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Statistischer Fehler von Umfragen

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c07
Veröffentlicht am Samstag, 08. März 2003 - 00:06 Uhr:   

Ich versuch hier mal, den statistischen Fehler von Umfragen möglichst anschaulich, aber trotzdem so exakt wie möglich zu erklären:

Nehmen wir erst mal an, dass 1000 Leute befragt werden, wie es oft üblich ist, und nehmen wir an, dass die alle wahlberechtigt sind (ich weiß nicht, ob das realistisch ist). Bei einer Wahlbeteiligung von 80% wären darunter etwa 200 Nichtwähler, dazu kommen typischerweise 10 Leute, die ungültig wählen. Weil wir nur den rein statistischen Fehler betrachten, nehmen wir an, dass alle Befragten diese Angaben (und natürlich gegebenenfalls die gewählte Partei) wahrheitsgemäß machen (in der Praxis entstehen hier aber zusätzliche Fehler). Dazu kommen dann noch vielleicht 40 Leute, die die Antwort verweigern.

Also bleiben nur noch 750 Befragte, deren Antworten tatsächlich verwertbar sind. Die konkrete Zahl ist auch zufällig (der zu erwartende Bereich wär hier 723 bis 776), aber nehmen wir mal die 750 an. Eine bestimmte Umfrage, bei der z.B. zufällig besonders viel Nichtwähler befragt worden sind, kann also auch einen noch höheren Fehler haben, als wir hier berechnen.

Im Endeffekt haben wir also im Fall einer bundesweiten Wahl zufällig 750 Personen unter den etwa 46 Millionen auskunftsbereiten Wählern ausgesucht bzw. eine Stichprobe daraus gezogen. Angenommen, 30 unserer Befragten haben angegeben, PDS wählen zu wollen. Dann sind das 4% von den 750. Wie groß dieser Anteil unter den 46 Millionen ist, wissen wir aber nicht wirklich.

Unter der Annahme, dass es nur 2,8% waren, können wir aber ziemlich leicht die Wahrscheinlichkeiten berechnen, dass eine bestimmte Zahl unter unseren 750 Befragten sein wird (simple Binomialverteilung). Dabei ergibt sich, dass man mit 95%iger Sicherheit nur sagen kann, dass es zwischen 13 und 30 sein werden. 95% ist die Sicherheit, die man für statistisch begründete Aussagen normalerweise mindestens haben will. Also müssen wir damit rechnen, dass in Wirklichkeit nur 2,8% PDS wählen wollen, obwohl es in unserer Stichprobe 4% waren.

Umgekehrt könnten es aber auch eigentlich 5,6% (doppelt so viel!) sein. Dann müssten unter den 750 Leuten zwischen 30 und 54 davon sein. Auch das können wir also nicht mit genügender Sicherheit ausschließen, weil wir ja die dafür mindestens notwendigen 30 PDS-Wähler wirklich gefunden haben. Insgesamt ergibt sich also ein Fehler von +1,6/-1,2 Prozentpunkten. Wenn von einer Partei 375 Personen in der Stichprobe sind (50%) ergibt sich analog ein Fehler von ±3,6 Prozentpunkten. Darüber nimmt er wieder ab.

Diese Überlegungen gelten auch bei deutlich weniger potenziellen Wählern, also z.B. für Landtagswahlen, mit den selben Fehlern. Erst wenn die Zahl der Befragten in die Größenordnung der Wähler kommt, stimmt die Vereinfachung nicht mehr, dass die Entnahme der Stichprobe die Anteile beim Rest nicht verändert.

Wer nachrechnen will:

Wenn der Anteil einer Gruppe p ist, ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Stichprobe aus n Personen genau k Mitglieder dieser Gruppe sind, durch (rechnertauglich umgeformt):

(n-k+1)/1 · ... · n/k · p^k · (1-p)^(n-k)

Dann nimmt man solang die k, für die dieser Wert am höchsten ist, bis sich zusammen 0,95 ergeben haben, um den Konfidenzbereich zu erhalten.

Näherungsweise kann man den Fehler auch einfach mit der Formel 1,96 · sqrt( p · (1-p) / n ) berechnen, wie es ja auch hier beschrieben ist. Genau genommen ist das nicht der Fehler für die Abweichung einer einzelnen Umfrage von der Wirklichkeit, sondern ein Maß für die zu erwartende Abweichung mehrerer Umfragen untereinander. Die Näherung ist aber sehr gut, solang die Werte deutlich von 0% und 100% entfernt sind.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 11. März 2003 - 14:26 Uhr:   

Der langen Rede kurzer Sinn: Umfragen sind Kaffeesatzleserei. Das sollte man immer bedenken wenn man darüber liest.

Wenn genug Leute daran glauben, können sie auch zu selbsterfüllende (seltener auch sich selbst wiederlegende) Prophezeiungen sein. Das Phänomen gibt es auch nicht nur in der Politik- bei Chart -Analysen tritt dasselbe Phänomen auf.
Wenn eine Partei nur lange genug niedergeschrieben und -demoskopiert wird, bleibt das nicht ohne Folge. Beispiel sind die überwiegend katastrophalen Landtagswahlergebnisse der FDP in den 90-er Jahren.
Beispiel für eine sich selbst wiederlegende Prophezeiung ist die Nationalratswahl in Österreich 1995. Alle Umfragen sagten einen Durchmarsch von Haider und ein katastrophales SPÖ-Ergebnis voraus. Die unzufriedenen SPÖ-Wähler und Ex-SPÖ-Wähler bekamen dann doch Angst und wählten dann letzlich doch SPÖ und nicht FPÖ.
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pantotheus@web.de
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. März 2003 - 11:45 Uhr:   

Tja, dazu lässt sich vielleicht etwas aus der Schweiz beigügen:
In der letzten Umfrage sind z. B. zwei Parteien an der Spitze der Wählergunst mit 24% und 23%. Einmal davon abgesehen, dass sich das in 6 Monaten noch ändern kann und davon abgesehen, dass sich solche Angaben auf die gesamte Schweiz beziehen, jedoch die Wahl in 26 getrennt ausgewerteten (keine Verrechnung über die Wahlkreise hinaus) Kreisen stattfindet, woraus sich "wahlkreisgeometrische" Abweichungen bei der Sitzverteilung (die dann letztlich zählt) ergeben, so liegt ein Unterschied von 1% voll im statistischen Fehlerbereich. Die Aussage, Partei 1 liege vor Partei 2, ist also eigentlich das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist.

Interessant ist aber auch das Ergebnis einer Umfrage, die im Auftrag eines grossen Bankhauses durchgeführt wurde: Dabei gaben 73% der Befragten an, dass sie Meinungsumfragen nicht trauen. Noch schlechter schnitten nur "Horoskope, Orakel u. dgl." ab (über 80% Misstrauen). Die Konjunkturprognosen kamen mit knapp unter 70% noch verhältnismässig gut weg.
Also: Laut Meinungsumfrage sind die Leute in der Schweiz der Meinung, dass Meinungsumfragen keine verlässliche Aussagekraft besässen.
(Ich will das Paradoxon dieses Befundes nicht weiter kommentieren.)
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Zwick
Veröffentlicht am Dienstag, 18. März 2003 - 11:09 Uhr:   

c07, ziehe 20 bis 30 (oder 999) Stichproben a'999 Leuten aus deiner Stichprobe von 1000 Leuten, vergleiche Stichprobenmittelwerte und schätze dann die Mittelwerte der Grundgesamtheit, lautet die methodische Anweisung, wenn ich nicht irre. Die Stichprobengröße und die 5%ige Fehlerwahrscheinlichkeit sind weniger das Probelm, vorausgesetzt, es gäbe keine weiteren Fehler wie "falsche Antworten", "nichtzufällige Auswahl der Probanden", "soziale Erwünschtheit", "Interviewer Bias", "Sponso bias" usw. (wobei mir unter usw. jetzt gar nix mehr einfällt ;-))
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 18. März 2003 - 18:09 Uhr:   

Zwick:
> Die Stichprobengröße und die 5%ige Fehlerwahrscheinlichkeit sind weniger das Probelm

Sie sind nicht das einzige Problem, aber allein schon der statistische Fehler macht viele Interpretationen von Umfragen äußerst fragwürdig.


Ich hab die statistischen Fehler für ein paar Stichprobengrößen mal grafisch dargestellt:

95% Konfidenzniveau

Dabei sind die Stichprobengrößen netto zu verstehen; die irrelevanten Antworten (z.B. Nichtwähler) müssen zuvor abgezogen werden. Die ganz kleinen Größen gibt es übrigens tatsächlich; so befragt Infratest dimap im Osten üblicherweise 400 Leute, von denen man im Schnitt wohl 100 Nichtwähler u.Ä. abziehen muss.

Zum Vergleich hab ich auch noch die Fehler für kleinere und höhere Sicherheiten berechnet. Selbst wenn man eine Unsicherheit von 50% in Kauf nimmt, werden viele Folgerungen aus Umfragen unsinnig.

50% Konfidenzniveau

80% Konfidenzniveau

99% Konfidenzniveau

99,9% Konfidenzniveau
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 18. März 2003 - 22:47 Uhr:   

Sehr anschaulich. Nicht vergessen sollte man aber, daß die statistische Unsicherheit nur eine unter mehreren ist. Ein großes Problem sind ja auch Befragte, die lügen, Unentschlossene oder Leute die kurzfristig noch ihre Meinung ändern. Ein Problem ist auch immer die Repräsentativität der Stichprobe, darum kann man z.B. Teds gleich in die Tonne drücken. Nicht zuletzt beeinflussen die veröffentlichten Umfrageergebnisse selbst das Wahlverhalten.
Leider kann man auch nicht selbst mögliche statistische Schwankungsbreiten ermitteln, da die Institute ja nicht Rohdaten sondern verschlimmbesserte Zahlen herausbringen.
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Zwick
Veröffentlicht am Freitag, 21. März 2003 - 10:16 Uhr:   

Hervorragend, Co7! Das hilft doch schon mal mathematisch weiter, wenn man eine Grundlage zur Beurteilung von Umfragestatistiken braucht.
Der Irrtum ist systematischer Bestandteil jeder Umfrage, einkalkuliert, aber nicht auszuschließen.
Danke.

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