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Wahlrecht.de Forum » Umfragen » Stimmung wieder gekippt » 1-25 « Zurück Weiter »

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Michail
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Juli 2002 - 19:37 Uhr:   

Kaum eine Woche ist es her,
da lag die SPD im ZDF-Politbarometer
"Politische Stimmung" nur 1 % hinter der CDU -
jetzt, knapp eine Woche später sieht die Welt
ganz sicher wieder anders aus:

Dramatische Arbeitslosenzahlen
Telekom/Sommer-Affäre
Scharping-Entlassung

Somit sind keine 38 oder 39 % mehr für die SPD drin,
sondern - nach aktuellem Stand der Dinge -
um die 35 bis höchstens 36 %.

Mal schau'n, wie die Welt Mitte August aussehen wird ("Hartz")...

Die Stimmung kippt auf jeden Fall sehr, sehr schnell -
da sollte sich natürlich keiner zu schnell zu sicher sein

Wie hat jemand hier im Forum mal richtig gesagt: "Die letzten Wochen
und Monate vor der Wahl werden ausschlaggebend sein -
aber nicht, weil eine(r) der beiden Parteien bzw. Kandidaten
etwas bahnbrechendes erreichen, sondern weil man sich blamieren
kann - und dies wird doppelt und dreifach ins Gewicht fallen".

Momentan triff's Schröder und die SPD.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. Juli 2002 - 19:45 Uhr:   

Man muss doch etwas sagen: unter Kohl wurden Minister nicht entlassen, sondern es wurde in der Regel ausgesessen - siehe Affaire Wörner. Wie sollte Schröder denn reagieren? Hätte Schröder Scharping bei dem ersten Skandal entlassen, hätte es gehießen, er schasst nun seinen letzten "Rivalen" um die SPD-Führung. Die Entlassung mag jetzt am Einzelfall gesehen falsch gewesen sein, aber Schröder hat reagiert.
Zur Telekom: Stoiber hat in der Bild-Zeitung sich in die Belange der Telekom eingemischt, Schröder hat - meines Erachtens - dilettantisch reagiert, aber derjenige, der sich einmischte, war Stoiber. Schröder reagiert wenigstens. Dies ist ihm anzurechnen. Insofern wird die Stimmung evtl. wieder "kippen " - vielleicht zugunsten von SPD, Grünen und PDS.
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SoleSurvivor
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 01:17 Uhr:   

Bei Kohl gab es "Kabinettsumbildung".

Die SPD stellt den nächsten Kanzler nicht. Und wenn dann nichrt mit Hilfe der PDS:

PDS-Chefin Zimmer lehnt Koalition mit SPD im Bund ab
Halle – Die PDS hat den Wahlkampf auf der Bundeswahlkonferenz in Halle mit einer Abgrenzung gegenüber der SPD eröffnet. PDS-Parteichefin Gabi Zimmer erteilte den Sozialdemokraten unter den derzeitigen Bedingungen für eine Koalition auf Bundesebene eine Absage.

Nebenher ist das Parteitagsbeschluß
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 10:33 Uhr:   

@Bernhard:
Deine optimistische Sicht wird selbst den SPD-geneigten Kommentatoren nicht geteilt.

> Wie sollte Schröder denn reagieren?
Natürlich war es notwendig, Scharping jetzt rauszuschmeißen. Ein Verzicht darauf hätte die Regierung auf Dauer belastet. Aber dennoch schadet die Affäre natürlich - auch weil jeder fragt, warum Schröder Scharping nicht schon längst gefeuert hat.

> Zur Telekom: Stoiber hat in der Bild-Zeitung sich in die Belange
> der Telekom eingemischt, ...
DAS ist nicht illegitim. Im Gegenteil: Als Oppositionspolitiker darf man sehr wohl kritisieren, wie die Regierung die Bundesbeteiligungen verwaltet. Es ist ja bis heute unverständlich, warum der Bund sowohl der Entlastung des Vorstands wie der massiven Gehaltserhöhung zugestimmt hat.
Nur war zum Zeitpunkt der Kritik der Käse eigentlich gegessen. Kurz nach Hauptversammlung und Vorstandsverlängerung plötzlich das Ruder rumzureißen und (ohne neue Fakten!) Sommer rauszuschmeißen, das war schon eine unbegreifliche Kursänderung.

Und Schröder hat dabei eben nicht die per Aktienrecht zulässigen Einflußmöglichkeiten eines Aktionärs genutzt, sondern direkt eingegriffen - das war so nicht in Ordnung.

> Insofern wird die Stimmung evtl. wieder "kippen " - vielleicht
> zugunsten von SPD, Grünen und PDS.
Die PDS könnte profitieren.
Aber bei den Umfragen nächster Woche (einige Tage Zeit braucht das ja immer, bis sich solche Vorfälle niederschlagen) dürfte insbesondere die SPD massiv einbrechen.

Die aktuelle Skandalserie könnte das endgültige Aus für rot/grün bedeuten. Eine Trendwende ist m. E. eigentlich nur noch durch eine ähnlich schwere Pannenserie auf Unionsseite möglich.
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Zeitung
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 11:59 Uhr:   

Leitartikel Agonie einer Regierung VON KURT KISTER Im Fußball spricht man von einem Befreiungsschlag, wenn die Verteidigung unter starkem Druck der angreifenden Mannschaft den Ball möglichst weit aus dem eigenen Strafraum hinaus drischt. Ein missglückter Befreiungsschlag liegt vor, wenn der Ball zum gegnerischen Stürmer gerät und der ihn dann im Tor versenkt. Gerhard Schröder hat durch den Rauswurf Rudolf Scharpings gerade einen fast schulmäßig missglückten Befreiungsschlag gelandet. Selbst die oft stolpernden, manchmal torkelnden Stürmer der Spielvereinigung Stoiber werden nicht umhin kommen, diese Vorlage des Kanzlers zu verwerten. Es ist wieder einmal das alte Muster, dessen man allmählich überdrüssig wird: Die Union punktet, ohne selbst etwas dafür zu leisten; die SPD verliert, weil sie neue Dummheiten macht und alte Fehler nicht korrigiert hat. Die Causa Scharping ist ein idealtypisches Beispiel für die Schwächen des Systems Schröder. Spätestens seit seiner kombinierten Bade- und Flugaffäre im August 2001 war Scharping eine nicht mehr tragbare Belastung für das Kabinett Schröder. In der SPD galt Scharping seit Lafontaines Mannheimer Putsch- Parteitag als pflichtbewusster Loser. Spitzengenossen, auch der Kanzler, blieben ihm in einer seltsamen Mischung aus Mitleid, Schuldbewusstsein und Loyalität verbunden. Scharpings Selbstwahrnehmung unterschied sich krass von jenem Bild, das er bei Kabinettskollegen, Parteifreunden, Soldaten und Mitarbeitern hervorrief. Er sah sich als Politiker mit Kanzlerpotential, als kühler Analytiker, als führungsstarker Chef. Die anderen hielten ihn für einen Mann der Vergangenheit, einen linkischen Besserwisser und Rechthaber mit autistischen Zügen. Wie es sein kann, wenn Scharpings Welt mit der Realität kollidiert, zeigte der Verlauf des hektischen Donnerstags: Als Kanzleramt und Fraktion längst die Ablösung Scharpings gestreut hatten, sagte der Minister noch, er trete nicht zurück. Auch an diesem Tag wollte Scharping das letzte Wort und damit Recht behalten. Die Persönlichkeit Scharpings war oft die Ursache für seine politischen Kalamitäten, was etwa der Verlauf der Airbus-Affäre deutlich machte. Scharping sah fast nie Fehler bei sich, weswegen er fast immer Kampagnen der Medien, Missgunst von Parteifeinden und das intellektuelle Unvermögen der ihn umgebenden Menschheit als Gründe der mit seinem Namen verbundenen Affären ausmachte. Genauso lief es jetzt wieder in der Honorar- Affäre: Scharping ist unfähig, einzusehen, dass man als Spitzenpolitiker einem PR-Berater keine Konto-Vollmacht geben darf. Er ist sich keiner Schuld bewusst und geht, wie er selbst sagt, „erhobenen Hauptes“. Das genau ist das Problem: Scharping hat lange sein Haupt immer so hoch getragen, dass er nicht mehr sah, was sich um ihn herum ereignete. Schröder wusste dies alles und hatte trotzdem nicht die Kraft, Scharping rechtzeitig abzulösen. Mit dem in Berlin üblichen Zynismus hieß es stets, die Terroranschläge des 11. September hätten Scharping gerettet. Dies stimmt nur zum Teil. In der Umgebung des Kanzlers weiß man, dass Schröder gegenüber „dem Rudolf“ eine für ihn völlig untypische Beißhemmung hatte. Im Laufe der Zeit wurde aus dem belasteten Verhältnis zwischen Kanzler und Verteidigungsminister eine Beziehung mit pathologischen Zügen. Schröders Spott über Scharping war auch Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Wider seinen sicheren politischen Instinkt hielt Schröder bis fünf Minuten nach zwölf an Scharping fest. Das Resultat aus alledem ist die nun selbst für das Kabinett Schröder ungewöhnliche Entlassung eines Ministers gegen dessen erklärten Willen. Der Kanzler musste Scharping regelrecht hinauswerfen. Im Wahljahr 1998 gab es die Troika Schröder, Lafontaine, Scharping an der Spitze einer selbstbewussten, siegessicheren SPD. Schröder hat sich gegen Lafontaine, Scharping und die SPD behauptet – aber zu welchem Preis! Im Wahljahr 2002 herrscht Schröder als letzter Troikaner über eine kleinmütige, am Rande des Abgrunds dahinschlurfende Partei. Scharpings Nachfolger Peter Struck ist schon jetzt eine historische Fußnote als der am kürzesten amtierende Verteidigungsminister in der deutschen Nachkriegsgeschichte sicher. Auch das ist eine Form von Karriere. Für die immer wahrscheinlicher werdende Ablösung der rot-grünen Regierung kann der gestrige 18. Juli ein entscheidendes Datum werden. In den letzten Wochen hatte die SPD ein wenig zugelegt, immerhin so sehr, dass bei ihr und anderswo neue Hoffnungen aufkeimten. Dieser Prozess ist abrupt gestoppt worden, weil mit Scharpings Rausschmiss der Eindruck nachhaltig verstärkt wurde, dass wir von einer Regierung geführt werden, die in Endzeit- Agonie verfallen ist. Schröder hat binnen vier Jahren acht Minister auswechseln müssen, darunter zwei in den Schlüsselressorts Finanzen und Verteidigung. Die Personaldecke der SPD ist so dünn geworden, dass sich Spitzenleute der Partei schon deswegen vor einer weiteren Legislaturperiode eher fürchten. Obwohl auch die Union überwiegend abgestandenen Wein in alten Schläuchen bietet, müsste sie sich angesichts des Zustands der SPD in den noch verbleibenden 66 Tagen schon sehr dumm anstellen, um am 22. September nicht stärkste Fraktion zu werden.
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c07
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 14:00 Uhr:   

An der WahlStreet, an der ja auch kurzfristige Stimmungsschwankungen abgelesen werden können, ist die Hauptauswirkung der jüngsten Ereignisse, dass die Union ziemlich stark gestiegen ist (um 0,23 %.. seit vorgestern). Dass die Kurse aller anderen Parteien gesunken sind, ist hauptsächlich eine technische Reaktion darauf gewesen; am stärksten hat es allerdings die SPD (0,08 %..) und die FDP (0,06 %..) erwischt, weil sie schon vorher sehr wenig kursstützendes Potenzial gehabt haben. Momentan dreht sich der Trend eher wieder um.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 17:41 Uhr:   

@Ralf:
Natuerlich hast Du irgendwo recht, was Scharping und die Telekom angeht. Mir ging es in meinem Beitrag lediglich darum, die "Heuchelei" aufzuzeigen, die die Union begeht. Hans Eichel hat darauf ja hingewiesen. Man kann nicht zuerst - Telekom - den Bundeskanzler zum Eingreifen auffordern (vgl. Stoibers Interview in Bild und Bild am Sonntag) und dann - wenn er eingreift - und diese Einflußnahme - da stimme ich Dir zu - halte ich für falsch, zumal die Nachfolger als Aufsichtsratsmitglieder bzw. -vorsitzende alle Sommer-Entscheidungen abgesegnet haben - sagen, sein Eingreifen sei falsch. Hier betreibt Stoiber und die Union meines Erachtens Heuchelei. Ansonsten hast Du, wie ich finde, durchaus recht. Der Skandal ist, dass der Bund der Gehaltserhöhung des Vorstandes um 90% über die sogenannten Aktienopitonsprogramme zugestimmt hat.
Zu Scharping:
Was ich bedenklich finde - auch jetzt - ist, dass Scharping jetzt über eine - bislang wohl noch unbewiesene - Angelegenheit - stürzt und nicht abgelöst wurde, als ihm wirkliche politische Pannen - und dies ist meiner Meinung nach die De-facto-Umgehung des Haushaltsausschusses bei der Gestaltung von Verträgen über den Bau bestimmter Panzer etc - abgelöst wurde.

Was ich nur meinte, war folgendes: in der entstandenen Situation war doch für Schröder lediglich die Frage, wochenlange Debatten über Scharping auszuhalten oder Scharping jetzt zu entlassen. Da war die Entlassung besser. Ich habe deshalb die Wörner-Affaire in Erinnerung gerufen und auch Kohl hat ja schon Minister, die nicht freiwillig zurücktreten wollten, entlassen, ich denke an den früheren Minister Günther Krause, der nach der Putzfrauen-Affaire nicht freiwillig gehen wollte und - wie Schröder jetzt - von Kohl entlassen wurde. Einziger Unterschied: dies geschah nicht 70 Tage vor einer Bundestagswahl.

Vermutlich dürfte aber jetzt die Mehrheit für Union und FDP feststehen und damit Stoiber das "Ticket" für das Kanzleramt erhalten. Anderes sehe ich doch auch nicht mehr.
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zerstoiber
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 22:51 Uhr:   

deutschlandtrend mit sensationeller umfrage zum fall scharping:
die entlassung von rudolf scharping
schadet der regierung 33%
nützt der regierung 46% !!!
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zerstoiber
Veröffentlicht am Freitag, 19. Juli 2002 - 23:28 Uhr:   

www.stoiber-verhueten.de lohnt sich!
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Samstag, 20. Juli 2002 - 11:59 Uhr:   

@Bernhard:
Völlig richtig, da war seitens Stoiber schon Heuchelei im Spiel. Aber Wahlkampfgeschwätz und konkret falsche Regierungshandeln sind halt zwei verschiedene Ebenen.

Bei Scharping gebe ich Dir recht: Es ist erstaunlich, daß er über eine vergleichsweise dämliche Sache gestolpert ist und NICHT über die Airbus-Kiste. Das zeigt m. E. die immer stärker nachlassende Bedeutung des Parlaments bzw. die geringe Selbstachtung, die die Abgeordneten haben. Die sehen sich nur noch als Hilfstruppen, nicht mehr als eigenständiges Organ.

Und klar wäre ein Festhalten an Scharping noch schlimmer gewesen als ein Rausschmiß. Insofern ist zerstoibers Umfageergebnis nicht sensationell, sondern völlige Normalität.
Wenn man die Frage anders stellt (Hat die Affäre um Scharping der Regierung ingesamt geschadet oder genützt) natürlich ein völlig anderes Ergebnis bringen würde.
Schröder hat die weniger schlimme von zwei Varianten gewählt, aber insgesamt verloren.
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zerstoiber
Veröffentlicht am Samstag, 20. Juli 2002 - 21:49 Uhr:   

an bernhardt:
die in meinen augen völlig hysteriesierte airbus-debatte hat doch gerade deutlich gemacht, daß das parlament engegen deiner einschätzung beim thema haushaltsrecht die hosen an hat; insbesondere oswald metzger (grüne) hat hier ohne rücksicht auf verluste deutliche worte gefunden.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 20. Juli 2002 - 22:22 Uhr:   

Ja sicher hat Oswald Metzger, den ich sehr schätze, hierzu eindeutige Worte gefunden. Doch was hat es ihm genutzt? Er wurde von seiner eigenen Partei nicht mehr aufgestellt - wohl unter anderem wegen seiner (zu)deutlichen Kritik. Im übrigen hat Scharping ja immer anders argumentiert, nämlich, der Haushaltsausschuss habe lediglich Teilsummen bewilligt und werde in Zukunft- was airbus angeht - die weiteren Gelder bewilligen. Hier muss fairerweise gesagt werden, dass - meines Erachtens - der Standpunkt Scharpings in dieser Angelegenheit nicht deutlich genug in der Presse vermittelt wurde. Wie auch immer - ich bin sehr gespannt auf die Einschätzung dieser Affairen in den Umfragen. Ich vermute übrigens - ich kann falsch liegen - dass die ganze Affaire Hunziger dem Stern von der Opposition zugespielt wurde, die nicht damit rechnete, dass Schröder Scharping entlassen würde - kann dies aber natürlich nicht beweisen. Im übrigen: wer jetzt sagt, dass Scharping früher hätte entlassen werden sollen, der übersieht die Ereignisse des 11. September, die genau mit der "Flugaffaire" kamen. In dieser Situation hätte kein Regierungschef seinen Verteidigungsminister - im Friedensfall Oberbefehshaber der Streitkräfte - entlassen.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 20. Juli 2002 - 22:54 Uhr:   

Ich möchte doch noch einmal etwas zu Scharping sagen, auch wenn dies etwas vom Thema Wahlrecht wegführt, aber dies ist meines Erachtens eine Angelegenheit unserer politischen Kultur oder Fairness. Man kann Scharping mögen oder nicht mögen (ich selber mag ihn nicht). Dennoch sollte man folgendes beachten: wenn ein Minister politisches Fehlverhalten - auch seiner Mitarbeiter - zu verantworten hat, so ist es gut, wenn er abgelöst wird. Hätte also der Haushaltsausschuss eindeutig mit seiner Auffassung recht, dass er - bei der Bewilligung der Airbus-Gelder - übergangen wurde, dann wäre dies ein Entlassungsgrund für Scharping gewesen. Aber was passiert hier: hier werden - letztlich unbewiesene Behauptungen - verbreitet - denn die Honorartätigkeit Scharpings lag - dies gibt auch der "Stern" zu - im Jahre 1998 - vor seiner Ministertätigkeit, sie wurden - so der Nachweis - lediglich 1999 überwiesen - und deshalb muss ein Minister gehen. Unter unserem "geistig-moralischen Wendekanzler" konnte ein Bundesverteidigungsminister einen General öffentlich diskreditieren und war sich nicht zu schade, dessen Privatleben durch einen homosexuellen Stricher ausspionieren zu lassen, so dass der General - Kießling - schließlich in Ehren wieder einzusetzen war, als die Vorwürfe sich nicht bestätigten. Dieser Verteidigungsminister - Wörner - bleibt im Amt. Ein Bundeswirtschaftsminister - Lambsdorff - wird wegen Vorteilsnahme angeklagt - und bleibt zunächst im Amt - erst nach der Veruteilung muss er gehen. Und jetzt muss ein Scharping, der - was sein Privatleben anging - sicherlich nicht gerade taktvoll handelte, aber - es geht um sein Privatleben! - jetzt wegen zur Zeit noch unbewiesener Behauptungen abgelöst (dies wäre anders, wenn er Thierse wirklich die Honorarzahlungen verheimlicht hätte, was aber auch noch nicht bewiesen ist) - nur weil es in den "Wahlkampf" passt. Der Regierungssprecher muss sagen, tja, im Wahlkampf ist keine Zeit für "faire Abwägung" der Vorwürfe. Ja wo kommen wir denn da hin? Da kann ja jeder eine Kampagne starten, und bevor diese Geschichte aufgeklärt ist ist derjenige abgelöst. Man kann zu Scharping stehen wie man will - und auch Schröders politische Gründe, den Mann loszuwerden - teilen. ich kann verstehen, dass Scharping nicht freiwillig zurücktreten wollte, da dies sicherlich als Schuldeingeständnis gewertet worden sei. Darauf wollte ich hinaus. Und dass es dem Bundespräsidenten überlassen bleibt, dem Mann für seine Verdienste zu danken - immerhin war Scharping SPD-Vorsitzender - und der Bundeskanzler - zumindest öffentlich - kein Wort des Dankes und der Anerkennung für seinen Minister findet, für dessen Miseren - einen chronisch niedrigen Verteidigungsetat - er, der Kanzler, mit seiner Richtlinienkompetenz die Verantwortung trägt, ist für mich nicht in Ordnung. Wer will denn - bei solchem Umgang miteinander - noch in die Politik?
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zerstoiber
Veröffentlicht am Sonntag, 21. Juli 2002 - 18:34 Uhr:   

oswald metzger hat einen sicheren listenplatz verpaßt, weil es im bundesland b-w nur maximal drei sichere plätze für die männlichen bewerber gibt. diese heißen nun fritz kuhn, rezzo schlauch und cem özdemir. metzger hat ausschließlich um listenplatz 2 (1 für frau reserviert) gegen den parteivorsitzenden fritz kuhn kandidiert und ihn in seiner bewerbungsrede sehr scharf angegriffen. das wurde von den delegierten zu recht nicht honoriert, sondern abgestraft; metzger
hat sich seine niederlage also auch teilweise selbst zuzuschreiben. im übrigen beweist sich hier, daß die quotenregelung manchmal zur schwächung der partei beiträgt.
rudolf scharping ist momentan sicherlich mehr opfer als täter, allerdings war seine entlassung, so bitter sie auch menschlich sein mag, politisch vollkommen alternativlos. jeder spitzenpolitiker weiß um die umgangsformen im politischen geschäft, die im übrigen nicht brutaler sind als in anderen bereichen des gesellschaftlichen und politischen lebens und in deutschland bei weitem nicht die auswüchse, die in anderen ländern zu beklagen sind, erreichen.
die schlimmsten verletzungen wurden scharping allerdings nicht von der eigenen partei beigefügt, sondern von presse und opposition, die sein privatleben als angriffsfläche nutzten und dabei teileise eine abscheuliche hexenjagd veranstalteten. ich interessiere mich überhaupt nicht für das privatleben von politikern, sondern bewerte sie nach ihrem politischen wirken. von mir aus kann ein minister auch hühner ficken und sich dabei ablichten lassen, so lange er gute politik macht.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 22. Juli 2002 - 10:23 Uhr:   

@Bernhard:
> Ich vermute übrigens - ich kann falsch liegen - dass die ganze
> Affaire Hunziger dem Stern von der Opposition zugespielt wurde, ...
Eher unwahrscheinlich.

Die Geschichte wurde ja zuerst (letzten Montag) in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht (die ja der SPD durchaus zugeneigt ist).
Nach der Scharping-Entlassung habe ich ein Radio-Interview mit dem zuständigen SZ-Redakteur gehört, da ging es natürlich auch um die Frage, ob das Ganze von der Opposition käme.

Der SZ-Redakteur meinte, er könne sich das nicht vorstellen. Nach der SZ-Meldung hätte es eine kurze Nachfrage von der Union gegeben, ob denn da noch mehr kommen würde. Die SZ hat verneint und die Reaktion war so ungefähr "Na ja, dann wars das wohl". Es hat auch bis auf die übliche Rücktrittsforderung keine Reaktion der Opposition gegeben, die hatten sich noch völlig auf die Telekom konzentriert.

Angeheizt hat Affäre zur völligen Überraschung der Journalisten das Kanzleramt!
Denn die waren die Einzigen, die auf den SZ-Artikel groß reagiert haben, und der Regierungssprecher hat auf der Bundespressekonferenz (also maximaler Aufhänger) Scharping aufgefordert, sofort dazu Stellung zu nehmen.
Eine absolut ungewöhnliche Art, wie ein Kanzler mit einem seiner Minister kommuniziert ...

Vielleicht wußte das Kanzleramt zu diesem Zeitpunkt schon, daß der Stern am Donnerstag daraus eine große Geschichte machen wollte. Die Opposition war aber wohl von der ganzen Sache ziemlich überrascht.

Im übrigen gebe ich Dir völlig recht. Es ist nicht nur unverhältnismäßig, ihn ausgerechnet deswegen zu entlassen (und nicht wegen der viel schwerwiegenderen Affären vorher). Auch der Stil war ziemlich daneben.

Dazu paßt gut der folgende taz-Kommentar:
http://www.taz.de/pt/2002/07/20/a0208.nf/text
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 22. Juli 2002 - 13:13 Uhr:   

Kleiner Nachtrag: Gerade lese ich in Spiegel-Online, daß Scharping den üblichen Abschied mit großen Zapfenstreich auf Druck des Kanzleramts nicht bekommen soll.

Mir selber würde eine solche Zeremonie nicht fehlen. Aber wenn das nun mal sein Bestehen der Bundeswehr für alle Verteidigungsminister üblich war, dann sollte auch Scharping das bekommen.
Diese Art Nachtreten ist wirklich unsäglich, damit macht Schröder (obwohl die Bevölkerungsmehrheit nicht viel für Scharping übrig hat) weitere Minuspunkte.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Montag, 22. Juli 2002 - 18:28 Uhr:   

Heute abend steht in Spiegel-Online, dass Scharping den Zapfenstreich doch erhalten soll. Aber der Beitrag von Ralf geht genau in die Richtung, in der ich in meinen Mails versuchte, zu argumentieren. Interessant auch das Titelbild des heutigen Spiegel: "Schröders letzter Mann" mit einem Riesenportrait: Schröder,
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zerstoiber
Veröffentlicht am Montag, 22. Juli 2002 - 20:18 Uhr:   

die tatsache, daß das kanzleramt schon vor der opposition von der bevorstehenden sternveröffentlichung wußte, ist doch kein hinweis auf die aberwitzige und vollkommen hirnrissige verschwörungstheorie, der sturz scharpings sei aus der spd lanciert worden. wer so auf so etwas hereinfällt, glaubt wahrscheinlich auch noch an den weihnachtsmann. rudolf scharping selbst hat den bundeskanzler vor der ersten veröffentlichung in der sz (die der spd nicht nahe steht, sondern eine der wenigen wirklich unabhängigen zeitungen ist) über einen fragenkatalog des sterns informiert, aus dem sich die zu erwartenden vorwürfe unschwer ableiten ließen. die entschuldigungs- und erklärungsversuche scharpings haben den bundeskanzler allerdings wenig überzeugt, so daß es weder von ihm noch vom pressesprecher öffentliche rückendeckung gab. die opposition konnte zu diesem zeitpunkt naturgemäß nicht auf dem gleichen wissensstand stehen, weil scharping natürlich nicht so blöd war, bei stoiber die beichte abzulegen. nach der sz-veröffentlichung war es logisch und selbstverständlich, scharping zur klärung der vorwürfe zu drängen, um der bevorstehenden sternveröffentlichung den wind aus den segeln zu nehemen. der teilautist schaping hat hier getrödelt, die sprengkraft der sache vollkommen unterschätzt und zweifellos eine mitschuld an der lawine, die ihn anschließend überrollt hat. es handelte sich bei diesen vorgängen also nicht um eine anheizung der affäre, sondern um den mißglückten versuch, das unglück noch abzuwenden. ob es unverhältnismäßig war, scharping zu entlassen, wird sich erst in den nächsten wochen herausstellen, wenn die vorwürfe geklärt werden. alle sogennanten scharping-affären waren nicht justiziabel, sondern eher instinktlosigkeiten. erst die summe der fouls hat dem bundesverteidigungsminister die rote karte eingetragen, die absehbar war, nachdem er die gelbe karte auf dem spd-pateitag ende des letzten jahres erhalten hatte, auf dem ihn nur noch 58% der delegierten zum stellvertreteenden spd-vorsitzenden wählten. über den stil der entlassung kann man streiten, allerdings nicht über folgendes: schröder hat scharping zu lange mit sanfthandschuhen angefaßt, ihm eine zweite und dritte chance gewährt; stoiber ist in solchen fragen sicherlich nicht anders, nähere beobachter attestieren ihm vielmehr eine noch größere kälte im umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen verlierern, die ihn mit nach unten zu reißen drohen (bitte einmal alle rücktritte bayrischer minister seit 1993 rekapitulieren, die aussagen der zwangsdemissionierten über stoiber sind auch nicht von pappe).
unsäglich ist also nicht schröders umgang mit scharping, der sich über mangende nachsicht nun wirklich nicht beschweren darf, sondern die heuchlerischen krokodilstränen, die cdu/csu-anhänger nun über den umgang in der spd vergießen. aber die konservativen sind es ja auch nicht in dem maße gewöhnt, daß sünder konsequenzen ziehen oder ziehen müssen. erinnert sei nur an die begnadigten oder bejubelten(!) kohl und schäuble oder an roland koch, der offenbar nicht trotz, sondern wegen seiner verfehlungen zum hoffnungsträger des rechten flügels der union wurde. hätte sich ein spd-ministerpräsident verhalten wie roland koch, so könnte er heute radieschen züchten oder beiträge in diesem forum verzapfen. interessant werden auf jeden fall die nächsten wochen, wenn die sonstigen kontakte von "mr. unausstehlich" moritz hunzinger (cdu-kommunalpolitiker in frankfurt/m., kassierer der cdu-sozialausschüsse(!!!-realsatire), spendeneintreiber für hessen- und bundes-cdu) einmal durchleuchtet werden. vedächtig leise, nein still, sind cdu/csu und fdp jedenfalls schon einmal, vielleicht in erwartung eines schmerzhaften bumerangs? jeder kriegt eben irgendwann, was er verdient - hoffentlich nicht erst nach der wahl.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 23. Juli 2002 - 14:44 Uhr:   

@zerstoiber:
> daß das kanzleramt schon vor der opposition ... wußte, ist doch kein
> hinweis auf die ... verschwörungstheorie, der sturz scharpings sei
> aus der spd lanciert worden.
Das hat ja nun auch keiner behauptet.
Es ist nur extrem ungewöhnlich, daß die Kommunikation zwischen Kabinettsmitgliedern über die Bundespressekonferenz läuft.
Ansonsten gebe ich Dir völlig recht, daß Scharping sich die Sache selber zuzuschreiben hat und Schröder ihn entlassen mußte.
Trotzdem hätte ich es stilvoller gefunden, wenn sich der Kanzler die üblichen Dankesworte abgequetscht hätte. Es kann ja nicht sein, daß Scharping über vier Jahre lang überhaupt nichts positives bewirkt hat - sonst hätte er ihn längst feuern müssen.

> in der sz (die der spd nicht nahe steht, sondern eine der wenigen
> wirklich unabhängigen zeitungen ist)
Die SZ wurde als SPD-Parteizeitung gegründet und ist noch heute (zu etwa 30%) im Parteibesitz. Die inhaltliche Nähe der wesentlichen Redakteure zur SPD ist auch nicht zu übersehen.
Was ja nicht heißt, das sie nicht eine der besten deutschen Zeitungen wäre (ich habe sie abonniert).
Die SPD-Nähe habe ich nur hervorgehoben, weil es ja darum ging, ob die Union vielleicht hinter der Kampagne steht.

> alle sogennanten scharping-affären waren nicht justiziabel, sondern
> eher instinktlosigkeiten.
Zwischen justiziabel (als echte Gesetzesverstöße) und instinktlos (Badephotos etc.) gibt es noch "politisch unmöglich".
In diese Schublade fallen Scharpings Ankündigungen zur US-Politik und die Airbus-Affäre.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 23. Juli 2002 - 17:00 Uhr:   

> Die SZ wurde als SPD-Parteizeitung gegründet
> und ist noch heute (zu etwa 30%) im Parteibesitz.

Das wär mir neu. Im
Rechenschaftsbericht 2000
der SPD steht jedenfalls nichts davon drin, obwohl da sonst alle möglichen Beteiligungen (auch indirekte) an Verlagen aufgeführt sind.

Gegründet worden ist die SZ direkt nach dem 2. Weltkrieg als Nachfolgerin der "Münchner Neuesten Nachrichten" (MNN); soweit ich weiß noch bevor irgendeine Partei wieder zugelassen war. Wenn ich richtig informiert bin, sind die MNN selbst 1848 und damit vor der SPD gegründet worden.

> Die inhaltliche Nähe der wesentlichen Redakteure
> zur SPD ist auch nicht zu übersehen.

Das mag für den Politikteil stimmen, aber sicher nicht für den Lokalteil, der eher CSU-nah ist und inzwischen rechts von der als tief schwarz verschrieenen Konkurrenz steht.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 23. Juli 2002 - 18:09 Uhr:   

Nochmal zur SZ: Erste Ausgabe war 1945-08-24 (Quelle); Parteien waren in der amerikanischen Zone seit 1945-08-27 zugelassen. Die MNN erscheinen zwar erst seit 1887-06-14, aber deren Vorvorgängerin, die "Neuesten Nachrichten aus dem Gebiete der Politik", seit 1848-04-09. Die SPD leitet ihre Herkunft vom ADAV, gegründet 1863-05-23, ab.
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Hamster
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. August 2002 - 15:52 Uhr:   

Vieles spricht dagegen, dass die Opposition dem Stern die Scharping-Affäre zugespielt wurde. Aber ich möchte mal zwei Kommentare der taz und der Süddeutschen Zeitung zur Diskussion stellen. Es geht um die Freiflug-Affäre und die BILD-Zeitung. Das zum Axel Springer Verlag gehörende 13-Millionen-Leser-Blatt hat bekanntlich eine der CDU/CSU nahe stehende Chefredaktion.

miles & moral
"Bild" im Sturzflug
Nein, Bild hat bei der Recherche keine Kosten gescheut. Das wurde gestern aus einem dieser blatttypischen Drei-Wort-Sätze deutlich: "Bild flog mit." Man könnte es auch anders formulieren: Bild flog auf.

Kommentar
von ULRIKE HERRMANN

Unbedingt wollte das Blatt beweisen, dass Umweltminister Jürgen Trittin dienstliche Bonusmeilen für private Urlaubsreisen nutzt. Also bestieg auch ein Bild-Team die "Air-Dolomiti-Maschine (Flugnummer EN 2676)" von Pisa nach München. Doch der Aufwand hat sich nicht gelohnt. Heraus kam nur ein einziges substanzielles Rechercheergebnis: Erstmals wurde ein Foto von Trittins Lebensgefährtin "Angelika B." gedruckt. Allerdings ist diese magere Ausbeute juristisch schwierig: Es fehlt die Einwilligung des Opfers. Das nennt man auch Recherche-GAU.

Außer Spesen ist nichts gewesen für Bild. Und die Spesen sind beträchtlich, übersteigen sie doch bei weitem die Reisetickets für zwei Sensationsjournalisten. Es wurde offensichtlich: Bild macht Wahlkampf, und zwar mit den fragwürdigen Methoden, die schon Günter Wallraff beschrieb.

Systematisch soll die unliebsame Regierung diskreditiert werden. Gezielt wird das Leben von grünen Spitzenpolitikern ausgeforscht, wird Privatsphäre missachtet. Aber dieser Eifer ruht natürlich, sobald es die eigene Klientel treffen könnte. Von einer möglichen Miles-Affäre des Berliner CDU-Spitzenkandidaten Günter Nooke erfahren die Bild-Leser nur ganz am Rande. Als sei es eine Petitesse.

Und schon gar nicht fühlt sich Bild berufen, in der anderen Affäre aus diesen Tagen herumzuwühlen. Es würde sich bestimmt lohnen, zu recherchieren, was es bedeutet, dass der Lobbyist Moritz Hunzinger jeden zu kennen schien, der in die CDU-Parteispendenaffäre prominent verwickelt war. Und dass er der Schatzmeister einer Vereinigung ist, die von Kohls anonymen Spenden profitierte. Aber warum sollte Bild dort auch nur ein bisschen Ausdauer investieren? Es verlief ja im Springer-Sinne: Der Grüne Cem Özdemir und Verteidigungsminister Rudolf Scharping sind zu Fall gebracht.

Zu Beginn der Ära Schröder konnte man meinen, auch Bild würde an die "neue Mitte" glauben. Das Blatt schien zu reifen, schien nicht mehr auf den kalten Krieg der Lager zu setzen. Diese Phase ist nun erkennbar vorbei. Auf der Titelseite freut man sich zwar wie eh und je über Unpolitisches, diesmal über Baby Schiffer, doch auf der Rückseite wird knallhart Politik gemacht. Das könnte man lustig finden, wenn Bild nicht so viele Leser hätte.

taz Nr. 6815 vom 1.8.2002, Seite 1, 85 Zeilen (Kommentar), ULRIKE HERRMANN,

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01.08.2002 11:03

Bild-Wahlkampf

Flug-Manöver

Wie sich die von Abgeordneten privat genutzten Bonus-Dienstmeilen in einen Malus für rot-grüne Politiker verwandeln.
Von Hans Leyendecker

(SZ vom 01.08.2002 )- In manchen Geldhäusern gibt es so genannte Kontengucker, die Magazinen und Illustrierten gegen Bares mitteilen, wer an wen wie viel gezahlt hat. Neuerdings gibt es auch Bonus-Meilen-Gucker. „Bild kennt etliche Namen von Gratisfliegern aus dem Bundestag“, meldete nicht ohne Stolz das Boulevardblatt.

Das war keine Überraschung. Als erster Vielflieger wurde vorige Woche der Grüne Cem Özdemir enttarnt, dann folgte der PDS-Star Gregor Gysi und am Mittwoch erschien die zum Axel Springer Verlag gehörende Boulevardzeitung mit der Schlagzeile: „Freiflug-Affäre: Jetzt auch zwei grüne Minister enttarnt?“ Umweltminister Jürgen Trittin und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, sollen privat Freiflüge genutzt haben, die sie nur dienstlich hätten verwenden dürfen.

Heiß diskutierte Auswahl

Lange Listen bei Bild, aber bislang nur drei Grüne und ein PDS-Mann am Pranger – die Auswahl der potenziellen Raffkes wird in Berlin und anderswo heiß diskutiert. „Offensichtlich läuft ein abgekartetes Spiel“ sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Das alles sei „auch ein Stück Wahlkampf“.

Doris Schröder-Köpf, Gattin des Bundeskanzlers, die 16 Jahre lang als Journalistin arbeitete (auch bei Bild), macht eine „parteipolitische Kampagne der neuen Bild-Macher“ aus. Der Süddeutschen Zeitung sagte sie, durch „Weglassen“ von Geschichten, die dem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber schaden könnten oder „durch eine Dramaturgie der Namen wie im Fall der Bonus-Meilen“ werde vor der Bundestagswahl „Politik gemacht“.

Weltanschauliche Frage

Die angebliche Kampagne werde allerdings nicht von der Verlegerin Friede Springer gesteuert. Für die neue, junge „Bild-Führung“ sei „das eine weltanschauliche Frage. Die rechnen mit den Lehrern ab und manchmal auch mit den Vätern, die zur Generation der 68er gehörten.“

Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, 37, einst Schüler einer von katholischen Ursulinen geleiteten Schule führt journalistische Kriterien an: „Wenn sich Politiker von links oder rechts auf Kosten der Steuerzahler Vorteile verschaffen, ist es Pflicht der Journalisten, egal ob sie bei der SZ oder Bild arbeiten, dies aufzudecken.“

Bei Bundestags-Wahlkämpfen fiel Bild früher als Sturmgeschütz der Konservativen auf, während die Leser mehrheitlich eher der SPD zuneigten. Im Wahlkampf 1998 schien sich das Blatt gewendet zu haben. Der damalige Chefredakteur Udo Röbel nahm eine Wahlkampfanzeige der CDU aus der Zeitung, ein Bild-Vize bekannte öffentlich, diesmal wähle er Schröder.

„Bild, Bild am Sonntag und Glotze“

Medienkanzler Schröder galt zunächst als der Lieblingssozialdemokrat von Bild. Ihm komme es bei den Meinungsmachern vor allem auf „Bild, Bild am Sonntag und Glotze“ an, soll er gesagt haben.

Anfang 2001 wurde das Verhältnis belastet. Wichtige Blätter des Springer-Verlages, Bild vorneweg, machten Front gegen Rot-Grün. Bei Berichten über die politische Vergangenheit des Außenministers und früheren Straßenkämpfers Joschka Fischers wurde als Erkennungszeichen das RAF-Symbol verwendet.

Der Kanzler machte eine „Kampagne“ von Springer-Verlag und Union aus und vermutete eine „Reideologisierung.“ Der designierte Springer- Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, 39, witterte einen Angriff auf die „Pressefreiheit“. Dann wechselten sich Phasen der Versöhnung mit neuen Auseinandersetzungen ab.

„Dazu gelernt“

Doris Schröder-Köpf findet, dass die Macher von Bild „dazu gelernt haben“. Die Kampagne im vorigen Jahr sei „plump“ gewesen. „Die gehen jetzt intelligenter vor. Wenn mein Mann die Probleme hätte, wie sie Herr Stoiber mit der Verwicklung der Bayerischen Landesbank in den Fall Leo Kirch oder mit anderen Geschichten hat, wäre das vielfältig auf Seite eins in Bild erschienen.“

Schröders Halbschwester Ilse Brücke fand Anfang des Jahres viel Interesse bei Springer, als die Sonderschullehrerin gegen die Abschaffung des Haushaltsfreibetrags für Alleinerziehende zu Felde zog: „Die Politik meines Bruders kostet mich 2400 Mark im Jahr“ titelte Bild am Sonntag.

Als aber Stoibers Schwester Hannelore Stein, die bei dem Luft- und Raumfahrtkonzern MBB mit Hilfe des Bruders untergekommen war und sich dort um Spenden bis zu 5000 Mark kümmerte, vor dem Spenden-Untersuchungsausschuss in München als Zeugin erscheinen musste, meldete Bild in München: „Stoibers Schwester: Nett, aber als Zeugin nutzlos.“

Macher fühlen sich missverstanden

In der Bundesausgabe fand der Auftritt nur am Rande Erwähnung. Für die Kanzler-Gattin ist der Fall klar: Im Fall Stoiber komme Unangenehmes in Bild „nur in kleinen Meldungen oder gar nicht vor“. „Normal“ wäre für den Boulevard die Frage: „Gerät Stoiber unter Druck?“

Die Bild-Macher fühlen sich missverstanden. Auch in der Freiflug-Affäre. Sauber hätten sie alles recherchiert und Anfragen im Dutzend rausgeschickt. In einigen Fällen wie bei Bundestagspräsident Wolfgang Thierse oder der PDS-Abgeordneten Christa Luft hätten sich Verdächtigungen rasch als falsch erwiesen.

Minister wie Trittin seien nun einmal wichtiger als einfache Abgeordnete. Außerdem spielten sich gerade die Grünen gerne als Saubermänner auf. Zumindest Trittin findet das alles gar nicht normal. Egal ob Dosenpfand oder Atom-Ausstieg – Schlagzeilen in Bild, die Schläge waren, begleiteten ihn.

Im Vorjahr druckte Bild ein altes Foto des grünen Ministers von 1994 mit irreführendem Text. Der Betrachter musste den falschen Eindruck bekommen, der Grüne sei damals von mit Schlagstock und Bolzenschneidern bewaffneten Demonstranten umringt gewesen. Dafür hat sich dann Diekmann bei Trittin entschuldigt.
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zerstoiber
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. August 2002 - 16:56 Uhr:   

die beiden kommentare sprechen mir aus der seele.
während zeitungen, die man im allgemeinen als konservativ-bürgerlich einschätzt, sich insbesondere vor wahlen durch eine erschreckende einseitigkeit und doppelte maßstäbe auszeichenen, sind zeitungen, die man zu unrecht spd-nah nennt, von ganz anderem journalistischem kaliber. so hat beispielsweise die süddeutsche zeitung, vor allem die person hans leyendeckers, große verdienste bei der aufarbeitung der politskandale in köln und wuppertal, ohne jedoch, anders als viele andere zeitungen, das drucken von berichten zum korrupten bonner cdu-fraktionschef oder den verlorenen steuerzahler-millionen beim kirch-konzern zu vernachlässigen.
was die rolle der bild-zeitung angeht, so wundert mich da bei der berichtsbestattung über grüne politiker gar nichts mehr. da regiert der blanke neid, der blanke hass, der vielen lesern aus der seele spricht und der dafür verantwortlich ist, daß ein im pesönlichen umgang möglicherweise schwieriger, aber, gemmesen an seinen amtsvorgängern, politisch ungemein erfolgreicher minister wie jürgen trittin beim gemeinen stammtischbruder ungesund hohen blutdruck hervorruft und in etwa das ansehen eines kinderschänders genießt.
deshalb kann ich mich in bezug auf die aktuellen skandälchen nur der forderung anschließen, schluß zu machen mit der scheibchenweisen bericherstattung. die liste mit allen sündern muß sofort auf den tisch, und alle sünder müssen mit gleichen maßstäben gemmessen werden, nicht länger in abhängigkeit von der parteizugehörigkeit.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. August 2002 - 16:58 Uhr:   

Irgendwie kann ich die Überraschung oder Empörung wegen der BILD-Berichte nicht nachvollziehen.
Es gab immer Zeitungen, die mehr links, und solche, die mehr rechts stehen. Und die einen schreiben lieber über rechte Affären, die anderen lieber über linke. Die politische Einordnung der BILD ist auch lange bekannt.

Entscheidend ist letztlich nur, wie die Fakten am Ende aussehen.
Im konkreten Fall, ob Trittin nun seine Flüge privat bezahlt hat oder nicht.
In ersterem Fall war der BILD-Bericht ein Flop - nichts unübliches, auch bei besseren Zeitungen.
Im zweiten Fall ist er rücktrittsreif, und BILD kann sich den Erfolg ans Revers heften.

Welche Variante stimmt, können derzeit weder taz noch SZ beurteilen (deswegen halte ich die Kommentare für etwas daneben).
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zerstoiber
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. August 2002 - 17:28 Uhr:   

wenn herr arnemann der meinung ist, jeder inkorrekte freiflug wäre ein rücktrittsgrund, müssen sich vielleicht auch die fraktionen von cdu/csu und fdp bald auf eine menge rücktritte einrichten. aber so läuft der hase wahrscheinlich nicht, der läuft nämlich haken, wie man im fall gysi eindeutig sehen kann: erst wird der mann rücktrittsreif geschrieben, und ist er dann zurückgetreten, mokieren sich die gleichen leute darüber. sowas nenne ich heuchelei, die mich empört, ganz egal wie oft sie noch vorkommt.
ist die sünderliste erst mal raus, wird keiner mehr zurücktreten, der dreck jedoch, den man geworfen hat, läßt sich bis zur bundestagswahl ganz sicher nicht mehr vollständig abwaschen.

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