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06.12.2006

NRW-Regierungskoalition will Wahlgesetze ändern

In Nordrhein-Westfalen haben sich die Koalitionsparteien CDU und FDP auf Änderungen bei den Wahlsystemen zu den Landtagswahlen und Kommunalwahlen geeinigt.

Das Kabinett wird sich voraussichtlich im Januar 2007 damit befassen. Eine Verabschiedung durch den Landtag ist dann für Mitte 2007 vorgesehen.

Analyse und Kommentar (mf)

Nun. Was gewinnt man mit einem Zweistimmenwahlrecht?

Eine zusätzliche, weitgehend wirkungslose Erststimme, deren Einfluß, wenn es ihn gäbe, demokratisch bedenklich wäre.

Warum sollen SPD-Wähler die Möglichkeit haben, mit der Erststimme zu bestimmen, welche CDU-Abgeordneten im Landtag sitzen sollen?

Für eine Partei selbst, hat der Gewinn eines Wahlkreises keinen praktischen Wert, es besteht sogar eine Reihe von Anreizen, einen Wahlkreis erst gar nicht zu gewinnen (vgl. Negativanreize: Warum Parteien Wahlkreisgewinne vermeiden sollten).

Einen Vorteil bringt die Regelung allenfalls für eine kleine Partei (u.a. die FDP als Koalitionspartner), die vielleicht hofft, nun mehr Zweitstimmen zu erhalten (Erststimmen sind für die FDP nicht nur wertlos, sondern wegen Chancenlosigkeit auch völlig irrelevant). Sollte sich diese Hoffnung erfüllen, ist allerdings mit noch mehr Überhang- und Ausgleichsmandaten in NRW zu rechnen.

Soweit es nur darum geht, die Kandidaturhürden für kleinere Parteien zu senken, so könnte man die Wahl einer Partei auch ohne Wahl eines Wahlkreiskandidaten oder Mehrfachkandidaturen zulassen, oder einfach die hohen Unterschriftenquoren in den Wahlkreisen (100 Unterschriften pro Wahlkreis) senken.

Die sog. personalisierte Verhältniswahl (mit einer oder auch mit zwei Stimmen) bietet dem Wähler eben keine echte personelle Auswahl. Hier wäre ein Wahlsystem wünschenswert, an dem der Wähler wirklich an der Auswahl der Politiker teilnehmen kann.

Unveränderter Handlungsbedarf beim Landtagswahlsystem

Allerdings besteht weiterhin Handlungsbedarf, um eine ganze Reihe von Regelungslücken, Unklarheiten und Paradoxien aus dem Nordrhein-Westfälischen Wahlsystem (Landtags- und Kommunalwahlrecht) zu verbannen.

Beim Kommunalwahlrecht scheint Mehr Demokratie nicht erwünscht zu sein

Die Entscheidungen auf ein Persönlichkeitswahlsystem mit kumulieren und panaschieren zu verzichten, und auch die Stichwahl bei den Direktwahlen der Verwaltungschefs zu streichen und damit auf kleine relative Zufallsmehrheiten zu setzen, bedeuten jeweils eine Schwächung der Persönlichkeitswahl bei Kommunalwahlen.

Die Initiative „Mehr Demokratie“ will daher im März 2007 eine Volksinitiative für ein demokratischeres Kommunalwahlrecht in Nordrhein-Westfalen starten (vgl. Meldung vom 22.10.2006).

Bei der Direktwahl wäre statt der Stichwahl ein Alternativstimmensystem zu wünschen. Diese würde bei nur einem Wahlgang ein Mehr an Demokratie (im Vergleich zur Stichwahl) bringen (vgl. IRV).

Sinnvoll erscheint die Einführung einer Einsitzhürde bei den Kommunalwahlen, die nun die Eintritthürde für den ersten Sitz sauberer und höher definiert als die derzeit wirkende faktische Sperrhürde. So kann die "faktische Sperrhürde" bedingt durch das Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer) bei 74 Sitzen und 11 antretenden Parteien anhängig vom Ergebnis der anderen Parteien irgendwo zwischen 0,123% und 1,23% liegen. Hier hat ein Umdenken stattgefunden und sich die Meinung durchgesetzt, daß Parteien mit einem halben Prozent der Stimmen (wie beispielsweise in Duisburg) nicht unbedingt im Gemeinderat vertreten sein sollten. Auch hier sollte man einen Wechsel des Berechnungsverfahrens erwägen. Bei Verwendung des Divisorverfahrens mit Standardrundung (Sainte-Laguë) könnte man auf eine explizite Sperrklausel für den ersten Sitz verzichten und stattdessen (wie beim modifizierten Sainte-Laguë in Skandinavien) den ersten Divisor passend festsetzen.

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von Martin Fehndrich (letzte Aktualisierung: 07.12.2006)