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Abschaffung der Stichwahl in NRW?

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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2018 - 11:51 Uhr:   

CDU und FPD wollen die Stichwahl bei den Bürgermeisterwahlen in NRW wieder abschaffen:

https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/stichwahl-wahlen-nrw-102.html
https://www.waz.de/politik/landespolitik/streit-um-die-abschaffung-der-ob-stichwahl-id215759591.html
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2018 - 13:31 Uhr:   

Eine Ersatzstimme nach Londoner Vorbild könnte ein Kompromiss sein ...
sie passt besser in die Auszählungsroutine als etwa das System der Irischen Präsidentschaftswahl.
Alternativ könnte man auch ein Quorum einführen, nach dem der Zweitplatzierte der Hauptwahl nur dann gewinnt, wenn er in der Stichwahl mindestens so viele Stimmen erreicht, wie der Erstplatzierte in der Hauptwahl hatte.

Ich sehe keine Legitimationssteigerung, wenn zwar die 50% erreicht werden, aber zwei Wochen vorher jemand anderes mehr Stimmen hatte ...
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2018 - 17:27 Uhr:   

Die Abschaffung der Stichwahl ist sicher sinnvoll, weil in der Tat der Sieger oft quasi feststeht und die Wahlbeteiligung oft arg nachlässt in der Stichwahl, wenn gleichzeitig mit dem 1. Wahlgang auch andere Wahlen stattfanden. Oft bekommen beide Stichwahlteilnehmer weniger Stimmen als im ersten Wahlgang. Gestern war Stichwahl in Schleiden, im 1. Wahlgang hatte der Führende 49,6% und der Zweitplatzierte 25,5%. Da war vollkommen klar, wie die Stichwahl ausgeht und der Favorit hat auch hoch gewonnen.

Beispiele für Wahlbeteiligungen im 1. und 2. Wahlgang 2014
Düsseldorf: 1. WG 49,2/2. WG 41,7
Dortmund: 44,9/30,9
Remscheid: 43,0/30,7
Mönchengladbach: 42,8/29,6
Hagen: 45,1/31,2
Bielefeld: 51,0/31,2

In den vier letztgenannten Fällen hatten beide Bewerber in der Stichwahl weniger Stimmen als im 1. WG.

Noch schlimmer sieht die Wahlbeteiligung bei Landratswahlen aus, Beispiele von 2014 (jeweils 1.WG/2.WG):
Kreis Wesel: 51,4/23,5
Rhein-Sieg-Kreis: 56,1/25,7
Märkischer Kreis: 44,5/19,6

In allen drei Fällen hatte der Führende des 1. Wahlgangs mehr Stimmen, als beide Stichwahlteilnehmer im 2. Wahlgang zusammen.

STV einzuführen, wäre wohl am sinnvollsten. Solange es nur um einen einzigen Posten geht, ist die Auszählung auch einfach. Wer einen Bewerber ankreuzt, hat halt nur eine Erstpräferenz vergeben.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. November 2018 - 19:55 Uhr:   

Die kritischen Fälle sind allerdings die Fälle, in denen ein kontroverser Kandidat eine relative Mehrheit bekommt und ein relativ weit hintenliegender Zweitplatzierter in der Stichwahl die Mehrheit bekommt. Düsseldorf dürfte in diese Kategorie fallen.

Der Anteil der mit unter 30% Gewählten dürfte auch weiter steigen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2018 - 19:51 Uhr:   

"Die kritischen Fälle sind allerdings die Fälle, in denen ein kontroverser Kandidat eine relative Mehrheit bekommt und ein relativ weit hintenliegender Zweitplatzierter in der Stichwahl die Mehrheit bekommt."
Wenn sich die Reihenfolge in Stichwahlen nicht ändern könnte, wären sie eh sinnlos. Wenn ein Bewerber in der Stichwahl weniger holt als im 1. Wahlgang, dann ist Umstrittenheit nicht unbedingt eine nahe liegende Erklärung. Wenn Bewerber, die die absolute Mehrheit knapp verfehlen und weit vorne liegen, die Stichwahl nur knapp gewinnen (Beispiele von 2014: Soest, Werl), dürfte es weniger an Umstrittenheit liegen, sondern eher daran, dass sich einige Wähler zu sicher sind über den Ausgang. Zum Teil wissen die Wähler nicht einmal, dass eine Stichwahl stattfindet, was zu einem großen Teil die krasse Wahlbeteiligung bei Landrats-Stichwahlen erklärt.

"Der Anteil der mit unter 30% Gewählten dürfte auch weiter steigen."
Unter 30% für den Führenden kam doch bisher fast nicht vor.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. November 2018 - 16:12 Uhr:   

Ich bin gegen ein einfaches Mehrheitswahlrecht. Wir hatten das in NRW ja schon mal kurzzeitig. Daß es dabei selten zu Ergebnissen kam, bei denen der Sieger unter 40 % hatte, liegt eher daran, daß mittelgroße Parteien oft auf die Teilnahme verzichtet haben. 2009 in Münster sind z.B. Grüne, Linke und FDP nicht angetreten und haben jeweils den Kandidaten von SPD bzw. CDU unterstützt. Es gab also weniger Auswahl für die Wähler.

Natürlich hofft die CDU mit diesem Vorschlag auf Situationen, in denen SPD und Grüne etwa gleich stark sind, keiner der beiden auf die Teilnahme verzichtet und sie sich so gegenseitig schwächen, etwa so:
CDU 40 %
Grüne 25 %
SPD 25 %
AfD 10 %

Allerdings könnte sich die CDU damit auch ins eigene Knie schießen, z.B. wenn das Ergebnis in einer Gemeinde so lautet:
AfD: 26%
CDU 25 %
Grüne 24 %
SPD 24 %

Mal abgesehen von der Frage, wie legitim ein solcher Bürgermeister wäre und wie die Zusammenarbeit mit dem Parlament der Gemeinde wäre (wo die AfD ja wahrscheinlich auch nur etwa 1/4 der Sitze hätte): Die CDU würde in obiger Situation eine Stichwahl sicher gewinnen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. November 2018 - 19:42 Uhr:   

Das zweite Beispiel ist natürlich arg konstruiert und ein Stichwahlmodus auch nicht befriedigend, weil ein minimaler Abstand zwischen Zwei- und Drittplatziertem große Auswirkung haben kann.Chirac stand 2002 in Frankreich mit 19,9% im ersten Wahlgang quasi als Sieger fest, weil Le Pen überraschend knapp vor Jospin lag. Bei nur einem Wahlgang hätten vor allem die Linkswähler im 1. Wahlgang stärker taktisch gewählt und Jospin vielleicht sogar gewonnen, im jedem Fall hätte der Sieger weit über 20% gelegen. Eine übertragbare Einzelstimme fände ich besser, aber auch die relative Mehrheit ist dem jetzigen Zustand vorzuziehen.

Natürlich treten oft nicht viele Kandidaten an, das ist mit Stichwahl nicht anders. Es muss ja mindestens vier Kandidaten geben, damit der Führende überhaupt unter 30% liegen kann, was recht oft nicht Fall ist, vor allem in kreisangehörigen Gemeinden. Mit der Abschaffung der Stichwahl durch die CDU/FDP-Regierung 2007 wurde die Möglichkeit eingeführt, offiziell gemeinsame Kandidaten aufzustellen, was Ro-Grün nicht rückgängig gemacht hat.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. November 2018 - 23:18 Uhr:   

Ein gutes Wahlrecht muß auch bei ungewöhnlichen Wahlergebnissen sinnvolle Resultate produzieren. Und ganz so arg konstruiert ist mein zweites Beispiel nun auch nicht. Es gab ja bei den letzten Landtagswahlen durchaus Wahlkreissieger mit weniger als 25 %! Etwa in Pankow 1 mit 22,4 %:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wahlkreis_Pankow_1
Grüne und Linke getauscht - dann könnte so was in zwei Jahren auch bei einer Bürgermeisterwahl in NRW passieren.

Bei einem großen Teilnehmerfeld kann freilich auch das Verfahren mit 2 Wahlgängen zu kuriosen oder gar absurden Situationen führen. Ich stimme Ihnen zu, daß die französische Präsidentenwahl 2002 nicht befriedigend war. Ich verstehe auch, daß hohe Kosten und aufwendige Organisation Argumente gegen zwei Wahlgänge sind.

Von daher könnte ich mich am ehesten mit einem System mit einer Ersatzstimme oder noch besser IRV anfreunden. Ein kleines Problem gäbe es dabei in Deutschland freilich: Seit Jahrzehnten wird den Wählern beigebracht, daß es bei Bundestags- und Landtagswahlen auf die Zweitstimme ankommt. Bei einer Umstellung auf Ersatzstimmensystem oder IRV müßte man dann auch noch erklären, daß das bei Bürgermeister- und Landratswahlen andersherum ist.

(Beitrag nachträglich am 26., November. 2018 von tg editiert)

(Beitrag nachträglich am 27., November. 2018 von tg editiert)
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 27. November 2018 - 21:28 Uhr:   

"Grüne und Linke getauscht - dann könnte so was in zwei Jahren auch bei einer Bürgermeisterwahl in NRW passieren. "

Das ist nicht vergleichbar, da es bei Landtagswahlkreisen aus Parteiensicht um nichts (außer Symbolik) geht, für die Mehrheitsverhältnisse im Landtag sind die Wahlkreissiege irrelevant. In der Pankow-Situation würden die anderen Parteien todsicher ein oder zwei gemeinsame Kandidaten aufstellen, wenn auch nur die kleinste Gefahr besteht, dass sonst die AfD mit 22% der Stimmen den Bürgermeister stellen könnte. Allgemein fördert eine Abschaffung der Stichwahl parteiübergreifende Kandidaturen der kleineren bis mittleren Parteien, so dass realistisch kaum mit Gewählten unter 35% zu rechnen wäre.


"Ein gutes Wahlrecht muß auch bei ungewöhnlichen Wahlergebnissen sinnvolle Resultate produzieren."
Dann gibt es in Deutschland auch kein "gutes Wahlrecht" bei Parlamentswahlen: In Bundesländern ohne Grundmandatsklausel würde kein einziger Landtagsabgeordneter gewählt werden, wenn alle Parteien unter 5% bleiben, und der Bundestag könnte in einer vergleichbar extremen Situation (alle Parteien unter 5% und max. 2 Direktmandate) auch nur zur Hälfte (nach reinem Mehrheitswahlrecht) besetzt werden.

Aber ich stimme Ihnen zu, dass IRV für Bürgermeisterwahlen das deutlich bessere System wäre.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 27. November 2018 - 21:31 Uhr:   

"Es gab ja bei den letzten Landtagswahlen durchaus Wahlkreissieger mit weniger als 25 %! Etwa in Pankow 1 mit 22,4"
Bei Verhältniswahl gibt es auch bei der Erststimme weit weniger Anlass zum taktischen Wählen als bei relativer Mehrheitswahl, daher nicht vergleichbar. Bei einem Stichwahlmodus kann taktisches Wählen sinnvoll sein, wenn nicht klar ist, wer in die Stichwahl kommt. Wenn zu wenige Wähler taktisch wählen, können sie sich ins Knie schießen.

IRV würde so eine Situation wie 2002 in Frankreich gerade nicht verhindert. Bei IRV werden die Stimmen der anderen Kandidaten auf die beiden Führenden übertragen. Sinnvoller wäre STV in Reinform, also immer den schwächsten Kandidaten ausschließen, bis einer mehr hat als die anderen zusammen.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 28. November 2018 - 16:15 Uhr:   

@ Thomas Frings:
Gibt es unterschiedliche Defiitionen von IRV? Ich kenne es so:
Beim IRV wird wie beim STV in jedem Zähldurchgang ein Kandidat ausgesiebt; der Unterschied ist aber der, daß beim STV mehrere Kandidaten pro Wahlkreis gewählt werden, beim IRV nur einer. Daher scheidet beim IRV in jedem Durchgang der Letzte aus, bis der Erste >50 % hat. Für eine Bürgermeister- oder Präsidentenwahl kommt STV also gar nicht in Frage.
Auch Wikipedia folgt dieser Definition:
https://de.wikipedia.org/wiki/Instant-Runoff-Voting
https://de.wikipedia.org/wiki/Übertragbare_Einzelstimmgebung

Da hätte in Frankreich also zu einem Sieg von Jospin oder Chirac geführt, denn Jospin hätte die meisten Stimmen der früh ausgesiebten Linkskandidaten bekommen und hätte Le Pen überholt.


@ Holger21:
In der Pankow-Situation würden die Parteien sich entweder nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, weil jeder sich Hoffnungen auf den Sieg machen kann. Oder sie kungeln tatsächlich einen Kandidaten aus, der dann gegen den AfD-Kandidaten gewinnt. Da hätte ich lieber 2 Wahlgänge, wo der Gegner des AfD-Kandidaten durch eine Wahl und nicht durch Kungeleien ermittelt wird. Oder eben am besten IRV.


Hier noch ein Beispiel für ein unschönes Ergebnis bei einfacher Mehrheitswahl: Bei der ersten freien Wahl in Südkorea gewann der Kandidate des Militärs mit 36,6 % Prozent, da sich die zivile Opposition nicht auf einen Kandidaten einigen konnte:
https://en.wikipedia.org/wiki/South_Korean_presidential_election,_1987
https://de.wikipedia.org/wiki/Roh_Tae-woo
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 29. November 2018 - 22:23 Uhr:   

@tg:
Ich verstehe IRV auch so wie Sie. Die Version von Thomas Frings wäre zugebenermaßen die wörtliche Bedeutung von "Instant runoff", ist aber offensichtlich schlechter als das rekursive Streichen des letzten Kandidaten, ohne dass es dadurch für den Wähler einfacher würde (er muss so oder so alle Kandidaten durchnummerieren, um 100%ig sicherzugehen, dass seine Stimme zählt).

"Kungelei" hat einen stark negativen Unterton. Auch jeder Parteikandidat wird von seiner Partei "ausgekungelt". Ohne "Kungelei" zwischen den Bundestagsparteien wäre z.B. Gauck nie BP geworden.


Und nicht jede Partei hatte in Pankow reelle Chancen auf den Sieg, sondern nur die vier, die um 20% lagen. Die kleineren Parteien (Grüne, FDP, Piraten) hätten mit einer Unterstützung des SPD- oder CDU-Kandidaten diesem (oder einem jeweiligen gemeinsamen Kandidaten) zum Sieg verhelfen können, anstatt die Stimmen ihrer Wähler zu verschwenden.
In der Praxis hätte es wohl kaum einen einzigen gemeinsamen Kandidaten von CDU, SPD und Linken gegeben, so dass der Wähler immer noch die Wahl zwischen 2 oder 3 Nicht-AfD-Kandidaten gehabt hätte und die jeweils kooperierenden Parteien sich dementsprechend auf einen populären mehrheitsfähigen Kandidaten hätten verständigen müssen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 04. Dezember 2018 - 20:27 Uhr:   

" der Pankow-Situation würden die Parteien sich entweder nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, weil jeder sich Hoffnungen auf den Sieg machen kann."
Erstens arg untypisch für NRW, zweitens hatten (wie Holger schon sagte) einige Parteien absehbar null Chance, drittens würden sich die Wähler taktisch anpassen.

Bei IRV lag ich wirklich falsch, aber STV ist unabhängig von der Zahl der zu wählenden Posten.

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