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Archiv bis 12. November 2014

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Landtagswahlen in Deutschland » Landtagswahl in Thüringen » Archiv bis 12. November 2014 « Zurück Weiter »

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Ingo Zachos
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 05. November 2014 - 23:16 Uhr:   

Ich kann mich gut erinnern, wie damals in S-W viele namhafte Juristen die Bezeichnung fünfter Wahlgang kritisiert haben. Ihrer Meinung war es eben ein erneuter erster Wahlgang, aber mit der nötigen absoluten Mehrheit.

Aber das ganze Verfahren in S-W wurde auch aus anderen Gründen (siehe oben) nicht unbedingt korrekt durchgeführt. Jedoch klagte niemand, der klageberechtigt war. Als Präzedenzfall eignet es sich daher eigentlich nicht.

Wie auch immer, Sinn macht es, nach Verhandlungen erneut abzustimmen. Dann wäre es im Sinne der Rechtssicherheit und Stabilität sinnvoll, diese als neue MP-Wahl durchzuführen, denn es kann sehr wohl bezweifelt werden, ob dieser Wahlgang zeitlich, sachlich oder tatsächlich nach dem letzen Wahlgang ohne Absprache stattfand.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 06. November 2014 - 17:04 Uhr:   

Wieso sollten diese namhaften Juristen damals den 5. Wahlgang kritisieren, aber nicht den vorhergehenden 4. Wahlgang (direkt nach dem gescheiterten 3. Wahlgang), der nach der gleichen Regel durchgeführt wurde? Die Tatsache, dass zwischen dem 4. und 5. Wahlgang neue Koalitionsverhandlungen stattfanden, ist verfassungsrechtlich ohne Belang, davon "weiß" der Landtag nichts. Es gibt auch keine Fristen für die weiteren Wahlgänge. Der 4. Wahlgang scheiterte genau wie der 3. Wahlgang und wurde daher nach den gleichen Regeln wiederholt.

Aussprachen sind in der Thüringer Verfassung nur im Rahmen der Wahl verboten (und Absprachen außerhalb des Plenums gar nicht, sonst wären ja Koalitionsverhandlungen vor der MP-Wahl unzulässig). Zwischen einem gescheiterten dritten Wahlgang und einer Wiederholung des Wahlgangs nach neuen Koalitionsverhandlungen sind der/die Kandidaten des neuen Wahlgangs i.d.R. gar nicht bekannt, also kann es auch keine "Aussprache" über die Kandidaten geben.

Eine erneute Durchführung eines 1. Wahlgangs gibt auch keine Rechtssicherheit, da mehrere 1. Wahlgänge erst recht nicht von der Verfassung vorgesehen sind.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. November 2014 - 00:36 Uhr:   

@Holger,

das Recht zur Bundespräsidenten zur Bundestagsauflösung besteht nur binnen 7 Tagen nach dem dritten Wahlgang, es sei denn der Gewählte bekommt die Kanzlerrmehrheit. Wenn der Bundespräsident nicht verpflichtet ist, denjenigen der nur die relative Mehrheit erhält zu ernennen, sondern Neuwahlen ausrufen kann, dann gilt dies erst recht für den Fall, dass es wegen Patts überhaupt keine erfolgreiche Wahl gab. Nur erschöpft sich in diesem Fall das Recht auf die Bundestagsauflösung oder nicht, da mangels erfolgreicher Wahl niemand ernannt werden kann (so Maunz/Düring, Kommentar zum Grundgesetz). Die Kommentierung führt weiter aus, dass nach der ratio legis dieser Norm weitere Wahlen möglich und zwingend sind um die politische Krise zu bewältigen. Diese Wahlen wären sozusagen "Wiederholungen" des dritten Wahlgangs. Für sie würden die gleichen Regeln gelten. Die Vorschrift des Art. 63 GG zielt darauf ab, dass auf jeden Fall jemand gewählt wird, wobei im Fall einer Minderheitswahl dem Bundespräsidenten das Recht gegeben wird zu entscheiden, ob eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen der richtige Weg sind.
Entsprechendes gilt bei einem Scheitern des dritten Wahlgangs: hier Neuwahl oder weitere Wahlversuche. Da die Vorschrift des Art. 63 GG auf eine Wahl abzielt müssen diese daher fortgeführt werden, sollte eine Wahl nicht gelingen, es sei denn der Bundespräsident löst den Bundestag auf. Nur diese Wiederholungsversuche gewährleisten auch, dass der Bundespräsident die Möglichkeit erhält sein Auflösungsrecht auch für den Fall auszuüben, dass über längere Zeit keine Regierungsbildung zustande kommt. Das Auflösungsrecht soll aber nach der Ratio des Grundgesetzes gerade eine Möglichkeit zur Lösung einer solchen politischen Krise sein. Von daher bleibt nur einen Wiederholungszwang für den dritten Wahlgang herzuleiten. Hierbei wird zudem auch argumentiert, dass bei der Größe des Bundestags (über 600 Abgeordnete) unterschiedliche Wahlergebnisse und damit eben keine Wiederholung eines Patts nicht unwahrscheinlich sei.

Im Fall eines Landtags greift diese Argumentation nicht unbedingt durch. Landtage sind deutlich kleiner (in Thüringen 91 Abgeordnete), so dass die Wiederholung eines Patts wahrscheinlich ist (letztes Beispiel Heidi Simonis). Auch ist die Möglichkeit zur Landtagsauflösung nicht mit dem Scheitern der Ministerpräsidtenwahl verknüpft (so dass ein Wiederholungszwang nicht daraus abgleitet werden kann, dass nur bei erneuten Wahlgängen die Möglichkeit zur Landtagsauflösung und damit zur Überwindung der politischen Krise besteht).
Schließlich kann das ständige Wiederholen und Scheitern eines Wahlversuchs dem Ansehen eines Parlaments schaden (was mithin ein Grund wäre, dass in einem solchen Fall ein Bundespräsident zumindest aus Gründen der Staatsräson vom Auflösungsrecht Gebrauch machen sollte).
Aufgrund dieser unterschiedlichen Strukturen denke ich, dass es einen unbeschränkten Zwang zu Wahlversuchen auf Landesebene nicht gibt und daher der Landtag frei ist, ob er weitere Wahlversuche startet.

So war es ja auch im Fall Simonis in Schleswig-Holstein. Nach ihrem Scheitern im vierten Wahlgang wurden dann erstmal Koalitionsverhandlungen aufgenommen und dann nach einigen zeitlichen Abstand eine erneute Ministerpräsidentenwahl durchgeführt. Wenn es einen Neuwahlzang gäbe, müsste der ja irgendwelche zeitlichen Vorgaben haben.

Auf Bundesebene könnte man aus der Teleos und Systematik der Vorschriften zum Ergebnis kommen, dass jede Woche ein erneuter Wahlversuch erfolgen müsste (da das Auflösungsrecht des Bundespräsidenten immer nur eine Woche nach einem gescheiterten "dritten Wahlgang" besteht.

Aber welche Frist will man hier auf Landesebene konstruieren? Es gibt keine vergleichbaren Regelungen - was schon dafür spricht, dass es eine solche Verpflichtung zu erneuten Wahlversuchen nicht von Verfassungs wegen gibt. Der Landtag ist frei es dennoch zu versuchen, verpflichtet ist er aus meiner Sicht nicht.

Richtig ist natürlich auch, dass ein Wahlgang nach einem gescheiterten dritten Wahlgang innerhalb der selben Legislaturperiode kein erster ist, sondern erneut ein "dritter Wahlgang". Man kann ihn auch vierten, fünften, etc. nennen. Für ihn gelten jedenfalls nach der Ratio legis die Regeln für den dritten Wahlgang.

Einen erneuten ersten Wahlgang kann es innerhalb der selben Legislaturperiode nur im Fall eines Rücktritts oder Tods oder sonstigen Ausscheidens eines Bundeskanzlers aus dem Amt geben.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. November 2014 - 02:10 Uhr:   

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SaaleMAX
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. November 2014 - 18:06 Uhr:   

Ist folgende Statitistik auch ein Grund für eine mögliche RRG Regierung in Thüringen nach 24 Jahren CDU?

Thüringen ist 2013 im Bruttolohnvergleich vom vorletzten auf den letzten Platz aller Bundesländer abgerutscht.
Selbst in Meck-Pomm wird etwas mehr verdient.
Alle OST-CDU Länder liegen auf den letzten Plätzen.

Nur das Rot-Rot regierte Brandenburg kommt mit gut 100 Euro mehr auf den Spitzenplatz aller Ostländer im Verdienstvergleich.
So sehen zumindest die harten Fakten für den Osten aus.
+++++++
Hier die Grafik aus der FAZ " So anders ist der Osten":

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vergleich-so-anders-ist-der-osten-13126643.html
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Good Entity
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. November 2014 - 22:56 Uhr:   

Zu Brandenburg gehören insbesondere auch Potsdam und diverse weitere Orte unmittelbar an der Landesgrenze zu Berlin. Natürlich wird dort mehr bezahlt als in Vorpommern, dem thüringischen und sächsischen Vogtland oder in Eisleben.

In den Orten um Hamburg herum wie etwa Buchholz in der Nordheide oder Pinneberg in Schleswig-Holstein wird auch mehr verdient als mitten in der Heide oder in Flensburg.

Dafür sind da, wo die höheren Gehälter gezahlt werden, auch die Mieten höher und die Dienstleistungen teurer. Dabei ist es herzlich egal, wer in dem Bundesland regiert.

Die harten Fakten sind banale Selbstverständlichkeiten.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. November 2014 - 15:12 Uhr:   

@Good Entity
Zustimmung. Und es ist noch einiges mehr anzumerken:

Ein "Durchschnitt" ist das arithmetische Mittel. Bei Einkommen ist der Median aber regelmäßig erheblich unter dem Durchschnitt (weil relativ wenige Personen mit hohem Einkommen den Durchschnitt hochtreiben), die Mehrheit verdient also weniger als den Durchschnitt. Des weiteren erfasst die Statitistik nur Vollzeitbeschäftigte, gerade Teilzeitbeschäftigte verdienen aber oft schlecht – nicht nur absolut, sondern auch was den Stundenlohn betrifft. Mit der Beschränkung auf Vollzeitstellen fallen de facto alle Minijobber aus der Statistik. Prinzipiell erfasst eine Lohn- und Gehaltsstatistik natürlich nur Arbeitnehmer, womit Selbständige und Nichterwerbstätige rausfallen. Außerdem erfasst die Statistik die Stellen innerhalb des Landes, eine erhebliche Zahl von Thüringern pendelt aber in westliche Bundesländer (und Brandenburger nach Berlin). Über die tatsächliche finanzielle Lage der Bevölkerung sagt die Statistik wenig aus. Thüringen hat übrigens die niedrigste Arbeitslosenquote im Osten.


@SaaleMax
"Wer könnte dies sein...und was wird aus der amtierenden Ministerpräsidentin Lieberknecht...?
Stellt sie sich mit zur MP-Wahl oder doch Mike Mohring, der allerdings vielen Schwarz-Rot Symphatisanten in der SPD widerum eher Bauchschmerzen bereitet.....oder gar keiner?"
Niemanden aufzustellen, kann sich die CDU nicht leisten.
Ein CDU-Gegenkandidat muss für die AfD wählbar sein und mögliche SPD-Abweichler zu sehr abstoßen. Dass Ramelow scheitert, wenn die AfD den CDU-Kandidaten nicht wählt, ist auszuschließen. Wenn der CDU-Kandidat tatsächlich gewählt werden sollte, wäre die SPD natürlich in einer sehr schwierigen Lage, in der sie wahrscheinlich nicht so wild auf eine Neuwahl mit wahrscheinlich einstelligem Ergebnis wäre. Sie würde dann Schwarz-Rot machen. So flexibel sind die Sozen schon. Hätte der Vorstand eine Empfehlung für Schwarz-Rot statt für Rot-Rot-Grün abgegeben, wäre die Basis sehr wahrscheinlich auch gefolgt.



Ob es Nein-Stimmen geben kann oder nicht, ist m. E. unerheblich. Gewählt ist im 3. WG der Bewerber mit den meisten Stimmen, selbst wenn die absolute Mehrheit mit Nein stimmen sollte. So einen Fall gab es übrigens schon einmal in Schleswig-Holstein, wo die Regelung der Ministerpräsidentenwahl dieselbe ist. Dort wurde Lübke 1951 als einziger Bewerber im 3. WG gewählt obwohl die absolute Mehrheit gegen ihn stimmte.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 10. November 2014 - 23:53 Uhr:   

@Ratinger Linker,

dass Problem wäre in einem kontinuierlichen Minderheitssituation ja nicht nur die Ministerpräsidentenwahl, sondern auch eine späterere Regierungsführung (selbst wenn - um das Beispiel fortzuspinnen, nach dem dritten Wahlgang einfach das Los entscheiden würden). Sofern ein Ministerpräsident keine Mehrheit zustande bringt stellt sich auch die Frage, wie er dann seine Politik umsetzen kann. Selbst das Minimum der Verabschiedung eines Haushalts wäre ja nich gewährleistet, sofern er nicht zumindest eine relative Mehrheit zu seinen Gunsten organisieren kann.
Eine politisch stabile Situation gibt es überhaupt nur bei einer Mehrheitsregierung. Die Minderheisregierung ist ja schon nach der verfassungsrechtlichen Konstruktion eine atypische Situation. Diese Möglichkeit wird überhaupt erst nach vorherigen Scheitern einer Wahl mit absoluter Mehrheit diese Möglichkeit eröffnet.

Natürlich könnte man das Verhältnis von Parlament und Regierung auch anders austarieren. In Schweden kann z.b. das Parlament einen Haushalt nicht einfach ablehnen, sondern müsste einen Gegenhaushalt mit Mehrheit zustimmen.

Im Ergebnis führt eine solche Konstruktion zu einer Verschiebung von Macht vom Parlament Richtung Regierung. In einem solchen System sind Minderheitsregierungen oder sogar Pattregierungen eher praktikabel als bei der bundesdeutschen Verfassungslage, die - bei allen Unterschieden zwischen den Ländern - doch vom Leitbild einer parlamentarischen Mehrheitsregierung ausgeht.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 11. November 2014 - 00:18 Uhr:   

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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. November 2014 - 11:30 Uhr:   

@Marc:
"Selbst das Minimum der Verabschiedung eines Haushalts wäre ja nich gewährleistet, sofern er nicht zumindest eine relative Mehrheit zu seinen Gunsten organisieren kann.
Eine politisch stabile Situation gibt es überhaupt nur bei einer Mehrheitsregierung."


Für die Verabschiedung eines Haushalts wird (wie für jedes einfache Gesetz) eine einfache Mehrheit benötigt, nicht nur eine relative. Trotzdem reicht in vielen Landtagen (wie im Bundestag) notfalls eine relative Mehrheit zur Ministerpräsidentenwahl, weil die Besetzung dieses Verfassungsorgans m.E. zu Recht über die "politische Stabilität" gestellt wird.

Ansonsten kann ich hier Ratinger Linke nur zustimmen. Kraft (die zwar mit einfacher Mehrheit gewählt wurde, diese in einem 4. Wahlgang aber nicht benötigt hätte) hat in NRW zwei Jahre lang erfolgreich mit "wechselnden Mehrheiten" regiert; und auch der abgelehnte Haushalt kam 2012 nur zustande, weil
"ein überraschendes Gutachten politische Rituale durchbrach" und damit die Opposition auf dem falschen Fuß erwischte, nicht aus Sachgründen. (Rot-Grün wollte ja die Neuwahlen selbst.)
Der oben erwähnte Lübke konnte nach seiner Minderheitswahl sogar eine Mehrheitsregierung bilden, die (zuletzt ohne ihn) die ganze Legislatur hielt, anders als bei einigen mit absoluter Mehrheit gewählten Regierungschefs.
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Sporadischer Besucher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. November 2014 - 12:20 Uhr:   

Worin besteht bei einer Ja/Nein-Entscheidung der Unterschied zwischen einfacher und relativer Mehrheit?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 11. November 2014 - 12:37 Uhr:   

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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. November 2014 - 13:03 Uhr:   

@Sporadischer Besucher:
Einfache Mehrheit heißt in diesem Fall, dass man mehr Ja- als Neinstimmen bekommen muss (wie in NRW im 3. Wahlgang). Für die relative Mehrheit zählen Nein-Stimmen überhaupt nicht, sodass bei nur einem Kandidaten dieser auch mit einer einzigen Stimme (oder evtl. gar keiner Stimme, wie oben diskutiert) schon gewählt ist.
Hätte sich die Linke 2010 in NRW im 3. Wahlgang nicht enthalten, wäre Kraft im 4. Wahlgang daher mit oder ohne Gegenkandidaten sicher gewählt worden, da die Linke sicher keinen CDU/FDP-Kandidaten gewählt hätte (oder umgekehrt).
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Sporadischer Besucher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 11. November 2014 - 13:18 Uhr:   

Ich dachte, es ging um die Verabschiedung des Haushalts und nicht um Wahlen ...
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. November 2014 - 00:11 Uhr:   

@Holger81,

diese sogenannte Minderheitsregierung regierte nicht mit wechselnden Mehrheiten sondern mit Duldung und Unterstützung der Linkspartei (ehemals PDS, ehemals SED). Das es sich dabei um keine stabile Konstellation handelte zeigt ja schon der Umstand, dass es nach 2 Jahren zu Neuwahlen kam.
Im Übrigen besteht kein Gegensatz zwischen relativer Mehrheit und einfacher Mehrheit. Denn eine eindinfache Mehrheit ist immer ein Fall der relativen Mehrheit - nämlich eben in Relation mehr Ja als Nein-Stimmen.
Der Begriff relative Mehrheit schließt die Möglichkeit der Nein-Stimmen als Relationspunkt nicht aus. Zumal bei Gesetzgebungsfragen die Nein-Stimme durchaus auch eine Sachentscheidung ist - nämlich für die bestehende Rechtslage.

In Verfassungstexten tauchen diese Begriffe ohnehin nicht auf. Stattdessen tauchen Begriffe wie "Mehrheit der Mitglieder" auf - was technisch auch nicht mit absoluter Mehrheit gleichzusetzen ist, da er sich eben auf die "absolute Mehrheit" der Gesamtzahl der Abgeordneten bezieht.
Das wird häufig mehr sein als eine absolute Mehrheit bei einer Abstimmung (also mehr Ja als Nein-Stimmen und Enthaltungen zusammengenommen), da nicht abgegebene Stimmen eben nicht zählen und daher einer absoluten Mehrheit nicht entgegenstehen - wohl aber einer Mehrheit der Mitglieder.

So gesehen dürfte es überhaupt kein parlamentarisches Erfordernis für eine absolute Mehrheit im engeren Sinne geben.

Soweit ein Parlament etwas beschließt reicht regelmäßig eine "einfache Mehrheit", eben in Relation mehr Ja als Nein-Stimmen, aus.

Sollen Nein-Stimmen ausgeschlossen werden, so wird das überhaupt nur unvollkommen ausgedrückt - etwa durch den Begriff "gewählt ist wer die meisten Stimmen erhält". Das Nein-Stimmen ausgeschlossen werden sollen ergibt sich aus dem Zweck der jeweiligen Regelung, nicht aus der Verwendung von bestimmten Begriffen, die so ohnehin nicht in den Verfassungstexten auftauchen.
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cyrix
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. November 2014 - 00:49 Uhr:   

@Marc: Warum nennen Sie eigentlich nicht beide Gruppierungen (SPD wie Linke) "ehemals ADAV"? Wäre doch wenigstens konsequent...
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. November 2014 - 01:05 Uhr:   

@Ratinger Linker,



Dass ohne Gegenvorschläge die einzige Option automatisch wirksam wird, sollte natürlich nicht nur für die Ministerpräsidentenwahl gelten, sondern insbesondere auch für den Haushalt

Es gibt immer mehr als eine Option.
Das Erfordernis einer einfachen Mehrheit zwingt zu Kompromissbildung zwischen den verschiedenen politischen Strömungen. Sofern man dieses Erfordernis streichen würde und durch eine Regelung ersetzen würde, dass ein Haushaltsvorschlag der Regierung nur abgelehnt werden kann wenn es mehr Stimmen für einen anderen Haushaltsentwurf gibt, wird dies die Bereitschaft zu Kompromissen senken. Das Ergebnis wäre wohl das Entstehen von "echten Minderheitsregierungen", die sich bilden können, sofern auf der anderen Seite eine heterogene Opposition besteht.
Also auf die gegenwärtige Verhältnisse bezogen am realistischsten: eine SPD-Minderheitsregierung mit CDU und Linker als Opposition oder eben eine CDU-Miderheitsregierung mit SPD u.a. und AfD als Opposition.

Diese Minderheitsregierungen könnten bei einem solchen System ihre politischen Vorstellungen relativ problemlos umsetzen, da die Opposition sich kaum auf gemeinsame Gegenvorschläge einige könnte.

Nur repräsentiert eine solche Konstruktion dann auch politisch nur eine Minderheit der Bevölkerung. Ich halte es für vorzugswürdig durch das Erfordernis einer Mehrheitsregierung einen Zwang zum Kompromis aufrecht zu erhalten, der im Ergebnis dazu führt, dass sich mehr Wähler von der Regierung vertreten fühlen.

Das kann entweder durch eine Große Koalition erfolgen - die besonders gut integrativ wirken kann - aber genauso durch eine "Lagerkoalition", die eher polarisierend wirkt - die jetzige Entwicklung in Thüringen zeigt dies.


Der Ministerpräsident kann ja unabhängig von Mehrheiten seine Politik durchsetzen, soweit er dafür zuständig ist. Für die Gesetzgebung ist er nicht zuständig, und die Trennung ist ja volle Absicht (andernfalls wär das System von Grund auf eine Fehlkonstruktion). Insofern ist auch Instabilität beabsichtigt (Stabilität ist hingegen prägendes Merkmal von Diktaturen).

Das Prinzip der Gewaltenteilung, was dem zugrundeliegt, ist nicht zwingend mit einer rein demokratischen Staatsform verbunden. Montesquieus Konzeption war auf eine gemischte Staatsform bezogen (mit einer monarchischen Exekutive).
Bei einem demokratischen System dürfte der Grundsatz der Gewaltenteilung, der in der Tat auf gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Staatsgewalt hervorgeht, wohl noch am ehesten in einem Präsidialsystem verwirklicht sein.

In einer parlamentarischen Demokratie, in der der Regierungschef (und teilweise auch die gesamte Regierung, je nach Konstruktion (man denke an Hamburg)) hervorgeht, stehen Legislative und Exekutive hingegen in enger Verbindung. Die parlamentarische Kontrollaufgaben werden faktisch von der parlamentarischen Opposition wahrgenommen - nicht oder allenfalls unvollkommen von der Parteigängern der jeweiligen Regierung.

Die Regierung ihrerseits kann ohne wie auch immer geartete parlamentarische Zustimmung nicht neu gebildet werden. Das hierbei in der Regel nur der Regierungschef neu gewählt wird dient gerader der Aufrechterhaltung einer Trennung der Staatsgewalten. Faktisch hat es aber das Parlament immer in der Hand eine gDer Ministerpräsident kann ja unabhängig von Mehrheiten seine Politik durchsetzen, soweit er dafür zuständig ist. Für die Gesetzgebung ist er nicht zuständig, und die Trennung ist ja volle Absicht (andernfalls wär das System von Grund auf eine Fehlkonstruktion). Insofern ist auch Instabilität beabsichtigt (Stabilität ist hingegen prägendes Merkmal von Diktaturen).

Das System der parlamentarischen Demokratie ist auf eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Regierung und parlamentarischer Mehrheit angewiesen, damit das Regierungssystem gut funktionieren kann.

Demokratie und Rechtsstaat zielen insofern auch nicht auf Instabilität ab, sondern auf Stabilität durch Inklusion und ständiger neuen Austarierung von Interessen. Ziel ist es durch die Ermöglichung von Pluralismus und friedlichen Wandel dauerhafte Stabilität für ein Gemeinwesen zu gewährleisten und zu festigen.

Ich glaube Sie verwechseln Stabilität mit Stillstand. Stillstand, wie er etwa in Diktaturen herrscht, kann keine dauerhafte Stabilität schaffen, sondern allenfalls temporäre Scheinstabilität, die langfristige zu umso größerer Instabilität führt, da irgendwann solche Systeme an ihrer Erstarrung zusammenbrechen (man denke an Osteuropa 1989 oder auch die arabisch Welt heute). Ein solcher Umbruchprozess nach Jahrzehnten der autoritären bis totalitären Repression kann sehr leicht eine chaotische und auch gewaltsame Richtung einschlagen, gerade wenn er nicht halbwegs friedlich verläuft. Und genau das ist der Grund für die systemimanente langfristige Instabilität aller diktatorischen Systeme: sie ermöglichen keinen Pluralismus und friedlichen Wandel und erzeugen dadurch erst recht gesellschaftlichen Druck, der - mangels Alternativen - nur zu einem gewaltsamen Wandel - und der damit verbundenen Instabilität - führen kann.
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. November 2014 - 01:23 Uhr:   

@Cyrix,

die Linkspartei ist rechtlich identisch mit der SED. Sie hat nur ihren Namen zweimal gewechselt. Die KPD, die der historische Vorläufer der SED war, hatte sich hingegen 1918 neu gegründet.

Ich unterscheide hier rechtlich sauber zwischen unterschiedlichen Organisationen. Tatsache ist nunmal, dass die SED unter zweimal geänderten Namen als Organisation fortbesteht. Tatsache ist auch, dass in der SED-PDS die treuesten der treuen Kommunisten verhaarten, während die Mitläufer 1989/90 in Scharen austraten. Die DDR-Nostalgiker machen demgemäß einen Großteil der Linkspartei-Mitglieder aus - verbunden mit westdeutschen, moskautreuen Kommunisten. Das die Moskautreue auch über den Zusammenbruch des "weltsozialistischen Systems" aufrecht erhalten blieb, zeigt die Positionierung dieser Partei in der Ukraine-Krise.

Von daher ist die Frage des Bundespräsidenten danach, wie viel von der alten SED-Ideologie (Marxismus-Leninismus) noch in der Linkspartei steckt, die organisatorisch mit der SED identisch ist, mehr als berechtigt.

Bezüglich der SPD ist lobend hervorzuheben, dass sie sich schon relativ früh von den antidemokratischen Tendenzen, die im Marxismus enthalten sind, entfernte und sich für einen demokratischen Staat einsetzte. Der endgültige Bruch erfolgte allerding erst später, faktisch 1918, ideologisch allerdings erst 1959 (Godesberger Programm).
Seitdem ist die SPD eine Partei, die für die westliche Demokratie eintritt. Ich hoffe das dies so bleibt.

Die Linke hatte bislang keine derartige programmatische Wende: Wo ist das Bekenntnis der Linken zur Marktwirtschaft, dass die SPD im Godesberger Programm ablegte (Marktwirtschaft soviel wie möglich, Planung soviel wie nötig)? Und wo ist das Bekenntnis der Linkspartei zur EU und Nato? Wo ist eine klare Position gegen den großrussischen Nationalismus und Chauvinismus, nicht nur in der Ukraine, sondern auch gegenüber dem Baltikum, Georgien, Moldawien und - perspektivisch gedacht - in Zentralasien (Nordkasachstan)? Auch das ist nicht erkennbar. Ich kann nicht erkennen, dass die Linkspartei "progressiv" ist. Sie ist in vielerlei hinsichtlich reaktionär. Mit ihren Positionen könnte sie eher ein Büdnis mit Mariane Le Pen eingehen als etwa mit der britischen Labour Party oder Luxemburger Liberalen.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. November 2014 - 06:08 Uhr:   

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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. November 2014 - 11:25 Uhr:   

@Marc:
"diese sogenannte Minderheitsregierung regierte nicht mit wechselnden Mehrheiten sondern mit Duldung und Unterstützung der Linkspartei (ehemals PDS, ehemals SED)."

Das ist nachweislich falsch. 2011 hat Rot-Grün mit Unterstützung der CDU die Sekundarschulen eingeführt, und für den Haushalt 2012 hatte (wie im oben von mir verlinkten Artikel beschrieben) die FDP, nicht die Linkspartei, Entgegenkommen signalisiert.

"Das es sich dabei um keine stabile Konstellation handelte zeigt ja schon der Umstand, dass es nach 2 Jahren zu Neuwahlen kam."

Die Neuwahlen waren ein Gottesgeschenk für Rot-Grün, um sich angesichts guter Umfragen eine absolute Mehrheit für 5 Jahre zu sichern. Ohne das "überraschende Gutachten", das den Haushaltsbeschluss verhinderte, wäre ein Haushaltskompromiss mit der Opposition problemlos möglich gewesen.

"Im Übrigen besteht kein Gegensatz zwischen relativer Mehrheit und einfacher Mehrheit. Denn eine eindinfache Mehrheit ist immer ein Fall der relativen Mehrheit - nämlich eben in Relation mehr Ja als Nein-Stimmen. "

Das ist eine Definitionsfrage. Bei einfacher Mehrheit sind nach der mir geläufigen Definition mehr Stimmen für einen Vorschlag als für alle anderen Vorschläge (+ggfs. Neinstimmen) zusammen erforderlich, während es bei relativer Mehrheit (z.B. Wahlkreissieger oder der hier diskutierte Wahlgang) keine Neinstimmen gibt bzw. diese nicht zählen.

"Sollen Nein-Stimmen ausgeschlossen werden, so wird das überhaupt nur unvollkommen ausgedrückt - etwa durch den Begriff "gewählt ist wer die meisten Stimmen erhält". Das Nein-Stimmen ausgeschlossen werden sollen ergibt sich aus dem Zweck der jeweiligen Regelung, nicht aus der Verwendung von bestimmten Begriffen, die so ohnehin nicht in den Verfassungstexten auftauchen."

Ja sicher. Aber es bleibt die m.E. aus der Verfassung klare Tatsache, dass ein MP-Kandidat im letzten Wahlgang nur mehr Stimmen als jeder andere Kandidat benötigt, und Nein-Stimmen ignoriert werden. Hingegen benötigt jeder Gesetzentwurf der so gewählten Regierung mehr Ja- als Neinstimmen, was eine prinzipiell stärkere Forderung ist.

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