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Wiedereinführung einer Sperrklausel b...

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tg
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Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 11:41 Uhr:   

Anscheinend haben es CDU, CSU und SPD ermöglicht, daß ab 2024 in Deutschland wieder eine Sperrklausel bei den Europawahlen eingeführt wird. Einzelheiten wie etwa die Höhe der geplanten Hürde habe ich noch nicht gefunden.

https://www.tagesschau.de/ausland/sperrklausel-kleinstparteien-101.html
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 12:49 Uhr:   

Die beschlossene Richtlinie verlangt eine Sperrklausel von 2 bis 5%. Nach der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist damit m.E. in Deutschland nur die Mindesthürde, also 2%, möglich.

Ich hoffe, dass die Hürde wirklich erst für 2024 beschlossen wird und jetzt nicht noch überstürzt eine Hürde für 2019 eingeführt wird. Die sehr vernünftige Empfehlung der Venedigkommission, im letzten Jahr vor einer Wahl keine Wahlrechtsänderungen mehr vorzunehmen, hat die Bundesregierung vor der letzten Europawahl ja leider auch ignoriert, wie im Wahlrecht.de-Twitter neulich beschrieben...
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 13:06 Uhr:   

Eine Hürde von 5 % einzuführen wäre für die CSU mutig, denn das wären (je nach Wahlbeteiligung) etwa 33 % in Bayern. Das könnte in 6 Jahren durchaus knapp werden. 2 % in Deutschland entsprechen etwa 13 % in Bayern, damit sollte die CSU keine Probleme haben.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 17:43 Uhr:   

Völlig krank die Grundhaltung, bei Verfassungswidrigkeit einfach eine europäische Regel einzuführen. Angesichts der äußerst geringen Bedeutung deutscher Splitterparteien im Europaparlament ist auch die Prioritätensetzung diese Regierung haarsträubend. Es wäre leicht möglich, Splitterparteien auch ohne Sperrklausel draußen zu halten, wenn man sie für so schlimm hält. Allein mit d’Hondt statt Sainte-Lague wären es 2014 drei Parteien weniger gewesen und mit getrennten Wahlgebieten (also separate Sitzverteilung in Wahlkreisen bestehend aus einem oder mehreren Bundesländern) hätte man 2014 mit Ausnahme der FDP und FW alle Parteien unter 5% mühelos auf 0 Sitze bringen können.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 20:49 Uhr:   

Da es sich um eine europarechtliche Regelung handelt, geht diese aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts dem nationalen Recht und somit auch dem Grundgesetz vor.

Grundsätzlich gelten daher die Vorgaben des BVerfG nur, soweit die Richtlinie Anwendungsspielraum zuläßt.

Europarechtlich ist Deutschland jetzt verpflichtet diesen Beschluss bis 2024 umzusetzen.

Fraglich ist, auf welche Weise dies geschehen wird. Der saubere Weg wäre eine Grundgesetzänderung. In dem Fall wäre Deutschland auch berechtigt die Hürde auf 5% zu setzen (da damit das GG geändert und die Grundlage für die anderslautende Rechtsprechung faktisch entzogen wäre (dass das BVerfG in dem Fall dies für verfassungswidriges Verfassungsrecht erklärten würde, ist extrem unwahrscheinlich und wäre auch nicht überzeugend)).

Bei einer Umsetzung durch einfaches Recht kann allenfalls die Mindesthürde gewählt werden.

Insofern wäre auch interessant wie sich die Oppositionsparteine hierzu verhalten (Grüne, FDP, Linke, AFD).

Aktuell ist keine von Ihnen 5%-gefährdet. Potenziell sind es allerdings alle und die CSU. Die Einführung einer niedrigeren Hürde (2%) könnte insofern der kleinste gemeinsame Nenner sein. Kenia hätte aber für eine solche Änderung im Bundestag keine Mehrheit. Kommen FDP oder Linke oder gar die AfD der Regierung zu Hilfe für eine höhere Hürde im Wege der Grundgesetzänderung?

Am wahrscheinlichsten ist allerdings, dass am Ende eine 2%-Hürde rauskommt. Damit setzt man sich nicht im direkten Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht (dass nur zu 5% und zur 3%-Hürde explizit judiziert hat (indes im letzteren Urteil explizit gegen jede Sperrklausel, die nicht europarechtlich vorgegeben ist)) und setzt nur die Mindestanforderungen der Richtlinie um, wozu Deutschland europarechtlich verpflichtet ist. Interessant wird auch sein, ob man die Umsetzung bereits für die nächste Europawahl anstrebt.

Er spricht vieles dagegen. Die AFD kommt sowieso ins Europaparlament und wenn 2-3 weitere Vertreter von Kleinparteien nochmals hineinkämen - vielleicht sogar ein Herr Lucke, sofern seine Splitterpartei allein oder nach Fusion mit anderen ein Sitz erringt, wäre das wirklich kein Schaden. Auch im Hinblick auf die anderslautende Rechtsprechung des BVerfG könnte es durchaus verfassungsrechtlich geboten sein, nicht nur dem Umsetzungsspielraum sondern auch die Umsetzungsfrist auszuschöpfen (d.h. niedrigstzulässige Hürde, spätester Umsetzungszeitpunkt).

Persönlich halte ich die Rechtsprechung des Bundsverfassungsgericht gegen Sperrklauseln nicht für verfassungsrechtlich zwingend. Im Fall von Kommunalwahlen ist sie m.A. nach eher begründbar als bei Europawahlen, da die Gemeindeversammlungen und Kreistage nur Teil der Exekutive sind und insfofern als Teil des jeweiligen Bundeslands ohnehin der Staatsaufsicht unterliegen. Das Argument der Funktionsunfähigkeit fällt daher nicht sonerlich ins Gewicht. Auch ermöglicht ein Verzicht auf eine Hürde bei Kommunalwahlen neuen Parteien Chancen sich erstmal lokal zu etablieren und dann landesweite oder bundesweite Ausdehnung anzustreben. Dies nicht auf der untersten Ebene bereits zu erschweren ist verfassungspolitisch durchaus plausibel, zumal die potentiell negativen Auswirkungen einer Zersplitterung auf dieser Ebene nicht stark ins Gewicht fallen.

Beim Europaparlament kann man das indes anders sehen.
Das Urteil zur 3%-Hürde war eine 5-3-Entscheidung. Es enthielt durchaus Ausführugen, dass im Fall einer Zersplitterungstendenz durchaus der Gesetezgeber nachträglich eingreifen können soll. Dann stellt sich jedoch die Fragen, ob man dem Gesetzgeber nicht bereits im Vorfeld einen Beurteilungsspielraum einräumt und daher eine Sperrklausel von vornherein gestattet.

Der unterschiedliche räumliche Geltungsbereich der Sperrklauseln (getrennt nach Mitgliedstaat) ist verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Bei der ersten Bundestagswahl galten landesweiten Sperrklauseln und 1990 eine getrennt für die alten und neuen Bundesländer. Es handelt sich auch nicht um ein Lex Germania, da dies für alle Mitgliedstaaten gilt (nur die meisten Länder haben bereits entsprechende Hürden).

Diese neue Sperrklausel-Richtlinie ist weder besonders nützlich, noch schädlich. Sollte der Gesetzgeger sie auf einfach-gesetzlichen Weg verabschieden, dürfte indes nur ein 2%-Hürde verfassungsrechtlich zulässig sein.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 21:00 Uhr:   

Eine Sperrklausel müsste übrigens gar nicht eingeführt werden. Die 3%-Hürde steht immer noch im Gesetz.
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SaaleMAX
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 21:10 Uhr:   

Wird man in der Eu jetzt nervöser?
Oder wieso doktert man jetzt plötzlich mit Prozentpunkten der Sperrklausel herum ?
Ich denke es bringt wenig bei jeder Wahl der EU irgend ein anderes Verfahren einzuführen.
Das wirkt unglaubwürdig .Wieso also das Ganze....und warum nicht alles so belassen wie es immer schon war.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 08. Juni 2018 - 22:20 Uhr:   

@Thomas,

doch, müsste sie, da diese durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde. Das Gesetz ist insoweit nichtig. Urteile des Bundesverfassungsgericht haben Gesetzeskraft (§ 90 Bundeverfassugnsgerichtsgesetz).

Die nachfolgende Richtlinie hebt diese Rechtslage nicht auf.

Der Gesetzgeber muss jetzt entscheiden, wie er die Richtlinie umsetzt. Diese besagt 2-5%. Durch einfaches Gesetz wären nur 2% möglich. Durch Aufnahme ins Grundgesetz könnten auch bis zu 5% festgelegt werden.


@SaaleMAX,

die Initiative für diese Regelung kam von der Bundesregierung. Also wenn hier jemand offensichtlich nervös ist, dann ist es die Bundesregierung, also CDU/CSU und SPD.

Ob ein oder kein NPD-Abgeordneter in Brüssel sitzt oder nicht (oder sonstige Kleinstparteien wie die Partei) ist ziemlich irrelevant. Aber man sorgt sich offensichtlich vor einem deutschen Nigel Farrage.

Dabei fallen die deutschen Europaabgeordneten eigentlich der großen Öffentlichkeit nicht auf. Politisch Eingeweihte mögen an Elmar Brok oder Graf Lambsdorff oder Rebecca Harms denken (früher Schulz) oder auch Bernd Lucke, aber sonst? Die AfD wird ohnehin den Einzug schaffen. Einzig die Freien Wähler wird man ggf. so aufhalten können. Außerhalb Bayerns sind diese indes schwach und haben nicht die bundesweite Ausdehnung geschafft. Allerdings könnten sie durchaus perspektivisch und potenziell eine Bedrohung nicht nur für die CSU, sondern auch für die CDU darstellen, zumal soweit und sofern sich die AfD selbst zerfleischt.

Dies ist auch ein Grund, weshalb die CSU sie nicht an der bayerischen Regierung beteiligen möchte. Dass würde die FW auch bundesweit aufwerten. So werden sie aber außerhalb Bayerns kaum wahrgenommen. Den FW fehlt allerdings auch bundespolitisches Profil. Sie bräuchten schon ein Thema. Allerdings: Was nicht ist, kann werden.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 09. Juni 2018 - 12:45 Uhr:   

"Aber man sorgt sich offensichtlich vor einem deutschen Nigel Farrage."
Der käme wohl am ehesten aus der AfD und dieser nutzt eine Sperrklausel sogar. Ein rationales Argument, warum eine Sperrklausel so wichtig sein soll, ist absolut nicht erkennbar. Es dürfte eher eine Art Zwangsvorstellung sein, unbedingt eine zu brauchen.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 09. Juni 2018 - 13:08 Uhr:   

Ein sehr rationales (und durchsichtiges) Argument sind sicher die 7 Mandate und die damit verknüpften finanziellen Vorteilen (Abgeordnetenbezüge, Mitarbeiter, Ansprechpartner für Lobbyisten usw.). Jedes Mandat bringt in den 5 Jahren der Legislaturperiode ca. 2 Mio. EUR.

Wer will das schon seinen Konkurrenten überlassen (und seien sie auch noch so klein und unbedeutend).
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 09. Juni 2018 - 14:27 Uhr:   

@Marc: "Es handelt sich auch nicht um ein Lex Germania, da dies für alle Mitgliedstaaten gilt (nur die meisten Länder haben bereits entsprechende Hürden)."
Natürlich ist es faktisch eine Lex Deutschland, wie man am Zeitpunkt und den verantwortlichen Personen der Einbringung klar sieht. Dass Deutschland nicht explizit in der Richtlinie erwähnt wird, ist auch alles.
Sie gilt selbst formal NICHT für alle Mitgliedsstaaten, sondern nur für die mit Wahlkreisen von mindestens 35 Abgeordneten, das sind nur 4 von (noch) 28 EU-Staaten (Deutschland, Italien, Spanien, Polen). Da Italien und Polen bereits 5%-Klauseln haben und Spanien eine faktische Sperrklausel von knapp 2% (und sich zusätzlich erfolgreich dagegen gewehrt hat, schon 2019 eine Sperrklausel einführen zu müssen), ist es auch in der Praxis eine Lex Deutschland.
Übrigens haben laut der Wahlrecht.de-Europawahl-Infoseite fast die Hälfte der EU-Staaten keine explizite Sperrklausel. Dort haben Kleinstparteien aufgrund der faktischen Hürde zwar auch keine Chance auf Parlamentseinzug, aber in Bezug auf die Zersplitterung des EP ist eine 1-Sitz-Partei z.B. aus Belgien (mit 4% der belgischen Stimmen) nicht besser als eine 1-Sitz-Partei aus Deutschland (mit 1,4% der deutschen Stimmen, aber absolut weit mehr als die belgische Partei).
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 09. Juni 2018 - 14:52 Uhr:   

"Bei einer Umsetzung durch einfaches Recht kann allenfalls die Mindesthürde gewählt werden.
Insofern wäre auch interessant wie sich die Oppositionsparteine hierzu verhalten (Grüne, FDP, Linke, AFD).
Aktuell ist keine von Ihnen 5%-gefährdet. Potenziell sind es allerdings alle und die CSU. Die Einführung einer niedrigeren Hürde (2%) könnte insofern der kleinste gemeinsame Nenner sein. Kenia hätte aber für eine solche Änderung im Bundestag keine Mehrheit. Kommen FDP oder Linke oder gar die AfD der Regierung zu Hilfe für eine höhere Hürde im Wege der Grundgesetzänderung?"

Ganz sicher nicht. Sie haben davon aktuell praktisch keinen Vorteil (da angesichts des letzten Wahlergebnisses wahrscheinlich keine Konkurrenten zwischen 2 und 5% liegen) und ein großes reales Risiko für die mittlere Zukunft. Die FDP ist schon dreimal an der damals noch existenten 5%-Hürde gescheitert und wäre 2014 der einzige Leidtragende einer Erhöhung der Klausel von 2% auf 5% gewesen. Auch die Grünen und die PDS sind schon mal an der EP-Sperrklausel gescheitert. Die CSU lag 2014 nur bei 5,3% und hätte nach aktuellen Umfragen das bei weitem größte Risiko, an so einer Klausel zu scheitern.
Außerdem hätte es für alle Beteiligten einen autokratischen Beigeschmack, wenn man wie in Ungarn oder Polen aus reinem politischem Eigennutz ein verfassungswidriges Gesetz nachträglich in der Verfassung verankert.
Da wäre es m.E. schon fast wahrscheinlicher, dass die GroKo wieder einfachgesetzlich eine höhere Klausel beschließt (und sich beim BVerfG daraufhin die dritte Klatsche abholt).
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 11. Juni 2018 - 11:56 Uhr:   

@Holger,

der Umstand, dass 4% in Belgien weniger Stimmen sind als 1,4% in Deutschland ist kein zulässiges rechtliches Argument bei Europawahlen.

Für die Europawahl gilt der Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht. Dies ist im Europawahlrecht nicht vorgesehen. Ansonsten müsste die Mandatsverteilung auf die Mitgliedstaaten auch strikt nach Einwohnerzahl erfolgen (wie etwa bei der Bundestagswahl), mit der Folge, dass viele Kleinstaaten maximal einen Sitz bekämen, was politisch allerdings nicht gewollt ist.

Soweit ich das sehe besteht im Übrigen für Spanien ebenfalls änderungsbedarf. Auch für andere Staaten hat die Richtlinie Relevanz. So wären Polen und Italien etwa gehindert ihre Sperrklausel ersatzlos zu streichen, was nach vormaliger Rechtslage ja zulässig gewesen wäre. Sie dürfen sie allenfalls auf 2% reduzieren. Auch die übrigen EU-Mitgliedstaaten können ja im Rahmen der Vorgaben ihr nationales Wahlrecht zur Europawahl ändern. Jetzt gilt hier für alle, dass sie dabei mindestens eine Sperrklausel von 2% einhalten müssen. Daher hat die Richtlinie Rechtswirkung auf alle Mitgliedstaaten.

Bezüglich der Höhe der Hürde: In NRW zum Beispiel kämpfen CDU, SPD und Grüne für eine 2,5%-Hürde für Kommunalwahlen. Insofern hielte ich es durchaus für denkbar, dass sich die Kenia-Parteien auf eine höhere Hürde als 2% (z.B. drei Prozent) im Wege der Grundgesetzänderung einigen. Da Merkel allerdings stets den Weg des geringsten Widerstands geht wird sie das wahrscheinlich gar nicht versuchen und die Änderung per einfachen Gesetz umsetzen. Dann bleibt aber nur 2%.

Sowohl CSU wie Grüne mögen zwar theoretisch von der 5%-Hürde bedroht sein, von 3% sind sie allerdings doch weit entfernt. Einzig die FDP lag 2014 bei der Europawahl nur knapp oberhalb von 3% (die 2013 eingeführte 3%-Hürde für Europawahlen wurde erst kurz vor der Europawahl 2014 durch das BVerfG aufgehoben).
Von daher wäre eine Kenia-Mehrheit für eine höhere Klausel als 2% im Wege der Grundgesetzänderung schon denkbar. Aber es hätte eben ein Geschmäckle und aktuell haben die Grünen keinen Anreiz sich hierauf einzulassen. Im Fall einer Kenia-Koalition, die ja 2021 zum Thema werden könnte, könnte das hingegen durchaus ein Thema für eine solche Koalition werden (sozusagen eine Europa-Schutzklausel).
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El Tres
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 12. Juli 2018 - 12:49 Uhr:   

"Sie gilt selbst formal NICHT für alle Mitgliedsstaaten, sondern nur für die mit Wahlkreisen von mindestens 35 Abgeordneten, das sind nur 4 von (noch) 28 EU-Staaten (Deutschland, Italien, Spanien, Polen)."

Dazu muss man noch erwähnen, dass in Italien, Spanien und Polen auch gerne mal mehrere Parteien mit einer gemeinsamen Liste antreten. In Deutschland dagegen ist die Kandidatur eines Parteimitglieds auf der Liste einer anderen Partei ausdrücklich verboten (nach dem Einzug der WASG auf der Liste der PSD).

Die deutsche Politik hat eine wahnsinnige Angst vor der Zersplitterung des Parteiensystems. Als Grund wird immer der Untergang der Weimarer Republik erwähnt. Dabei zersplittert das Parteiensystems völlig unabhängig von der Sperrklausel. Das Problem bei Weimar war, dass bei Reichstagswahlen (bis 1932) keine einzige Partei jemals über 30% der Stimmen kam. Und da sind wir laut aktuellen Umfragen auch wieder. Sperrklausel hin oder her.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 12. Juli 2018 - 15:05 Uhr:   

Die Begründung wird von den Bundestagsparteien doch nur vorgeschoben. Tatsächlich schirmen sie sich gegen unliebsame Konkurrenz ab und bilden ein Machtkartell. Das bringt Geld (Mandate, Mitarbeiter, Parteienfinanzierung) und Einfluss (Kontakte zu Medien, Wirtschaft und Verbänden usw.). Menschlich verständlich, doch ein Bärendienst für die Demokratie.

Sie verhalten sich eben wie Wirtschaftsunternehmen. Wo ist die "Kartellbehörde", die das ggf. verhindern könnte? Die Wähler könnten ein solches Verhalten abstrafen, doch da erkenne ich (noch?) keinen großen Widerstand.

Der "Griff in die Staatskasse" (Parteienfinanzierung, aufgeblähter Bundestag) bleibt ungestraft und die Wettbewerbsverzerrungen (Wahlvorschriften, Unterstützer-Unterschriften, Zulassungsverbote) nehmen zu und treiben die Wähler höchstens zur aktuell einzig wirkungsvollen Protestpartei AfD, die so schnell Teil dieses "Kartells" werden wird - ähnlich wie GRÜNE und LINKE es schon geworden sind.
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 12. Juli 2018 - 21:01 Uhr:   

@Marc:

"der Umstand, dass 4% in Belgien weniger Stimmen sind als 1,4% in Deutschland ist kein zulässiges rechtliches Argument bei Europawahlen."

Sicher ist das ein Argument. Die Missachtung des Gleichheitsgrundsatzes zum Nachteil der großen Mitgliedsstaaten (im Namen der "degressiven Proportionalität" statt tatsächlicher Proportionalität) ist genauso eine willkürliche politische Entscheidung wie die Missachtung des Gleichheitsgrundsatzes bzgl. kleiner Parteien durch die Sperrklauseln. Bei einer streng proportionalen Sitzverteilung 2019 (ein Sitz pro 630.000 Einwohner) müssten sich nur Malta, Luxemburg und evtl. Zypern mit einem Sitz begnügen, alle anderen Länder hätten zwei (Estland) oder noch mehr Sitze.
Aber mein Hauptargument war die Parteienzersplitterung im EP - es ist absurd, Ein- und teils sogar Zwei-Sitz-Parteien aus Deutschland zu verbieten und aus allen anderen Ländern zu erlauben bzw. durch die "degressive Proportionalität" sogar zu fördern.

"Jetzt gilt hier für alle, dass sie dabei mindestens eine Sperrklausel von 2% einhalten müssen. Daher hat die Richtlinie Rechtswirkung auf alle Mitgliedstaaten."
Das habe ich schon widerlegt, sie gilt für die überwältigende Mehrheit der Mitgliedsstaaten eben nicht. (Und die 4 aktuell betroffenen Staaten könnten sie auch durch Einführung von Wahlkreisen problemlos aushebeln.)
Für die meisten kleineren Staaten ist es zugegebenermaßen aufgrund ihrer geringen Sitzzahl de facto ausgeschlossen (wenn auch theoretisch möglich), dass eine 1,9%-Partei einen Sitz erringt. Aber in Rumänien (zukünftig 33 Sitze) und den Niederlanden (29 Sitze) würde eine 1,9%-Partei de facto sicher einen Sitz bekommen, wenn diese Länder (wie Deutschland bisher) ihre bestehende Sperrklausel abschaffen und auf Sainte-Lague (oder Hare-Niemeyer) umstellen würden, was ihnen die Richtlinie eindeutig erlaubt. Die Grenze von 35 Sitzen für die Gültigkeit der Zwangssperrklausel ist daher völlig willkürlich.

"Von daher wäre eine Kenia-Mehrheit für eine höhere Klausel als 2% im Wege der Grundgesetzänderung schon denkbar. Aber es hätte eben ein Geschmäckle und aktuell haben die Grünen keinen Anreiz sich hierauf einzulassen."

Richtig, und auch für die Volksparteien ist eine minimale Erhöhung von 2% auf 3% den massiven politischen Aufwand nicht wert, da das in aller Regel gar keinen Unterschied zu 2% macht. Nur wenn Union und SPD es nicht auf dem aus innenpolitischer Sicht "geräuschloseren" Weg über die EU geschafft hätten, eine Sperrklausel zu etablieren, wäre eine Grundgesetzänderung für sie potenziell sinnvoll gewesen, oder wenn sie für eine Erhöhung auf 5% eine verfassungsändernde Mehrheit in Aussicht hätten. (Natürlich wäre eine solche Änderung der "ehrlichere" Weg gewesen...)
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Holger81
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 12. Juli 2018 - 21:25 Uhr:   

@El Tres:
"Die deutsche Politik hat eine wahnsinnige Angst vor der Zersplitterung des Parteiensystems. Als Grund wird immer der Untergang der Weimarer Republik erwähnt. Dabei zersplittert das Parteiensystems völlig unabhängig von der Sperrklausel. Das Problem bei Weimar war, dass bei Reichstagswahlen (bis 1932) keine einzige Partei jemals über 30% der Stimmen kam. "

Auch das war nicht das Problem; die Niederlande kommen mit diesem Zustand seit Jahrzehnten sehr gut zurecht (ihr Parlament ist mangels Sperrklausel eher noch zersplitterter als es der Weimarer Reichstag war), und der Untergang der Weimarer Republik wurde ja gerade wesentlich dadurch verursacht, dass die NSDAP ab 1932 über 30% kam.
Das wirkliche Problem an Weimar war nicht das Wahlrecht, sondern der Mangel an echten Demokraten - die SPD ließ (einmal an der Macht) Aufstände blutig niederschießen, die Konservativen und Rechten wünschten sich das Welt- und Kaiserreich zurück und die Kommunisten träumten von Sowjetdeutschland.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 13. Juli 2018 - 15:57 Uhr:   

"Dabei zersplittert das Parteiensystems völlig unabhängig von der Sperrklausel. Das Problem bei Weimar war, dass bei Reichstagswahlen (bis 1932) keine einzige Partei jemals über 30% der Stimmen kam."
In der Schweiz hat in den letzten 100 Jahren keine Partei 30 % erreicht, in Finnland seit 1939. Richtig ist, dass Zersplitterung nicht per se für Instabilität sorgt. Zu sagen, dass eine Sperrklausel keine Wirkung habe, geht aber zu weit.

"und der Untergang der Weimarer Republik wurde ja gerade wesentlich dadurch verursacht, dass die NSDAP ab 1932 über 30% kam."
Richtig und die Zersplitterung war im Kaiserreich bei Mehrheitswahl nicht kleiner. Eine Sperrklausel hätte die Weimarer Republik sicher nicht gerettet.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 13. Juli 2018 - 16:01 Uhr:   

"Tatsächlich schirmen sie sich gegen unliebsame Konkurrenz ab und bilden ein Machtkartell."
Das "Machtkartell" wird wohl kaum von der ÖDP oder der NPD gefährdet. "Gefährlich" sind eher die, an denen sich die veröffentlichte Meinung obsessiv abarbeitet, aber da hilft eine Sperrklausel absehbar nicht. Splitterparteien könnte man auch ohne Sperrklausel draußen halten.
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SaaleMAX
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 13. Juli 2018 - 21:08 Uhr:   

Eine Wiedereinführung einer Sperrklausel würde die größeren Parteien, deren Zustimmung immer mehr bröckelt stützen.

Wenn dann die kleineren Parteien " draussen" bleiben.....gibt es mehr Mandate für die grösseren zu verteilen trotz Wählerstimmenverlust.

Das ist der wahre Hintergrund hinter dieser Idee.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 14. Juli 2018 - 00:06 Uhr:   

Wer weiß heute schon, was in 6 Jahren sein wird? Vor 6 Jahren stand die SPD in Bundestags-Umfragen bei ca. 30 %, die Piraten bei fast 10 %, FDP und Linke zitterten bei ca. 5 % und die AfD gab es noch gar nicht. Wer hätte da die heutigen Verhältnisse vorhergesagt?

Ich denke, es ist im Moment keineswegs absolut sicher, daß CDU und SPD bei der Europawahl in 6 Jahren über 5 % kommen! Und bei der CSU ist das sowieso fraglich.

(Beitrag nachträglich am 14., Juli. 2018 von tg editiert)

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