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Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Bundesratsabstimmung zum Zuwanderungsgesetz » 1-25 « Zurück Weiter »

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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 00:59 Uhr:   

Da hier wirklich kompetente Information gegeben wird, würde mich folgendes Problem interessieren, was heute überall in den Nachrichten kam. Wenn heute im Bundesrat über das Zuwanderungsgesetz abgestimmt wird, was passiert, wenn sich Brandenburg "splittet", d.h. wenn Stolpe (Ministerpräsident) für und Schönbohm (stellvertretender Ministerpräsident, Innenminister) gegen das Zuwanderungsgesetz stimmt. Ist dann die Stimme Brandenburgs ungültig, zählt sie als Enthaltung (in beiden Fällen wäre das Zuwanderungsgesetz gescheitert) oder gilt, dass dann das Votum des Ministerpräsidenten, der ja laut Brandenburgischer Verfassung das Vertretungsrecht nach außen hat, das entscheidende Votum abgibt, Bundesratspräsident Wowereit (Berlin, SPD) die "Zustimmung" des Bundesrates mit 35 Stimmen zu dem Gesetz verkünden kann?
Danke für eine Antwort
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 01:47 Uhr:   

Es gibt keine Vorschrift, die diesen Fall wirklich klipp und klar regelt. Die Geschäftsordnung des Bundesrats schweigt sich völlig zu diesem Thema aus. Artikel 51 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes schreibt jedoch vor: Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter abgegeben
werden."

Die meisten Staatsrechtler ziehen daraus (m. E. zurecht) die Schlußfolgerung, daß bei einer gesplitteten Stimmabgabe die Stimmen dieses Bundeslandes ungültig sind. Da der Bundesrat seine Beschlüsse nur mit absoluter Mehrheit fassen kann, würde sich das genauso auswirken wie eine Enthaltung oder ein Nein.

Nach einer Minderheitenmeinung im juristischen Schrifttum soll dagegen die Stimme des "Kabinettsvorsitzenden" ausschlaggebend sein. Diese Konstruktion muß aber meiner Meinung nach schon daran scheitern, daß der Ministerpräsident oder ein Vertreter von ihm nicht notwendig anwesend sein muß.

Da der Fall aber wie gesagt nicht eindeutig geregelt ist (auch das Bundesverfassungsgericht mußte sich dazu bisher nicht äußern), bleibt es jedoch zunächst einmal dem Bundesratspräsidenten überlassen, wie er eine solche Stimmabgabe wertet. Auf Verlangen eines Landes muß der Bundesrat zwar über die Entscheidung des Präsidenten abstimmen, aber um sie zu korrigieren, wäre wiederum ein absoluter Mehrheitsbeschluß notwendig.

Wowereits Entscheidung könnte in jedem Fall von den unterlegenen Ländern im Wege eines Organstreitverfahrens vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden.

P.S.: Wer ein Land im Bundesrat vertritt, wird von der jeweiligen Landesregierung bestimmt. Die Brandenburgische Landesregierung könnte also - wenn ich es recht sehe, bis unmittelbar vor der Abstimmung - bestimmte Vertreter abberufen; vermutlich mit Mehrheitsbeschluß der SPD-Minister (sofern die Geschäftsordnung der Landesregierung Brandenburgs nichts anderes bestimmt).
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Marc Nienaber
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 15:30 Uhr:   

Wird eine absolute Mehrheit denn auf die möglichen Stimmen und nicht auf die gültigen Stimmen bezogen? In dem Fall würde doch eine Mehrheit für Ja stimmen.

Woher wird denn die Rechtsmeinung abgeleitet, dass die Stimme des MPs entscheidend wäre? Wowereit scheint sich ja daran orientiert zu haben. *brumm*
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 16:10 Uhr:   

Bei den meisten Wahlen und Abstimmungen werden ungültige Stimmen bei der Berechnung der 50-Prozent-Grenze nicht berücksichtigt. Art. 52 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes bestimmt jedoch: "Der Bundesrat faßt seiner Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen." Der Bundesrat hat jedoch stets 69 Stimmen, egal wie diese abgegeben werden.

Die zweite Frage von Marc Nienabär zielt exakt auf den Knackpunkt der ganzen Angelegenheit. Im Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung findet sich nirgends ein Hinweis darauf, daß es unter den Bundesratsvertretern eines Landes irgendeine Art von Hierarchie gibt, wonach im Zweifelsfall die Stimme eines bestimmten Vertreters ausschlaggebend wäre. Die Rechtsauffassung Wowereits stützt sich anscheinend auf zwei Argumente:

1. Nach der Brandenburgischen Landesverfassung vertritt der Ministerpräsident das Land nach außen. Ob dies für die internen Vorgänge im Bundesrat irgendeine Relevanz hat, ist fragwürdig. Zumal in Grundgesetz oder Bundesrats-GO nirgends vorgeschrieben ist, daß der Ministerpräsident überhaupt Mitglied des Bundesrats sein muß. Eine allgemeingültige Regelung kann das also schwerlich sein.

2. Im Jahre 1949 hatten im Bundesrat zwei Minister aus Nordrhein-Westfalen ein unterschiedliches Votum abgegeben. Der NRW-Ministerpräsident, der damals selbst Bundesratspräsident war, stimmte daraufhin mit Ja. Der zunächst mit Nein stimmende Minister hat dem nicht widersprochen. Dies wird nun als Präzendenzfall angeführt. Aus einem einmaligen Vorgang, der über 50 Jahre zurückliegt, kann jedoch kein Gewohnheitsrecht abgeleitet werden. Weil damals niemand juristisch dagegen vorgangen ist, wurde die Rechtmäßigkeit des Vorgangs auch nie geklärt.

Im Gegensatz zu dem, was im Moment noch von den Nachrichtenagenturen verbreitet wird, stammte das erste "Ja" aus Brandenburg übrigens nicht von Ministerpräsident Stolpe, sondern vom Sozialminister Ziel. Die Mutmaßung, daß damit eine möglichst große Übereinstimmung mit dem historischen Präzedenzfall erreicht werden sollte, liegt nahe.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 16:48 Uhr:   

Lieber Herr Zicht,
danke für Ihre ausführliche Antwort auf meine Frage. Ich bin frappiert, wie schnell meine "Prophezeiung" von heute nacht - leider - eingetroffen ist und über die mangelnde Kompromissfähigkeit, die offenbar in Wahlkampfzeiten hier herrscht. Ich bin gespannt, wie das BVerfG entscheidet. Glauben Sie, Herr Zicht, dass das Verhalten von Wowereit, der sich ja explizit auf den von Ihnen genannten und zitierten Text in der Brandenburgischen Verfassung, verfassungswidrig ist, wie es offenbar - ich bin eben erst aus dem Dienst gekommen - der Thüringische Ministerpräsident Vogel (CDU) findet? Wie soll sich jetzt Bundespräsident Rau verhalten? Soll er der Auffassung des früheren Bundespräsidenten Carstens folgen, der sagt, es ist Sache des Verfassungsgerichtes und nicht des Bundespräsidenten, die Verfassungsgemäßheit oder Verfassungswidrigkeit des Zustandekommens eines Gesetzes zu prüfen. Eben höre ich auf N-TV, dass Wowereit sein Verhalten mit dem expliziten Nachfragen begründete.
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Kommentator
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 16:57 Uhr:   

Als Nichtjurist vermag ich nicht detailreich juristisch zu argumentieren. Aber: MPräs Stolpe (SPD) bricht den von ihm selbst unterzeicheten Koalitionsvertrag mit der CDU und stimmt im BRat trotz Dissenses in seiner Koalition mit JA. BRatsPräs Wowereit (SPD) interpretiert die uneinheitliche Stimmabgabe Brandenburgs -- offenbar entgegen der vorherrschenden Rechtsmeinung -- als JA. Nun ist es an BPräs Rau (SPD), das Gesetz zu unterzeichnen. Dass alle Spitzenpolitiker der SPD die Interpretation Wowereits uneingeschränkt stützen, Wowereit die entsprechenden Argumente für seine Interpretation vorgefertigt parat liegen hatte, und zudem der Verdacht besteht, man habe den Präzedenzfall von vor 50 Jahren nachbilden wollen, zeigt doch, dass der ganze Vorgang ein abgekartetes Spiel unter Genossen war.

Selbst wenn sich erweisen sollte, dass Wowereit formaljuristisch verfassungskonform interpretiert hat: Den Geist der Verfassung hat er gebrochen. Seinem Verhalten haftet der Geruch der parteilichen Amtsführung an.

Interessant finde ich das von Roland Koch vorgebrachte Argument: Das Verhalten Stolpes und die Interpretation durch Wowereit führen in der Tat Koalitionsverträge über das Abstimmungsverhalten ad absurdum. Entspräche die heute genutzte Interpretation der Verfassung, könnten im Einzelfall allein die amtierenden Ministerpräsidenten das Stimmverhalten des Bundesrates bestimmen -- unabhängig davon, von welchen Koaltionen sie getragen werden.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 17:13 Uhr:   

Ich bin sehr gespannt auf die Meinung von Herrn Zicht, der sich ja als sehr kompetent in diesen Sachfragen erwiesen hat. Meine Meinung zu dem Thema ist allerdings eine andere.

Sicherlich hat Ministerpräsident Stolpe den Koalitionsvertrag mit der CDU gebrochen - dies ist Fakt. Insofern hat er sich nicht vertragstreu verhalten. Auch dies ist Fakt. Allerdings hat nach SPD-Interpretation (vgl. die Äußerungen von Ziegler)der Bund die 5 Bedingungen Brandenburgs vom 20. Dezember 2001 erfüllt - meines Erachtens hat hier die Union die Strategie von Sonthofen gefahren - man hätte sich problemlos auf das Müller-Papier einigen können. Wahlkampf degeneriert zum reinen Machtkampf, es gibt keinen Streit mehr um die Sache, sondern nur noch um Machtkampf. Aber ich sage - die SPD-Seite hat recht.

Nein, das Problem liegt meines Erachtens daran, dass a) Schönbohm nicht eindeutig mit "Nein" antwortete, sondern nur: "Sie kennen meine Meinung, Herr Präsident". Ein Nein - Gabriel hat recht - ist hier nicht gegeben.

Zweitens: es hängt doch von der jeweiligen Verfassung ab. Wenn in der Verfassung in Brandenburg in Art. 91 festlegt, dass der Ministerpräsident die Außenvertretung des Landes wahrnimmt. Dies steht nun mal in der Verfassung. Wenn diese Verfassung dem Grundgesetz widerspricht, muss dies durch das BVerfG festgestellt werden. Der Fall ist mit 1949 nicht vergleichbar, da in der Landesverfassung NRW eine solche Festlegung, dass der Ministerpräsident die Außeninteressen des Landes wahrnimmt, nicht vorkommt (meines Wissens). Also sollte - so sehe ich dies - der Bundespräsident unterschreiben und dann das Bundesverfassungsgericht die Organklage, die kommt, entscheiden. Dann wissen wir mehr.
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Kommentator
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 17:25 Uhr:   

Wie gesagt, der formaljuristischen Argumentation kann ich nicht widersprechen.

Nur: Mir riecht der Machtkampf und die durchgängig einseitige Interpretaion der für die SPD Handelnden etwas zu stark.

Wie Sie sagen: Machtkampf. Ich sage: Machtkampf mit allen Tricks -- und vor allem auf dem Rücken der Verfassung.
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Martin Metz
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 17:40 Uhr:   

Ich habe mich mal in politischer Literatur umgesehen.

Hier ein Auszug aus Pilz und Ortwein - "Das politische System Deutschlands":

"Die Sitzungen des Bundesratsplenums, die angesichts der Masse der zu beschließenden Gesetzesvorlagen zu Routinesitzungen geworden sind, werden nur im Ausnahmefall vom Ministerpräsidenten besucht (z.B. beim Präsidentenwechsel oder bei der Abstimmung über politisch brisante Fragen).

[...]

Jedes Land kann zwar soviele Mitglieder in den Bundesrat entsenden, wie es Stimmen hat, doch können diese Stimmen nur einheitlich und nur durch die anwesenden Mitglieder bzw. deren Vertreter abgegeben werden (Art. 51, Abs 3 GG). DIE BUNDESRATSMITGLIEDER SIND BEI DER STIMMABGABE AN DIE WEISUNGEN IHRER LANDESREGIERUNG GEBUNDEN.

Der Zwang zur einheitlichen Stimmabgabe führte zur Entwicklung des folgenden Abstimmungsmodus:
- Alle Stimmen eines Landes werden von einem einzigen Mitglied, dem sogenannten Stimmführer, abgegeben.
- Die Landesregierugnen entscheiden einige Tage vor der Plenarsitzung des Bundesrtas über die Stimmführung; an diese Kabinettsentscheidung ist der Stimmführer gebunden;
- meistens nehmen an den Plenarsitzungen nicht soviele Mitglieder teil, wie das Land Stimmen hat; in der Regel sind es zwei Mitglieder oder gar nur ein Mitglied."

Meine Interpretation:
- Nach Brandenburgischer Landesverfassung ist der Ministerpräsident der oberste Repräsentant des Landes Brandenburg.
- Demnach ist er bei seiner Anwesenheit im Bundesrat bei Abstimmung auch Stimmführer.
- Als Stimmführer kann er für das gesamte Land Brandenburg eine einheitliche Stimme abgeben, d.h. alle vier Stimmen lenken.
- Bei der Nachfrage von Wowereit, bekräftigte Stolpe sein Ja während Schönbohm nicht klar mit nein antwortete.
- Demnach ist die Abstimmung formal richtig gelaufen - wenn auch in einer rechtlichen Grauzone.

Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Abstimmung in einer Grauzone gelaufen ist - die Festsetzung über die zukünftige Abstimmungsfrage im Bundesrat wird Wowereit sicherlich Recht geben. Zumindest ist nirgendwo klar festgelegt, dass bei unterschiedlicher Stimmabgabe die Stimme nicht zählt - denn unterschiedliche Stimmabgabe ist schlichtweg nicht möglich. Die gibt es einfach nicht, deshalb kann sie auch nicht ungültig sein! So hat der Stimmführer die Kompetenz, und der hat sich entschieden.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 17:49 Uhr:   

Ich teile diese Interpretation. Ich teile auch die Interpration, die Kurt Beck eben in der Pressekonferenz gab. Wenn es in Landesverfassungen - wie beim Bund - eine Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten gibt, so hat seine Stimme den Ausschlag zu geben, er ist, wie Martin Metz zu Recht sagt, Stimmführer.

Aber - wie ich eben schon sagte - Schönbohm hat gar nicht verneint. Zunächst rief - so überall in Fernsehen zu sehen - Wowereit das Votum Brandenburgs auf. Stolpe: "Ja". Schönbohm: "Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident". Daraufhin erneute Nachfrage von Wowereit (dies war ihm von Juristen der Bundesratsverwaltung empfohlen worden). Wie stimmt Brandenburg. Stolpe: "Mit Ja". Daraufhin kam von Schönbohm kein Wort. Wowereit stellte dann das "Ja" Brandenburgs fest und fuhr - unter Protest der Ministerpräsidenten Vogel (CDU) und Koch (CDU) mit der Abstimmung fort.

Also: selbst wenn man juristisch der Auffassung sein sollte, dass der Ministerpräsident kein Stimmführer sei und das gesplittete Verfahren ungültig sei, so ist doch festzuhalten, dass - auch bei dieser Rechtsauffassung, die ich nicht teile - ein "Nein" von Herrn Schönbohm nicht erfolgt ist. Daher denke ich, die Vorgehensweise von Wowereit war korrekt und das Bundesverfassungsgericht sollte das verfassungsgemäße Zustandekommen des Gesetzes bestätigen. Rau sollte auch unterschreiben.
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Kommentator
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 18:13 Uhr:   

Ein trauriges Bild über den Zustand des Verfassungsorgans Bundesrat hat sich heute gezeigt. Ich frage mich nach dem Ganzen, wozu die 2jährige Beratungszeit über das Zuwanderungsgesetz gedient hat. Eines ist jedenfalls offenkundig:die Debatte zeigte von Unionsseite ein Verhalten,das nur auf Destruktion der Sachpolitik gerichtet war, was zugegeben auch teils auf SPD-Seite zu sehen war;wohl aber nicht in derartigem Ausmaß (die Machtfrage stand im Mittelpunkt der Debatte!). Eines ist nach dem heutigen Tage klar:Nicht unbedingt die exakte Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bezüglich der Abstimmung, nein, der für mich abstoßende Charakter des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Einige Beispiele, die dieses dokumentieren:
-die in der Vergangenheit auch von der Union vorangetriebene Sachfrage (und das auch äußerst kompetent) von der Müller-Kommission ist seit dem Bekanntwerden der Kanzlerkandidatur Stoibers nur als Machtinstrument mißbraucht worden. Schönbohm und Müller wurden in ihren Bemühungen zurückgepfiffen, nur um den starken Kandidaten zu markieren. Die Sache wurde zuletzt nicht mehr ernsthaft behandelt:das zeigt sich daran,dass zunächst die Ablehnung des Gesetzes offen proklamiert wurde (vor ungefähr einer Woche), anschließend das fadenscheinige Angebot des Vermittlungsausschusses ins Gespräch gebracht wurde,damit sich Stoiber in der Öffentlichkeit nicht das Bild des Blockierers gefallen lassen wollte. Dass Stoiber an einer sachlichen Lösung kein Interesse hatte, zeigt sich daran, dass man dem Antrag von Rheinland-Pfalz auf Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht unterstützt hat.
-Die Inszenierung des Verhaltens der Unions-Ministerpräsidenten wurde zudem offenkundig;Stoiber hat bei der Union alles im Griff und schadet den Sachpolitikern der eigenen Partei.
Belege für die Inszenierung,die wohl von Stoiber hauptsächlich gesteuert wurde, sind eindeutig:
1. Der Kommentar des Ministerpräsidenten Vogel, der den erschütterten Politiker spielen sollte und als Opfer der Mehrheit erscheinen sollte, schien vom Inhalt her als durchaus geeignet als polemisch und wirkungsvoll, wenn gleich die Rede einen Schönheitsfehler hatte: Vogel hatte sie leider nicht auswendig gelernt und musste sie von einem in mehreren Stunden wohl geschrieben Szenario-Papier ablesen. Schade,tja Herr Stoiber, das ist wohl in die Hose gegangen.
2. Dafür wesentlich besser konnte sich Stoiber in Szene, nicht im Plenarsaal, wo es wenigstens gepasst hätte, nein vor der Kamera natürlich. Bei der PK der Ministerpräsidenten der CDU-geführten Regierungen posierte er wie ein Fels in der Brandung im Zentrum von Vogel, Müller und Co., die wie Hampelmänner wirkten! Stoibers Polemik ist beeindruckend, aber noch viel mehr ist es beeindruckend, wie er mit so einem Unsinn Wähler mobilisieren kann! Unfassbar eigentlich, aber solche soll es ja geben!
Alles in allem zeigt das Verhalten der CDU/CSU von heute folgendes:
Diese Parteien sind nicht regierungsfähig, da Deutschland mit derartig kindischen Verhalten von Spitzenpolitikern im Ausland nicht mehr Ernst genommen werden würde und im Inland keine Reformen erreichen würde!
Bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Vorgangs kann man unterschiedlicher Auffassung sein, wobei ich mich dem Standpunkt anschließe,das alles rechtmäßig war (siehe Brandenburgische Landesverfassung Artikel 91). Die Reaktion der CDU/CSU-MPs ist jedoch ein Witz und Verachtung der Arbeit eines Volksvertreters, denn wer aufgrund eines Dissenzes in einer Frage gleich die ganze Arbeit einstellt (und das haben Stoiber und Co. ja getan mit dem Verlassen des Plenarsaals) hat das Vertrauen des Wählers bei einer Wahl nicht verdient. Man kann doch auch nicht als normaler Arbeitnehmer einfach den Arbeitsplatz verlassen,wenn ihm die Meinung des Chefs oder eines Mitarbeiters nicht gefällt. Wo kämen wir hin! Wo kämen wir hin,wenn Stoiber Kanzler werden würde!
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 18:27 Uhr:   

Noch etwas. Die Äußerungen von Martin Metz wird auch durch Klaus von Beyme gestützt. Klaus von Beyme schreibt in seinem "Das politische System der Bundesrepublik Deutschland" (9. Auflage, 1999). Hier heisst es auf S. 369: "Konflikte in den Landesregierungen oder zwischen ihnen werden weitgehend vorgeklärt. Sämtliche Stimmen eines Landes werden von einem (!!!!) Stimmführer abgegeben, über den vorab von den Landeskabinetten entschieden wird. Daher ist auch die Anwesenheit über die Stimmführer hinaus nicht notwendig." Fazit: Schönbohms Anwesenheit war nicht notwendig. Das Votum gilt - so meine Auffassung.
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Kommentator
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 18:36 Uhr:   

Die ersten beiden, unter "Kommentator" geposteten Beiträge stammen von mir. Der Autor der vorstehenden primitiv-polemischen Äußerung ist nicht mit mir identisch. Ich habe gute Gründe, mich nur anonym an der Diskussion zu beteiligen. Der Fairness halber bitte ich aber darum, dass neue Diskussionsteilnehmer auch neue Alias-Namen verwenden.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 18:37 Uhr:   

Ich sehe die Lage nicht so klar. Das Grundgesetz sagt nichts von einem Stimmführer, sondern spricht von "anwesenden Mitgliedern".

Demnach könnte man Schönbohms "Ja" als durchaus notwendig im Sinne Art. 51 (3) ansehen.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 19:12 Uhr:   

Soweit in der Literatur von Stimmführern die Rede ist, wird damit lediglich die übliche Praxis beschrieben - eine widersprüchliche Stimmabgabe im Bundesrat ist aber ja nun alles andere als üblich. Rechtlich gesehen gibt es keinen Stimmführer. Keine einzige bundesrechtliche Vorschrift gibt irgendeinem Vertreter eines Landes eine herausgehobene Stellung. Dies kann jeder im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung des Bundesrates nachprüfen:

http://www.rp-kassel.de/service/gesetze/texte/g/bundesrat.htm [P.S.: Link nachträglich korrigiert]
http://www.redmark.de/redmark/f/FGG1.html

Daran ändert auch nichts, daß die Brandenburgische Landesverfassung dem Ministerpräsidenten das Recht einräumt, das Land nach außen hin zu vertreten. Der Bundesrat ist ein Bundesorgan, kein Organ der Länder. Das Abstimmungsprozedere im Bundesrat zu regeln, fällt also in die alleinige Zuständigkeit des Bundes. Die betreffende Vorschrift in der Brandenburgischen Landesverfassung ist deshalb natürlich nicht gleich grundgesetzwidrig, aber sie gilt halt nicht in bezug auf die internen Angelegenheiten des Bundesrats.

Hieraus folgt meines Erachtens, daß eine uneinheitliche Stimmabgabe eines Landes ungültig ist. Dies ist der Umkehrschluß aus der Grundgesetz-Vorschrift, wonach die Stimmabgabe einheitlich sein muß. Die gegenteilige Ansicht, wonach im Zweifelsfall das Votum des Ministerpräsidenten (oder wer auch immer vom Land als "Stimmführer" benannt wird) ausschlaggebend sei, halte ich aus den genannten Gründen für nicht vertretbar.

Mit einigen Bauchschmerzen durchaus für vertretbar hielte ich jedoch eine dritte Ansicht: Man könnte sagen, es gebe eine Regelungslücke, die nicht durch Auslegung der rechtlichen Bestimmungen zu schließen sei. Dann läge es im pflichtmäßigen Ermessen des Bundesratspräsidenten, die Lücke aufzufüllen. Er könnte selbst bestimmen, ob einen uneinheitliche Stimmabgabe als ungültig zu werten ist oder ob - sofern anwesend - der Ministerpräsident den Ausschlag gibt. Die Vorgehensweise von Wowereit wäre dann korrekt gewesen.

Wie gesagt: Ich halte diese Auffassung zwar für vertretbar, mache sie mir aber nicht zu eigen. Ich finde, die Rechtslage bietet zwar keine ausdrückliche Regelung für eine solche Situation, aber sie läßt eine systematische Auslegung zu, die nur so ausfallen kann, daß eine uneinheitliche Stimmabgabe eines Landes dessen Stimmen ungültig macht.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 19:44 Uhr:   

Soweit meine Ansicht zum grundsätzlichen Problem. Es muß aber auch noch geklärt werden, ob Brandenburg überhaupt heute nachmittag seine Stimmen wirklich uneinheitlich abgegeben hat. Schönbohm hat sich nämlich taktisch zumindest etwas ungeschickt verhalten.

Daß Wowereit nach den widersprüchlichen Stimmabgaben von Ziel und Schönbohm noch einmal nachgefragt hat, war sicher korrekt. Es ist meiner Meinung nach nicht zu beanstanden, wenn der Bundesratspräsident dem Land in einem solchen Fall ermöglicht, seine Stimmabgabe zu korrigieren. Sofern Brandenburg also bei der Nachfrage eine einheitliche Stimmabgabe abgegeben haben sollte, wäre diese dann als gültig anzusehen.

Auf Wowereits Nachfrage kam von den Brandenburgern Vertretern ein "Ja" von Stolpe und ein "Sie kennen meine Auffassung" von Schönbohm. Wenn man besonders spitzfindig sind will, könnte man nun Schönbohms Kommentar als irrelevant ansehen, weil es kein klares "Nein" war. Diese Interpretation ist aber m.E. abwegig, da allen Beteiligten klar war, wie das von Schönbohm gemeint war; er hatte sein "Nein" ja zuvor in seiner Rede angekündigt und Wowereit gebeten, nicht noch einmal nachzufragen, weil er das als unwürdig empfinde. Auch die erste Nachfrage Wowereits hat also keine einheitliche Stimmabgabe hervorgebracht. Dies dürfte sogar dann gelten, wenn man Schönbohms Aussage nicht als "Nein" wertet, sondern lediglich als Zusatz zur Stimmabgabe. Derartige Zusätze machen nach allgemeinen Rechtgrundsätzen, wie sie beispielsweise im Bundeswahlgesetz niedergelegt sind, eine Stimmabgabe ungültig, sofern sie dazu führen, daß der Wille des Abstimmenden nicht mehr eindeutig zu interpretieren ist. Dies ist vorliegend zweifellos der Fall.

Nun hat Wowereit aber noch einmal nachgefragt, woraufhin Stolpe sein "Ja" bestätigt hat, was von Schönbohm unwidersprochen (!) hingenommen wurde. Dies war von Schönbohm sicherlich ungeschickt. Aber der Bundesratspräsident verstößt gegen seine Pflicht zur fairen Sitzungsleitung, wenn er solange nachfragt, bis die eine Seite entnervt nicht mehr bereit ist, ihre eindeutig artikulierte Auffassung zu wiederholen.

So wie ich das sehe, haben also Wowereits Nachfragen nicht zu einer einheitlichen Stimmabgabe Brandenburgs geführt. Ich räume aber ein, daß man - wenn man unbedingt besonders spitzfindig sein will - Schönbohms Verhalten als Verzicht auf sein zunächst ausgesprochenes "Nein" interpretieren kann. Dies hätte dann zur Folge, daß Stolpes "Ja" auch dann ausschlaggebend ist, wenn man ihm als Ministerpräsidenten ansonsten keine hervorgehobene Stellung zubilligt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß das Bundesverfassungsgericht sich diese übertrieben formalistische Ansicht zu eigen machen wird.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 20:32 Uhr:   

Noch ein paar Anmerkungen zu einzelnen Punkten:

1. Die Ausführungen im ersten Beitrag des "Kommentators" zu den Hinweisen auf ein abgekartetes Spiel der SPD kann ich nur unterstreichen. Für die CDU gilt aber natürlich auch, daß die Situation sie nicht unvorbereitet getroffen hat. Bezeichnend war vor allem, daß Bernhard Vogel bei seinem Antrag auf Unterbrechung der Sitzung aus einer vorbereiteten Rede vorlas.

2. Es ist unter Staatsrechtlern heftig umstritten, ob ein Bundespräsident das Recht hat, ein Gesetz inhaltlich auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und die Unterschrift ggf. zu vermeiden. Unumstritten ist dagegen das Recht (und die Pflicht!) des Bundespräsidenten, das formal verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzes zu überprüfen. Sofern sich Carstens anderweitig geäußert hat, ist ihm also nicht zuzustimmen.

3. Kochs Argument hinsichtlich der generellen Auswirkungen auf Koalitionsverträge ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen. Da Koalitionsverträge aber ohnehin rechtlich nicht bindende Absichtserklärungen rein politischer Natur sind, die auf dem gegenseitigen Vertrauensverhältnis der Koalitionspartner beruhen, kann dies keinen Einfluß auf die Rechtslage im vorliegenden Fall haben.

4. Die Behauptung im Buch von Pilz/Ortwein, wonach "die Bundesratsmitglieder bei ihrer Stimmabgabe an die Weisungen ihrer Landesregierung gebunden" sind, sollte so auch nicht stehenbleiben. Zwar ist bundesrechtlich nicht vorgeschrieben, daß die Bundesratsvertreter frei entscheiden können. Landesrechtlich kann also durchaus eine Weisungsgebundenheit festgeschrieben werden. Ob dies in den Bundesländern so gemacht wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls aber sind Verstöße gegen diese Weisungsgebundenheit für das Ergebnis der Abstimmung im Bundesrat folgenlos. Hier gelten wiederum allein die bundesrechtlichen Vorgaben. Sonst wäre ja beispielsweise die Zustimmung von Ringstorff zur Rentenreform ungültig gewesen, da es m. W. zuvor einen Kabinettsbeschluß gab, wonach sich das Land enthalten wolle. Auch hier beschreibt das Buch lediglich die Praxis, nicht aber die rechtlichen Grundlagen.

5. Wie geht's nun prozessual weiter? Wie es aussieht, wird es kein Organstreitverfahren gegen Wowereit geben. Statt dessen wartet man die Entscheidung des Bundespräsidenten ab. Sollte er die Unterschrift verweigern, kann gegen diese Entscheidung Organklage erhoben werden (wobei ich mir kaum vorstellen kann, daß die SPD ihren "eigenen" Bundespräsidenten nach Karlsruhe zerrt). Unterschreibt Rau dagegen das Gesetz, werden wohl mehrere CDU-geführten Landesregierungen Normenkontrollklage in Karlsruhe erheben und dabei auch einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellen, um das Inkrafttreten des Gesetzes bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache zu verhindern. Zuständig wird in jedem Fall der Zweite Senat sein. Dieser besteht aus jeweils vier von SPD und CDU vorgeschlagenen Richtern. Bei einem 4:4 Unentschieden ist eine Klage abgelehnt.

6. Meine Auffassung über die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit der heutigen Entscheidung des Bundesrats hat nichts zu tun mit meiner inhaltlichen Meinung zum Zuwanderungsgesetz. Ich begrüße das Gesetz und hätte mir sogar eine noch weitergehende Förderung von Zuwanderung gewünscht. Aber das soll hier nicht Thema sein.
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Martin
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 21:41 Uhr:   

Traurig wie sich die CDU aufführt! Die Richtlinienkompetenz liegt bei den jeweiligen Minsiterpräsidenten. Die CDU hat angefangen, das Thema Integration und Einwanderung als wahlkampfthema auszuschlachten. Dass dafür der BRat benutzt wird, ist eine Frechheit, die ihresgleichen sucht. Es wurde Zeit das die Zuwanderung geregelt wird!
Die CDU/CSU ist eine unheimlich schlechte Verliererpartei! Man hätte ohne weiteres mit rot-grün einen Kompromiss hinbekommen können, dann hätte man die demokratischen Organe nicht in einer solchen weise bloß gestellt! DANKE LIEBE CDU!
Kein Wunder, dass junge Leute nichts mehr von den Parteien halten, wenn nur noch blockiert und schwarz gespendet wird.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 22:40 Uhr:   

Inhaltlich finde ich die Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes durch die Union auch nicht nachvollziehbar. ABER: Die Verfassungsmäßigkeit des heutigen Vorgangs ist dringend klärungsbedürftig! Das Zustandekommen eines Gesetzes darf nicht davon abhängen, welcher Partei zufällig gerade der aktuelle Bundesratspräsident angehört. Es muß ganz klar sein, unter welchen Bedingungen ein Gesetz nach der Verfassung zustandekommt. Das gilt nicht nur für das wichtige Zuwanderungsgesetz, sondern auch für zukünftige ähnliche Fälle.

Es ist das gute Recht der Union, den heutigen Vorgang ggf. verfassungsrechtlich prüfen zu lassen. Dies ist auch staatspolitisch wünschenswert. Man sollte ihr dieses Recht zugestehen und sie nicht dafür als schlechte Verlierer bezeichnen.
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Mario Schwendinger
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 23:09 Uhr:   

Egal wie der das Vorgehen im Bundesrat gesetzlich zu beurteilen ist, steht doch eindeutig wie klar, das unser Bundeskanzler Herr Schröder ein absoluter Machtmensch ist!

Ich hab mir den ganzen Tag die Berichterstattung auf verschiedenen TV Sendern angesehen und muss jetzt leider feststellen das mich das ganze an die Durchsetzung von Hitlers Ermächtigungsgesetz erinnert!

Schröder korrupierte den Berliner und Brandenburger Ministerpräsident und geht bewusst einen Verfassungsbruch ein! Schrecklich für einen Bundeskanzler der Bundesrepublik!

Leider!
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Freitag, 22. März 2002 - 23:26 Uhr:   

Ich halte die Auffassung von Herrn Zicht für richtig. Da der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes von 4 SPD-benannten und 4 unionsbenannten Richtern besetzt ist, dürfte bei Stimmengleichheit Verfassungswidrigkeit dieses Verfahrens nicht festgestellt werden. Ich möchte hier auch klarstellen, dass ich das Zuwanderungsgesetz auch sehr begrüße und der politischen Auffassung bin, dass die Union massiv blockiert hat. Aber auch hier gebe ich Herrn Zicht recht. Auch wenn ich anderer Auffassung bin als er (nämlich der, dass in den Landesverfassungen, in denen eine Richtlinienkompetenz bzw. Außénvertretung des Regierungschefs festgeschrieben ist, dieser als Stimmführer anzusehen ist und sein Votum gilt, so bin ich auch der Meinung, dass hier in jedem Fall über das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden sollte, ob Wowereits Vorgehen verfassungsgemäß war oder nicht. Im übringen plädiere ich seit längerem dafür, dass die Machtbefugnisse Bund/Länder so verändert werden, dass nicht alle Ausführungsgesetze zustimmungsfplichtig sind, damit eine gewählte Regierung die von ihr für richtig befundene Politik eine Legislaturperiode durchführen kann.
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Hamster
Veröffentlicht am Samstag, 23. März 2002 - 10:19 Uhr:   

Inhaltlich freut es mich, dass die Union mit ihrer wahltaktischen Blockadehaltung (Stoiber ahmt den Lafontaine nach) erstmal gescheitert ist. Denn das Zuwanderungsgesetz ist meines Erachtens gut und die Bundesregierung ist der CDU/CSU in allen wesentlichen Punkten stark entgegengekommen.

Die Abstimmung halte auch ich für verfassungsrechtlich bedenklich. Meines Erachtens ist dieser Fall im GG jedoch nicht klar geregelt, sodass die Entscheidung des Bundesratspräsidenten kaum angreifbar ist. Gestern vormittag hätte ich noch gesagt, dass die Klagechancen gut wären, nach der Abstimmung habe ich meine Meinung geändert. Zum einen wurde offenbar bewusst der Präzedenzfall aus dem Jahre 1949 "nachgespielt" (meines Erachtens war die ganze Veranstaltung nur Show und die Wortwahl zwischen Stolpe und Schönbohm vorher klar abgesprochen, damit keiner sein Gesicht verliert). Zum anderen halte ich die wiederholte Nachfrage Wowereits durchaus für legitim. Er kann argumentieren, dass er nur ein zweites Mal nachgehakt hat, weil es erhebliche Proteste im Bundesrat gegen seine Bewertung des Votums gab und es daraufhin keinen Widerspruch Schönbohms mehr gab.

Wie gesagt: Ich bin überzeugt, dass die Wortwahl zwischen Stolpe und Schönbohm abgesprochen war. Stolpe hat Schönbohm wohl darum gebeten, bei Nachfragen nicht mehr klar sein Nein zu äußern. Und die Strategie der Beiden ist aufgegangen, da sie ihre Koalition jetzt wohl ohne Gesichtsverlust fortsetzen können und der Spielball nicht mehr in Potsdam, sondern in Karlsruhe ist.

Noch eine Frage: Ist es wirklich so, dass es vier "SPD-nahe" und vier "CDU-nahe" Richter gibt? Wenn ja, welche wurden von der Union und welche von der SPD vorgeschlagen? Ändert sich an den Machtverhältnissen was, wenn ein konservativer Richter die von der SPD vorgeschlagene Limbach als Präsident ablöst? Hat der Präsident der Kammer größere Rechte als die anderen Richter oder hat er nur bei der Außendarstellung Privilegien?

Ich will dem Bundesverfassungsgericht nicht Parteilichkeit unterstellen, aber so ganz politisch neutral sind wohl (leider) die Wenigsten. So eine Entscheidung kann schließlich maßgeblichen Einfluss auf die Bundestagswahl 2002 haben. Es ist mir z.B. offensichtlich, dass die Ermittlungen gegen Joschka Fischer wegen "uneidlicher Falschaussage" (in einem völlig unwichtigen Punkt) politisch motiviert waren.

Eine letzte Frage: Wie lange würde es in etwa dauern von der Einreichung der Normenkontrollklage bis zur Entscheidung des Gerichts?
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 23. März 2002 - 10:22 Uhr:   

Ich melde mich nochmal, nachdem ich Stellungnahmen von zwei Juristen, Herrn Prof. Schneider (Hannover) und Herrn Prof. Pestalozzi (Berlin) hörte. Beide erklären, was ich eben auch vermute, dass es gar kein uneinheitliches Stimmverhalten des Landes Brandenburg gegeben habe. Sicherlich hat Schönbohm seine Rede gehalten und seine Position verdeutlicht. Er bat auch Wowereit, nicht mehr nachzufragen. Aber dann lief es doch so ab: auf die Frage von Wowereit nach dem Votum Brandenburgs antwortete Sozialmister Ziel (SPD) mit "Ja", Schönbohm mit "Nein". Stolpe äußerte sich nicht. Daraufhin fragte Wowereit - völlig zu Recht und wie ihm von der Bundesratsverwaltung geraten - nach und erbat vom Ministerpräsidenten des Landes das Votum. Stolpe erklärte: "Als Ministerpräsident des Landes erkläre ich mit "Ja". Es kam kein (!) Widerspruch von Schönbohm. Wäre an dieser Stelle der Widerspruch Schönbohms gekommen. So hat Wowereit korrekt gehandelt. Ein Verfassungsbruch gemäß § 51 (3) GG hätte dann vorgelegen, wenn das anwesende Mitglied Schönbohm an dieser Stelle widersprochen hätte. Dann hätte in der Tat die Bestimmung des GG, nach der die Stimmen im Bundesrat "nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter" abgegeben werden konnten, gegriffen. Dann hätte Bundesrecht (GG) auch Landesrecht (§ 91 Brandenburgische Verfassung) gebrochen. So sehe ich dies. Aber: trotz der Dissenserklärung kam kein erneutes "Nein", sondern nur ein: "Sie kennen meine Haltung, Herr Präsident." Wie diffizil diese Rechtsfrage gesehen wird, wird übrigens daran deutlich, dass die Delegation von Rheinland-Pfalz diesen Vorgang innerhalb der Landesregierung unterschiedlich wertet. Ministerpräsident Beck (SPD) sieht ein einheitliches Stimmverhalten Brandenburgs und eine korrekte Amtsführung Wowereits (er hätte genauso gehandelt), Justizminister Mertin (FDP) sah dagegen den Tatbestand erfüllt, Brandenburg hätte ein differenziertes uneinheitliches Votum abgegeben, die Stimmen hätten für ungültig erklärt werden müssen. Mal sehen, was der Bundespräsident tun wird und was dann der 2. Senat des BVerfG feststellen wird.
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Eike Biehler
Veröffentlicht am Samstag, 23. März 2002 - 10:41 Uhr:   

Zunächst einmal hat die Wahl von Hans-Jürgen Papier zum Bundesratspräsidenten nichts mit der Entscheidung zu tun (Präsidentin Limbach ist Vorsitzende des 2. Senats, Papier bleibt Vorsitzender des 1. Senats [ich weiß aber nicht, in welchen Senat die Organklage käme]).
M. E. spielt es eine entscheidende Rolle, wie man den 51 Abs. 3 interpretiert bzw. betont. Betont man das "einheitlich", so war Wowereits Verhalten verfassungswidrig, da die erste Stimmabgabe (und nur die kann in diesem Fall zählen) nicht einheitlich und damit ungültig war. Betont man jedoch das "abgegeben", so halte ich Wowereits Verhalten für verfassungskonform, da durch die Betonung des Abgebens der Stimmen, d. h. v. a. der gültigen Stimmabgabe, der Präsident so lange nachfragen muss, bis die Stimmen verfassungskonform, d. h. einheitlich, ABGEGEBEN ist.
Ich neige eher der zweiten Ansicht zu, da der Bundesrat ein Haus ist, in dem normalerweise alle Stimmen tatsächlich abstimmen (anders als im Bundestag, wo es höchst selten bis nie der Fall ist, dass alle 666 Abgeordneten mitstimmen).
In diesem (2.) Falle ist juristisch - so spitzfindig es auch sein mag und so offensichtlich das abgekartete Spiel bei beiden (!) Lagern ist - die zweite, spätestens die dritte Abstimmung (d. h. Stolpes "Ja" als erste einheitliche und damit grundgesetzkonforme Abstimmung) zu werten. D. h., wenn man meiner Argumentation konsequent folgt, so ist es unerheblich, dass Stolpe Ministerpräsident ist, da bei der zweiten, spätestens dritten Abstimmung Schönbohms "Nein" nicht mehr gegeben war.
Dies mag juristisch spitzfindig klingen, wäre aber konsequent logisch.
Ich möchte hinzufügen, dass ich der SPD politisch eher NICHT nahe stehe, daher bitte ich auch darum, nicht als SPD-Parteigänger und als parteiisch betrachtet zu werden.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Samstag, 23. März 2002 - 10:55 Uhr:   

Auch ich glaube, dass das Verhalten zwischen Stolpe und Schönbohm abgesprochen war. Ich glaube auch, dass es sich bei den Wutausbrüchen von Koch und der Empörung von Vogel um kalkulierte Vorgänge gehandelt hat (denn sonst hätte Vogel wohl kaum eine schon verfasste Rede "spontan") gehalten. So hat sich Schönbohm loyal seinem "Lager" als auch gegenüber Stolpe verhalten, der Ball liegt jetzt tatsächlich in Karlsruhe. Hier kann dann - wird es aber sicherlich nicht bei der "Verteilung" der Richterschaft - eine einstweilige Anordnung gegen das Gesetz geben, wenn Bundespräsident Rau unterschrieben hat.

Aber auch ich habe eine Frage und die konnte nämlich Vogel nicht erklären. Wo liegt denn der Unterschied zwischen dem Verhalten des nordrhein-westfälischen Kabinetts 1949 und dem jetzigen? Wie gesagt, der "Präzedenzfall" wurde doch genau nachgespielt. Wenn die Stimmen Brandenburgs ungültig gewesen wären, so hätte man damals auch das Votum aus NRW für ungültig erklären müssen. Hier war man allerdings einig: der Ministerpräsident legte das Votum fest. Genau gleich - wie oben von einem Vorredner korrekt festgestellt - lief das gestrige Verfahren ab.

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