Dreiklassenwahlrecht (Zweite Kammer)

[Dreiklassenwahlrecht]

Verordnung über die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849

Wir, Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen u.u. verordnen in Ausführung der Artikel 67 bis 74 und Aufgrund des Artiekls 105 der Verfassungs-Urkunde, auf den Antrag Unseres Staatsministeriums, daß statt des Wahlgesetzes für die Abgeordneten der Zweiten Kammer vom 6ten Dezember 1848 die nachfolgenden näheren Bestimmungen zur Anwendung zu bringen sind:

§ 1.

Die Abgeordneten der Zweiten Kammer werden von Wahlmännern in Wahlbezirken, die Wahlmänner von den Urwählern in Urwahlbezirken gewählt.

§ 2.

Die Zahl der in jedem Regierungsbezirk zu wählenden Abgeordneten weist das anliegende Verzeichnis aus.

§ 3.

Die Bildung der Wahlbezirke ist nach Maßgabe der durch die ltzten allgemeinen Zählungen ermittleten Bveölkerung von den Regierungen dergestalt zu bewirken, daß von jedem Wahlkörper mindestens zwei Abgeordnete zu wählen sind. Kreise, die zu verschiedenen Regierungsbezirken gehören, können ausnahmsweise durch den Ober-Präsidenten zu einem Wahlbezirk vereinigt werden, wenn es nach der Lage und den sonstige Verhältnissen der ersteren nötig erscheint.

§ 4.

Auf jede Vollzahl von 250 Seelen ist ein Wahlmann zu wählen.

§ 5.

Gemeinden mit weniger als 750 Seelen, sowie nicht zu einer Gemeinde gehörende bewohnte Besitzungen, werden von dem Landrate mit einer oder mehreren benachbarten Gemeinden zu einem Urwahlbezirk vereinigt.

§ 6.

Gemeinden von 1750 oder mehr als 1750 Seelen werden von der Gemeinde-Verwaltungsbehörde in mehrere Urwahlbezirke geteilt. Diese sind so einzurichten, daß höchstens 6 Wahlmänner darin zu wählen sind.

§ 7.

Die Urwahlbezirke müssen, soweit es tunlich ist, so gebildet werden, daß die Zahl der in einem jeden derselben zu wählenden Wahlmänner durch drei teilbar ist.

§ 8.

Jeder selbständige Preuße, welcher das 24ste Lebensjahr vollendet und nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte in Folge rechtskräftiger richterlichen Erkenntnisses verloren hat, ist in der Gemeinde, worin er seit sechst Monaten seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter Urwähler, sofern er nicht aus öffenltichen Mitteln Armen-Unterstützung erhält.

§ 9.

Die Militärpersonen des stehenden Heeres und die Stamm-Mannschaften der Landwehr wählen an ihrem Standorte, ohne Rücksicht darauf, wie lange sie sich an demselben vor der Wahl aufgehalten haben. Sie bilden, wenn sie in der Zahl von 750 Mann oder darüber zusammenstehen, einen oder mehrere besondere Wahlbezirke. Landwehrpflichtige, welche zur Zeit der Wahlen zum Dienste sind, wählen an dem Orte ihres Aufenthaltes für ihren Heimat-Bezirk.

§ 10.

Die Urwähler werden nach Maßgabe der von Ihnen zu entrichtenden direkten Staatssteuern (Klassensteuer, Grundsteuer, Gewerbesteuer) in 3 Abteilungen geteilt, und zwar in der Art, daß auf jede Abteilung ein Drittel der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller Urwähler fällt.
Die Gesamt-Summe wird berechnet:
a) gemeindeweise, falls die Gemeinde einen Urwahlbezirk für sich bildet oder in mehrere Unterwahlbezirke geteilt ist (§6).
b) bezirksweise, falls der Urwahl-Bezirk aus mehreren Gemeinden zusammengesetzt ist (§ 5).

§ 11.

Wo keine Klassensteuer erhoben wird, tritt für dieselbe zunächst die etwas in Gemäß der Verordnung vom 4. April 1848 anstatt der indirekten eingeführte direkte Staatssteuer ein
Wo weder Klassensteuer, noch klassifizierte Steuer auf Grund der Verordnung vom 4. April 1848 erhoben wird, tritt an Stelle der Klassensteuer die in der Gemeinde zur Hebung kommende direkte Kommunalsteuer.
Wo auch eine solche ausnahmsweise nicht besteht, muß von der Gemeinde-Verwaltung nach den Grundsätzen der Klassebsteuer-Veranlagung eine ungefähre Einschätzung bewirkt und der Betrag ausgeworfen werden, welchen jeder Urwähler danach als Klassensteuer zu haben würde.
Wird die Gewerbesteuer von einer Handels-Gesellschaft entrichtet, so ist die Steuer behufs Bestimmung, in welche Abteilung die Gesellschafter gehören, zu gleichen Teilen auf dieselben zu repartieren.

§ 12.

Die erste Abteilung besteht aus den Urwählern, auf welchen die höchsten Steuerbeträge bis zum Belaufe eines Dritteils der Gesamtsteuer (§10) fallen.
Die zweite Abteilung besteht aus den urwählern, auf welche die nächst niedrigeren Steuerbeträge bis zur Grenze des zweiten Drittels fallen.
Die dritte Abteilung besteht aus den am niedrigsten besteuerten Urwählern, auf welche das dritte Dritteil fällt. In diese Abteilung gehören auch diejenigen Urwähler, welche keine Steuer zahlen.

§ 13.

So lange der Grundsatz wegen Aufhebung der Abgaben-Befreiung in bezug auf die Klassensteuer und direkte Kommunalsteuer noch nicht durchgeführt ist, sind die zur zeit noch befreiten Urwähler in diejenige Abteilung aufzunehmen, welcher sie angehören würden, wenn die Befreiung bereits aufgehoben wären.

§ 14.

Jede Abteilung wählt ein Drittel der zu wählenden Wahlmänner.
Ist die Zahl der in einem Urwahlbezirk zu wählenden Wahlmänner nicht durch 3 teilbar, so ist, wenn nur 1 Wahlmann übrig bleibt, dieser von der zweiten Abteilung zu wählen, Bleiben 2 Wahlmänner übrig, so wählt die erste Abteilung den einen und die dritte Abteilung den anderen.

§ 15.

In jeder Gemeinde ist sofort ein Verzeichnis der stimmberechtigten Urwähler (Urwählerliste) aufzustellen, in welchem bei jedem einzelnen Namen der Steuerbetrag angegeben wird, den der Urwähler in der Gemeinde oder in dem aus mehreren Gemeinden zusammengesetzten Urwahlbezirk zu entrichten hat. Dieses Verzeichnis ist öffentlich auszulegen, und daß dies geschehen, in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. Wer die Aufstellung für unrichtig oder unvollständig hält, kann dies innerhalb dreier Tage nach der Bekanntmachung bei der Ortsbehörde oder dem von derselben dazu ernannten Kommissar, oder der dazu niedergesetzten Kommission schriftlich anzeigen oder zu Protokoll geben. Die Entscheidung darüber steht in den Städten der Gemeinde-Verwaltungsbehörde, auf dem Lande dem Landrathe zu. In Gemeinden, die in mehrere Urwahlbezirke geteilt sind, erfolgt die Aufstellung der Urwählerliste nach den einzelnen Bezirken.

§ 16.

Die Abteilungen (§ 12) werden seitens derselben Behörden festgestellt, welche die Urwahlbezirke abgrenzen (§§ 5, 6). Eben diese Behörden haben für jeden Urwahlbezirk das Lokal, in welchem die auf den Bezirk bezügliche Abteilungsliste öffentlich auszulegen und die Wahl der Wahlmänner abzuhalten ist, zu bestimmen, und den Wahlvorsteher, der die Wahl zu leiten hat, sowie einen Stellvertreter desselben für Behinderungsfälle zu ernennen. In Bezug auf die Berichtigung der Abteilungslisten kommen die Vorschriften des § 15 gleichmäßig zur Anwendung.

§ 17.

Der Tag der Wahl ist von dem Minster des Inneren festzulegen

§ 18.

Die Wahlmänner werden in jeder Abteilung aus der zahl der stimmberechtigten Urwähler des Urwahlbezirkes ohne Rücksicht auf die Abteilung gewählt.
Mit Ausnahme des Falles der Auflösung der Kammer sind die Wahlen der Wahlmänner für die ganze Legislatur-Periode dergestalt gültig, daß bei einer erforderlich werdenen Ersatzwahl eines Abgeordneten nur an Stelle der inzwischen durch den Tod, Wegziehen aus dem Urwahlbezirk oder auf sonstige Weise ausgeschiedenen Wahlmänner neue zu wählen sind.

§ 19.

Die Urwähler sind zur Wahl durch ortsübliche Bekanntmachung zu rufen

§ 20.

Der Wahlvorsteher ernennt aus der zahl der Urwähler des Wahlbezirks einen Protokollführer, sowie 3 bis 6 Beisitzer, welche mit ihm den Wahlvorstand bilden, und verpflichtet sie mittels Handschlag an Eides Statt.

§ 21.

Die Wahlen erfolgen abteilungsweise durch Stimmgebung zu Protokoll, nach absoluter Mehrheit und nach Vorschriften des Reglements (§ 32).

§ 22.

In der Wahlversammlung dürfen weder Diskussionen stattfinden, noch Beschlüße gefaßt werden.
Wahlstimmen, unter Protest oder Vorbehalt abgegebe, sind ungültig.

§ 23.

Ergibt sich bei der ersten Abstimmung keine absolute Stimmenmehrheit, so findet die engere Wahl statt.

§ 24.

Der gewählte Wahlmann muß sich über die Annahme der Wahl erklären. Eine Annahme unter Protest oder Vorbehalt gilt als Ablehnung und zieht eine Ersatzwahl nach sich.

§ 25.

Das Protokoll wird von dem Wahl-Vorstand (§ 20) unterzeichnet und sofort dem Wahlkommissar (§ 26) eingereicht.

§ 26.

Die Regierung ernennt den Wahl-Kommisar für jeden Wahlbezirk zur Wahl der Abgeordneten und bestimmt den Wahlort.

§ 27.

Der Wahl-Kommissar beruft die Wahlmänner mittelst schriftlicher Einladung zur Wahl der Abgeordneten. Er hat die Verhandlungen über die Urwahlen nach den Vorschriften dieser verordnung zu prüfen, wenn er einzelne Wahlakte für ungültig erachten sollte, der Versammlung der Wahlmänner seine Bedenken zur endgültigen Entscheidung vorzutragen. Nach Ausschließung derjenigen Wahlmänner, deren Wahl für ungültig erkannt ist, schreitet die Versammlung zu dem eigentlichen Wahlgeschäfte.
Außer der vorgedachten Erörterung und Entscheidung über die etwa gegen einzelne Wahlakte erhobenen Bedenken dürfen in der versammlung keine Diskussionen stattfinden, noch Beschlüsse gefaßt werden.

§ 28.

Der Tag der Wahl der Abgeordneten ist von dem Minister des Innern festzusetzen.

§ 29.

Zum Abgeordneten ist jeder Preuße wählbar, der das 30ste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren hat und bereits ein Jahr lang dem preußischen Staats-Verbande angehört.
Die Wahlen der Abgeordneten erfolgen durch Stimmgebung zu Protokoll.
Der Protokollführer und die Beisitzer werden von den Wahlmännern auf den Vorschlag des Wahl-Kommissars gewählt und bilden mit diesem den Wahl-Vorstand.
Die Wahlen erfolgen nach absoluter Stimmenmehrheit. Wahlstimmen unter Protest oder Vorbehalt abgegeben, sind ungültig
Ergibt sich bei der ersten Abstimmung keine absolute Mehrheit, so wird zu einer engeren Wahl geschritten.

§ 30.

Die wahlen der Abgeordneten erfolgen durch Stimmgebung zu Protokoll. Der Protokollführer und die Beisitzer werden von den Wahlmännern auf den Vorschlag des Wahlkommissarius gewählt und bilden mit diesem den wahlvorstand. Die Wahlen erfolgen nach absoluter Stimmenmehrheit. Wahlstimmen unter Protest oder Vorbehalt abgegeben, sind ungültig. Ergibt sich bei der ersten Abstimmung keine absolute Mehrheit, so wird zur engeren Wahl geschritten.

§ 31.

Der gewählte Abgeordnete muß sich über die Annahme oder Ablehung der auf ihn gefallenen Wahl gegen den Wahl-Kommisar erklären. Eine Annahme-Erklärung unter Protest oder Vorbehalt gilt als Ablehnung und hat eine Ersatzwahl zur Folge.

§ 32.

Die zur Ausführung dieser Verordnung erforderlichen näheren Bestimmungen hat Unser Staats-Ministerium in einem zu erlassenden Reglement zu treffen. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Insiegel.

Gegeben Sanssouci, den 30sten Mai 1849

Friedrich Wilhelm

Graf von Brandenburg, von Ladenberg, von Manteuffel, von Strotha, von der Heydt, von Rabe, Simons.


von Martin Fehndrich (26.06.2003, letzte Aktualisierung: 31.01.2010)