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Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Bundesratsabstimmung zum Zuwanderungsgesetz » 151-175 « Zurück Weiter »

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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 08. November 2002 - 16:48 Uhr:   

@Enno:
OK, bei einer rechtsgültigen Entlassung als Minister endet implizit und gleichzeitig auch die Eigenschaft, Bundesratsmitglied zu sein - das ist durch die Koppelung wohl doch klar.

Klar ist auch, daß der Ministerpräsident nach Landesverfassung das alleinige Recht hat, Minister zu benennen oder zu entlassen (und in Brandenburg offenbar auch ohne den Landtag zu fragen).

Und dennoch muß dieses prinzipielle Recht irgendwie durch Formen, Fristen und andere Rahmenbedingungen einschränkbar sein.
Einen Minister fristlos zu feuern ist ja noch die einfache Variante.

Aber es kann ja wirklich nicht sein, daß ein Ministerpräsident völlig nach Belieben und auf der Stelle eine beliebige Anzahl von Ministern schaffen kann. Die Mißbrauchsmöglichkeiten wären ja endlos ...
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Enno
Veröffentlicht am Freitag, 08. November 2002 - 18:55 Uhr:   

@ Ralf Arnemann:

Soweit die Landesverfassung keine weiteren Regelungen vorsieht, wie etwa eine Begrenzung der Anzahl der Mitglieder einer Landesregierung - in Bayern ist das m. E. der Fall -, kann der Ministerpräsident sicherlich jederzeit Minister ernennen und entlassen.

Die Ministergesetze konkretisieren die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Landesregierungen. Also können sich allenfalls daraus nähere Rahmenbedingungen ergeben. Die Befugnisse des Ministerpräsidenten, die diesem nach der Landesverfassung zustehen, können dadurch aber nicht eingeschränkt werden.

Was du mit Missbrauchsmöglichkeiten meinst, habe ich nicht ganz verstanden. Für die konkrete Bundesratsabstimmung gab es ja keine Missbrauchsmöglichkeit, denn die Neubenennung eines Bundesratsmitgliedes hätte ja durch die brandenburgische Landesregierung als Kollegialorgan erfolgen müssen, die ja nicht während einer Bundesratssitzung tagen kann.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Freitag, 08. November 2002 - 23:40 Uhr:   

@ Ralf Arnemann:
>Falls die Bundesregierung sich ausschließlich auf Schilys
>These stützen sollte, kann es eigentlich nur 8:0 ausgehen.

Die Richter sind in Ihrer Entscheidungsbegründung nicht auf das beschränkt, was vorgetragen wurde. Sie könnten also durchaus auch auf die Richtlinienkompetenz zurückgreifen.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Samstag, 09. November 2002 - 00:38 Uhr:   

In der Vergangenheit waren die Vorab-Meldungen über BVerfG-Entscheidungen recht zuverlässig. Wenn ich mich recht entsinne, hatten 1997 die Frankfurter Rundschau das 4:4-Patt beim Überhang-Urteil und 1998 der FOCUS das Urteil zur Rechtschreibreform bereits vor der Bekanntgabe korrekt vorhergesagt. Im Falle der Rechtschreibreform führte dies ja sogar dazu, daß die Beschwerdeführer ihre Verfassungsbeschwerde noch vor der Verkündung zurückzogen, um das erwartete Urteil zu verhindern. Vorabmeldungen, die sich später als falsch herausstellten, gab es meines Wissens nicht.

Man kann also wohl davon ausgehen, daß das Zuwanderungsgesetz in Karlsruhe scheitern wird. Das entspricht übrigens auch den bisher zu diesem Thema erschienenen Abhandlungen in der juristischen Fachliteratur. Während die unmittelbar nach der Bundesratsabstimmung in den Medien kolportierten Stellungnahmen von Staatsrechtlern ja noch relativ hälftig auf beide Seiten verteilt waren, gibt es bei den ausführlichen Erörtungen in den Fachblättern eine klare Tendenz zur Auffassung, das Gesetz sei nicht verfassungsgemäß zustande gekommen.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Sonntag, 10. November 2002 - 23:18 Uhr:   

Ja, aber ich erinnere an den Fall von 1983, die Gültigkeit der vorzeitigen Bundestagsauflösung durch Bundespräsident Karl Carstens betreffend. Hier wurde in Zeitungen meiner Erinnerung nach berichtet, eine Mehrheit im BVerfG lehne die Auflösung des Bundestages durch Bundespräsident Carstens als verfassungswidrig ab, da die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Kohl fingiert sei. Es hieß zeitweise sogar, es gäbe eine diesbezügliche Richtermehrheit von 6:2. Bundespräsident Karl Carstens soll daraufhin - meiner Erinnerung nach - angedeutet haben, von seinem Amt zurückzutreten, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung verwerfe. Der "Kompromiss:" Das Bundesverfassungsgericht billigte damals die Auflösung des Parlamentes, zeigte aber deutlich, dass es in Zukunft nicht automatisch in diese Richtung entscheiden würde. Ich wäre sehr vorsichtig, was die Voraussehbarkeit dieser Entscheidung beträfe. Aufgrund meiner und anderer früheren Beiträge zu diesem Thema sage ich allerdings: ich begruesse das Zuwanderungsgesetz, halte jedoch - wie Wilko und andere - das Zustandekommen dieses Gesetzes und das Verhalten des damaligen Bundesratspräsidenten Wowereit für verfassungswidrig. Wilko hat damals auch ein ganz entscheidendes Argument angesprochen: es kann nicht in der - parteipolitischen Zugehörigkeit des Bundesratspräsidenten liegen -, ob ein Bundesgesetz zustandekommt oder nicht. Wenn also die Meldung tatsächlich korrekt ist, dass 5 der 8 Richter der Auffassung sind, das Zustandekommen des Gesetzes sei rechtswidrig, so kann ich dem nur zustimmen. Aber - wie oben gesagt - ich wäre vorsichtig, aufgrund von Zeitungsberichten die Entscheidung des BVerfG zu diesem Thema schon für gefallen zu halten. Interessant finde ich allerdings auch, dass - wenn ich die obigen Beiträge richtig verstanden habe, die SPD ihre Argumentationslinie, der Ministerpräsident eines Landes habe die Stimmführerschaft, aufgegeben zu haben scheint. Nur diese "Argumentationslinie" halte ich nach reiflicher Überlegung überhaupt für "juristisch" plausibel und damit geeignet, eine Mehrheit der Richter im BVerfG zu überzeugen. Nichtsdestotrotz möchte ich aber in diesem Zusammenhang auch nochmals betonen, dass ich die Entscheidung von Bundespräsident Rau, das Zuwanderungsgesetz zu unterzeichen (siehe die von mir ins Forum gestellte Rede) für richtig halte. Karl Carstens und Roman Herzog haben sich - wie ersichtlich - ja ebenso verhalten. Ich hoffe, dass eine solche - zurückhaltende - Interpretation der Rechte des Bundespräsidenten "Schule" machen wird. Ich hielte es auch nach wie vor für sinnvoll, wenn der Bundespräsident als Verfassungsorgan, wie bis in die 1950-ger Jahre möglich, selber das Bundesverfassungsgericht anrufen könnte. Er würde damit stärker dem Parteienstreit enthoben werden und dies wäre gut für seine integrierende Funktion.
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c07
Veröffentlicht am Montag, 11. November 2002 - 02:02 Uhr:   

Als Nichtjurist find ich Schilys Argumentation die bisher einleuchtendste. Wenn die Stimmen laut Grundgesetz nur einheitlich abgegeben werden können, versteh ich als Laie darunter, dass etwas anderes technisch nicht möglich ist. Das müsste also die Geschäftsordnung irgendwie sicherstellen. Nachdem sie es aber nicht tut, ist es doch am naheliegendsten, dass die erste abgegebene Stimme zählt, die ja sonst auch stellvertretend für die ganze Delegation gezählt wird. Dass ein Ministerpräsident aus der Sicht des Bundesrats kein Vorrecht hat, ist für mich nach der Diskussion hier völlig klar.

Enno: Die bayrische Verfassung beschränkt die Staatsregierung seit 1998 auf 18 Mitglieder (vorher waren es 17-22, wovon Abweichungen mit Zustimmung des Landtags möglich waren). Aber ohne den Landtag kann der Ministerpräsident seine Regierung nicht umbilden, was ebenfalls in der Verfassung geregelt ist.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 11. November 2002 - 14:04 Uhr:   

@c07:
> Als Nichtjurist find ich Schilys Argumentation die bisher
> einleuchtendste.
Ehrlich? Der erste Zuruf zählt? Eine Abstimmung als Wettrennen?
Das leuchtet mir so überhaupt nicht ein.
Man könnte mit gleicher Berechtigung den ältesten Landesvertreter oder den schönsten nehmen ...

> Wenn die Stimmen laut Grundgesetz nur einheitlich abgegeben werden
> können, versteh ich als Laie darunter, dass etwas anderes technisch
> nicht möglich ist.
Das ist schon plausibler - wobei das noch nicht sagt, wie diese Einheitlichkeit festgestellt wird.
Man könnte in der Tat ein Abstimmungsverfahren so konstruieren, daß technisch nur eine gültige Stimmabgabe möglich ist.
In der üblichen Praxis bedeutet aber eine Vorschrift wie "Stimmen müssen einheitlich abgegeben werden", daß ein abweichendes Verhalten eben eine ungültige Stimmabgabe ist.
Das ist doch schon beim normalen Wahlrecht so. Man darf nur eine Erst- und eine Zweitstimme abgeben. Das heißt aber nicht, daß Stimmabgaben mit mehr Kreuzen technisch unmöglich wären - der Stimmzettel hält viel aus. Aber bei Verstoß gegen die Vorschrift wird die Stimme ungültig.

> Das müsste also die Geschäftsordnung irgendwie sicherstellen.
Richtig. Egal wie das Urteil ausfällt, die Bundesrats-GO wird wohl eine Neufassung brauchen.
Bisher hat man halt die geschriebenen Regeln durch tradierte Verhaltensmuster ergänzt.

Das ist übrigens ein Aspekt der Geschichte, der mich ziemlich trübe stimmt.
Ich halte viel davon, daß man nicht alle Details kodifiziert, sondern auch eine vernünftige Arbeitsatmosphäre wahrt, in der sich die Beteiligten "fair" verhalten und ihre Position mit den üblichen Mitteln vertreten und nicht Regelungslücken zu so brutalen Überrumpelungsaktionen ausnutzen.
Die politische Kultur in Deutschland ist in den letzten Jahren durch Vorfälle wie diese Abstimmung deutlich geschädigt worden.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 11. November 2002 - 14:09 Uhr:   

@Enno:
> Was du mit Missbrauchsmöglichkeiten meinst, habe ich nicht ganz
> verstanden.
Das hatte nichts mehr mit der konkreten Frage Bundesrat zu tun.
Ich finde es nur erstaunlich, daß ein Ministerpräsident solche Vollmachten haben sollte, ohne (wie offenbar in Bayern) an eine gewisse Rahmenordnung gebunden zu sein.

Mißbrauch ist natürlich nur dann zu erwarten, wenn der Ministerpräsident politisch ohnehin am Ende ist und seine Abwahl bevorsteht. Dann aber könnte er in der verbleibenden Zeit nach Belieben ein ihm genehmes Kabinett zusammenstellen und noch ein paar merkwürdige (oder ihn begünstigende) Beschlüsse durchdrücken.
Oder er ernennt mal eben die halbe Landesbevölkerung zum Minister und ruiniert die Staatskasse ...
Ist schon eine etwas abgefahrene Vorstellung. Aber wenn die Gesetzeslage einen solchen Blankoscheck ermöglicht, besteht eben immer die Gefahr, daß es mal einer ausnutzt.
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Enno
Veröffentlicht am Montag, 11. November 2002 - 17:39 Uhr:   

Zur Entlassungsfrage, insb. @ c07:

Die bayrische Verfassung beschränkt die Staatsregierung seit 1998 auf 18 Mitglieder (vorher waren es 17-22, wovon Abweichungen mit Zustimmung des Landtags möglich waren). Aber ohne den Landtag kann der Ministerpräsident seine Regierung nicht umbilden, was ebenfalls in der Verfassung geregelt ist.

Auf die Mitwirkung einiger Landtage auch bei der Entlassung von Regierungsmitgliedern hatte ich schon in meiner Antwort auf Ralf Arnemann vom 07. November hingewiesen. Ich habe mich bei meinen Stellungnahmen vornehmlich auf die Bundesländer bezogen, bei denen der Ministerpräsident frei ist - und bei Brandenburg ist dies, glaube ich, der Fall.


Zur Frage eines Vorrangs des Ministerpräsidenten:

Interessant ist schon, dass Klaus Stern, der ja wohl die Mindermeinung aufgebracht hat und dem bislang nur Dieter Blumenwitz im Bonner Kommentar zum GG folgte, in seinem StaatsR II, S. 137, von einem Vorrang des Ministerpräsidenten gar nicht spricht. Diesen Vorrang zu postulieren wird ihm immer nur von seinen Gegnern in den Mund gelegt.

Tatsächlich bezieht Stern sich auf S. 137 auf seinen Gliederungspunkt a), der sich oben auf derselben Seite befindet. Dort geht Stern davon aus, dass der Ministerpräsident sämtliche (!) Stimmen seines Landes abgibt. Demnach dürfte es nach Stern nicht um einen Vorrang des Ministerpräsidenten gehen, sondern um eine (öffentlich-rechtliche) Bevollmächtigung, alle Stimmen seines Landes abzugeben.

Das verändert m. E. die Auseinandersetzung mit Stern. Insbesondere geht dann das Argument gegen Stern fehl, man könne abweichend abgegebene Stimmen nicht im Sinne des Ministerpräsidenten umwerten (so z. B. Degenhart, StaatsR I, Rdnr. 510). Denn Stern wertet ja nichts um, sondern behandelt diese Stimmen - hier Alwin Ziel und Jörg Schönbohm - als irrelevant und lässt Manfred Stolpe vier Stimmen einheitlich (!) abgegeben.

Von dieser Warte aus liegt ab Stolpes Stimmabgabe gar nicht mehr der Tatbestand der Uneinheitlichkeit vor, weswegen auch die Rechtsfolge der Ungültigkeit nicht greift. Alles, was nach Stolpes Stimmabgabe - auch auf Klaus Wowereits Aufforderung hin - in den Saal gerufen wurde, muss dann ebenfalls rechtlich irrelevant sein. Denn sonst hätte Schönbohm ja mit erneutem Protest sozusagen eine fünfte, im GG für Brandenburg nicht vorgesehene, Stimme abzugeben, mit der er die vier von Stolpe einheitlich abgegebenen Stimmen ungültig gemacht hätte. Wenn Stolpe aber alle vier Brandenburger Stimmen abgegeben hat, gibt es keine weiteren Stimmen für Brandenburg mehr. Der Vorgang der Stimmabgabe Brandenburgs muss nach dieser Auffassung mit Stolpes Stimmabgabe abgeschlossen gewesen sein und Wowereit hätte sofort zu Bremen übergehen müssen.

Wie seht ihr das?
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 12. November 2002 - 11:30 Uhr:   

Die Argumentation Sterns ist zumindestens schlüssig (im Gegensatz zur Schnellrufer-These Schilys) und gäbe ein klares Procedere vor.

Aber ich sehe überhaupt nicht, wie er das aus dem GG ableiten will.

Dort ist nur von den Ländervertretern die Rede, ohne Rangfolge. Das Wort "Ministerpräsident" kommt im ganzen GG überhaupt nicht vor. Es würde einem Bundesland m. E. auch möglich sein, ein Kabinett gleichberechtiger Minister ohne Chef zu installieren - dann würde Stern völlig auf den Bauch fallen.

Im Gegenteil gibt doch wohl das GG einen ganz anderen Hintergrund vor: Wozu explizit mehrere Vertreter pro Land benennen, wenn diese dann gar nicht nötig sind?
Das GG gibt jedem Land mehrere Bundesratsvertreter. Aber deren Stimmen zählen nur, wenn sich diese auf eine einheitliche Linie einigen. Ansonsten verfallen ihre Stimmen.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Mittwoch, 13. November 2002 - 21:09 Uhr:   

@Enno
Ich seh nicht so ganz den Unterschied zwischen einem Vorrang des MP und einer öffentlich-rechtlichen Bevollmächtigung die Stimmen seines Landes abzugeben.
Vor allem wären demnach die Stimmen Brandenburgs nicht abgegeben worden, wenn Schönbohm und Stolpe nichts mehr gesagt hätten.


@c07
>Nachdem sie es aber nicht tut, ist es doch am
>naheliegendsten, dass die erste abgegebene Stimme zählt, die
>ja sonst auch stellvertretend für die ganze Delegation
>gezählt wird.

Das kann ich mir am wenigsten vorstellen. Ein Abstimmung beinhaltet doch, daß alle gefragt werden. Soweit sich die Delegation einig ist, reicht natürlich eine Stimmabgabe und damit implizit das stille Einverständnis der anderen.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Mittwoch, 13. November 2002 - 23:21 Uhr:   

Was bedeutet eigentlich die Tatsache, dass, wie Martin Fehndrich berichtet, die SPD-Länder die Argumentation der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten zurückgezogen haben. Die Befürworter der Entscheidung Wowereits hatten doch immer dieses Argument oder das Argument, Schönbohm habe sein Nein nicht wiederholt, angeführt. Vor allem, was bedeutet denn dann der Begriff: "Richtlinienkompetenz" bzw. "Außenvertretungsrecht" (GG, Brandenburgische Landesverfassung, wenn nach Klaus Stern dieses bedeutet, dass er, der Ministerpräsident, bevollmächtigt ist, diese Stimmen abzugeben. Wenn Stolpe also vorher wußte, dass Schönbohm "Nein" sagte - der Dissens wurde ja von Schönbohm zuvor öffentlich angezeigt, so hätte er nach dieser Argumentation lediglich die "Vollmacht" gehabt, Enthaltung festzustellen oder Schönbohm vor der Abstimmung - von zu beachtenden Fristen, mit denen ich mich nicht auskenne, einmal abgesehen - zu entlassen? Dies würde ja im Endeffekt bedeuten, dass alle 16 Landesverfassungen daraufhin abzuprüfen wären, ob 1.) dem Ministerpräsidenten eine - wie auch immer geartete - Richtlinienkompetenz oder ein Außenvertretungsrecht zustände und dieses müsste dann je nach Landesverfassung defininiert werden (was sollen dann noch Koalitonsverträge?) oder nicht und zu prüfen, ab wann Entlassungen gelten bzw. wie das Mitwirkungsrecht des jeweiligen Landtages bei der Entlassung von Ministern sich gestaltet. Dies kann ja wohl nicht sein. Also dürfte doch mehrheitlich die Auffassung sich auch im BVerfG durchsetzen, dass aufgrund des Ignorierens des "Neins" von Schönbohm Wowereit die Zustimmung des Landes Brandenburgs zu unrecht festgestellt hat.
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c07
Veröffentlicht am Mittwoch, 13. November 2002 - 23:27 Uhr:   

Martin:
> Ein Abstimmung beinhaltet doch, daß alle gefragt werden.

Es ist ja vom Grundgesetz eben keine Abstimmung von Personen, sondern von Ländern gewünscht. Dafür reicht es nicht nur, eine einzige Person zu fragen, sondern es ist sogar notwendig, wenn man eine uneinheitliche Stimmabgabe sicher verhindern will.

Alternativ wär es vielleicht sinnvoller, innerhalb der Delegationen mit einer internen Abstimmung ein gemeinsames Stimmverhalten zu ermitteln. Das könnte so ziemlich alles von einer einfachen Mehrheitsentscheidung bis zu einer Konsensfindung bei Wasser und Brot (gibts das eigentlich noch bei amerikanischen Juries?) sein.

Am einfachsten wär es natürlich, diese Vorabstimmung in die Eigenverantwortung der Länder zu legen, wie es ja auch in aller Regel passiert. Und wenn es doch nicht passiert, hätt ich kein Problem damit, das als Enthaltung oder auch ungültige Stimme zu werten (was ja effektiv dasselbe ist), wenn das irgendwo so geregelt wär. Nur steht eben im Grundgesetz (so wie ich es versteh), dass das keine Möglichkeit sein darf.

Nochmal zur Klarstellung: Im Grundgesetz steht nicht, dass die Stimmen einheitlich abgegeben werden müssen (ein Verstoß gegen so eine Vorschrift könnte zweifellos die Ungültigkeit zur Folge haben), sondern dass sie nur einheitlich abgegeben werden können. Das versteh ich als Auftrag an die Geschäftsordnung, diesen Fall technisch zu verhindern. Wenn sie das doch nicht tut, kann das meines Erachtens nicht damit überdeckt werden, dass man einfach die Stimmen eines Landes für ungültig erklärt. Höchstens könnte man die gesamte Abstimmung als ungültig betrachten (was wohl für das Gesetz den selben Effekt hätte, aber die Schuldfrage wär damit anders zu beantworten).

Schilys Standpunkt, dass die Stimmabgabe Brandenburgs durch die erste Abgabe einer Stimme beendet war und alles andere nur unbedeutende Zwischenrufe waren, halt ich aber für genauso berechtigt. Wegen der fehlendenden konkreten Regelung und der bisherigen Praxis der Stimmabgabe könnte man das als allgemein akzeptierte Methode betrachten, die Einheitlichkeit sicherzustellen. Dagegen spricht allerdings, dass sich der Versammlungsleiter nicht entsprechend verhalten hat.
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Enno
Veröffentlicht am Donnerstag, 14. November 2002 - 15:33 Uhr:   

@ Martin Fehndrich:

>Ich seh nicht so ganz den Unterschied zwischen einem Vorrang des MP >und einer öffentlich-rechtlichen Bevollmächtigung die Stimmen seines >Landes abzugeben.
>Vor allem wären demnach die Stimmen Brandenburgs nicht abgegeben >worden, wenn Schönbohm und Stolpe nichts mehr gesagt hätten.

Der Unterschied ist der, dass der MP als öffentlich-rechtlich Bevollmächtigter eben gerade keinen Vorrang besitzt, sondern nur im Wege einer öffentlich-rechtlichen Stellvertretung die Stimmen des Landes abgibt.

Dass die Stimmen nicht abgegeben worden wären, wenn der dazu Bevollmächtigte nichts gesagt hätte, ist doch nichts Besonderes. Dann hätte das Land Brandenburg eben nicht abgestimmt. Dieses Ergebnis ist aber auch nichts Besonderes, denn wenn ich mit der h. M. Ungültigkeit annehme, hat das Land ja auch nicht abgestimmt, jedenfalls nicht gültig. Und bei dem Erfordernis der absoluten Mehrheit im Bundesrat wirken Enthaltung, Ungültigkeit, Abwesenheit sowie Nichtteilnahme trotz Anwesenheit immer wie Nein. Wie ich also zu diesem faktischen - und durchaus auch juristischen - Nein komme, ist ja letztlich egal.


@ Bernhard Nowak:

Klaus Stern selber argumentiert überhaupt nicht mit der Richtlinienkompetenz und auch nicht mit der Außenvertretungsbefugnis. Im Gegenteil, er beschränkt die Richtlinienkompetenz ausdrücklich auf das Innenverhältnis im Land.

Nach h. M. in der juristischen Fachliteratur ist die Abstimmung im Bundesrat keine Frage der Außenvertretung des Landes. Das halte ich aber für unhaltbar, denn der Bundesrat ist ja kein Organ des Landes Brandenburg, sondern das eines anderen Staates, nämlich der BRD. Wenn nach Art. 50 GG die Länder im Bundesrat mitwirken, und nicht irgendwelche Mitglieder von Landesdelegationen oder gar Senatoren wie im US-Senat, ist das Abstimmungsverhalten eines Landes im Bundesrat m. E. sehr wohl Außenvertretung des Landes als einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.

Wozu Stolpe als MP bevollmächtigt war und wozu nicht, hängt m. E. davon ab, welche Vollmacht ihm von der Landesregierung als Kollegialorgan erteilt worden ist, denn die Stimmen stehen ja nach Art. 50 GG den Ländern zu. Diese Vollmacht dürfte dann, sofern man der actus-contrarius-Lehre folgt, auch nur von der Landesregierung widerrufen werden können. Es ist deshalb zu prüfen, ob Stolpe als MP Vollmacht für alle Stimmen hatte. Ich denke, Wowereit hätte das unterstellen müssen. Als Bayern als erstes Land abgestimmt hat, hat sich ja auch nur Stoiber als MP gemeldet und Nein gesagt. Das ist als Abgabe von sechs bayerischen Stimmen gewertet worden. Warum jetzt bei Stolpe anders verfahren? Es ist doch offensichtlich, dass die CDU/CSU und die ihr nahestehenden konservativen bis reaktionären Staatsrechtslehrer hier mit zweierlei Maß messen. Ich hoffe, dass das BVerfG das durchschaut.

Was die Frage der 16 Landesverfassungen angeht, kann ich nur wiederholen, dass Mitglied im Bundesrat nur sein kann, wer auch einer Landesregierung angehört. Der Bundesratspräsident muss sich also durchaus vergewissern, ob ein im Bundesrat Abstimmender überhaupt dem Bundesrat angehört. Es kommt im Bundesrat deswegen schon darauf an, ab wann jemand noch Mitglied der Landesregierung ist und ab wann nicht mehr. Und das hängt u. a. davon ab, ob es ein Mitwirkungsrecht des Landtages gibt oder nicht.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 14. November 2002 - 18:00 Uhr:   

@c07:;
> Im Grundgesetz steht nicht, dass die Stimmen einheitlich abgegeben
> werden müssen (...), sondern dass sie nur einheitlich abgegeben
> werden können.
Richtig.

> Das versteh ich als Auftrag an die Geschäftsordnung, diesen Fall
> technisch zu verhindern.
Das sehe ich gerade umgekehrt!
Würde "müssen" im GG stehen, dann braucht man Vorschriften, diese verpflichtende Einigkeit herzustellen (meinetwegen müssen dann laut GO alle "nicht-einigen" Landesvertreter in Beugehaft genommen werden, bis sie sich einig werden ;-)

Es steht aber nur "können".
Und das heißt doch recht eindeutig: Wenn sie für das Land abstimmen wollen, dann können sie das nur einheitlich tun. Wenn die Vertreter eines Landes sich nicht einigen - Pech gehabt, dann kann dieses Land nicht mit abstimmen.

Wobei ich es im Gegensatz zu Enno für völlig legitim halte, daß im praktischen Leben ein Votum reicht, um für alle Vertreter zu sprechen. Solange die keinen Widerspruch einlegen kann man schon davon ausgehen, daß wie in 99% aller Fälle üblich die Landesvertreter ohnehin eine Meinung vertreten.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 15:37 Uhr:   

Ganz erstaunlich ein Artikel dazu in der Wirtschaftswoche.
(http://www.wiwo.de/wiwowwwangebot/fn/ww/bt/0/depot/0/SH/0/SFN/buildww/CN/cn_artikel/ID/62637!191720/LAYOUT/58327/fm/0/fl/0/oa_id/0/strucitemid/PAGE_62637/docid/191720/index.html)

Angeblich soll Schröder persönlich Druck auf die Richter machen, um ein Urteil in seinem Sinne zu bekommen.
Das wäre schon sehr krass.
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Matthias Cantow
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 15:53 Uhr:   

Das wäre sicher krass, angesichts des gleichzeitig gemeldeten 4:4 könnte das natürlich auch eine Ente sein.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 16:01 Uhr:   

Wenn das stimmt, zeigt das doch, das Schröder alle Sicherungen durchbrennen. 4:4 würde ja für ihn reichen. Und zu glauben, man könnte auf diese Weise was bewegen, ist doch reichlich naiv, sowas kann nur schaden.
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Enno
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 16:10 Uhr:   

@ Ralf Arnemann

bzgl. 14. November:

>Wobei ich es im Gegensatz zu Enno für völlig legitim halte, daß im praktischen Leben ein Votum reicht, um für alle Vertreter zu sprechen. Solange die keinen Widerspruch einlegen kann man schon davon ausgehen, daß wie in 99% aller Fälle üblich die Landesvertreter ohnehin eine Meinung vertreten.

Ich widerspreche dem überhaupt nicht, dass ein Votum reicht, um für alle zu sprechen. Im Gegenteil, ich gehe von einer Vollmacht Stolpes aus, alle Stimmen abzugeben.


bzgl. 12. November:
>Im Gegenteil gibt doch wohl das GG einen ganz anderen Hintergrund vor: Wozu explizit mehrere Vertreter pro Land benennen, wenn diese dann gar nicht nötig sind?
Das GG gibt jedem Land mehrere Bundesratsvertreter. Aber deren Stimmen zählen nur, wenn sich diese auf eine einheitliche Linie einigen. Ansonsten verfallen ihre Stimmen.

In der Literatur wird - soweit ich das sehe, ziemlich einhellig - zwischen Stimmen und Mitgliedern unterschieden. In den GG-Kommentaren wird unter Berufung auf den Wortlaut des GG die Auffassung vertreten, dass ein Land nicht soviel Vertreter benennen muss, wie es Stimmen hat, sondern soviel benennen kann. Im Extremfall würden also die Länder 16 Mitglieder benennen, die insgesamt 69 Stimmen führen.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 16:14 Uhr:   

Ein Beeinflussungsversuch des Kanzlers wurde inzwischen dementiert.

http://de.news.yahoo.com/021113/12/32f24.html

Der Kanzler werde «auf Widerruf und Gegendarstellung und Unterlassung drängen», sagte Anda. Dazu werde er auch juristische Maßnahmen ergreifen. Es habe weder ein Telefongespräch zwischen Schröder und einem der Richter stattgefunden, noch habe er versucht, einen Richter irgendwie zu beeinflussen.
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alberto
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 18:58 Uhr:   


Quote:

Von Thomas Frings
     Wenn das stimmt, zeigt das doch, das Schröder alle Sicherungen durchbrennen. 4:4 würde ja für ihn reichen. Und zu glauben, man könnte auf diese Weise was bewegen, ist doch reichlich naiv, sowas kann nur schaden.


Unwahrscheinlich?


Er hat auch eine „eigne“ Mehrheit qua Vertrauensfrage unnötig erzwungen, wo ihm die Parteiübergreifende mehr als gereicht hätte.
WahlRechtRefor
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alberto
Veröffentlicht am Freitag, 15. November 2002 - 19:54 Uhr:   


Quote:

Von Martin Fehndrich
     Ein Beeinflussungsversuch des Kanzlers wurde inzwischen dementiert.


Dememtierte Dementi


Von vor der Wahl sind ja auch noch einige Dementi zu dementieren.
WahlRechtRefor
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 18. November 2002 - 11:32 Uhr:   

@Enno:
> In der Literatur wird - soweit ich das sehe, ziemlich einhellig -
> zwischen Stimmen und Mitgliedern unterschieden.
Das ist ja noch logisch, weil im GG selber so stehend.

Aber wie "die Literatur" dazu kommt, daraus eine Unterscheidung zwischen den Mitgliedern zu konstruieren, die das Sagen haben und über alle Stimmen verfügen und den sonstigen Mitglieder, die offenbar nur zur Dekoration ernannt wurden - das kann ich nicht mehr nachvollziehen.

Wobei das ein Problem ist, daß ich als Nicht-Jurist häufiger habe, wenn ein Gesetzestext von den Kommentatoren "weiterentwickelt" wird.

Man denke nur an das Thema "Auslandseinsätze der Bundeswehr", wo die Rechtsauffassung der einschlägigen GG-Gurus sich innerhalb weniger Jahre ins Gegenteil verkehrt hat, obwohl der zugrunde liegen Text eindeutig derselbe geblieben ist ...
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 18. November 2002 - 11:34 Uhr:   

> Der Kanzler werde «auf Widerruf und Gegendarstellung und Unterlassung drängen», ...

Soso.

Und er färbt doch! ;-)
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 23. November 2002 - 18:16 Uhr:   

Weiß jemand, wann das Urteil des BVerfG in dieser Angelegenheit zu erwarten ist? Wird es noch im Dezember verkündet werden? Gibt es neue Meldungen über den "Abstimmungs-" oder Verfahrensstand in der Sache? Danke im Voraus.

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