Listensprung

[Wahlrechtslexikon]

Definition

Listensprung nennt man bei einem Wahlsystem mit einer Mindestvertretung für Minderheiten eine listenübergreifende Sitzverschiebung, wenn zur Erfüllung der Minderheitenvertretung Sitze von einer Liste an eine andere gehen.

Beispiel Betriebsratswahlen in Deutschland nach dem BetrVG

Seit 2001 (2002) gibt es im Betriebsverfassungsgesetz eine Minderheitenklausel, die dem Minderheitengeschlecht eine Mindestsitzzahl garantiert. Bei der Bestimmung der Mindestsitzzahl gibt es eine Regelungslücke,

Um die Minderheitenbedingung zu gewährleisten, werden die (nach D'Hondt) letzten Sitze an die noch zu berücksichtigende Minderheit verteilt, d.h. der Sitz geht jeweils an den nächsten nichtberücksichtigten Minderheitenkandidat auf der Liste. Sollte es keinen nichtberücksichtigten Minderheitenkandidat mehr auf der Liste geben kommt es zum Listensprung. Der Sitz geht an den nächsten nichtberücksichtigten Minderheitenkandidat der Liste mit der nächsten Höchstzahl. usw.

Gleichheit der Wahl

Der Listensprung führt zu einer unproportionalen Sitzverteilung und beeinträchtigt damit das Prinzip der Gleichheit der Wahl.

Ob und wieweit diese Gleichheitsverletzung hingenommen werden kann, wird von Gerichten noch nicht einheitlich gesehen:

Offen ist damit auch die Frage, ob die Gleichheitsverletzung dann verfassungswidrig ist, wenn eine Liste, deren Minderheitenkandidaten strategisch ungünstig nur auf den ersten Listenplätzen kandidieren, unter einem Listensprung leidet (Beispiel s.u.). Dies könnte der Fall sein, wenn man wohl in der Minderheitenvertretung einen die Gleichheitsverletzung rechtfertigenden zwingenden Grund sieht, der aber nicht die Bestrafung einer ungeschickten Kandidatur (Minderheiten vorne) rechtfertigt.

Strategie bei der Kandidatur

Die ungeschickte derzeitige Regelung stellt damit einen Anreiz dar, die Minderheitenkandidaten nur auf aussichtslosen Listenplätze aufzustellen.

Auch das LAG Köln bemängelt, daß man durch Platzierung des Minderheitsgeschlechts auf hinteren Listenplätzen die Situation des Listensprungs manipulativ herbeiführen kann.

Ungeschickte Regelung

Beispiel:
Minderheit: m mit mind. 3 Sitze (von 7)
Liste A: m vor:         m m w w w 
Liste B: m nach hinten: w w w w w w w w w w w m 

D.h. Liste A stellt alle Minderheitenkandidaten an den Anfang der Liste, Liste B stellt
einen Minderheitenkandiaten ans aussichslose Ende der Liste.

Liste A: 51 Stimmen
Liste B: 49 Stimmen

Divisor: 12,5 Stimmen/Sitz
Letzter Sitz an Liste A
Sitzreihenfolge (nach d'H)  A-B-A-B-A-B-A   - B-A-B-A ....  

Damit erhielte Liste A vier Sitze, Liste  B drei Sitze.
Aber Liste A hat keinen Minderheitenkandiaten  mehr als Nachrücker (denn diese sitzen schon im BR),
also geht der Sitz an den Minderheitenkandidaten der Liste B.

Der Listensprung belohnt also in erster Linie nicht das Aufstellen von Minderheitenkandidaten, 
sondern vor allem das Aufstellen von Minderheitenkandidaten auf aussichtslosen Listenplätzen.

Der Listensprung entfällt, wenn die Liste ausreichend Kandidaten des Minderheiten aufgestellt hat, diese aber auf vorderen Listenplätzen schon gewählt sind. In diesem Fall wird die Sitzverteilung unter der Prämisse vorgenommen, der entsprechende Minderheitenkandidat würde auf einen hinteren Listenplatz kandideren.

Im Beispiel würde die interne Verschiebungspflicht von Liste A an Liste B weitergereicht. Dort würde der schlechtplatzierte Minderheitenkandidat vorrücken.

Eine solche Regelung würde Listensprünge verringern, und letztlich nur die Listen ohne ausreichend Kandidaten des Minderheitengeschlechts bestrafen, und nicht die, die diese nur strategisch ungünstig auf vorderen Listenplätzen platziert haben.


von M. Fehndrich Letzte Aktualisierung: 01.01.2007