwa auch in den aktuellen Gesetzentwürfen für die nordrhein-westfälischen Wahlgesetze.

Die Verhandlung findet am Dienstag, den 30. Januar 2007, um 10.00 Uhr im Plenarsaal (Raum 240) des Kammergerichtsgebäudes, Elßholzstraße 30–33, 10781 Berlin-Schöneberg, statt.

Update – 10.02.2007

Nach der Anhörung des Verfassungsgerichtshofs vom 30. Januar 2007 wird nun am 19. Februar 2007 eine Entscheidung erwartet.

Klar ist, daß es keine Neuverteilung sämtlicher Mandate geben darf, denn die in der Grundverteilung durch das Wahlgesetz zugeteilten Sitze können nicht mehr wegnommen werden.

Strittig ist dagegen die Auslegung der LWO § 73 Abs. 6 d, speziell, ob es eine Anrechnung der schon zugeteilten Mandate an Bezirkslisten gibt (wie im endgültigen Ergebnis), oder nicht (wie im vorläufig Ergebnis).

Der Unterschied

Auch das Urteil von 2003 hilft hier nicht weiter, da auch damals eine Art Anrechnungsverfahren verwendet wurde, das das Gericht ausdrücklich akzeptiert hatte (Damals praktisch eine völlige Neuberechnung nach einem anderen Verfahren, was im Ergebnis dann auch zur anderen Verteilung der Sitze führte – vgl. Mängel 2001, nur die Umverteilung eines Sitzes wurde vom Gericht nicht gestattet).

Die strittige Auslegung ist folge eines unklaren Verweises von der Landeswahlordnung (LWO) zum Landeswahlgesetz (LWG). In der LWO steht Paragraph 73 (6) 4. ... Den Landes- und Bezirkslisten einer Partei werden die Ausgleichsmandate nach § 17 Abs. 3 des Landeswahlgesetzes zugeteilt. ...

Im LWG 17 (3) steht ... Die Gesamtzahl der nach Absatz 2 für jede Partei ermittelten Sitze wird für jeden Wahlkreisverband gesondert mit der Anzahl der Zweitstimmen in diesem Wahlkreisverband multipliziert und dann durch die Gesamtzahl ihrer Zweitstimmen aus allen Wahlkreisverbänden geteilt. ...

Strittig ist, ob Gesamtzahl in dem Verweis von LWO nach LWG nun die neue Gesamtzahl bedeutet (Anrechnungslösung wie engültige Verteilung), oder ob Gesamtzzahl im Sinne des Verweises nur noch die Zahl der Ausgleichsmandate einer Partei bedeuten soll (vorläufige Verteilung).

Offen ist auch, ob die Einschränkung bei der Gleichheit bedingt durch eine fehlende Anrechnung (vgl. Meldung vom 3. Oktober 2006) noch von der Verfassung gedeckt wäre.

Anrechnungsverfahren (Hare/Niemeyer) – Beispielrechnung

Das Anrechnungsverfahren kann man am Beispiel der FDP-Bezirkslisten so beschreiben, daß keine Sitze neuverteilt werden. Analog zum Quotenverfahren nach größten Resten berechnet man die Ansprüche auf alle Mandate (d.h. bei der FDP inkl. des Ausgleichsmandats 13). Von diesen werden die in der Grundverteilung vom Landeswahlgesetz zugeteilten 12 Sitze abzogen. Die Ausgleichsmandate gehen an die verbleibenden größten Ansprüche (d. h., an die Bezirksliste aus Tempelhof-Schöneberg). Das ist im Ergebnis grundsätzlich eine Verteilung nach Hare/Niemeyer, allerdings ohne, daß das Alamaba-Paradoxon zu einer Änderung bei den schon zugeteilten Sitzen führen kann.

FDP-BezirkslisteZweit-
stimmen
Relativer
Anteil
Grund-
zuteilung
Rest nach
Anrechnung
Ausgleichs-
mandate
Mandate
Gesamt
Mitte6.9740,86681-0,13321
Friedrichshain-Kreuzberg3.7060,46060,4606
Pankow7.5550,93901-0,06101
Charlottenburg-Wilmersdorf14.1681,76092-0,23912
Spandau7.7650,96511-0,03491
Steglitz-Zehlendorf18.3412,279620,27962
Tempelhof-Schöneberg13.0121,617210,6172 12
Neukölln8.0481,000310,00031
Treptow-Köpenick5.4870,68201-0,31801
Marzahn-Hellersdorf4.6230,57461-0,42541
Lichtenberg4.1300,51330,5133
Reinickendorf10.7861,340610,34061
Insgesamt104.59513,0000121,000013

Das Verfahren ist eine Auslegung von § 73 LWO. Und es ist auch nicht paradoxiefrei (vgl Meldung 2006). Besser wäre eine Verteilung der Ausgleichsmandate an die nächstgrößten Ansprüche nach Sainte-Laguë. Dann spart man sich auch die ganzen Fallunterscheidungen.


von Martin Fehndrich (letzte Aktualisierung: 16.02.2007, letzte Aktualisierung der Links: 20.02.2007)