Single Transferable Vote (STV, Übertragbare Einzelstimmgebung)
STV beschreibt ein Personenstimmgebungsverfahren, bei dem jeder Wähler nicht nur eine Stimme für den Kandidaten seiner
Wahl hat, sondern alle Kandidaten nach seiner persönlichen Präferenzliste ordnen kann.
Der Wähler hat eine Stimme für einen Kandidaten, die auf andere Kandidaten übertragen werden kann, wenn
der gewählte Kandidat die Stimme für seine Wahl nicht braucht (da er mehr als genug Stimmen hat) oder nicht brauchen kann
(da er insgesamt zuwenig Stimmen erhalten hat).
Single Transferable Vote ist eine Familie von Stimmgebungsverfahren, für die gilt:
- jeder Wähler kann seine Stimme dem Kandidaten seiner Wahl geben.
- wenn ein Kandidat mehr als genug Stimmen erhält, wird der Stimmenüberschuß an die nächst folgenden Kandidaten der
Präferenzliste der Wähler übertragen.
- Wenn ein Kandidat durch das Auszählverfahren gestrichen wird, werden die ihm schon zugeordneten Stimmen auf den
nächsten Kandidaten der Präferenzliste übertragen.
Vorteile/Eigenschaften
- Das Verfahren ist proportional in Bezug auf jede Eigenschaft, nach der die Wähler die Kandidaten bewerten.
Das heißt, wenn ein Teil der Wähler eine Gruppe von Kandidaten geschlossen über alle anderen wählt, so entfallen auf diese
Gruppe mindestens soviele Sitze, wie dem proportionalen (abgerundeten) Anteil dieser Wähler entspricht.
Die Proportionalität kann sich auch auf Teile wie beispielsweise einem Parteiflügel oder dem Frauenanteil einer Partei
erstrecken.
- Wahrlich personalisierte Verhältniswahl, weil hier sowohl Verhältniswahl als auch Persönlichkeitswahl verwirklicht
werden.
- Freie Stimmabgabe ohne Gefahr, daß Stimme an chancenlosen Außenseiter verschwendet wird.
- Reduziert taktische Stimmabgabe, begünstigt aufrichtige Wahl
- Gleichbehandlung aller Kandidaten (parteigebundener und unabhängiger)
- Minimiert Zahl verlorener Stimmen – hohe Sicherheit, daß Stimme einem gewählten Kandidaten zugute kommt.
- Stärkere Bindung des Wählers mit dem persönlich von ihm gewählten Abgeordneten.
- Macht bei den Wählern (im Gegensatz zur Listenwahl oder Wahl im Einerwahlkreis)
- Keine Manipulationsmöglichkeit der Listenreihenfolge im Vergleich zur freien Liste/Personenwahl (einige Kommunalwahlen
in D.)
Nachteile
- relativ kompliziertes Auszählverfahren, nicht für jeden nachvollziehbar
- aufwendig bei manueller Auszählung
- komplexe Darstellung des Wahlergebnisses (im Vergleich zu Stimmen pro Kandidat)
- Partei verliert Kontrolle über Reihenfolge der Kandidaten. Es gibt keine sicheren Listenplätze/sichere Wahlkreise
- Überforderung der Wähler, wenn dieser die Kandidaten nicht kennt. Es gibt kein Parteikreuz.
- Problematisch Nachrücker/Nachwahl, falls Abgeordneter ausscheidet.
- Unpraktikabel bei vielen Kandidaten
Unterschiede der verschiedenen STV-Verfahren
Die verschiedenen STV-Methoden unterscheiden sich darin
- wie groß der Stimmenüberschuß (bzw. die notwendige Anzahl von Stimmen) ist – vgl. Hare-Quota, Droop-Quota – (Quoten).
- wie genau, welcher Teil des Stimmenüberschusses übertragen wird
(Übertragungsverfahren).
- welcher Kandidat wann, während des Auszählprozesses gestrichen wird
(Streichungsregeln).
Quote
Die Quote ist der für einen Sitz notwendige Stimmenanteil.
Insbesondere gibt es die
Hare-Quota: abgerundet [ Gesamtstimmenzahl / Gesamtsitzzahl] +1
Droop-Quota: abgerundet [Gesamtstimmenzahl / (Gesamtsitzzahl+1)] +1
- Die Quote liegt notwendigerweise zwischen der Droop- und der Hare-Quota.
Mehr als die Hare-Quota macht keinen Sinn, da die letzten Sitze ganz billig werden, bzw. weil zuwenig Sitze insgesamt
verteilt würden
Weniger als Droop-Quote macht keinen Sinn, weil sonst zuviele Sitze verteilt würden.
- In der Regel wird die Droop-Quote verwendet.
- Die Quote kann in jedem Auszählschritt neuberechnet werden. (Dadurch werden nicht übertragbare/ausgeschiedene
Stimmen mitberücksichtigt.)
- Die Droop-Quote ist die kleinste Quote, wenn mehrere Kandidaten diese Stimmenzahl haben, die Gesamtsitzzahl nicht
überstiegen wird.
- Die Hare-Quote führt zwangsläufig dazu, daß der letzte Kandidat die Quote nicht voll erreichen kann.
Koalitionsgegenbeispiel: 3 zu verteilende Sitze und 48 Stimmen mit folgenden Präferenzlisten:
16 AB CD
10 BA DC
11 CD AB
11 DC BA
Bei Hare würde die Mehrheitskoalition AB nur eine Minderheit an Sitzen erhalten (Beispiel von Tidemann).
Übertragungsverfahren
Beim Irischen System (manuelle Auszählung) werden die Stimmzettel eines Gewählten nach Zweitpräferenzen geordnet und
entsprechend dem proportionalen Anteil Stimmzettel mit den überschüssigen Stimmen übertragen. (Die Übertragung erfolgt in
Bezug auf die Drittpräferenzen zufällig!)
Die Stimmen gestrichener Kandidaten gehen an die nächste noch nicht gewählte und nicht gestrichene Folgepräferenz.
Bei der Newland-Britton-(Britain-?)Methode werden von allen Stimmzettel Bruchteile übertragen, so daß das Wahlergebnis
nicht mehr von der Auzählreihenfolge abhängen kann.
Hieraus ergibt sich als eine Strategie die Erstpräferenz einem chancenlosen Kandidaten zu geben, von dem zu
erwarten ist, daß er nicht gewählt wird. Dadurch kann sichergestellt werden, daß man seine Stimme nicht für einen
Kandidaten verbraucht, der ihr für seine Wahl nicht bedarf.
Um diese Strategie/Taktik auszuhebeln, werden in ausgefeilteren Übertragungsverfahren (bsp. Meek,
Warren) Stimmen gestrichener Kandidaten auch an schon gewählte Kandidaten übertragen – mit
entsprechender Neuberechnung der bisdahin durchgeführten Stimmenübertragungen.
Dies ist fairer, da der Einfluß durch übertragene Stimmen über alle zum Überschuß Beitragende verteilt wird.
Meek: Für jeden gewählten Kandidaten wird ein Behaltanteil fi berechnet. Das
heißt, von einer Stimme (oder Stimmenbruchteil) an den Kandidaten i wird ein Anteil fi für
dessen Wahl verbraucht. Der restliche Anteil 1-fi wird übertragen.
Warren: Für jeden gewählten Kandidaten wird ein "Preis" pi berechnet – jeder dessen Stimmen an diesen Kandidaten übertragen werden, stimmt mit diesem Stimmenanteil bevor der Reststimmenanteil übertragen wird.
Streichungsregeln
Verbreitet ist die Cincinatti-Regel. Der Kandidat mit den wenigstens Stimmen wird gestrichen und seine Stimmen werden übertragen.
Allerdings werden auch andere Streichungsmethoden (CPO-STV, Tidemann 1995 paired comparison of outcome) diskutiert um zu vermeiden, daß ein Kandidat, auf den zu einem späteren Zeitpunkt eine Mehrheit an Stimmen übertragen wird, zu früh gestrichen wird.
Auszählverfahren (allgemeines Schema)
- Quote berechnen
- der Kandidat, dessen Stimmenzahl die Quote erreicht oder übersteigt, ist gewählt.
- die überschüssigen Stimmen der gewählten Kandidaten werden an die nächsten Präferenzen übertragen.
- wenn kein Kandidat gewählt wurde, wird der Kandidat mit der geringsten Unterstützung gestrichen. Seine Stimmen werden
an die nächsten Präferenzen übertragen.
Diese Schritte werden solange wiederholt, bis soviele Kandidaten wie zu wählen sind, gewählt sind, bzw. die Zahl der
noch zu verteilenden Sitze gleich der Zahl der verbleibenden Kandidaten (die damit dann gewählt sind) ist.
Darstellung des Wahlergebnisses
Eine einfache Darstellung im Sinne von Stimmen pro Kandidat oder pro Partei ist bei STV nicht möglich. Die Darstellung
des Wahlergebnisses vollzieht vielmehr den Auszählprozeß nach, mit Angabe von:
- der Zahl der Erstpräferenzen + übertragenden Stimmen an jeder Stelle des Auszählprozesses,
- der Anzahl der gültigen/ungültigen/übertragenen Stimmen an jeder Stelle des Auszählprozesses,
- der Quote,
- der gewählten Kandidaten an der jeweiligen Stelle im Auszählprozesses,
- gestrichene Kandidaten an der jeweiligen Stelle im Auszählprozesses und
- ggfs. Übertragungsfaktoren an jeder Stelle des Auszählprozesses.
Links