Listenverbindung

[Wahlrechtslexikon]

Definition

Eine Listenverbindung ist ein Zusammenschluss von Listen zu einer größeren Einheit, die bei einer Wahl antritt. So schließen sich bei der Bundestagswahl die Landeslisten einer Parteien zu eine „Bundesliste“ zusammen und treten im ersten Schritt der Sitzzuteilung als eine Liste auf. Im zweiten Schritt erfolgt dann eine Unterverteilung auf die einzelnen verbundenen Listen.

Vorteile

  1. Bessere Reststimmenverwertung:
    Wenn ein, kleine Parteien und Wählervereinigungen benachteiligendes Verfahren, wie z. B. das Divisorverfahren mit Abrunden (D’Hondt/Hagenbach-Bischoff), verwendet wird, entsteht den Parteien/Listen ein Vorteil, wenn sie sich zusammenschließen. Anschaulich kann man sich dadurch verdeutlichen, dass die sonst verlorenen Reststimmen der Listen einer Verbindung zusammengefasst werden und für weitere Sitze gut sein können.

    Wenn allerdings ein neutrales Verfahren, wie das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë) oder das Quotenverfahren mit Restsitzverteilung nach größten Resten (Hare-Niemeyer) verwendet wird, ist kein Vorteil für eine verbundene oder nicht verbundene Partei zu erwarten (wie derzeit bei der Bundestagswahl), im Einzelfall kann es sich für eine Partei daher als vorteilhaft oder als schädlich erweisen. Der Schaden kann dadurch entstehen, dass eine Liste bei Reststimmen für einen halben Sitz durch Aufrundung einen ganzen Sitz dafür bekommen kann. Bei zwei Parteien mit einem halben Sitzrest geht ein Rest für eine Partei verloren.
     
  2. Vereinfachtes Überwinden einer Sperrklausel
    In Deutschland ist dies allerdings nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig.
    Ein Wahlgesetz, das es Parteien ermöglicht, ihre Landeslisten zu verbinden, um als bloße Zählgemeinschaft die 5 v. H.-Klausel zu überwinden (Listenverbindung), gewichtet – anders als eine Regelung, die es Parteien erlaubt, eine gemeinsame Liste aufzustellen Listenvereinigung) –, den Erfolg von Wählerstimmen ohne zwingenden Grund ungleich und verstößt daher gegen den Grundsatz der Wahl- und Chancengleichheit. (BVerfGE 82, 322)
    In Polen gibt (oder gab) es für Parteien und Listenverbindungen unterschiedliche Sperrklauseln von 5 bzw. 8 Prozent.
     
  3. Proportionalere Verteilung,
    wenn die Listenverbindungen als solche und nicht die einzelnen Listen (z. B. einzelne Landeslisten bei der Bundestagswahl) vorrangig dem Proporz unterworfen sein sollen.

Einteilung

Listenverbindungen kann man grob in drei Kategorien einteilen:

  1. Listenvereinigungen
  2. Listenverbindungen innerhalb einer Partei
  3. Listenverbindungen verschiedener Parteien

Listenverbindungen gibt es bei der Bundestagswahl für die Landeslisten einer Partei, bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Berlin für die Bezirkslisten einer Partei. In diesen Fällen werden durch die Listenverbindung die nicht direkt konkurrierenden Unterlisten einer Partei zusammengefasst.

Listenverbindungen verschiedener Parteien sind bei Kommunalwahlen in Bayern, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen möglich. In Niedersachsen wurden Listenverbindungen verschiedener Parteien 2006 abgeschafft. In der Schweiz können verschiedene Parteien ihre Listen verbinden. Eine Partei kann zusätzlich konkurrierende Unterlisten aufstellen, die dann automatisch verbunden sind.

Sitzverlust durch Listenverbindung

Listenverbindungen lassen nur dann eindeutig einen Vorteil bei der Sitzverteilung erwarten, wenn ein Verteilungsverfahren verwendet wird, das große Parteien gegenüber kleinen bevorteilt. Interessanterweise wird bei Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen jedoch das unverzerrte Quotenverfahren mit Ausgleich nach größten Resten (Hare/Niemeyer) verwendet. Dadurch kann es sogar passieren, das die an der Listenverbindung beteiligten Parteien aufgrund der Listenverbindung zusammen weniger Sitze erhalten, so zum Beispiel bei der Stadtratswahl in Merseburg (Sachsen-Anhalt):

Stadtratswahl Merseburg am 7. Juni 2009 – Listenverbindung von STATT Partei, NEUES FORUM und DSU

  ohne Listenverbindung mit Listenverbindung
Stimmen Sitz-
anspruch
Sitze Stimmen Sitz-
anspruch
Sitze Diff.
CDU9.71713,28 139.71713,2813 ± 0
SPD7.0779,67 107.0779,6710 ± 0
GRÜNE8741,19 18741,191 ± 0
FDP2.4493,35 32.4493,354+ 1
DIE LINKE5.9698,16 85.9698,168 ± 0
STATT Partei2.6053,56 43.1774,34 4– 1
NEUES FORUM2340,32 0
DSU3380,46 1
Gesamt29.26340 4029.2634040 ± 0

Auf die Listenverbindung aus STATT Partei, NEUES FORUM und DSU sind somit nur vier Sitze entfallen, während sie insgesamt fünf Sitze erhalten hätten, wenn sie getrennt angetreten wären. Bei der Unterverteilung der vier Sitze auf die Listenverbindung entfallen drei Sitze auf die STATT Partei (Sitzanspruch 3,28) und ein Sitz auf die DSU (Sitzanspruch 0,43). Die STATT Partei hat durch die eingegangene Listenverbindung also einen Sitz an die FDP verloren.

Verfassungsrechtliche Unterscheidung Listenverbindung – Listenvereinigung

In einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 82, 322) wird eine juristische Unterscheidung zwischen „Listenverbindung“ und „Listenvereinigung“ gemacht, die sich nicht mit den üblichen technischen Beschreibungen deckt.

Eine Listenverbindung ist demnach eine bloße Zählgemeinschaft zur Überwindung einer Sperrklausel (nach BVerfGE 82, 322 wegen der ungleichen Stimmengewichtung verboten), eine Listenvereinigung ist eine von mehreren Parteien aufgestellte Liste (wäre nach dem Grundgesetz erlaubt).

Damit erteilte das Bundesverfassungsgericht einer durch das Wahlgesetz für die Bundestagswahl 1990 erlaubten Listenverbindung von Listen zweiter Parteien (z. B. CSU in Bayern und DSU in den neuen Ländern, aber auch West- und Ost-GRÜNEN) eine Absage.

Andererseits wurde eine Listenvereinigung, ein gemeinsamer Wahlvorschlag verschiedener Parteien und politischer Vereinigungen, als verfassungsgemäß angesehen. Die Zulassung von Listenvereinigungen für Parteien und politische Vereinigungen, soweit sie im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ihren Sitz hatten, wurde für die Bundestagswahl 1990 explizit empfohlen. Die in den neuen Ländern kandidierende Listenvereinigung aus Bündnis 90 und (Ost-)GRÜNE konnte so mit mehr als 5 % der Stimmen im Gebiet der neuen Bundesländer in den 12. Deutschen Bundestag einziehen.

Die ehemaligen Verfassungsrichter Graßhoff und Klein, die das o. g. Urteil mittrugen, vertreten in einem Zeitungsartikel der FAZ vom 6. August 2005 die Meinung, eine Kandidatur von Mitgliedern einer Partei auf der Liste einer anderen Partei (konkret Mitglieder der WASG auf Landeslisten der Linkspartei.PDS), sei eine verbotene Listenverbindung. Die Linkspartei.PDS vertritt dagegen die Auffassung, dass es sich streng nach Wahlgesetz einzig um von Mitgliedern der Linkspartei.PDS aufgestellten Landeslisten handele, für die Mitglieder der WASG mit wechselndem Erfolg kandidiert haben, auf deren Zusammensetzung die Mitglieder der WASG aber keinen Einfluss hätten.

Umgehung des Listenverbindungsverbot: NRW-Landesliste des Zentrums mit CDU-Kandidat

Wie man ein Listenverbindungsverbot auf rechtlich fragwürdige Weise umgehen kann, zeigt das Beispiel der Landesliste des Zentrums in Nordrhein-Westfalen (NRW) bei der zweiten Bundestagswahl 1953. Hier kandidierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Heix auf Listenplatz 2 der Zentrumsliste, obwohl auch die CDU in NRW mit einer eigenen Landesliste kandidierte. Hintergrund war eine Wahlabsprache, dass die CDU bzw. Heix nicht im Wahlkreis Oberhausen kandidierte und die Wahl des Direktkandidaten der Deutschen Zentrum Partei empfahl. Der Zentrumskandidat gewann den Wahlkreis und das Zentrum zog über die Grundmandatsklausel in den 2. Deutschen Bundestag ein. Das Zentrum erhielt drei Sitze, davon einen Sitz für den CDU-Kandidaten Heix, der anschließend wieder – seiner Parteizugehörigkeit und nicht seiner Kandidatur entsprechend – Mitglied der CDU/CSU-Fraktion wurde.


von Martin Fehndrichund Wilko Zicht  (2000, letzte Aktualisierung: 05.06.2010)