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Archiv bis 05. Oktober 2019

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Bundestagswahl 2021 » Archiv bis 05. Oktober 2019 « Zurück Weiter »

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Marc
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Veröffentlicht am Dienstag, 13. August 2019 - 17:00 Uhr:   

Es geht aus meiner Sicht sowohl um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments (das nicht auf eine so große Aufblähung eingerichtet ist (weder von der Zahl seiner Einrichtungen/Büros, etc.) als auch um die Legitimation des Wahlrechts insgesamt. Wenn ein Wahlystem grundsätzlich 598 Abgeordnete anstrebt, aber dauerhaft 700, 800, 900 oder 1000 Abgeordnete rauskommen zeigt dies, dass dieses Wahlsystem nicht mehr auf die veränderte Parteienlandschaft passt. Man darf historisch nicht vergessen, dass in der alten Bundesrepublik Überhangmandate nicht oder nur selten vorkamen und auch noch in den Nullerjahren nicht zu eine erheblichen Erhöhung der Abgeordnetenzahl führten. Das ist jetzt bei der sich abzeichnenden Änderung der Parteienlandschaft grundlegend anders. Zudem verschiebt sich durch diese Änderung auch faktisch das Verhältnis von Wahlkreismandaten und Listenmandaten erheblich in Richtung Listenmandate, obwohl das Wahlrecht ja Parität anstrebt. Insofern erreicht das Wahlrecht gar nicht mehr sein eigentliches Ziel diese Parität zumindest annähernd herzustellen. Die Lösung dafür ist entweder das Ziel der Parität aufzugeben und die Zahl der Listenmandate zu erhöhen (was SPD, FDP, Grüne und Linke vorschlagen) oder aber auf Mehrpersonenwahlkreise zu setzen.

Der Vorschlag der Union Überhangmandate (teilweise) nicht mehr auszugleichen ist zwar grundsätzlich möglich, aber nicht mehrheitsfähig, da die anderen Parteien auf der Beibehaltung eines reinen Verhältniswahlsystems bestehen (insofern ist das gegenwärtige Wahlrecht, dass den Vollausgleich vorsieht konsequent). Die Einführung eines Grabenwahlsystems hätte zahlreiche Vorteile. Dies wäre allerdings auch ein (erheblicher) Systemwechsel von gegenwärtigen System der personalisierten Verhältniswahl zu einem Mischsystem (50% Mehrheitswahl, 50% Verhältniswahl). Das ist politisch genauso wenig konsensfähig wie die komplette Umstellung auf ein Mehrheitswahlrecht.

M.E. nach werden wir uns daher in Richtung einer Absenkung der Zahl der Direktwahlkreise bewegen. Ob dies formell mit einer ebenfalls erfolgenden formellen Reduzierung der Zahl der Listenmandate einhergeht ist wahrscheinlich von geringer praktischer Relevanz, da über Ausgleichsmandate diese dann wieder hinzukämen. Allerdings dürfte die Beibehaltung der Parität für die Union eher zustimmungsfähig sein, auch wenn sie faktisch durch die politische Entwicklung mehr und mehr ausgehölt wird.

Wenn es um Kostenreduzierung geht sehe ich eher ein Thema in der politischen Finanzierung zahlreicher NGOs, die gleichzeitig ihre eigene politische Agenda verfolgen, durch den Steuerzahler. Zu denken ist hier an die Deutsche Umwelthilfe oder die zahllosen linken Stiftungen, die von staatlichen Geldern leben, und ihre politische Propaganda damit finanzieren (einschließlich permanenter Klagen gegen Kommunen). Das Verbandsklagerecht hat sich zu einer wahren Plage entwickelt - was ja auch vorab befürchtet wurde. Besonders ärgerlich ist, dass dies auch noch von den Steuerzahler finanziert wird. Ob der Bundestag 600 oder 800 Abgeordnete hat ist demgegenüber kostentechnisch ein kleines Thema. Dennoch ist die Aufblähung ärgerlich (und in dem Punkt gibt es ja einen grundsätzlichen Konsens zwischen den Parteien). Über den Weg zu einer Reform gibt es hingegen sehr divergierende Ansichten.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 13. August 2019 - 17:16 Uhr:   

Ich denke dass es der Union primär um die Parität geht.
Das die Union nicht per se eine Reduzierung der Direktmandate ablehnt zeigt die in den 90er-Jahren beschlossene und 2002 in Kraft getretene Wahlrechtsform, durch die die Zahl der Direktmandate von 328 auf 299 Mandate reduziert wurde.

Schäuble hat übrigens selbst die Absenkung der Zahl der Wahlkreise auf 270 als Kompromiss vorgeschlagen:

Für die anderen Parteien war indes das Abrücken vom Vollausgleich für Überhangmandate nicht akzeptabel. Die Union hingegen argumentiert primär mit dem Verhältnis von Direkt- und Listenmandaten und lehnt auch eine deutliche Reduzierung der Dirketmandate ab. Einen gewissen Spielraum nach unten gibt es indes durchaus - was der Schäuble-Vorschlag gerade zeigt.

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fdp-droht-union-bei-wahlrechtsreform-16305318.html
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 13. August 2019 - 19:30 Uhr:   

@MT
Ich würde Verhältniswahlrecht nicht als spezifisch linke Forderung bezeichnen. Das mit der Bürgernähe ist doch eher eine Worthülse, weil die Erststimmenergebnisse stark mit den Zweitstimmen korrelieren und zeitgleich keine persönliche Auswahl stattfindet, weil die örtliche Nominierung der Partei durchgeschleift wird.

@Marc
Das ist nicht nur "bedauerlich" ... die Union kommuniziert "Wer unserer Ergebnisverzerrung nicht zustimmt, ist der wahre Schuldige am nächsten XXL-Bundestag" - damit will man bei einem komplizierten Thema Menschen gezielt verdummen.
Ein Grabenwahlrecht hätte 2017 eine Alleinregierung der Union produziert, ein Mehrheitswahlrecht sogar eine 2/3-Mehrheit.
Beides dürfte meilenweit die Stimmung der Wähler fehlabbilden - ein Überwiegen der Vorteile dieser Systeme würde ich daher entschieden verneinen.
Wer derartige Mehrheiten anstrebt, sollte sich doch einfach einen entsprechenden Stimmanteil durch Einwerben von Wählerstimmen verschaffen.
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SaaleMAX
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 13. August 2019 - 20:20 Uhr:   

Sicherlich steht die Union in einer Koalition mit der SPD.Klare Sache.
Aber wie war es denn bei der Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe.
Die Union hat gemauert..bis Merkel in einer Talkrunde ,die Freigabe über eine Abstimmung erteilte, bei der dann der Bundestag parteiübergreifend Mehrheiten besorgte.

Auszug:
"""..Bei der letzten Bundestagssitzung vor der Sommerpause am 30. Juni 2017 wurde der Gesetzentwurf[126] mit den Stimmen von SPD, Linken und Grünen auf die Tagesordnung gesetzt. Bei der Abstimmung stimmten 393 Abgeordnete für die Gesetzesvorlage, 226 dagegen und 4 enthielten sich. Die Fraktionen der SPD, der Linken und der Grünen stimmten geschlossen dafür.
Von der CDU/CSU-Fraktion stimmte die Mehrheit dagegen; nur 75 Unionsabgeordnete von 304 Anwesenden – 68 von der CDU (26,9 % aller CDU-Abgeordneten) und 7 von der CSU (12,5 % aller CSU-Abgeordneten) – stimmten dafür.
Unter den zustimmenden CDU-Abgeordneten waren CDU-Generalsekretär Peter Tauber, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der familienpolitische Fraktionssprecher Marcus Weinberg und die beiden früheren Bundesfamilienministerinnen Ursula von der Leyen (derzeit Verteidigungsministerin) und Kristina Schröder.

Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmte dagegen.""

(C) Wikipedia
.......

Das Parlament also der Bundestag ist letztendlich immer noch ausschlaggebend für Entscheidungen, auch wenn das gerne mal etwas verkürzt oder sehr auf Parteilinie bezogen gesehen wird.

Der Bundesrat kommt natürlich auch noch in seiner Funktion dazu.
...................


Letztendlich kommt es aber darauf an, wer im Bundestag für einen Vorschlag Mehrheiten erringen kann.
Die CDU repräsentiert im Parlament gut 1/3 der Sitze.Es ist aber nichts Undemokratisches wenn die anderen Parteien Vorschläge machen und die dann auch mal mit Mehrheit derer und einem Regierungskoalitionspartner beschlossen werden.
..........
Bei Dingen die man im Koalitionsvertrag vereinbart hat sollten sich die Partner daran halten so mein Empfinden.Weil sonst braucht man keine Verträge machen.

Aber es ist undemokratisch in einem Koalitionsvertrag die Klausel einzubauen das man immer irgendwie mit dem Partner gleichlautend abstimmen soll auf Wohl und Wehe, auch bei Fragen die gar nicht im Koalitionsvertrag standen.....
So eine Klausel ist vollkommen Obsolet!

Hier sollte die Union etwas lockerer und gelassener werden was parlamentarischische Entscheidungsfreiheiten angeht.
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Mark Tröger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 13. August 2019 - 21:28 Uhr:   

@Jan W.

Verhältniswahlrecht würde ich auch nicht als linke Forderung bezeichnen. Aber in diesem Fall kommt sie von den Parteien links der CDU von Linke bis FDP. (Vermutlich auch von der AfD, aber dass die von den anderen verhältniswahlbefürwortenden Parteien irgendwie zur Mehrheitsbildung einbezogen wird, scheint nicht einmal zur Diskussion zu stehen.)

Das Erststimmenwahlrecht ist in vielerlei Hinsicht eine Farce, aber etwas Bürgernähe schafft es m. E. schon, denn die Direktmandatsinhaber versuchen ja schon sich im eigenen Wahlkreis zu profilieren. Je größer die Wahlkreise sind desto schlechter kommt man dabei an den einzelnen Bürger heran.

Was ich mich bei der Veränderung der Parteienlandschaft frage, ist, ob die Zersplitterung tendenziell dazu führt, dass die Wahlkreisgewinne stärker oder schwächer mit dem Listenstimmenproporz übereinstimmen. Da die Parteien tendenziell vor allem da verlieren, wo sie zuvor schon schlecht waren, könnte bald (fast) jede Partei ihre Hochburgen haben, wo sie auch Direktmandate gewinnt. Und in Wahlkreisen in denen nicht nur zwei sondern beispielsweise 5 Parteien um ein Direktmandat konkurrieren, dürften die personellen Vorlieben der Bürger einen relativ stärkeren Einfluss auf den Sieg des Direktmandats haben als die gesamtdeutsche Parteienstärke. Wird man vielleicht bei der Brandenburgwahl erleben. Und mal zum Vergleich: In der zersplitterten Parteienlandschaft der Niederlande konnten die Sozialdemokarten bei der Europawahl gefühlt mal eben ein halbes Dutzend Parteien durch einen populären Spitzenkandiaten überholen. In einem Zweiparteiensystem wäre das natürlich undenkbar. Ich stelle mal die These auf: Je näher die Parteien absolut beieinander liegen, desto stärker spielt das Personal in den Wahlkreisen eine Rolle.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 13. August 2019 - 22:31 Uhr:   

"Ein Grabenwahlrecht hätte 2017 eine Alleinregierung der Union produziert, ein Mehrheitswahlrecht sogar eine 2/3-Mehrheit."
Unsinnige Aussagen. Wenn sich das Wahlrecht ändert, passen sich Parteien und viele Wähler taktisch an. Das tatsächliche Wahlverhalten auf ein anderes Wahlsystem umzurechen, ist nicht sinnvoll möglich. Absprachen unter den Linksparteien hätten das Bild z. B. wesentlich ändern können.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 11:11 Uhr:   

@Jan W.,

die Parität aus Direkt- und Listenmandaten ist ein Grundsatz unseres Wahlsystems. Diesen aufzugeben ist ein gravierender Schritt, der sich nicht damit relativieren lässt, dass in vielen Fällen die Erst- und Zweitstimmenergebnisse nicht voneinander abweichen. In zahlreichen Fällen tun sie das durchaus - sowohl aufgrund taktischen Wahlverhaltens als auch aufgrund von Kandidatenbonus. Die Beispiele hierfür sind Legion. Von der Wahl Ströbeles in Berlin-Kreuzberg 2002 (bei den Erststimmen führte die SPD deutlich) bishin zu weit von der Zweitstimme abweichenden Wahlergebenissen für andere Spitzenkandidaten in deren Wahlkreisen (Westerwelle, Fischer, etc.).
Die pauschale Behauptung die Wähler würden nicht zwischen Erst- und Zweitstimme differenzieren ist sachlich unrichtig und wird durch praktisch alle Wahlkreisergebnisse wiederlegt, dass Erst- und Zweitstimmenergebnisse praktisch immer abweichen, abgesehen davon, dass die Entscheidung beide Stimmen der selben Partei (Liste und Direktkandidat) zu geben ja ebenso wohlüberlegt sein kann.

Das Argument, dass der Einfluss der Wähler auf die Wahl der Direktkandidaten nicht groß sei, da der Wähler sie nicht auswählt ist irreführend. Es findet immer eine Vorauswahl statt. Auch bei der Kommunalwahl in Frankfurt am Main, bei der ich 93 Stimmen zu verteilen haben, habe ich als Nichtparteimitglied keinen Einfluss welcher Kandidat auf einen der maximal 93 Listenplätze gesetzt wird (ein solches Wahlverfahren sollte auf keinen Fall auf Bundesebene übertragen werden, da es Tischgroße Wahlzettel verursacht).

Man kann nun ausführen, dass der Einfluss der Wähler immer noch gering sei, weil nur (maximal) 50% der Abgeordneten direkt gewählt seien bzw. die Auswahl durch die Einpersonenwahlkreise beschränkt sei. Das wäre allerdings eher ein Argument für die Ausweitung der Wahlmöglichkeiten. Die Reduzierung der Zahl der Direktmandate zugunsten der Liste reduziert diese sogar. Das geht auch aus meiner Sicht in die falsche Richtung. Eine Reduzierung der Wahlkreise kann daher nur eine Zwischenlösung sein. Da sämtliche Beteiligte sich ja nunmehr in ihren Schützengräben eingegraben haben ist nun allenfalls eine Minimallösung denkbar. Wie wäre es denn mit eine Reduzierung der Wahlkreise auf 270-280 bei gleichzeitiger Beibehaltung der Parität. Das gäbe immer noch eine deutliche Vergrößerung des Bundestages, aber eben geringer als wenn die Basis 598 Abgeordnete wäre. In den nächsten Jahren kann man dann in Ruhe über Alternativkonzepte diskutieren. Jetzt einen bestimmte Richtung hingegen vorzugeben - etwa die Reduzierung des Anteils der Direktmandate im Verhältnis zu den Listenmandaten - würde hingegen die Richtung künftiger Debatten perpetuieren. Denn wenn man einmal die Reduzierung der Zahl der Direktmandate als Lösung für die aufgrund von Ausgleichsmandate erfolgte Vergrößerung des Bundestags wählt, wird - soweit die Zersplitterung anhält und der Ausgeleichsbedarf noch größer wird die Folge sein, die Zahl der Dirketmandate noch weiter zu reduzieren. Die Position der Union diesen Weg abzulehnen ist aus meiner Sicht durchaus nachvollziehbar. Kritikwürdig ist jedoch, dass die Union keine praktikablen und potentiell konsensfähigen Gegenvorschläge macht. Als Gegenvorschlag würde sich die Einführung von Mehrpersonenwahlkreisen anbieten (seien es Zweier- oder Dreierwahlkreise). Der Ausgleichsbedarf wäre damit auch nicht auf 0 reduziert (was er bei den Vorschlägen von SPD, FDP, Grünen und Linken übrigens auch nicht wäre), aber deutlich geringer als derzeit (wahrscheinlich sogar deutlich geringer als bei der bloßen Reduzierung der Zahl der Wahlkreise).

Zur Historie: Die Einführung des Verhältniswahlrechts war zumindest in Deutschland eine linke Forderung. Auch in vielen anderen Staaten war dies so, da früher Wahlkreisneuzuschnitte nur selten vorgenommen wurden und daher die wachsenden Industriestädte und damit die Hochburgen linker Parteien zunehmend unterrepräsentiert waren. Im Ergebnis vertritt hier jede Partei ihre Eigeninteressen. Einen Kompromiss wird man nur finden, wenn man alle Interessen berücksichtigt und austariert.

Falls momentan keine Einigung möglich sein sollte, dann wäre die Folge dass der Bundestag weiter anwächst. Das wäre bedauerlich. Aber man sollte nicht so tun, als wäre dies das größte Problem unseres Landes.

Skandalöser finde ich, dass dieses Land eine Sonderabgabe zum Aufbau Ost 1991 eingeführt hat (Soli), die SPD sich nun aber weigert, diese mit Ablauf des Solidarpakts II abzuschaffen, obwohl die Sonderförderung Ost Ende 2019 ausläuft und damit der Existzenzzweck dieser Abgabe wegfällt. Die Folge hiervon wird eine Einspruchs- und Klagewelle sein, die durchaus gute Aussichten auf Erfolg haben.

Wenn man über die Stabilität von Wahlsystemen spricht: Mehrheitswahlsysteme haben nach historischer Erfahrung den Aufstieg von extremistischen Parteien eher verhindert, während Verhältniswahlsysteme sie eher begünstigen. Mehrheitswahlsysteme fördern tendenziell auch eher die Regierungsbildung, während Verhältniswahlsysteme die Zersplitterung fördern. Die gegenwärtigen Verhältnisse in GB sind die Ausnahme von der historischen Regel. Schon eine Neuwahl in GB könnte die Verhältnisse wieder klären (genauso wie die Torry-LibDem Regierung im Nachhinein nur eine Fußnote zum Weg zur absoluten Mehrheit der Torries bildete).

In den Niederlanden führt das Verhältniswahlrecht mittlerweile zu extrem schwierigen und langwierigen Regierungsbildungen und häufig instabilen Vielparteienregierungen.

In Deutschland gibt es zumindest auf lokaler Ebene eine ähnliche Entwicklung.

Ansonsten zeichnet sich mittlerweile für die CDU eine ähnliche strategische Falle ab wie einstmals für die SPD beim Aufstieg der Linkspartei. Da diese nicht regierungsfähig war, war die SPD stets gezwungen mit der Union zu regieren, die sie kanibalisierte. AfD, Grüne und Linke konnten ebenfalls vom SPD-Niedergang profitieren.

Die Union könnte nun von den Grünen entsprechend kannibalisiert werden. Hierbei dürften auch AfD und FDP profitieren.

Die SPD hingegen ist völlig ausgelaugt und desorientiert. Sie ist die zu einer Partei von Vorvorgestern geworden, die an ihren inneren Widersprüchen zwischen den Parteiflügeln und einer permanenten Selbstzerfleischung gescheitert ist, die ihr eigenes Schiff in den letzten 14 Jahren schrittweise versenkt hat und daher sich als Schiffbrüchiger am vermeintlichen Rettungsring der Macht klammert. Indes ist die SPD mitten im Ozean und das rettende Ufer unerreichbar. Bei der nächsten Welle/Wahl wird sie bundesweit so oder so zu einer kleinen Partei herabgestuft werden. Perspektivisch bleibt dann nur der Weg entweder zu einer linksliberalen Partei zu werden (und die Arbeiterschaft aufzugeben) oder einen deutlichen Linksschwenk zu vollziehen und dann auch ggf. mit der Linkspartei zu fusionieren (von der sich die SPD dann ohnehin kaum noch unterscheiden würde).
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Florian das Original
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 13:47 Uhr:   

@ Marc:
Unter Demokratie-Gesichtspunkten hat das derzeitige System mit Direktkandidaten noch einen weiteren Vorteil:
Es führt innerparteilich zu einer breiten Machtverteilung.

Wenn ein Partei-Kreisverband einen bestimmten Direktkandidaten aufstellen will, dann kann die Landes- oder Bundesparteiführung dies nicht verhindern.
Bei diesen Beschlüssen des Kreisverbands kann typischerweise jedes Parteimitglied mitstimmen. Also ein echtes Stück Basisdemokratie.
Und somit auch eine Absicherung gegen "starke" Parteivorsitzende, die auf die Listenaufstellung großen Einfluss nehmen können.

Eine wichtige Folge: Die politische Zukunft eines direkt gewählten Abgeordneten hängt dann auch nicht so sehr davon ab, ob er sich bei der Bundesparteiführung lieb Kind macht. Sondern davon, dass er die Interessen seiner lokalen Parteifreunde im Blick behält.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 14:58 Uhr:   

@Marc
Erstmal Zustimmung zu Beginn: ja, Mehrpersonenwahlkreise halte ich für eine brilliante Lösung. Ich favorisiere Dreierwahlkreise, da so Parteien oder Lager hier um ein zweites Mandat kämpfen können, und Klein-bis-Mittelparteien noch im Rennen sind.
Konstellationen oberhalb von 3 können unerwünschte Nebeneffekte in Bremen erzeugen.

5 Stimmen, die einerseits die altbekannte Zweitstimmenwirkung entfalten, andererseits in 100 Wahlkreisen nach dem Prinzip der 3-Sitz-Kantone bei der Schweizer Nationalratswahl funktionieren.
Das Schweizer System hat natürlich eine gewisse Proporzverzerrungswirkung, aber sie ist klein genug, um nur einen Teil der Sitze zu besetzen. Nach ersten Erfahrungen ließe sich der 50%-Anteil an Listensitzen zur Proporzreparatur sogar noch verringern, indem man die Zahl derartiger Wahlkreise erhöht.


Du übernimmst hier den Spin der Union, die in den Ausgleichsmandaten die Hauptschuld sieht - sie verschwinden aber mit der Lösung des Überhangproblems.
Ströbele ist sicherlich ein Sonderfall, ansonsten verweist Du auf Promi-Wahlkreise: aber Spitzenkandidaten haben eben vor allem nicht die lokale sondern die bundesweite Strahlkraft. Ich halte sogar die persönliche Wahlkreisbetreuung durch prominente Direktmandatsinhaber für schlechter: ich kann mir kaum vorstellen, dass Angela Merkel in einem durchschnittlichen Ausmaß Briefe von Einwohnern ihres Wahlkreises zu Gesicht bekommt.
Kompensiert wird das teilweise wie im Falle Anja Karliczek und der Batterieforschung durch wenig nachvollziehbare Entscheidungen mit einem gewissen Geschmäckle ...
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 15:06 Uhr:   

Guter Punkt. Dies wirkt sich indes nur auf die Parteien aus, die tatsächlich Direktmandate gewinnen. Inzwischen bin ich der Auffassung, dass man sowohl wegen der Zersplitterung des Parteiensystems und der Gewährleistung einer besseren Repräsentanz der Wahlkreise das System auf Mehrpersonenwahlkreise umstellen sollte, ja wohl sogar umstellen muss. Ansonsten läuft leider - fürchte ich - alles mittel- bis langfristig auf die Abschaffung von Direktkandidaten hinaus. Dies würde, wie Du zurecht schreibst, eine neue Machtkonzentration bei den Landesparteien und der Parteielite bedeuten, zulasten der Kreisverbände. Es wäre eine weitere Machtzentralisierung, weg von der Basis, hin zu einer zentralen Funktionärsklasse. Wir brauchen indes genau das Gegenteil. Die Distanz zwischen politischer Klasse und vielen Bürgern ist viel zu groß geworden. Durch Verschiebung von Entscheidungen von Kreisen und Städten auf nur noch 16 Landesverbände erreicht man das Gegenteil. Zugegeben, wären Mehrpersonenwahlkreise auch zentraler als das genwärtige System. Aber 150 Zweierwahlkreise oder 100 Dreierwahlkreise wäre immer noch um Welten dezentraler als die Konzentration auf nur noch 16 Landesverbände.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 15:49 Uhr:   

@Jan W.

Tatsache ist, dass das Bundesverfassungsgericht einen Vollausgleich von Überhangmandaten nicht fordert. Insofern sind die Ausführungen der Union sachlich richtig, dass man Ausgleichsmandaten beschränken könnte (was logischerweise die Vergrößerung des Bundestags reduzieren würde.

Richtig ist allerdings, dass SPD, FDP, Grüne und Linke dies aus parteipolitisch nachvollziehbaren Gründen ablehnen. Richtig ist auch, dass eine Nichtdurchführung eines Vollausgleichs mit dem Grundgedanken des Verhältniswahlsystems nicht gänzlich vereinbar ist. Allerdings schreibt das Grundgesetz kein Wahlsystem vor und gewisse Abweichungen vom Grundsatz der Verhältniswahl sind durchaus akzeptiert. Die 5%-Hürde entspricht auch nicht dem Grundsatz Zählwert=Erfolgswert. Sie wird aber im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments und zur Erleicherung der Regierungsbildung akzeptiert. Das BVerfG hat nach bisheriger Rechtsprechung keine grunsätzlichen Einwände gegen unausgeglichene Überhangmandate solange deren Zahl beschränkt bleibt und nicht gleichzeitig ein negatives Stimmgewicht entsteht.
Ich stimme Dir ja sogar zu, dass eine solche Lösung - die momentan der Union mehr nutzen würde als anderen (was sich aber ja auch durchaus ändern kann - 1998 hatte die SPD deutlich mehr Überhangmandate, zukünftig vielleicht die Grünen?) - nicht optimal wäre, gerade wegen dem Bruch mit dem Verhältniswahlsystem, dass von der übergroßen Mehrheit der Parteien und Abgeordneten aus verständlichen Gründen favorisiert wird. Das ändert jedoch nichts daran, dass auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht die Vorschläge der Union durchaus eine verfassungskonforme Weiterentwicklung des Wahlrechts darstellen würden.

Zu den Direktmandate: Ich glaube du unterschlägst die Relevanz der Direktkandidaten. Gerade die Wähler der kleineren Parteien überlegen sehr genau, wen Sie mit der Erststimme unterstützen, häufig im Hinblick auf den gewünschten Koalitionspartner. Ein solches Stimmensplitting (Schwarz-Gelb bzw. früher Rot-Grün (vielleicht zukünftig Grün-Rot)) ist ja durchaus legitim, hängt aber häufig auch vom lokalen Kandidaten ab. Ist der CDU oder SPD bzw. Grünen-Kandidat aus Sicht des Wählers nicht geeignet splittet er zum Beispiel bewusst nicht. Allein das Ausmaß des Stimmensplittings zeigt, dass eine große Zahl von Wählern des Unterschieds zwischen Erst- und Zweitstimme bewusst sind. Und die es nicht sind, stimmen sowieso immer gleich ab, was auch kein Schaden ist. Jedenfalls führt dies zu signifikanten Mehreinfluss von Wählern. Zukünftig sogar wohl noch mehr, wenn wir vielleicht auf ein Szenerium zusteuern, bei dem bis zu fünf Parteien annähernd gleich groß sind. Selbst wenn Union und Grüne an der Spitze stehen sollte, gäbe es dann harte Kämpfe um die Einerwahlkreise. Sollten wir Dreierwahlkreise haben, gäbe es dann wohl harte Kämpfe um Platz drei.

Ich wäre übrigens sehr sicher, dass sich das Wahlverhalten bei der Erststimme bei einem Wechsel von Einer- zu Dreierwahlkreisen erheblich ändern würde, weil grundsätzlich ein solcher Systemwechsel erheblichen Einfluss auf das Wahlverhalten grundsätzlich hat (man kann nicht Wahlergebnisse von einem System auf das andere übertragen). Bei Dreierwahlkreisen würde das Stimmensplitting wohl eher zurückgehen. Im Hinblick darauf, dass bundesweit drei Parteien um dritten Platz kämpfen (SPD, FDP, AFD in Westdeutschland, in Ostdeutschland Linke und SPD) dürfte indes weiterhin ein gewisses Splitting verbreitet bleiben - gerade bei den Wählern der sonstigen Parteien. Insofern können sich immer taktisches Wahlverhalten entwickeln um einen Kandidaten zu fördern oder auch nur zu verhindern (etwa in Wahlkreisen, in denen SPD und AfD um den dritten Platz kämpfen würden dann ggf. Linke-Wähler den SPD-Kandidaten mit der Erststimme wählen; Umstände wie sie genauso bei Einerwahlkreisen vorkommen, aber aufgrund der Zahl der zu wählenden Kandidaten anderen Vorzeichen und daher auch anderen Erststimmenergebnissen).
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Mark Tröger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 16:50 Uhr:   

Sowohl Einerwahlkreise als auch Dreierwahlkreise können den Makel haben, dass die Kandidaten auf den Landeslisten abgesichert sind, und der Kampf um die Direktmandate so zur reinen Symbolik verkommen. Das Problem kann behoben werden, indem Landeslisten abgeschafft werden, und die Zweitstimmenmandate stattdessen durch die bestplatzierten Wahlkreisverlierer besetzt werden.

In Dreierwahlkreisen würde es nicht nur einen harten Kampf und Platz drei geben. Im Kampf um das dritte Mandat würde häufig neben den Parteien von Platz drei abwärts auch die stärkste Partei eine Rolle spielen. Es geht also auch um die Höhe ihres Siegs. Um dazu in der Lage zu sein, müssten die Parteien außerdem mehrere Kandidaten im Wahlkreis aufstellen, zwischen denen es wiederum auch einen Kampf um die Plätze geben würde.

Idealerweise würden sich die Kandidaten in solchen Dreierwahlkreisen
- im Kampf mit den Kandidaten der anderen Parteien,
- im Kampf mit der innerparteilichen Konkurrenz im eigenen Wahlkreis und
- im virtuellen Wettstreit um Zweitstimmenmandate mit den Kandidaten der eigenen Partei in anderen Wahlkreisen befinden.
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Florian das Original
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 18:02 Uhr:   

@ Mark Tröger:
" Das Problem kann behoben werden, indem Landeslisten abgeschafft werden, und die Zweitstimmenmandate stattdessen durch die bestplatzierten Wahlkreisverlierer besetzt werden. "

So eine Lösung führt dann aber dazu, dass die innerparteiliche Machtbalance bei der Kandidatenaufstellung komplett zu Gunsten der Kreisverbände kippt.
Was auch nicht gut ist. Zum Beispiel machen sich Parteien bei der Listenaufstellung vielleicht schon Gedanken, wie sie eine schlagkräftige Fraktion zusammenstellen können.
Also schaut eine Partei z.B., dass mindestens ein Kandidat mit außenpolitischem Schwerpunkt eine Chance bekommt, einer mit finanzpolitischem Schwerpunkt, usw.
(Oder z.B. bei den Grünen: dass die Geschlechterquote erfüllt ist).

Bei Deinem obigen Vorschlag wäre eine solche Steuerung komplett unmöglich.
Und eine Fraktion steht dann nach der Wahl ungewollt womöglich mit großen fachlichen Lücken unter ihren Abgeordneten da.

Ganz allgemein:
Sofern radikale Änderungen am Wahlrecht diskutiert werden sollte man sich bewusst sein, dass das ggf. auch radikale politische Wirkungen haben kann.
Und die sollte man sich wirklich gut überlegen.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. August 2019 - 19:28 Uhr:   

@Marc
Und Du setzt den Spin fort, indem Du die eine Position "parteipolitisch" nennst, die andere jedoch nicht.
Übrigens kann man sich für vermutlich jedes Politikfeld eine absurde Forderung vorstellen, die nicht mehrheitsfähig ist, aber in Karlsruhe durchkommen könnte. Das Argument ist also wenig zielführend - wenn die SPD sich von der Union GERICHTSFEST über den Tisch ziehen lässt, ist das sogar besonders dumm, weil man nicht auf ein Karlsruher Urteil warten muss, sondern Mehrheiten organisieren muss, um den proporzverzerrenden Unfug rückgängig zu machen.


Es steht ein bisschen zwischen den Zeilen, aber ich betone es mal explizit: statt der getrennten Stimmen hätte man ein 5-faches Einstimmenwahlrecht. Im Sinne der Zweitstimmenwirkung (Parteioberverteilung, Länderunterverteilung) zählen alle Stimmen, die als Personenstimmen für Kandidaten der Partei oder als unpersonalisierte Pauschalstimme für die Partei abgegeben wurden. In gleicher Weise zählen sie für die Zuteilung der Direktmandate an die Parteien im Wahlkreis. Die Reihung der Kandidaten erfolgt über die Personenstimmen.

Ideal wären 5 Kandidaten pro Wahlkreis pro Wahlvorschlag - die Vollnominierung sollte durch ein Anreizsystem in der Parteienfinanzierung gefördert werden. Pro Wahlkreis 25% Anrechenbarkeit für die Existenz einer Landesliste im Bundesland und je 15% Kandidat wären angemessen; ob ein vierter und fünfter Mann oder eine vierte und fünfte Frau volle 15% bekommen oder dieser Anteil über die Jahre hinweg abgeschmolzen wird, kann man noch diskutieren.

Das System erlaubt übrigens auch, in den Wahlkreisen die Viert-, Fünft-, usw. -platzierten zu ermitteln. Diesen würde man kein Direktmandat garantieren wie den Top-3 oder den heutigen Einerwahlkreissiegern, aber man könnte ihnen einen Vorrang bei der Besetzung der übrigen Kandidaten von der Liste einräumen.
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Mark Tröger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 15. August 2019 - 16:55 Uhr:   

@Florian das Original

"Bei Deinem obigen Vorschlag wäre eine solche Steuerung komplett unmöglich.
Und eine Fraktion steht dann nach der Wahl ungewollt womöglich mit großen fachlichen Lücken unter ihren Abgeordneten da. "


Ich denke, die Argumentation ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, allerdings stellt sich die Frage wie gravierend das Problem in der Praxis wäre. Wie ist das denn in den Parlamenten Großbritanniens, Frankreichs und der USA? Und da die Unionsfraktion auch fast nur aus direkt gewählten Abgeordneten besteht, müsste die ja auch das Problem haben. Dann wäre es beim jetzigen Wahlrecht sogar so, dass die stärkste Partei im Gegensatz zu den anderen durch eine Fraktion mit fachlichen Lücken bestraft wird. Kein erhaltenswerter Zustand.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. August 2019 - 12:50 Uhr:   

@Jan W.,

der einzige der hier parteipolitisch argumentierst bist Du, da Du nur die Union angreifst aber unterschlägst dass auch die übrigen Parteien natürlich an ihren eigenen Vorteil denken. Ich habe explizit die Union kritisiert, dass sie selbst außer der (durchaus verständlichen) Ablehnung des Kompromissvorschlags keinen eigenen tauglichen Gegenvorschlag gemacht hat (wohl auch aus parteiischen Gründen).


Noch gravierender ist Deine parteiische Argumentation in folgenden Punkt: Du plädierst dafür, dass sich eine Partei (die SPD) eher auf einen verfassungswidrigen Kompromiss einlassen sollte (in der Erwartung, dass dieser vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird) als auf einen verfassungsgemäßen Kompromiss. Letzteres - also einen verfassungsgemäßen Kompromiss einzugehen - wäre aus Deiner Sicht "besonders dumm". Wer sich für so einen Umgang mit der Verfassung auspricht - nämlich sehenden Auges verfassungswidrige Gesetze mitzubeschließen und keinen verfassungsgemäßen Kompromiss zu suchen - hat keine Berechtigung sich über die AFD und andere zu echauffieren.

Ich persönliche halte den vorgeschlagenen Kompromiss einer gewissen Reduktion der Direktmandate als Übergangslösung für vertretbar. Dauerhaft sollte man jedoch zu einem System der Mehrpersonenwahlkreise wechseln. Im Hinblik auf die Gewährleistung der Machtbalance in den Parteien sollte man auch an den Landeslisten als zweiter Säule festhalten (alles andere dürfte ohnehin nicht mehrheitsfähig sein). Um übergroße Wahlkreise zu verhindern, sollte man es auch maximal bei Dreierwahlkreisen belassen. Schon in dem Fall wird es im Hinblick auf Bremen und dem Saarland schwierig die Grenzen der Bundesländer zu achten, was idealerweise auch sichergestellt sein sollte. Insofern wird man auch über eine gewisse Erhöhung der erlaubten Unterschiede in der Wahlkreisbevölkerungszahl vom Mittelwert sprechen müssen, sollte man zu einem System von Mehrpersonenwahlkreisen kommen.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. August 2019 - 14:38 Uhr:   

@Marc
Welcher eigene Vorteil? Die proportionale Abbildung des Zweitstimmenergebnisses ist ja eigentlich Konsens ...

In Sachen Karlsruhe greifst Du meinen Sarkasmus in sinnentstellender Weise auf: ich befürworte die Rückabwicklung, nicht die Verfassungswidrigkeit.
Die Nichtanwendung war schon beim schwarz-gelben Koalitionswahlrecht der einzige positive Punkt.
Die Reduktion der Direktmandate ist übrigens auch ohne einen Angriff auf die Ausgleichsmandate möglich, sie beseitigt ohnehin Ausgleichsmandate und zwar verzerrungsfrei ...
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. August 2019 - 15:48 Uhr:   

Den von dir behaupteten Konsens gibt es nicht. Die Union ist in dem Punkt anderer Ansicht, so dass es vielleicht eine Mehrheit aber sicher keinen Konsens für diese Ansicht gibt.

Wir haben kein reines Verhältniswahlsystem, sondern eine personalisierte Verhältniswahl. Überhangmandate sind systemimmanent und wurde jahrzehntelang nicht ausgeglichen. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht auch nicht per se beanstandet. Beanstandet wurde lediglich das negative Stimmgewicht.
Das Grüne, FDP, Linke und - seitdem sie noch abgeschmiert ist - auch die SPD (die nach 1998 trotz Mehrheit keine Initiative ergriff den Ausgleich von Überhangmandaten einzuführen (erhielt sie doch 1998 selbst 13 Überhangmandate, profitierte also selbst massiv von Überhangmandaten)) - für ein rein proportionale Verteilung eintreten ist verständlich. Sie ist aber keine zwangsläufige Folge unseres Wahlsystems der personalisierten Verhältniswahl. Anders als Österreich haben wir kein reines Verhältniswahlystem, sondern durch die Dirketmandate ein personalisiertes Element, dass insofern zu einer gewissen Abweichung von der reinen Proportionalität führen kann. Daneben führt die 5%-Hürde ebenfalls zu einer Abweichung hiervon.

Dass die Abweichung von der Proportionalität in der alten Bundesrepublik bis 1990 selten eintrat war Folge des Parteiensystems, dass selten zu Überhangmandaten führte. Seit den 90er-Jahren hat sich dies geändert und diese Frage wurde daher auch vom BVerfG bereits entschieden - und zwar im Sinne der Zulässigkeit nicht ausgeglichenen Überhangs.

Wenn es im Übrigen um eine Reduktion der Vergrößerung des Bundestages geht, so spielen hier zwei Elemente hinein: Überhangmandate und Ausgleichsmandate. An beiden Stellschrauben kann man reduzieren. Gäbe es keine Überhangmandate wären (jenseits regionaler Proporzfragen) Ausgleichsmandate überflüssig. Gibt es allerdings Überhangmandate vergrößert sich das Parlament. Diese Vergrößerung wird indes potenziert wenn die Überhangmandate ausgeglichen werde. Die Potenzierung würde immerhin reduziert, wenn nur ein Teilausgleich erfolgen würde.

Das diese beiden Stellschrauben existieren ist ein Fakt.
Auch wenn man durch Reduktion von Direktmandaten die Zahl der Überhangmandate reduziert, ist diese Reduzierung wahrscheinlich eher gering. Jedenfalls würde die Mandatszahl noch stärker begrenzt, wenn man auch den Ausgleich von Überhangmandaten reduziert. Das ist schlicht eine Tatsache. Und angeblich geht es doch primär um eine Begrenzung der Bundestagsgröße.

Einen generellen Konsens für den Ausgleich von Überhangmandaten gibt es jedenfalls nicht. Die Union ist nicht dieser Auffassung und auch die SPD hatte - als sie noch von Überangmandaten profitierte - keine Schritte eingeleitet diese gesetzlich auszugleichen.

Der jetzt vorgeschlagene Weg läuft auf eine einseitige Reduzierung von Direktmandaten hinaus, was aus meiner Sicht nur eine Notlösung wäre. Sinnvoller wäre eine grundlegende Reform durch die Änderung von Einpersonenwahlkreissystem in ein Mehrpersonenwahlkreissystem. Das würde den Überhang wenn nicht auf Null so doch auf einen sehr geringen Wert reduzieren. Dies wäre gegenüber dem jetzigen Vorschlag vorzugswürdig.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. August 2019 - 20:00 Uhr:   

13 Überhangmandate im Jahr 1998 sind auch eine vollkommen andere Größenordnung als aktuell 46 Überhangmandate ... eine Verdreifachung macht aus einem Schönheitsfehler eben eine massive Verzerrung.
Die Stellschraube Überhang wirkt proporzerhaltend auf Überhang und Ausgleich ein, wobei mehr Ausgleichs- als Überhangmandate wegfallen.

Die Personalisierung sollte Einfluss auf die interne Zusammensetzung der Fraktionen nehmen und nicht das Kräfteverhältnis der Fraktionen beeinflussen.
Ich wüsste übrigens nicht, wieso ein Nachgeben der SPD zugunsten des Unionsvorschlags eine Neigung der Union zu Mehrmandatswahlkreisen befördern sollte.
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SaaleMAX
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 05. Oktober 2019 - 20:42 Uhr:   

Bündnis90/ Die Grünen legen nach.
Die grüne " Verbotspartei" schlägt jetzt richtig in die Klimakerbe
Denn, das Klimapaket der Merkelregierung geht ihnen nicht weit genug.
Sie legen jetzt neue Ideen in einem Leitantrag des Grünen Bundesvorstandes vor.
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Mir persönlich geht dies Ganze was hier von Grünen und deren Unterorganisationen abgeliefert wird...langsam und tendenziell in Richtung eines " Öko- und Klimaterrorismus mit weit ausgeprägten Ansätzen des Ökopopulismus" !


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FAZ schreibt:
"Keine Verbrennungsmotoren mehr ab 2030, verschärfte CO2-Bepreisung bis 2021 und vorzugsweise vegetarische oder vegane Ernährung – die Grünen wollen das Klimapaket der großen Koalition radikal nachbessern."

Genaueres unter:
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/leitantrag-fuer-parteitag-gruene-wollen-klimapolitik-verschaerfen-16418753.html

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