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12.10.2002

Wahleinsprüche gegen Wertung der Ost-Berliner Stimmen

Nach Angaben des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, werden mehrere Berliner Wahlberechtigte Einspruch gegen das amtliche Wahlergebnis erheben. Es geht dabei um die Wertung der Zweitstimmen derjenigen Wähler, die mit ihrer Erststimme die PDS-Kandidatinnen Pau und Lötzsch gewählt haben (siehe Meldung vom 9.10.). Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung werde Kauder nun doch nicht selbst einen Wahleinspruch einlegen.

Wie berichtet, hofft die Union, bei Erfolg der Einsprüche nach Zweitstimmen noch an der SPD vorbeizuziehen. Dabei wird aber übersehen, daß die betroffenen Zweitstimmen ggf. zwar bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt werden, dadurch aber nicht ungültig werden oder gar als nicht abgegeben gelten. Nach § 78 der Bundeswahlordnung enthält das offizielle Wahlergebnis sowohl die nicht bereinigten Zweitstimmenzahlen als auch die durch Abzug der betroffenen Zweitstimmen bereinigten Zahlen. Soweit den absoluten Zweitstimmenzahlen abgesehen von der Sitzverteilung eine rechtliche Relevanz zukommt - z.B. bei der staatlichen Parteienfinanzierung oder der Reihenfolge der Parteien auf dem Stimmzettel bei der nächsten Wahl - betrifft dies jedoch stets die abgegebenen gültigen Zweitstimmen, also inkl. der ggf. gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 nicht bei der Sitzverteilung zu berücksichtigenden Zweitstimmen.

Es ist also zweifelhaft, ob die Union den ohnehin nur symbolischen Erfolg, mehr Zweitstimmen als die SPD erhalten zu haben, überhaupt für sich reklamieren könnte, falls denn den Einsprüchen stattgegeben würde. Mögliche Forderungen wie etwa die nach dem Amt des Bundestagspräsidenten sind jedenfalls kaum angemessen.

Auch davon abgesehen haben die Einsprüche wenig Aussicht auf Erfolg. Angesichts des klaren Wlaren Wortlauts von § 6 Abs. 1 Satz 2 wäre es nicht zu vertreten, den betroffenen Wählern einen Teil ihres Stimmerfolgs nachträglich abzuerkennen, ohne daß sie dieses Risiko vor der Wahl hätten einkalkulieren müssen. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht im Überhangmandatsurteil von 1997 seine Auffassung aus dem Jahre 1988 indirekt widerrufen (siehe Meldung vom 9.10.). Und schließlich stellt sich die Frage der Mandatsrelevanz, die nach ständiger Rechtsprechung Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Wahleinspruch ist.

Wie auch immer, bis zu einer etwaigen Korrektur des Wahlergebnisses würde voraussichtlich mindestens zwei Jahre ins Land ziehen. Zunächst einmal muß der Bundestag mit einfacher Mehrheit über den Einspruch entscheiden. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse wird er dem Einspruch wohl kaum stattgeben. Erfahrungsgemäß dauert es rund ein Jahr, bis der Bundestag über die eingegangenen Wahleinsprüche (nach Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses) entschieden hat. Erst danach ist es möglich, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben, das im Normalfall mindestens ein weiteres Jahr benötigt, bis es zu einer Entscheidung kommt.


von Wilko Zicht