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Sole
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 09:12 Uhr:   

Der SSW vertritt die sehr unterschiedlichen Minderheiten der Friesen und Dänen. In Brandenburg, wo das Wahlgesetz für die Sorben ähnliche Vorzüge vorsieht, spricht man derzeit über die Gründung einer neuen Partei.

Wäre es möglich, dass der SSW seine Statuten erweitert und stattdessen einen zweiten Landesverband gründet? Was spräche dagegen? Wie wirkt sich eine solche Formation auf das Privileg bei Bundestagswahlen aus? Schließlich verträte diese Partei dann nicht mehr über alle Listen eine bestimmte Minderheit.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 11:54 Uhr:   

Prinzipiell wäre das vielleicht eine nette Idee. Ich glaube aber nicht, dass sich viele Sorben für einen SSW-Ableger erwärmen ließen, zumal das Konstrukt ja wohl einzig und allein wahltaktischer Natur wäre.

Der sinnvollste Weg wäre es meiner Meinung nach, wenn sich - analog zur ursprünglichen Entwicklung des SSW - eine Wahlplattform aus der Domowina heraus bilden ließe. Nur leider lehnt sich die Domowina schon lange – spätestens seit dem Scheitern des Prager Frühlings – sehr eng an die gerade an der Macht befindlichen "deutschen" Parteien an (die Wende hat daran im Prinzip nicht viel geändert).

Nach dem zweiten Weltkrieg spielte übrigens die Tschechoslowakei zunächst für die Sorben eine ähnliche Rolle, wie der dänische Staat für die Dänen in Südschleswig. Doch nach dem Prager Frühling mussten sämtliche Exilorganisationen der Sorben in Prag aufgelöst werden. Auch ein Anschluss der Lausitz an die Tschechoslowakei war jetzt für alle Zeiten unmöglich geworden – ja, nicht einmal mehr als Drohkulisse vorhanden. Und 1969 wurden die Domowina endgültig als sozialistische Massenorganisation gleichgeschaltet, wovon sie sich nie wieder erholt hat.

Ohne den Kalten Krieg und die deutsche Teilung hätte es möglicherweise zwischen einem demokratischen Gesamtdeutschland und der Tschechoslowakei ähnlich weitreichende Abmachungen geben können, wie zwischen der Bundesrepublik und Dänemark im Falle Südschleswigs. Dann hätte sich vielleicht auch viel vom Niedergang der sorbischen Kultur aufhalten lassen. Man stelle sich z.B. einmal vor, was in Kopenhagen losgewesen wäre, wenn Kiel oder Bonn die Räumung zahlreicher dänischer Dörfer wegen des Braunkohletagebaus angeordnet hätten.

Doch das alles ist nur noch "hätte", "könnte" und "wäre". Und ein wirklich erfolgreiches Antreten der Sorben bei Wahlen wird derzeit auch deshalb praktisch unmöglich gemacht, weil das eh nur noch rudimentär vorhandene sorbische Siedlungsgebiet auch noch zwischen Brandenburg und Sachsen aufgeteilt ist. Aber dazu habe ich an anderer Stelle schon ausführlichst Stellung bezogen ...
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 15:04 Uhr:   

Nun sind aber die Sorben keine Tschechen (während die Schleswiger Dänen sehr wohl Dänen sind). Und die Lausitz war auch nie zwischen Deutschland und der Tschechei strittiges Grenzland.

Ich sehe daher keinen vernünftigen historischen Ansatzpunkt für eine ähnliche Konstellation.

Die Sorben sind eine eigenständige Minderheit innerhalb Deutschlands ohne ausländische Schutzmacht.
Und da sehe ich auch überhaupt keinen Sinn (geschweige denn irgendwo Pläne in diese Richtung) in einer "Übernahme der Sorbenvertretung" durch den SSW.

Schon die Ausweitung des SSW-Vertretungsanspruchs auf die Friesen war ja eher fragwürdig und umstritten.
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m
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 16:16 Uhr:   

@Ralf:

Die Sorben mögen keine Tschechen sein, zusammen mit den Tschechen und Mähren (auch die sind keine Tschechen!) zählten sie sich aber zu den "Böhmischen Völkern". Insbesondere das in der Oberlausitz gesprochene Sorbisch ist auch SEHR eng mit dem Tschechischen verwandt. Und die Lausitz bildete über viele Jahrhunderte eine politische Einheit mit Böhmen. Da könnte man beinahe mit mehr Berechtigung fragen, ob sich ein Platt sprechender Niedersache und ein Oberbayer wirklich zu Recht als Zugehörige ein und desselben Volkes verstehen können.

Noch bis in die Weimarer Republik hinein war Prag das unumstrittene kulturelle Zentrum der Sorben. Dort bestand z.B. das wichtige "Wendische Seminar" der katholischen Kirche und zahlreiche andere schulische und hochschulische Einrichtungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhob die Tschechoslowakei zumindest bis 1949 ganz offiziell Anspruch auf die Lausitz, danach noch durch die organisatorische und finanzielle Unterstützung separatistischer Organisationen (bis 1968).

Auch heute noch interveniert Prag regelmäßig gegenüber deutschen Institutionen, wenn es um die Interessen der Sorben geht, z.B. den Erhalt sorbischer Schulen. Auf Seiten der Tschechen macht sich insbesondere die Vorsitzende der "Kommission für Auslandstschechen" immer wieder zur Fürsprecherin der Sorben.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 16:18 Uhr:   

Da ist beim Posten gerade etwas schief gelaufen. Auch "m" bin ich.
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Sole
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 16:32 Uhr:   

Es ging mir nicht um Schutzmächte.

Wenn die Sorben tatsächlich eine parlamentarische Vertretung wollen (das Recht steht ihnen offen), dann können sie entweder eine eigene Partei aufbauen oder aber das Dach einer bestehenden Partei mit demselben Privileg nutzen und sich dort "anbauen". Voraussetzung wäre, dass beide das wollen. Es würde den Charakter des SSW verändern.

Dass Christen und Christen einmal in derselben Partei wären, war in Weimar sicher auch nicht vorstellbar. Ob es *Sinn macht*, also pragmatisch ist, so eine Minderheitensammelpartei zu haben ist ja eine offene Frage.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 17:20 Uhr:   

"zählten sie sich aber zu den "Böhmischen Völkern"."

Was ist denn das für eine Argumentation. Da könnte man genauso sdagen, daß sowohl Deutsche als auch Dänen germanische Völker sind. Aber de facto gibt es in Deutschland keine autochone Minderheiten. Die "Dänen" und "Sorben" reden im Alltag sowieso fast nur nur Deutsch. Richtige Minderheiten benutzen ihre Sprache auch wirklich. Die Südtiroler Volkspartei (die hat übrigens keine Privilegien) würde sicher keinen Parteitag auf Italienisch abhalten.

Übrigens hätte der SSW auch ohne Bündnis mit anderen Minderheiten eine Chance auf einen Sitz. Die Türken könnten noch ein paar mehr holen, wenn sdie eine eigene Partei gründeten. Aber das will ich mal nicht hoffen.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 17:43 Uhr:   

@Martin:
> Die Sorben mögen keine Tschechen sein, zusammen mit den Tschechen und
> Mähren (auch die sind keine Tschechen!) zählten sie sich aber zu den
> "Böhmischen Völkern".
Verwandschaft ja - aber eben nicht Identität wie bei den Dänen.

> Insbesondere das in der Oberlausitz gesprochene Sorbisch ist auch
> SEHR eng mit dem Tschechischen verwandt.
Da bin ich nicht so fit - aber sind nicht überhaupt die slawischen Sprachen dieser Region (also neben Sorbisch und Tschechisch (Mährisch gibt es ja wohl nicht) auch Slowakisch und Polnisch) ziemlich eng miteinander verwandt?

> Und die Lausitz bildete über viele Jahrhunderte eine politische
> Einheit mit Böhmen.
Aber doch nur indirekt darüber, daß die Lausitz zu Schlesien gehörte.
Und das ist jetzt schon einige Jahrhunderte her, also mit Schleswig nicht so gut vergleichbar.

Aber gut - entscheidend ist natürlich, wie die Sorben das sehen.
Wenn die die Tschechen (und nicht z. B. die Polen) als hauptsächlichen Ansprechpartner sehen, ist das ihr gutes Recht.
Es ist nur die Frage, ob man auch zweifelsfrei feststellen kann, daß die Sorben das so sehen.

Wenn sich umgekehrt die Tschechen als Fürsprecher der Sorben gerieren, kann das auch schlichte Anmaßung und Einmischung sein (um nicht zu sagen: Expansionsansprüche).

> Auch "m" bin ich.
Hihi, kenne ich. Firefox?
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. März 2005 - 19:08 Uhr:   

@Thomas Frings:

"Die "Dänen" und "Sorben" reden im Alltag sowieso fast nur nur Deutsch. Richtige Minderheiten benutzen ihre Sprache auch wirklich."

Das ist eine ziemlich gewagte Argumentation. Mit der gleichen Begründung könnte man z.B. behaupten, dass spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts die Iren ihre Existenz als "eigenständiges" Volk beendet hätten. Selbst gut achtzig Jahre Selbsständigkeit haben keine wirkliche Wiederbelebung des Irischen ermöglicht.
Trotzdem wird sich wohl kaum ein Ire als Engländer fühlen, auch wenn er in der Regel nur der englischen Sprache mächtig ist. Die Sprache kann also allenfalls ein Element sein (wenn auch ein wichtiges), aber sicherlich nicht das einzig entscheidende.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Freitag, 18. März 2005 - 16:10 Uhr:   

Natürlich ist die Sprache nicht der einzige Indikator, wohl aber ein sehr wichtiger. Der Vergleich mit Irland ist schief. Den "Dänen" hat man nie geknechtet, z.B. nie ihr Land weggenommen. In Irland gab es und gibt es in Nordirland noch heute die Religion als Unterscheidungskriterium. Auch das fällt in Schleswig flach. Ein anderes Merkmal als die Sprache kann ich jedenfalls dort nicht erkennen.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Sonntag, 27. März 2005 - 22:00 Uhr:   

rbb-online.de , 26. März 2005:

"Wendische Volkspartei" in Cottbus gegründet

In Cottbus ist am Samstag die Wendische Volkspartei (Serbska Ludowa Strona, SLS) gegründet worden. Nach dem Willen der Initiatoren um den Cottbuser Hannes Kell soll sie der politische Arm der sorbisch/wendischen Minderheit in Brandenburg werden.

Die neue Partei spricht sich in ihrem Programm u.a. gegen neue Braunkohleprojekte, für mehr sorbischen Sprachenunterricht für Kinder und verstärkte Brauchtumspflege aus. Über weitere Ziele und die personelle Besetzung soll am Ostermontag in Peitz informiert werden.

Die Parteigründung war schon vor Wochen angekündigt worden. Der Vorsitzende des Sorbenrats beim Landtag und stellvertretende Geschäftsführer der Domowina, Harald Konzack, hatte damals den Schritt als "Spaltung des sorbischen Volkes" kritisiert. Domowina-Vorsitzender Jan Nuck bezweifelte außerdem, dass eine Sorbenpartei bei einer Landtagswahl überhaupt die 20.000 Stimmen bekomme, die für einen Sitz im Parlament wohl benötigt werden.

Vorbild der SLS ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). Der SSW ist die Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Bei der Landtagswahl im Februar erhielt er 3,6 Prozent der Stimmen.

Der SSW ist von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und sitzt mit zwei Abgeordneten im Kieler Landtag. Damit die SLS nicht der Fünf-Prozent-Klausel unterliegt, bedarf es einer Einstufung vom Landeswahlausschuss als "Landesliste der Sorben".

In der Lausitz leben 60.000 Sorben/Wenden, davon 20.000 in Brandenburg.


Präambel auf www.wendische-volkspartei.de:

Die SLS. vertritt die nationalen politischen Interessen und den Willen des wendischen/sorbischen Volkes in der Kontinuität der Rechtsnachfolge der 1919 gegründeten Lausitzer Volkspartei, die ab 1924 in Wendische Volkspartei umbenannt wurde. In ihrer Tätigkeit entwickelt und unterstützt sie alle Bemühungen, die sich auf die Erhaltung und nationale Wiederbelebung des Wendentums richtet. Die SLS. setzt sich für die volle Verwirklichung der gesetzlichen Rechte des wendischen als auch des sorbischen Volkes und die weitere Sicherung der staatlichen Förderung ein, die für die Erhaltung und Entwicklung der wendischen als auch der sorbischen Sprache und Kultur sowie der Traditionen und Bräuche der Wenden und Sorben erforderlich sind, als auch den Erhalt ihres Siedlungsgebietes. Es gehört zu den Grundrechten eines jeden Volkes seine Identität in Sprache und Kultur zu verteidigen.

[Link repariert – Anm. des Admins]
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Sonntag, 27. März 2005 - 23:01 Uhr:   

20.000 Stimmen ist ein bißchen viel. Rund 7.000 Zweitstimmen in Brandenburg dürften reichen.
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Kai
Veröffentlicht am Sonntag, 27. März 2005 - 23:01 Uhr:   

Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes (GVBl. 2004 I S. 30) wäre eine Sorbenpartei zwar von der 5-%-Klausel befreit. Ob es sich bei einer Partei um eine solche handelt, entscheidet nach § 3 Abs. 1 Satz 3 des Landeswahlgesetzes der Landeswahlausschuss auf Vorschlag des Landtagspräsidiums nach Anhörung des Rates für sorbische Angelegenheiten. Und dieser wird wiederum gemäß § 5 Abs. 1 des Sorbengesetzes (GVBl. 1994 I S. 294) vom Landtag auf Vorschlag der sorbischen Verbände gewählt. Soweit ich weiß, ist dies derzeit nur Domowina, sodass diese eine starke Position gegen die Freistellung der neugegründeten Partei von der 5-%-Klausel hat.
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J.A.L.
Veröffentlicht am Sonntag, 27. März 2005 - 23:50 Uhr:   

Würden die sorbischen Verbände sich nicht aber lächerlich machen, wenn sie gegen die Gründung einer Partei opponieren würden? Dann könnte man ihnen doch schnell den Vorwurf machen, dass sie in Eigen- und nicht im sorbischen Gesamtinteresse handeln, da sie ja so für die Sorben auf Privilegien verzichten.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Montag, 28. März 2005 - 00:13 Uhr:   

Es hängt davon ab, was für eine Partei das wäre. Wenn sie am Ende nur von einer kleinen Minderheit der Sorben unterstützt würde, wäre sie auch ohne 5%-Hürde chancenlos. Das könnte dann so interpretiert werden, als wären die Sorben bereits völlig assimiliert und würden keinen besonderen Minderheitenstatus mehr brauchen. Und das wiederum beträfe die Domowina, die die Sorben vertritt, wenn auch nicht als Partei.
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Knut
Veröffentlicht am Samstag, 02. April 2005 - 13:22 Uhr:   

@ Thomas Frings:
Dass die Dänen und Friesen in Südschleswig neben Dänisch und Friesisch auch Deutsch sprechen, spricht doch nicht gegen deren Status als autochone Minderheiten. Dänen und Friesen stammen aus Südschleswig und sind nicht (wie zum Beispiel die Türken) eingewandert (vergleiche die dänischen/friesischen Dorfnamen in Südschleswig).

Ich lass mir jedenfalls äußerst ungern mein Dänisch-Sein absprechen!

Die Südstiroler in Italien haben ähnliche Rechte wie der SSW in Schleswig-Holstein. Die Südtiroler Volkspartei ist auch im italienischen Parlament vertreten.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Sonntag, 03. April 2005 - 09:46 Uhr:   

"Die Südtiroler Volkspartei ist auch im italienischen Parlament vertreten."

Ja, aber es gab für sie nie eine Sonderregelung. Die Südtiroler haben es auch insofern einfacher, daß sie zwar Minderheit, aber in ihrem Siedlungsgebiet mit etwa 2/3 der Bevölkerung in der Mehrheit sind. Daher hat die SVP 3 der 4 Südtiroler Kammer- und 2 der der 3 Senatswahlkreise sicher. Von der 4%-Hürde ist sie aber nicht befreit.

Und eine friesische Nation existiert nicht, von daher kann es auch keine friesische Minderheit geben. Oder will hier jemand allen Ernstes erzählen, daß die "Friesen" von Leeuwarden bis Sylt eine Nation bilden?
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Sonntag, 03. April 2005 - 11:33 Uhr:   

@Thomas Frings:

"Die Südtiroler haben es auch insofern einfacher, daß sie zwar Minderheit, aber in ihrem Siedlungsgebiet mit etwa 2/3 der Bevölkerung in der Mehrheit sind."

So etwas wie "die Südtiroler" gibt es in Wirklichkeit natürlich überhaupt nicht. Historisch betrachtet sind die meisten "Südtiroler" Ladiner also Rätoromanen, die sich nach deinen, hier in diesem Thema aufgestellten Maßgaben allenfalls in Nuancen von ihren italienischen Mitbürgern unterscheiden. Fast alle bekannten Südtiroler - ich denke hier z.B. an einen gewissen Bergsteiger - sind Ladiner und keineswegs "Deutsche" oder "Österreicher".
Nach dem ersten Weltkrieg gab es dann allerdings in Südtirol eine ähnliche Entwicklung wie nach dem zweiten Weltkrieg in Südschleswig mit den sogenannten "Speckdänen". Viele Ladiner - ich möchte sie mal die "Friesen Südtirols" nennen - (und auch "alteingesessene" Italiener) solidarisierten sich nämlich mit der deutschsprachigen "Minderheit" oder gingen in ihr sogar ganz auf, obwohl sie aufgrund ihrer Sprache eigentlich viel mehr Berührungspunkte mit den Italienern haben. Es war ja schließlich auch kein Zufall, dass Südtirol nach dem ersten Weltkrieg Italien zugesprochen wurde.
Die Südtiroler Volkspartei hat es auch immer vermieden, sich nur als Anwalt der deutschsprachigen Minderheit zu verstehen. Ihr Anspruch ist ausdrücklich eine VOLKSpartei für ALLE Südtiroler zu sein. Das umfasst vor allem natürlich Deutschsprachige und Ladiner, aber auch Italiener. In diesem Ansatz ähneln sich übrigens SVP und SSW sehr stark.
Und ich glaube deshalb auch, dass der Ansatz der Wendischen Volkspartei zu kurz greift. Vielleicht hätte man lieber einen "Lausitzer Wählerverband" mit breiterem Vertretungsanspruch gründen sollen. Allerdings wäre dann die Gefahr, als Minderheitenpartei nicht anererkannt zu werden, wohl noch größer.


"Und eine friesische Nation existiert nicht, von daher kann es auch keine friesische Minderheit geben."

Die Friesen sind natürlich eine eigenständige Nation unter den westgermanischen Völkern. Sprachlich sind sie z.B. viel weiter von den Deutschen abgesetzt als die Niederländer, denen wohl auch niemand ihre Existenz als Nation abspricht. Über lange Zeiten konnten die Friesen sogar viele Sonderrechte im Deutschen Kaiserreich bewahren (selbst unter der Habsburger-Herrschaft in Westfriesland).
Anders als etwa Niederländern oder Belgiern gelang ihnen aber keine (dauerhafte) Etablierung eines eigenen NationalSTAATS in der Neuzeit. Deshalb kann man ihnen aber nicht die Existenz als Nation absprechen.
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Good Entity
Veröffentlicht am Sonntag, 03. April 2005 - 13:45 Uhr:   

@Knut: Das Kriterium der Einwanderung würde ich hier nicht für maßgebend ansehen. Beispielsweise sind alle Franzosen in Kanada (politisch korrekt: Französischstämmige Kanadier) beziehungsweise deren Vorfahren irgendwann in den letzten Jahrhunderten nach Kanada eingewandert. Niemand wird bestreiten, dass es eine "französische Minderheit" (rund 7.000.000 oder rund 23 %) in Kanada gibt.

@Thorsten Frings: Es gibt auch nirgends auf der Welt einen Staat der Inuit (Eskimos). Gleichwohl gibt es in Kanada unbestreitbar eine Minderheit der Inuit. Und wenn man hier andere Interpretationen von "Nation" oder so vornimmt und den Inuit aufgrund ihres Selbstverständnisses doch den Begriff einer Nation zuordnen will, kommt als nächstes Beispiel die ebenfalls eindeutig vorhandene "indianische Minderheit" (Alle Inuit und Indianer zusammen etwa 800.000 oder 2,5 %) in Kanada. Einzelne Stämme oder Volksgruppen betrachten sich eventuell noch als Nation, nicht aber die indianische Bevölkerung insgesamt.

@Martin Jurgeit: Und dann hätten wir in Kanada noch etwa 350.000 Anhänger der jüdischen Religion (ca. 1 %). Wenn man die Existenz einer Minderheit in einem Staat von der Existenz einer Nation dort oder andernorts abhängig macht, hätte es bis 1948 also mangels Staat Israel keine politisch zu berücksichtigende jüdische Minderheit in Kanada gegeben. Ich denke, die Frage einer Minderheit mit berechtigten (oder auch unberechtigten) kulturellen und politischen eigenen Interessen hat mit schwer definierbaren abstrakten Begriffen wie Nation oder Staat wenig zu tun.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Sonntag, 03. April 2005 - 17:57 Uhr:   

@Good Entity:

Im Prinzip bin ich mit dir d'accord. Wenn du dir mein Posting genau ansiehst, siehst du sicherlich, dass ich den Friesen ja gerade TROTZ fehlendem Staat das Recht zusprechen wollte, sich als eigenständige Nation zu verstehen.

Zu Kanada möchte ich anfügen, dass sich die indianischen Völker selbst als "First Nations" verstehen. Bei den Franko-Kanadiern würde ich aber sagen, dass die Quebecer meiner Meinung nach inzwischen als "eigene" Nation zu verstehen sind. Schließlich würde man die englischsprachigen Kanadier, Amerikaner oder Australier auch nicht mehr einfach als Engländer abstempeln können.

Vorsichtig wäre ich aber bei deiner Argumentationslinie in Bezug auf Israel. Israel ist ausdrücklich ein mehrsprachiger Staat, in dem sich zudem etwa ein Viertel der Bevölkerung NICHT zum jüdischen Glauben bekennt (vor allem sunnitische Moslems, aber auch Drusen und Christen). Der größte Fußballstar der israelischen Nationalmannschaft ist z.B. derzeit der "sunnitische Araber" Abbas Suan vom "arabischen" Verein Bnei Sachnin, dem aktuellen Pokalsieger Israels.
Religiöse Fragen sollten möglichst komplett aus solchen Diskussionen heraus gehalten werden. Auch im Israel/Palästina-Konflikt wird erst Frieden einkehren können, wenn es keine Rolle mehr spielt, welche Religion ein Mensch hat. Es muss völlig "normal" werden, dass ein Moslem aus Jaffa auch Israeli und ein Jude aus Hebron auch Palästinenser ist - genauso wie Deutsche evangelische oder katholische Christen, Juden oder Moslems sind.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Montag, 04. April 2005 - 16:54 Uhr:   

"So etwas wie "die Südtiroler" gibt es in Wirklichkeit natürlich überhaupt nicht. Historisch betrachtet sind die meisten "Südtiroler" Ladiner also Rätoromanen, die sich nach deinen, hier in diesem Thema aufgestellten Maßgaben allenfalls in Nuancen von ihren italienischen Mitbürgern unterscheiden. Fast alle bekannten Südtiroler - ich denke hier z.B. an einen gewissen Bergsteiger - sind Ladiner und keineswegs "Deutsche" oder "Österreicher"."
Natürlich sehen sich die deutschsprachigen Südtiroler (immerhin 69% der Bevölkerung Südtirols) nicht als Ladiner. Hätten sie 1919 über die Zugehörigkeit abstimmen können, hätten sie ohne Zweifel für Österreich gestimmt. Und unter Mussolini "optierte" die große Mehrheit für das Deutsche Reich und damit für eine glücklicherweise nie richtig durchgeführte Umsiedlung. Welche Sprache Vorfahren vor 500 oder 1000 Jahren gesprochen haben, ist irrelevant. Fast jedes Volk ist wohl aus verschiedenen Gruppen zusammengewürfelt.

"Über lange Zeiten konnten die Friesen sogar viele Sonderrechte im Deutschen Kaiserreich bewahren"
Welche?

"Anders als etwa Niederländern oder Belgiern gelang ihnen aber keine (dauerhafte) Etablierung eines eigenen NationalSTAATS in der Neuzeit"

Das gelang u.A. den Langobarden, Hetitern, Alemannen und Sueben auch nicht, und vor allem sdeshalb gibt es auch die entsprechenden Nationen nicht.
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Good Entity
Veröffentlicht am Montag, 04. April 2005 - 19:00 Uhr:   

@Martin Jurgeit: Ja, ich sehe die Übereinstimmung auch. Ich wollte die Abhängigkeit des Begriffes "Minderheit" von dem Begriff "Nation" komplett entkoppeln, daher mein obiges Beispiel.

Auf das Kriterium "Religion" habe ich unter anderem aufgrund der Postings von Dir und Thomas Frings am 16./ 18. März 2005 in diesem Thread zurückgegriffen. Dort war die Religion für (Nord-)Irland als "noch vorhandenes" Entscheidungskriterium herausgestellt worden. Ich würde dieses Kriterium auch gerne komplett verbannen - allein, die Betroffenen wollen das offensichtlich nicht, siehe gerade Nordirland. Da die nordirischen Protestanten zu einem erheblichen Teil schottischer und somit keltischer Abstammung sind und sogar die historischen irischen und gälischen Sprachen ähnlich zueinander sind (wenn sie denn noch von der Mehrheit der Bevölkerung benutzt würden), entfällt so ziemlich jedes andere objektive Kriterium neben der Religion beim Unterscheiden der beiden Bevölkerungsteile, die aber sehr gerne unterschieden werden wollen.

@Thomas Frings: Entschuldigung, dass ich Dich bei meinem letzten Posting als Thorsten Frings angeredet habe, sehe ich jetzt erst. Da hat sich wohl die Minderheit der Fussballnationalspieler in meine Gedanken geschoben.

Neben den Langobarden etc. haben auch die Kurden keinen Nationalstaat in der Neuzeit aufbauen können. Trotzdem wird man sie sicherlich nicht ignorieren können, wenn es um die kulturelle und politische Berücksichtigung von Volksgruppen geht.
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Martin Jurgeit
Veröffentlicht am Montag, 04. April 2005 - 20:51 Uhr:   

@Thomas Frings:

"Natürlich sehen sich die deutschsprachigen Südtiroler (immerhin 69% der Bevölkerung Südtirols) nicht als Ladiner. Hätten sie 1919 über die Zugehörigkeit abstimmen können, hätten sie ohne Zweifel für Österreich gestimmt."

In ganz Südtirol hätte es wohl zu keiner Zeit (nicht einmal kurz nach dem Ersten Weltkrieg) eine Mehrheit für den Verbleib bei Österreich gegeben. Lediglich in dem nördlichen Bereich, der Provinz Bozen (die übrigens erst 1926 für die mehrheitlich deutschen Gebiete gebildet wurde), wäre das zu erwarten gewesen.


"Welche (Sonderrechte für Friesen im Deutschen Kaiserreich)?"

Der Geschichtsschreiber Ubbo Emmius noch im 17. Jahrhundert:
"Sie bilden einen völlig selbstständigen Staat für sich, diese Anwohner des deutschen Meeres; eine freie Republik, und das völlig losgelöst vom übrigen Deutschland. Nur die Persönlichkeit des Kaisers vermittelt eine gewisse lockere Zusammengehörigkeit, denn den Kaiser, aber auch nur ihn erkennen die Friesen als ihren Herren an. Freie Männer sind sie und rechtlich alle gleich.
Niemandes Leute sind sie, sie wissen nichts vom Lehnsverband, von Vasallentum. Niemandem zahlen sie Abgaben, wie die armseligen Menschen drüben im Reiche. Keinem Herren sind sie zur Heerfolge verpflichtet, selbst dem Kaiser, ihrem Schirmvogt, leisten sie nur dann Heerfolge, wenn er sie besonders darum bittet und wenn es ihnen alsdann gefällt."
(aus "De Frisia et Frisiorum republica", Leiden 1626, zitiert nach Franz Kurowski: "Die Friesen - Das Volk am Meer".)
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 05. April 2005 - 08:38 Uhr:   

"In ganz Südtirol hätte es wohl zu keiner Zeit (nicht einmal kurz nach dem Ersten Weltkrieg) eine Mehrheit für den Verbleib bei Österreich gegeben. Lediglich in dem nördlichen Bereich, der Provinz Bozen (die übrigens erst 1926 für die mehrheitlich deutschen Gebiete gebildet wurde), wäre das zu erwarten gewesen."

Was soll die Haarspalterei: Natürlich meinte ich mit Südtirol, wie im heutigen Sprachgebrauch üblich, nur die Provinz Bozen ohne das Trentino. Die 1926 unter Mussolini gebildete Provinz Bozen umfaßte übrigens nicht das Unterland zwischen Bozen und Salurn, das kam erst nach dem 2. Weltkrieg dazu.

Zu den Friesen: Fest steht, daß eine friesische Sprache heute nicht existiert, es gibt allenfalls ein paar Reste in den Dialekten. Nicht erbuntertänige Bauern gab es auch in Tirol. Außerdem: Welche Friesen sind denn gemeint? Wahrscheinlich nicht die in Nordfriesland, als deren Vertreter sich der SSW ausgibt. SH war bekanntlich Jahrhunderte unter dänischen Einfluß und die Bauernrepublik Dithmarschen haben die Dänen nach einem Fehlschlag letztlich platt gemacht. Glaube nicht, daß man die Friesen besser behandelt hat.
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tg
Veröffentlicht am Dienstag, 05. April 2005 - 09:45 Uhr:   

Natürlich existiert eine friesische Sprache. Sie ist in der niederländischen Provinz Fryslan / Friesland sogar Amtssprache. Zahlreiche Hinweistafeln und Schilder sind dort zweisprachig. Ich habe mir bei einem Besuch in der Hauptstadt Ljouwen / Leeuwareden mehrmals zunächst die friesische Version angeschaut. Natürlich habe ich einiges verstanden, aber vieles eben auch nicht, obwohl ich die drei nächsten Verwandten des Friesischen (Englisch, Deutsch und Niederländisch) spreche.

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