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Koalition trotz absoluter Mehrheit

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Uli
Veröffentlicht am Freitag, 31. Januar 2003 - 15:21 Uhr:   

Zur aktuellen Diskussion in Hessen, ob es trotz einer möglichen CDU-Alleinregierung eine Koalition mit der FDP geben sollte meine Frage:
Hat es sowas schon einmal in einem Bundesland gegeben und wie waren die Erfahrungen?
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Freitag, 31. Januar 2003 - 16:05 Uhr:   

Sowas gab es schon öfter, allerdings nicht in neuerer Zeit. Auf Bundesebene war die DP 1957-60 trotz absoluter Unionsmehrheit mit 2 Ministern in der Regierung vertreten. Beide Minister traten 1960 zusammen mit 7 anderen Abgeordneten zur CDU über. In Hessen regierte die SPD von 1962 bis 1966 zusammen mit dem BHE, obwohl sie absolute Stimmen- und Mandatsmehrheit hatte. In Rheinland-Pfalz regierte die FDP 1955-63 bei absoluter Mandatsmehrheit der Union mit. In Hamburg saß die FDP 1957-66 mit der über die absolute Mehrheit verfügenden SPD in der Regierung, ähnliche Konstelationen, z.T. auch mit der CDU gab es auch in Bremen und Westberlin. Letztmals ein Bündnis bei absoluter Mehrheit eines Koalitionspartners gab es 1970-1974 in Hamburg.
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Sole
Veröffentlicht am Montag, 03. Februar 2003 - 11:02 Uhr:   

Wobei es aber auch schon vorkam, dass ein zusätzlicher Koalitionspartner dabei war obwohl es auch ohne gegangen wäre. Ich glaube das war auch in Hamburg, in den 80ern.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Montag, 03. Februar 2003 - 11:22 Uhr:   

Auch einen solchen Fall gab es seit Mitte der 70-er Jahre nicht mehr. Bei der Ampelkoalition in Bremen 1991-1995 hätte Rot-grün zwar eine Mehrheit im Land Bremen gehabt, nicht aber in der Stadt Bremen. So war man auch hier faktisch gezwungen, einen weiteren Partner ins Boot zu holen.
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Peter
Veröffentlicht am Montag, 03. Februar 2003 - 13:03 Uhr:   

Da ihr euch alle so gut mit Wahlstatistik auskennt:
Kann es sein, dass die SPD seit gestern zum ersten Mal in der Geschichte in keinem Bundesland eine absolute Mehrheit hat?
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 03. Februar 2003 - 13:37 Uhr:   

@Peter:
Klingt ja erst einmal unwahrscheinlich, aber die Vermutung stimmt!

1947 - 1950 hatte die SPD in Schleswig-Holstein eine absolute Mehrheit.
1950 - 1954 in Hessen
1954 - 1975 in Berlin
1971 - 1991 in Bremen
1985 - 1999 im Saarland
1994 - 2003 in Niedersachsen

Natürlich gab es noch einige Male mehr (z. B. in Hamburg), aber bis gestern gab es in der Tat immer ein Bundesland mit absoluter SPD-Mehrheit.
Und da es ja inzwischen einige Bundesländer mehr gibt, ist das um so bemerkenswerter.

Bei den Koalitionsregierungen gibt es immer noch die volle Auswahl: Zweimal mit der CDU, zweimal mit der PDS, zweimal mit den Grünen und einmal mit der FDP.
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C.-J. Dickow
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Februar 2003 - 14:23 Uhr:   

Das Thema "Koalition trotz absoluten Kochs" dürfte ja nunmehr endgültig durch sein. Laut www.fdp-hessen.de haben Landesvorstand und Fraktion folgenden Beschluß gefasst:

„Der FDP-Landesvorstand hat Verständnis für die vielen Stimmen, die eine Fortsetzung der Koalition wünschen. Die FDP sieht sich jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage, in eine Landesregierung bei absoluter Mehrheit einer Partei einzutreten. Die FDP wird in konstruktiver Weise an der Entwicklung des Landes im Hessischen Landtag mitwirken.“

Ich halte diese Entscheidung für grundrichtig.
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Stephan Glutsch
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Februar 2003 - 19:19 Uhr:   

Ich halte die Entscheidung der FDP in Hessen, nicht weiter mit der CDU zu koalieren, aus Sicht des Waehlers nicht fuer sehr gluecklich, und ich bin auch nicht sicher, ob es der FDP nuetzt.

Es ist verstaendlich, dass die FDP nicht als Anhaengsel der Union gelten und ihre Eigenstaendigkeit demonstrieren will. Andererseits gibt es aber zur Zeit gar keine Alternative. Eine erfolgreiche Koalition mit der SPD ist nur in Rheinland-Pfalz moeglich, und das, weil Kurt Beck eine CDU-nahe Politik macht (und auch CDU-nah aussieht).

Wie soll sich die FDP in der Opposition in Hessen verhalten? Auf den wichtigen Feldern Wirtschaft, Bildung, Soziales, innere Sicherheit ist die CDU kaum zu schlagen. Es besteht die Gefahr, dass die FDP dem linken Zeitgeist (Legalisierung von Drogen, "Entkriminalisierung" des Ladendiebstahls, Homo-Ehe, Multikulturelle Gesellschaft, "Gleichstellung" von Frauen) hinterherlauft. Nur haben die Gruenen diese Themen laengst besetzt, und in wirtschaftlich schlechten Zeiten ist das Waehlerreservoir dafuer auch nicht besonders gross.

Es ist also durchaus moeglich, dass sich in Hessen dauerhaft bayerische Verhaeltnisse einstellen.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Sonntag, 09. Februar 2003 - 20:32 Uhr:   

Ich sehe dies wie C.-J. Dickow. Die hessische FDP wurde doch 2000 wegen ihrer Entscheidung, mit der CDU und Koch trotz dessen Eingeständnis, in der Parteispendenaffaire nicht die Wahrheit gesagt zu haben, weiter zu regieren, heftig - v.a. innerparteilich - kritisiert. Es wurde doch gesagt, die FDP halte aus reiner Machtbesessenheit an Koch fest. Hätte die FDP - zumal sich Frau Wagner vor der Landtagswahl entsprechend festgelegt hatte - jetzt trotz absoluter Mandatsmehrheit der CDU (die ja durch das endgültige Endergebnis erst einmal bestätigt werden muss) mit dieser Partei weiter regiert, hätte sie ihren Ruf, reiner Wurmfortsatz der CDU zu sein, nur bestätigt. Trotz des - sicherlich generösen - Angebotes der CDU, mit der FDP "zu den gleichen Bedingungen" weiter zu regieren, hätte die FDP im Konfliktfall in Hessen doch keinerlei Möglichkeit gehabt, eigene Positionen - wie zuvor (vgl. den Beitrag von Ralf Arnemann im Hessen-Thread zu dieser Sache) durchzusetzen. Insofern hätte es spätestens beim ersten Konfliktfall heftige Turbulenzen - v.a innerhalb der FDP - gegeben. Wie hätte denn etwa eine Bundesratsklausel bei einer absoluten CDU-Mehrheit ausgesehen? Hätte sich die CDU auf die geltende Regelung von Koalitionsregierungen eingelassen, sich im Konfliktfall im Bundesrat der Stimme zu enthalten? Und so weiter und so fort. Nein, ich denke, die Entscheidung von Frau Wagner in dieser Angelegenheit war richtig, zumal ich ja die Entscheidung von ihr, Koch trotz seiner Unwahrheit in Sachen Parteispendenaffaire die Treue zu halten, nicht für richtig gehalten habe.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 10. Februar 2003 - 11:14 Uhr:   

Zustimmung zu Bernhard Nowak. Und noch eine kleine, aber interessante Zusatzinformation: Die (wenigen) Funktionsträger in der hessischen FDP, die letzte Woche ein Festhalten an der Koalition mit Koch empfohlen haben, waren allesamt drei Jahre vorher strikte Gegner Kochs in Rotenburg.
Da kann man wohl unterstellen, daß es diesen Leuten eher um eine "Contra-Wagner"-Linie geht als um eine in sich schlüssige politische Haltung.

@Stephan Glutsch.
> Wie soll sich die FDP in der Opposition in Hessen verhalten? Auf den
> wichtigen Feldern Wirtschaft, Bildung, Soziales, innere Sicherheit
> ist die CDU kaum zu schlagen. Das sieht vielleicht die CDU so.
Aber genau auf diesen Feldern gab und gibt es die wesentlichen Unterschiede, bei denen die FDP viele CDU-Positionen nicht mittragen will bzw. sehr wohl glaubt, die CDU mit besseren Rezepten "schlagen" zu können.
Und eben weil die FDP natürlich die gemeinsame Vorarbeit respektieren und keine Fundamentalopposition à la rot/grün fahren wird, werden diese Unterschiede zwischen CDU und FDP in den nächsten Jahren sehr deutlich sichtbar werden.
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Philipp Sfeir
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Februar 2003 - 15:12 Uhr:   

Kann Bernhard Nowak und Ralf Arnemann auch nur zustimmen und möchte
hinzufügen, dass mein Demokratieverständnis nicht so ist, dass Parteien mitregieren sollen, ohne dass die Mehrheitsverhältnisse das bedürfen.

Es wird zwar von vielen über den sogenannten "Wählerwillen" gesprochen, doch dann müßte ja faktisch immer eine große Koalition regieren, da ja wohl die Mehrheit diese beiden Parteien in verantwortlicher Position sehen will.
Nein, ich denke so einfach kann man es sich nicht machen. Eine genaue Aussage über den Wählerwillen wäre nur möglich, wenn zusätzlich noch Koalitionspräferenzen bei einer Wahl angegeben werden würden, und das ist sicherlich genauso unsinnig, wie mit der Begründung "Wählerwille" eine Fortsetzung der Koalition zu fordern. (Auch wenn und trotz dass sie nach Meinung Vieler gute Arbeit geleistet hat.)

Abgesehen davon denke ich, dass es ausgerechnet in Hessen die CDU sicher nicht schaffen kann, dauerhaft alleine zu regieren. Die nächste Wahl wird wohl denkbar knapp. (Insbesondere wenn Herr Koch nach Berlin will, denn geeignete Nachfolger hat die Hessen-CDU sicher nicht.)

Abgesehen davon: So liberal wie die CDU gerne tut ist sie nicht. Gerade die Hessische CDU ist doch bekanntermaßen der Bayrischen Union näher als einem anderen Landesverband. Da gibt es für die FDP sicher große Spielräume Profil zu zeigen. (Auch wenn es sicherlich sehr schwer in der Opposition werden wird).
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Februar 2003 - 15:44 Uhr:   

Ein- oder Zweistimmenmehrheiten haben in der Vergangenheit fast immer über die ganze Legislaturperioden gehalten, gerade auch in Hessen. Da hatte die jeweilige Regierung 1987-95 und seit 1999 nur eine Mehrheit von zwei Stimmen. Auch in anderen Ländern kam sowas schon öfter vor. Zum Beispiel:
Saarland 1985-90, seit 1999
Niedersachsen 1970-74, 1986-90, 1994-98
Schleswig-Holstein 1975-83, 1992-96
Rheinland-Pfalz 1979-83
Mecklenburg-Vorpommern 1990-94 (Mehrheit durch SPD-Überläufer)

Bei den drei Fällen (Juli-Dezember 1966 in NRW, 1974-76 in Niedersachsen, 1991-93 in Hamburg), in denen die Regierung in einer solchen Situation nicht über eine ganze Legislaturperiode hielt, war nur einmal (in Niedersachsen) die knappe Mehrheit Anlaß für das vorzeitige Aus.
Fazit: Die CDU-Alleinregierung wird höchstwahrscheinlich volle fünf Jahre halten.

Ich denke, die FDP hat genug Spielraum sich zu profilieren. Koch polarisiert sehr stark und die CDU-Hessen ist wohl der am weitesten rechts stehende Landesverband bundesweit.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 11. Februar 2003 - 17:46 Uhr:   

@Philipp Sfeir:
> Es wird zwar von vielen über den sogenannten "Wählerwillen" gesprochen,
> doch dann müßte ja faktisch immer eine große Koalition regieren, ..
Genauer: Dann müßte es eigentlich immer eine Allparteienregierung geben. Denn normalerweise will ja jeder Wähler, daß seine Partei mitregiert.

Wählerwille in Hessen ist nun mal eindeutig "schwarz pur", das müssen die FDP-Wähler akzeptieren. Und wenn jemand von den 48,8% CDU-Wählern doch lieber eine FDP-Beteiligung gehabt hätte - dann hätte er eben auch FDP wählen müssen.

@Thomas Frings:> Ein- oder Zweistimmenmehrheiten haben in der Vergangenheit fast immer
> über die ganze Legislaturperioden gehalten, gerade auch in Hessen.
Richtig.
Philipp Sfeir hat wohl mit "langfristig nicht alleine regieren" auch deutlich die Perspektive nach der nächsten Wahl gemeint.
Wobei es Koch viel schwerer als in den letzten Jahren fallen wird, seine knappe Mehrheit zusammenzuhalten - eben weil sie nur aus eigenen Leuten besteht und man keine unpopuläre Sache auf die Zwänge einer Koalition abschieben kann.
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Philipp Sfeir
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 10:30 Uhr:   

@Thomas Frings
>Fazit: Die CDU-Alleinregierung wird höchstwahrscheinlich volle fünf Jahre halten.

Davon bin ich auch überzeugt. Hatte mich auf die folgende Legislaturperiode(n) bezogen. Und da gehe ich davon aus, dass die CDU die absolute Mehrheit in Hessen nicht halten werden kann.

Denke mal, dass sich die SPD wohl wieder erholen wird. Historische Wahlschlappen in Hessen und Niedersachsen sind doch sehr bezeichnend dafür, dass eine enorme Unzufriedenheit über die Bundespolitik herrscht und insbesondere SPD-Wähler nicht gerade dazu animiert hat, diesmal ihr Kreuz zu machen. Niedrigste Wahlbeteiligung, die es jemals gab in Hessen, ist wohl ein Beleg. [Auch wenn es wohl (leider) einen Trend zu geben scheint nicht mehr wählen zu gehen.]
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Stephan Glutsch
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 14:51 Uhr:   

Noch einmal zum Thema Waehlerwille

Dass man die Koalitionspraeferenzen der Waehler nicht genau kennt, heisst nicht, dass es keine gibt. Wuerde man bei vorgegebener Sitzverteilung den Waehler noch einmal abstimmen lassen (evtl. mit Stichwahl), dann wuerde eindeutig eine Koalitionspraeferenz herauskommen, und die waere ... Die Spatzen pfeifen es von den Daechern. Umfragen ergeben auch eine klare Praeferenz fuer Schwarz-Gelb, und wenn der Vorsprung gross genug ist, ist das Ergebnis signifikant.

Dass der Waehlerwillen immer zu einer grossen Koalition fuehrt, ist auch nicht korrekt. Das hat sich ja bei den letzten Wahlen in Frankreich und Holland gezeigt; hier hatten vorher grosse Koalitionen oder eine aehnliche Zusammenarbeit der grossen Parteien bestanden, die nicht dem Waehlerwillen entsprachen.

Hierin zeigt sich eine Schwaeche der parlamentarischen Demokratie bei mehr als zwei Parteien, auf die ich auch schon vorher aufmerksam gemacht habe: Koalitionen werden nach den Eigeninteressen der Parteien bzw. der Parlamentarier gebildet, nicht aber nach dem Willen ihrer Waehler. Deshalb bedeuten mehr Parteien nicht zwangslaeufig mehr Demokratie. Das Optimum liegt also irgendwo zwischen eins und unendlich, und meine Intuition sagt mir, dass zwei die optimale Anzahl von Parteien ist.
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Nimreem
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 15:46 Uhr:   

@ Stephan,

eine solche Regelung wäre albern. Angenommen:
Union 39%
SPD 40%
FDP 10%
Grüne 10%
Sonstige 1%

Rotgrün oder sozialliberal?

Nun wird nach Koalitionspräferenz abgestimmt
Union-Wähler 100% für FDP
FDP-Wähler 100% für FDP
Grüne-Wähler 100% für Grüne
Sonstige Wähler 50% für Grüne und 50% für FDP (spielen also keine Rolle).

Macht also 49,5% für FDP und 10,5 für Grüne.

Nun: SPD-Wähler 1 Prozentpunkt für FDP und 39 Prozentpunkte für Grün. Ergebnis: sozialliberal.

Das wäre natürlich absurd. Eine solche Koalition würde nicht lange halten (ähnlich könnte ein solches Ergebnis auch Union-Grüne ergeben, obwohl kaum einer der Union-Wähler das will).
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 16:57 Uhr:   

@Nimreem:
Tut mir leid, ich habe Dein Beispiel überhaupt nicht verstanden.
Wieso können die FDP-Wähler mit 100% pro FDP sein, wenn es doch um die Koalitionspräferenz geht?
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Cram
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 17:18 Uhr:   

@Ralf Arnemann,

Glückwunsch an die hessische FDP für ihr gutes Ergebnis und natürlich auch an die niedersächsischen Liberalen.
Die klaren Koalitionsaussagen haben sich in beiden Ländern ausgezahlt.
Die klare Perspektive auf eine Fortsetzung einer erfolgreichen bürgerlichen Regierung bzw. der Wahl einer solchen haben die FDP gestärkt. Umso bedauerlicher ist es das sich die hessische FDP nun dazu entschlossen hat nicht mehr an der Regierungsverantwortung mitzuwirken.
Gerade mit Blick auf das Jahr 2006 wäre es gut mehrere erfolgreiche Modelle bürgerlicher Regierungen für die Bundesebene zu haben, zumal dann wenn Roland Koch Kanzlerkandidat werden würde.
Zudem wird es für die FDP sehr schwierig sein Opposition gegen eine Politik zu betreiben (Roand Koch hat ja bereits angekündigt die gemeinsam angefangene Politik fortsetzen zu wollen) die sie ja weitgehend bisher selbst mitgetragen hat. Gegen was will die FDP eigentlich Opposition machen?
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Nimreem
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 17:39 Uhr:   

@ Ralf,

bei dem Beispiel ging es doch um rotgrün oder sozialliberal. Wenn nach der Wahl die Wähler über die Koalition entscheiden sollten, müsste die Wähler doch die Frage beantworten: Soll die SPD mit den Grünen oder mit der FDP koalieren? Die FDP-Wähler werden dann wohl "FDP" ankreuzen.

@ Cram,

für die FDP wird es eine super-einfache Oppositionsarbeit werden. SPD und Grüne werden die Union von links, die FDP kann die Union einfach von rechts kritisieren (natürlich ist links und rechts holzschnittartig, aber ich denke, es ist klar, was damit gemeint ist). Koch sagt jetzt, dass er die alte Politik weitermacht. Die FDP kann ja spätestens in einem halben Jahr sagen, dass er das nicht getan hat.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 17:44 Uhr:   

@Cram:
Vielen Dank für die Glückwünsche.
Und was die Opposition betrifft, das wird ganz einfach.
Auch wenn beide Parteien einige Gemeinsamkeiten haben und in anderen Punkten Kompromisse gefunden haben, gibt es in den Zielen von CDU und FDP doch deutliche Unterschiede.

Und die FDP wird jetzt halt nur noch da zustimmen, wo sie das inhaltlich gut findet. Und in vielen anderen Sachen (z. B. bei Stop der Privatisierung, Bildungsfreiheit, Innenpolitik) wird sie die neuen CDU-Vorstöße nicht wie bisher hinter den Kulissen in den Koalitionsverhandlungen, sondern eben öffentlich im Parlament ablehnen.

Das wird vielleicht auch für manchen Unionswähler in Hessen ein Lernerlebnis.
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Cram
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 18:13 Uhr:   

Nimreen,
die Begriffe links und rechts sind in dem Fall in der Tat wenig zielführend. Seit wann ist die FDP rechts der CDU?
Du scheinst da der in Amerika üblichen Einteilung zu folgen die sich an wirtschaftspolitischer Ausrichtung orientieren: Rechts diejenigen für den Freihandel und für mehr Freiheit und links die für mehr Staat und für mehr Gleichheit.
So gesehen könnte man die FDP in der Tat rechts der CDU verorten. Nur in Europa ist die Einteilung vorherrschend nach den gesellschaftspolitischen Vorstellungen. Und in dem Bereich liegt die FDP eher zwischen CDU und SPD. In dieser Rolle als Mittelpartei versucht sich die FDP ja auch wieder zu etablieren.
Gegen eine rot-grüne Regierung kann sich die FDP problemlos mit ihrem wirtschaftsliberalen Profil profilieren. Bei einer CDU-Alleinregierung wird das allerdings schwieriger. Die CDU hat sich erneuert und ist bereits sehr wirtschaftsliberal geworden. Koch steht für diese Erneuerung (Wisconsin-Modell zur Umwandlung der Sozialhilfe).
Von daher wird es für die FDP sehr schwierig werden in der Wirtschaftspolitik Opposition zu betreiben. In gesellschaftspolitischen Fragen haben sich die Grünen als linke links"liberale" Kraft etabliert. Mit linksliberalen Positionen kann sich die FDP daher keinesfalls profillieren.
Von daher ist die FDP in einer nicht leichten Ausgangslage.
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Nimreem
Veröffentlicht am Mittwoch, 12. Februar 2003 - 18:27 Uhr:   

@ Cram,

das ist schon richtig (allerdings ist der Platz der FDP im Bundestag nicht zufällig). Nur auch in den Ländern wird die Wirtschaft in nächster Zeit das wichtigste Thema sein. Und natürlich kann dort die FDP die CDU von rechts (also von der wirtschaftsnahen Seite) kritisieren, denn die FDP kann problemlos mehr fordern (ist ja in der Opposition) als die CDU umsetzen kann. Vor allem wenn Koch in Richtung Bundeskanzler für 2006 gehen will, muss er sich in die Mitte orientieren, d.h. von ihm aus gesehen nach links orientieren.
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Philipp Sfeir
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 11:21 Uhr:   

@Arnemann
Ganz der gleichen Meinung. Es gibt doch einige liberale Themen, die auch von der "erneuerten" CDU anders angepackt werden, die ich wiederhole: Immer noch die konservativste in der Republik (gleich nach der CSU) ist. Natürlich wird die FDP nun als Opposition nicht alles ablehnen, dafür aber ihre Konturen schärfen. (Ob rechts oder links, k.A. diese Begriffe beschreiben nur unzulänglich Positionen) Wo stehen bsp die Grünen? links von der spd bsp. integrierte Gesamtschulen oder rechts von ihr, weil wertkonservativ . Ist wohl eher eine zweifelhafte Einteilung.

@Glutsch
Natürlich gibt es einen Wählerwillen. Ich habe nur gemeint: Versucht man, diesen alleine! vom Wahlergebnis abzulesen, hiese das: Die beiden großen müßten koalieren, weil eine Mehrheit diesen beiden eine wichtige Stellung zurechnet. Wird sind uns wohl einig, dass das Quatsch ist und das insbesondere bei der Hessenwahl nicht dem Wählerwillen (nach öffentlich bekanntem Meinungsbild!) entsprach.

Also bleibt die Frage: War der Wählerwille eher nur CDU oder CDU/FDP. Darüber eine tatsächliche Antwort zu geben ist das eigentliche Problem. Und ich denke, sollte man CDU-Wähler fragen, so ist die Präferenz eher "CDU kanns alleine", (sonst hätten sie ihre Zweitstimme der FDP gegeben). Und die haben die absolute Mehrheit, also könnte das der wahrscheinlichste Wählerwille sein. Könnte / Muß aber nicht.

Warum das Optimum bei zwei Parteien sein soll, leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wenn man sich die USA betrachtet, die faktisch ein 2-Parteien System ist, so fällt auf, dass zwischen diesen beiden kaum merkliche Unterschiede bestehen. (Ähnliche Tendenz bei SPD / CDU). Da der Wähler aber gerade hierzulande immer mehr den Eindruck hat, es spielt keine Rolle mehr, wen man wählt würde diesem Argument bei nur 2 Parteien obiger Situation Vorschub geleistet. Also ich jedenfalls bin froh, dass es vielfältige Meinungen und Wahlmöglichkeiten gibt, daher mein Fazit: Eine vernünftige Anzahl von Parteien (4-6) stärkt die wichtige parlamentarische Opposition, schützt vor Filz und verschafft auch nicht so populären aber vielleicht dennoch richtigen Themen Gehöhr.

[sorry für den langen Thread]
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Cram
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 11:38 Uhr:   

Philipp Sfeir,


"Also bleibt die Frage: War der Wählerwille eher nur CDU oder CDU/FDP. Darüber eine tatsächliche Antwort zu geben ist das eigentliche Problem. Und ich denke, sollte man CDU-Wähler fragen, so ist die Präferenz eher "CDU kanns alleine", (sonst hätten sie ihre Zweitstimme der FDP gegeben). Und die haben die absolute Mehrheit, also könnte das der wahrscheinlichste Wählerwille sein. Könnte / Muß aber nicht."

Zunächst mal hat die CDU ja gar nicht die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen, sondern nur die absolute Mehrheit der Mandate. Das CDU-Ergebnis lag unter 50%, nämlich bei 48,8%.
Daraus abzuleiten das die Wähler mehrheitlich eine Alleinregierung wollten ist gewagt.
Vielmehr wollten 56,7% der Wähler eine Regierungsbeteiligung der CDU bzw. FDP.
Die FDP hatte sich jedenfalls klar für eine Koalition mit der Union ausgesprochen. Somit gab es eine deutliche Mehrheit für eine bürgerliche Regierung: Schwarz-Gelb. Das die FDP diese nun nicht eingeht ist bedauerlich. Diese Frage war in der FDP daher auch sehr umstritten. Ich bedaure die Entscheidung der FDP, auch wenn sie nachvollziehbar ist. Aber eine andere Entscheidung wäre auch nachvollziehbar gewesen, zumal die FDP hätte argumentieren können das die CDU ja gar nicht die absolute Mehrheit der Wählerstimmen bekommen hat und daher eine Koalition sinnvoll ist um die Regierung auf breite Basis zu stellen.
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Nimreem
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 11:46 Uhr:   

@ Cram,

"Die FDP hatte sich jedenfalls klar für eine Koalition mit der Union ausgesprochen."

Unter der Voraussetzung, dass die CDU nicht die Mehrheit der Mandate hat.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 12:06 Uhr:   

> Unter der Voraussetzung, dass die CDU nicht die Mehrheit der
> Mandate hat.
Richtig.
Und nicht zu vergessen: Die hessische FDP hat, dem schon seit Jahrzehnten gültigen Prinzip entsprechend, vor der Wahl mehrfach deutlich und öffentlich, durch Landesvorsitzende, Landesvorstand und Fraktion erklärt, daß sie bei einer absoluten Mehrheit NICHT koalieren würde.
Das war den Wählern also bekannt und die entsprechende Entscheidung nach der Wahl keine Überraschung.

Und gerade in einer Situation wie derzeit (nach Lügen-Koch und Lügen-Ausschuß im Bund) wäre es ja politischer Selbstmord gewesen, diese eindeutigen Aussagen über Bord zu werfen nur um sich Ämter zu sichern.
Es kann sich doch wohl jeder vorstellen, wie das ausgeschlachtet worden wäre.
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Cram
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 12:20 Uhr:   

@Ralf,
na ja. Das hätte die FDP auch ausgestanden, wie damals die Spendenaffäre mit Koch. Die hessische FDP hätte durchaus ausreichend Stehvermögen um sich nicht von derartiger Rot-Grüner Kritik umhauen zulassen, zumal die nächsten für die FDP überhaupt relevanten Wahlen sowieso erst im nächsten Jahr sind und bis dahin wäre die Sache sowieso vom Tisch gewesen. Auch angesichts der außenpolitischen Situation und den Problemen der Koalition hätte Rot-Grün das nicht so stark ausschlachten können wie du das anscheinend befürchtest. Das Ergebnis der Landtagswahl für die FDP in Hessen belegt vielmehr das Stehvermögen und das Durchhaltevermögen der FDP an der Seite Kochs der FDP das beste Ergebnis seit 30 Jahren beschert hat. Von daher wäre es falsch aus Angst vor Rot-Grün so zu verfahren.
Ich kann die Entscheidung der FDP allenfalls aus grundsätzlichen Überlegungen nachvollziehen. Das sie sich vor der Wahl und besonders am Wahlabend unnötigerweise so stark festgelegt hat ist bedauerlich hat sie nun aber dazu gezwungen an dieser Haltung festzuhalten. Dabei war die Aussage vor der Wahl: keine Koalition bei absoluter Mehrheit nicht eindeutig ob damit Mandatsmehrheit im Landtag oder Mehrheit der Stimmen bei der Landtagswahl (50% + 1 Stimme) gemeint war.
Die CDU hat von der Zahl der Wählerstimmen mit 48,8% die absolute Mehrheit eben nicht erreicht.
Die FDP hätte diese Tatsache dazu nutzen können um weiterhin in der Regierung mitzuarbeiten. Die Regierung war sehr erfolgreich: CDU und FDP gemeinsam. Daher ist die Entscheidung der FDP bedauerlich.
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Nimreem
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 13:42 Uhr:   

@ Cram,

die FDP hatte nie die Möglichkeit in der Regierung mitzuarbeiten. Die FDP hatte nur die Möglichkeit entweder als überflüssiger Teil in der Regierung zu sitzen und von Koch nach Lust und Laune vorgeführt zu werden oder zu versuchen, vernünftige Oppositionspolitik zu machen.

Die FDP war intelligent sich nicht lächerlich zu machen.
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Philipp Sfeir
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 14:16 Uhr:   

Ob absolute Mehrheit der Stimmen oder Mandate finde ich nun Haarspalterei. Fakt ist, dass eine Beteiligung der FDP rechnerisch nicht notwendig war. Und wenn, wie so oft, der FDP nachgesagt wird, sie würde sich an der Macht klammern, als Beispiel wird insbesondere das Festhalten an Koch genannt, so find ich es umso bemerkenswerter und der Glaubwürdigkeit sehr zuträglich, dass nun so entschieden worden ist. Respekt vor Frau Wagner.
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Cram
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 14:22 Uhr:   

@Nimreen,
"die FDP hatte nie die Möglichkeit in der Regierung mitzuarbeiten. Die FDP hatte nur die Möglichkeit entweder als überflüssiger Teil in der Regierung zu sitzen und von Koch nach Lust und Laune vorgeführt zu werden"
Du unterstelltst damit das Roland Koch kein Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit der FDP hätte. Das Gegenteil ist richtig. Eine erfolgreiche schwarz-gelbe Landesregierung wäre ein Modell für die Bundesebene. Zumal wenn Roland Koch Kanzlerkandidat werden sollte ist es in seinem Interesse auf eine erfolgreiche schwarz-gelbe Koalition auf Landesebene hinweisen zu können. Da auf Bundesebene absolute Mehrheiten unrealistisch sind wäre es daher hilfreich auf eine gute Zusammenarbeit mit einem Koalitionspartner hinweisen zu können. Zudem hätte die FDP wenn sie auf Landesebene mit Koch koaliliert Schwierigkeiten auf Bundesebene zu begründen keine Koalitionsaussage für die CDU unter Koch zu machen. Eine Koalitionsaussage der FDP wäre daher unter diesem Umständen erforderlich (sie ist ohnehin sinnvoll bei "Lagerwahlkämpfen" wie das Ergebnis der Grünen am 22. September und der FDP am 2. Februar in Hessen und Niedersachsen zeigt).
Roland Koch hätte daher der FDP genug Raum gelassen um sie an sich zu binden, denn sie könnte natürlich jederzeit austreten und damit seine Ambitionen als Kanzlerkandidat von Schwarz-Gelb schwächen. Von daher hätte die FDP in der Koalition durchaus auch ein Druckmittel in der Hand. Die Unterstützung der FDP war und ist Koch wichtig und auf Bundesebene wird die CDU/CSU nicht ohne die FDP die Regierung übernehmen können.
Von daher hat Roland Koch der FDP auch das Angebot zur weiteren Zusammenarbeit trotz absoluter Mehrheit der Mandate im Landtag (nicht der Wählerstimmen: 48,8% sind keine absolute Mehrheit der Wähler das sind 50% + 1 Stimme) unterbreitet.
Ich bedaure das die FDP dieses Angebot im Sinne der gemeinsamen Zukunft von Schwarz-Gelb ausgeschlagen hat.
Kompensiert wird dieses bedauern allerdings etwas durch die nunmehrige gemeinsame Regierung in Niedersachsen: Die FDP arbeitet weiterhin in vier Ländern mit der CDU zusammen und nur in einem mit der SPD. Von daher sollte sich die FDP in der Tag ganz genau überlegen ob es nicht sinnvoller und glaubwürdiger ist 2006 mit Koalitionsaussage in den Wahlkampf zu gehen.
Für diese Überlegung hat sie jetzt noch bis 2006 Zeit. Nach gegenwärtigen Sachstand spricht aber alles für eine Koalitionsaussage für die CDU: nicht nur die Wirtschaftspolitik sondern auch die katastropahale Außenpolitik von Rot-Grün.
Westerwelle hat es richtigerweise gesagt: unser Fehler war das wir im Bundestagswahlkampf uns nicht klar für die transatlantische Partnerschaft ausgesprochen haben (was eine Zusammenarbeit mit der gegenwärtigen SPD ausschließt).
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Nimreem
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 15:03 Uhr:   

@ Cram,

"Du unterstelltst damit das Roland Koch kein Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit der FDP hätte."

Ich unterstelle, dass Koch Mitglied der CDU ist. Und im Zweifelsfall - und nur darum geht es, wenn die FDP einer Meinung mit der CDU ist, ist es ja irrelevant - die CDU-Linie unterstützt. Das heisst, die FDP könnte entweder nur ja und amen sagen oder sie würde untergebuttert werden (ein paar unwichtige Entscheidungen könnte sie vielleicht durchsetzen).

Wenn Koch Kanzler werden will, braucht er eine gute Hessen-Politik. Ob mit oder ohne FDP ist irrelevant. Denn wenn Union/FDP 2006 eine Mehrheit im Bund haben, wird es eine Union/FDP-Koaltion im Bund geben. Ob die FDP vorher in Hessen an der Regierung war oder nicht, spielt dabei schlicht keine Rolle.

Auch Schröder hat rotgrün in Bonn aus der Phase einer absoluten Mehrheit im Land gestartet.

Im übrigen wäre es - wenn es die FDP wirklich will - keine Schwierigkeit für die FDP zu begründen, dass sie in Hessen mit Koch koaliert (eine SPD-FDP Koalition in Hessen wäre als Alternative ja auch nicht möglich), sie es sich im Bund aber offen halten will. Immerhin gibt es ja Unterschiede zwischen Bundes- und Landespolitik. Diese Unterschiede könnte die FDP ja betonen.

Dass Koch der FDP die Koalition unterbreitet hat, ist verständlich. Allerdings war die FDP klug genug, dieses Angebot als lächerlich zurückzuweisen.

Im übrigen wird sich die politische Situation in Deutschland bis 2006 noch x-mal verändert haben. Viele Rechnungen können sich da als falsch erweisen.
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Cram
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 16:04 Uhr:   

@Nimreen,

"Dass Koch der FDP die Koalition unterbreitet hat, ist verständlich. Allerdings war die FDP klug genug, dieses Angebot als lächerlich zurückzuweisen."
Die FDP hat das Angebot zurückgewiesen aber nicht als lächerlich zurückgewiesen. Zahlreiche Liberale haben das ganze ganz und gar nicht als lächerlich eingestuft, sondern haben sich für eine Koalition mit der CDU eingesetzt.
Was denn Rest deiner Ausführungen betrifft so sind sie zweifellos tendenziell richtig. Dennoch bleibt festzuhalten das ein Offenhalten der Koalitionsfrage auf Bundesebene wenn man auf Landesebene mit dem entsprechenden Politiker koaliert sehr schwer erklärlich sein dürfte. Auch hat die CDU natürlich ein Interesse die FDP an sich zu binden da er ihr einziger potenzieller Koalitionspartner ist. Von daher ist es absolut richtig das Roland Koch versucht hat die FDP weiter an sich zu binden. Die FDP hat von dieser Bindung ja auch profitiert. Die Strategie der klaren Koalitionsaussagen für die CDU hat sich für sie in Niedersachsen und Hessen ausgezahlt. Von daher wäre auch eine andere Entscheidung durchaus im Interesse der FDP gewesen. Sie hätte dann zudem mehr Einfluß auf den Bundesrat ausüben können.
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Nimreem
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 16:18 Uhr:   

@ Cram,

dass einige Liberale gerne auf den Posten eines Ministers etc. sitzen wollten, ist verständlich. Leute, denen ihre persönliche Karriere wichtiger als die Partei ist, gibt es überall. Es spricht für die FDP-Hessen, dass diese Leute dort offensichtlich in der Minderheit waren.

Ob sich die Strategie der klaren Koalitionsaussagen ausgezahlt hat für die FDP, ist noch längst nicht ausgemacht. In Hessen und Niedersachsen gab es eine SPD-Denkzettelwahl. Es ist praktisch jede Partei gewählt worden, die nicht SPD hiess und möglichst nicht in enger Nachbarschaft zur SPD war.

Dies mag in anderen Zeiten anders aussehen. Und dann kann die Strategie der klaren Koalitionsaussage der FDP schaden.
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Sfeir
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 17:31 Uhr:   

@Cram

Stimme dir zu, dass bei den beiden Landtagswahlen die Koalitionsaussagen sinnvoll waren und auch geholfen haben. Aber das läßt sich nicht generell auf Wahlen übertragen. Langfristig schadet sich eine Partei selbst, wenn sie sich nur einseitig ausrichtet. Schließlich sind Koalitionen nur Zweckbündnisse. Dass die Gemeinsamkeiten zwischen FDP/CDU momentan sowohl im Bund als auch in den beiden Ländern größer ist als die Gemeinsamkeiten jeweils mit anderen Parteien ist auch klar. Aber daraus von vornerein etwas für 2006 oder eine andere Wahl abzuleiten halte ich für falsch. Schließlich hat sich die CDU bei Ihrer Koalition mit den Grünen (Köln) auch nur aus zweckdienlichen Gründen zusammen geschlossen. Das heißt noch lange nicht, dass die Grünen bei der nächsten NRW-Wahl mit der Koalitionsaussage CDU in den Wahlkampf starten sollten. Jede Partei kämpft nunmal für sich selbst. Oder um wieder auf die absolute Mehrheit in Hessen zurück zu kommen: "Beide Stimmen für die Nummer 1!" ;-)
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Cram
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 17:36 Uhr:   

@Nimreem,
diese pauschale Diffamierung derjenigen die sich für eine Koalition einsetzen muß ich zurückweisen. Zu den Anhängern einer Fortsetzung der Koalition gehört z.B. der neu gewählte Abgeordnete und hessischer Juli-Vorsitzende Florian Rentsch. Diesem und anderen, die überhaupt gar keine Aussicht auf Ministerämter haben derartiges vorzuhalten und pauschal denjenigen die für die Fortsetzung einer Koaltion eintraten eigensüchtiger Motive oder parteischädigendes Verhalten oder sonstige niedere Motive vorzuhalten ist unredlich. Das spricht gegen dich. Auf diese Art und Weise kann man nicht auf seriöse Weise miteinander diskutieren.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 19:52 Uhr:   

@Cram:
Ich finde, Philipp und Ralf haben doch völlig recht. Meine These: gerade weil die FDP Koch in der Spendenaffaire so stützten - auch gegen innerparteiliche Kritik - musste Frau Wagner vor der Wahl klarstellen, dass eine Beteiligung der FDP bei absoluter Mehrheit - ob Stimmen oder Mandate ist meines Erachtens Haarspalteri - nicht in Frage kommt. Gerade dass Ruth Wagner jetzt bereit ist, auf ihr ans Herz gewachsenes Ministerium, welches sie gut geführt hat (das sage ich als politisch Andersdenkender), zeigt, dass es ihr um Grundsätze und nicht um Posten geht. So hatte ich sie bis zur Kochschen Spendenaffaire auch eingeschätzt. Danach hatte sie mein persönliches Vertrauen verloren; ich dachte, Posten sind ihr wichtiger als moralische Glaubwürdigkeit. Mit ihrer klaren jetzigen Entscheidung, die die FDP davor bewahrt hat, als reiner "machtgeiler" Wurmfortsatz der CDU angesehen zu werden, hat sie meines Erachtens ihre persönliche Glaubwürdigkeit wieder gewonnen und der politischen Kultur im Land einen großen Dienst erwiesen. Wie Philipp sagte: Respekt vor Frau Wagner in dieser Angelegenheit (ihr Verhalten in der CDU-Spendenaffaire halte ich nach wie vor für falsch, unterstelle ihr aber nicht mehr das Motiv, ihren Posten behalten zu wollen. Sie wollte wohl wirklich Neuwahlen im Jahre 2000 und eine erneute rot-grün Regierung verhindern.) Respekt vor ihrer jetzigen Entscheidung.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 19:53 Uhr:   

@Cram:
> Das hätte die FDP auch ausgestanden ...
Die FDP muß heute noch mit dem Vorwurf "Umfallerpartei" leben. Und der zugrunde liegende Wortbruch war in den 60er Jahren!
Und gerade eine Ruth Wagner hat sich ihre enorme persönliche Reputation (in Hessen bekannter und beliebter als Koch!) auch dadurch erarbeitet, daß sie ganz konsequent zuverlässig ist.

> Du unterstelltst damit das Roland Koch kein Interesse an einer guten
> Zusammenarbeit mit der FDP hätte.
Und diese Feststellung ist richtig!
Koch wollte sehr wohl die FDP im Boot haben - aber nur zu seinen Bedingungen und ohne Bereitschaft zu einer fairen Zusammenarbeit.
Ich kann hier leider diverse Details nicht öffentlich machen und kann daher nur hoffen, daß Ihr mir das so glaubt: Das ganze Koalitionsangebot war von Koch nicht fair und ehrlich gemeint und er hat die FDP bereits in mehreren Punkten hintergangen.

> diese pauschale Diffamierung derjenigen die sich für eine Koalition
> einsetzen muß ich zurückweisen.
Den Pauschalvorwurf muß man in der Tat zurückweisen.
Aber es gab schon eine Reihe "Koalitionsanhänger", auf die der Vorwurf voll zutrifft. Da hat es einige sehr üble Intriganten gegeben.

> Zu den Anhängern einer Fortsetzung der Koalition gehört z.B. der neu
> gewählte Abgeordnete und hessischer Juli-Vorsitzende Florian Rentsch.
Nach meinen Informationen (leider auch nur indirekt) war gerade Florian Rentsch ganz klar und deutlich gegen die Koalition mit der absoluten CDU-Mehrheit.
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Nimreem
Veröffentlicht am Donnerstag, 13. Februar 2003 - 23:50 Uhr:   

@ Cram,

wer mit einer Partei in eine Koalition mit einer anderen Partei eintreten will, die auch ohne die eigene Partei über genügend eigene Stimmen verfügt, dem kann man nur zwei Positionen unterstellen:
a) politische Dummheit oder
b) Karrieregeilheit.
Ein c) existiert nicht. In der Regel dürfte jedoch a) und b) zutreffen.
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Bernd Schaller
Veröffentlicht am Donnerstag, 28. August 2003 - 17:43 Uhr:   

@ nimreem:
Volle Zustimmung, als bestes Beispiel sei hier die Bayernpartei
genannt, die 1962-1966 mit der CSU regierte obwohl diese über
die Mehrheit der Mandate verfügte. Der BP-Vorsitzende Wehgartner
wurde Staatssekretär, für die BP war es 1966 das parlamentarische
Aus. Gilt außerdem weiterhin für den BHE und die DP 1953-1957
auf Bundesebene.
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c07
Veröffentlicht am Donnerstag, 28. August 2003 - 19:27 Uhr:   

Allerdings war die Bayernpartei 1962 (spätestens in der Folge der Spielbankenaffäre) eh am Ende. Eine 5%-Hürde hätte sie da schon nicht mehr überwunden, und die 10% in Niederbayern hat sie auch nur ganz knapp geschafft (die Zweitsstimmen waren sogar schon darunter).
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Freitag, 29. August 2003 - 12:31 Uhr:   

Der BP-Staatssekretär trat kurz vor der Wahl 1966 zur CSU über. Die BP hatte sowieso immer unter Fahnenflucht zu leiden, allein zwischen 1950 und 1954 liefen 10 der 39 Abgeordneten zur CSU über. Die CSU hatte es nur darauf abgesehen, daß auch noch der Rest überläuft. Bis auf einen lächerlichen Rest tat er das dann auch. Seit 1966 ist die Partei praktisch nicht mehr existent. Bei der Bundestagsahl 1972 durfte sie z.B. nicht teilnehmen, da sie nicht einmal die satzungsgemäße Wahl des Vorstandes nachweisen konnte.
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c07
Veröffentlicht am Freitag, 29. August 2003 - 17:12 Uhr:   

Na ja, "nicht existent" ist ein bisschen übertrieben. Später hat sie sich wieder ein bisschen gefangen und zumindest die anderen Abspaltungen zurückgewonnen. Seit 1990 kann sie in Altbayern wieder mit mehr als 1% rechnen und sitzt z.B. im oberbayrischen Bezirkstag. U.a. wegen der Verkleinerung könnte das diesmal allerdings vorbei sein.

Übrigens hat die CSU nicht nur das Personal der Bayenpartei übernommen, sondern auch ihre politische Position als Vertreterin des säkularen bayrischen Nationalismus, wenn auch in Bezug auf den Nationalismus weniger radikal. Der Slogan "Laptop und Lederhosen" wär früher für die CSU undenkbar gewesen, sondern hätte auf die Bayernpartei gepasst.
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The Joker
Veröffentlicht am Freitag, 26. September 2003 - 21:06 Uhr:   

@Ralf Arnemann (03.02.2003)

"Bei den Koalitionsregierungen gibt es immer noch die volle Auswahl: Zweimal mit der CDU, zweimal mit der PDS, zweimal mit den Grünen und einmal mit der FDP."

Hmm, sagte nicht jemand mal: "Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht"? ;-)
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 29. September 2003 - 09:41 Uhr:   

> Hmm, sagte nicht jemand mal: "Wer nach allen Seiten offen ist, ist
> nicht ganz dicht"? ;-)
Dieser "jemand" wird dann aber nicht Schröder gewesen sein ;-)
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Demokrat (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. März 2006 - 15:02 Uhr:   

@Nimreem
"wer mit einer Partei in eine Koalition mit einer anderen Partei eintreten will, die auch ohne die eigene Partei über genügend eigene Stimmen verfügt, dem kann man nur zwei Positionen unterstellen:
a) politische Dummheit oder
b) Karrieregeilheit.
Ein c) existiert nicht. In der Regel dürfte jedoch a) und b) zutreffen."

Es gibt nur eine Situation, in der ich mir so ein Szenario sinnvoll vorstellen könnte (also ein c) in Ihrem Sinne). Das wäre ein Land im Verteidigungszustand, wo die gesamte Gesellschaft und damit auch die Parteien gegen einen äußeren Aggressor zusammenrückt.
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Good Entity (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. März 2006 - 15:34 Uhr:   

@Demokrat und Nimreen: Wenn es um "sinnvoll" geht, würde ich das aber schon um "c)" erweitern.

So wurde in Palestina bis vor einigen Tagen noch um eine mögliche Koalition aus Hamas und Fatah gerungen, die für eine Mehrheit im Parlament auch nicht erforderlich war, aber für den Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung und zur Verhinderung bösen Blutes (im wahrsten Sinne des Wortes) vielleicht "sinnvoll" gewesen wäre.

Oder man betrachtet das grundsätzliche Mehrheitsverständnis in der Schweiz, wo die vier größten Parteien trotz ihrer Gegensätze und ohne Mehrheitsnotwendigkeit gemeinsam die Regierung stellen. Das mag man gewöhnungsbedürftig finden, mit politischer Dummheit oder Karrieregeilheit hat es jedoch absolut nichts zu tun.
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MMA (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. März 2006 - 15:50 Uhr:   

Auch könnte man in einer an sich unnötigen Koalition bestimmte populistische Parteien durch Regierungsbeteiligung schneller entzaubern.
Oder man könnte bewusst eine Regierung installieren, die eine Zweidrittelmehrheit erreicht, um z. B. die Verfassung zu ändern.
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Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. März 2006 - 18:32 Uhr:   

diesen Fall haben wir doch faktisch zur Zeit in Deutschland:
Die CSU ist an der Regierung beteiligt, obwohl CDU und SPD auch alleine die Mehrheit hätten.

Übrigens gibt das gleiche auch seit vielen Jahrzehnten in der Schweiz als Dauerzustand.
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Demokrat (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. März 2006 - 19:39 Uhr:   

@Good Entity
Die Lage in der Schweiz halte ich aus demokratischer Sicht auch nicht für erstrebenswert, da die Demokratie vom Wechsel lebt und eine Regierung einen starken Counterpart in Form einer klar als politischer Alternative wahrnehmbaren Opposition braucht. Kommen sie mir jetzt nicht mit Bayern, wenn die Bürger natürlich einer Partei über Jahrzehnte hinweg die absolute Mehrheit geben, muß man das akzeptieren. Daß sich aber die vier größten Parteien zu einem Kartell vereinigen, halte ich für bedenklich. <ironie on>Schade, daß im Wahlrecht das Kartellrecht nicht gilt</ironie off>

@Florian
CDU und CSU sehe ich ob der jahrzehntelangen Fraktionsgemeinschaft im Bundestag als quasi eine Partei an.
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Good Entity (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 19. März 2006 - 20:35 Uhr:   

Ausgerechnet den Schweizern würde ich nun gerade kein "bedenkliches" oder "wenig erstrebenswertes" Demokratieverständnis unterstellen wollen. Nicht etwa, weil wir sonst gleich von Philipp Wälchli gewürgt werden, sondern weil die Schweizer ganz offensichtlich genau das was sie haben auch so wollen.

Mehr Demokratie (Herrschaft des Volkes) im echtesten Sinne kann man da wohl kaum bekommen. Von irgendwelchen innerschweizer Protesten oder Gegenstimmen habe ich jedenfalls nichts mitbekommen, auch die Westschweiz ist berücksichtigt und schätzt wohl die Konsensgesellschaftsform.

Es ist wohl mehr unser innerdeutsches Demokratieverständnis, das hier typischerweise Probleme hat und unbedingt einen starken Counterpart in Form einer Nichtregierungsopposition sucht - eine (und eben nicht nur eine) "politische Alternative" gibts in der Schweiz sowohl innerhalb als auch außerhalb des "Kartells".
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 20. März 2006 - 09:45 Uhr:   

@Demokrat:
> da die Demokratie vom Wechsel lebt
Das sehe ich wie Good Entity nicht so pauschal.

Diese Feststellung stimmt für Situationen wie in Deutschland üblich, wo die Regierungsparteien dazu neigen, mit Verwaltung und Verbänden stark zu verfilzen.
Und wo das parlamentarische Bewußtsein schwach ist, d.h. die Regierungsparlamentarier sehen ihre Aufgabe nicht darin, die Regierung im Parlament zu kontrollieren, sondern sie mit allen Mitteln zu stützen.

Wenn dagegen, wie in anderen Ländern, das Parlament selber sich über alle Fraktionen hinweg als Gegengewicht zur Regierung sieht, dann braucht man nicht unbedingt Regierungswechsel, um Mißständen zu beenden.

Dies gilt vor allem wenn, wie in der Schweiz, per direkter Demokratie die Bevölkerung selber starken Einfluß nehmen kann.
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Tim Spier
Veröffentlicht am Montag, 20. März 2006 - 09:56 Uhr:   

@Ralf Arnemann: Sicherlich ein interessanter Gedanke, aber ich würde es vor allem auf das Regierungssystem zurückführen, weniger auf parlamentarisches Bewusstsein. In aller Regel ist nämlich die Eigenständigkeit des Parlaments über Parteigrenzen hinweg besonders stark in den präsidentiellen (z.B. USA) und semipresidentiellen Systemen (z.B. Frankreich) ausgeprägt, da dort das Staatsoberhaupt auch tatsächlich Chef der Exekutive ist und über eine eigene Legitimationsbasis (=Direktwahl) verfügt. In parlamentarischen Systemen (z.B. England, Bundesrepublik) ist der Regierungschef als faktischer Chef der Exkutive auf Unterstützung im Parlament zum politischen Überleben angewiesen. Daher wird es in solchen Systeme immer rational für den Regierungschef und seine Unterstützer im Parlament sein, die eigenen Reihen möglichst geschlossen zu halten und keine Abweichler zuzulassen.
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Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 20. März 2006 - 11:08 Uhr:   

In der Schweiz gilt - ohne jemand deswegen würgen zu wollen, abgesehen davon, dass ich persönlich eher für Durchprügeln bin - eben gar nicht Fall c. Genau besehen lässt es das verfassungsrechtliche und politische System gar nicht anders zu. In der Praxis ist auch immer wieder ein Ausscheren der einen oder andern Partei aus dem "Kartell" zu beobachten. Rein rechnerisch haben im Nationalrat derzeit SP und SVP zusammen die absolute Mehrheit. Dies ist zugleich die einzige numerisch stabile Koalition aus zwei Parteien. Nur stehen beide Parteien an den politischen Rändern zur Linken und zur Rechten, eine Koalition der beiden Parteien ist daher unwahrscheinlich. Jede andere Koalition müsste sich schon auf drei oder mehr Parteien abstützen. Am ehesten käme eine bürgerliche Koalition SVP-FDP-CVP in Frage.
Nun ist aber mit dem Nationalrat allein kein Gesetz durchzubringen, da der Ständerat gleichberechtigt mitspricht. In diesem haben aber FDP und CVP die grosse Masse der Sitze. Numerisch böte sich dort eine FDP-CVP-Koalition an. Aber wie macht man eine Koalition in der einen Kammer, zu der die Mehrheitsverhältnisse in der andern Kammer genau komplementär liegen?
Genau, Addition ist die naheliegendste Lösung: Man bezieht einfach die je zwei Parteien, die in der einen und der andern Kammern je die Nase vorn haben, in eine Art "Koalition" ein, die dann um die 75% der Wählerstimmen tatsächlich vertritt.
Möchte man diese Koalition verkleinern und die Reihen schliessen, dann käme am ehesten eine bürgerliche Dreierkoalition mit SVP, FDP und CVP in Frage. Die SP müsste dann "Opposition" betreiben. Auf kantonaler Ebene ist der Ausschluss der Linken durchaus schon versucht worden, zeitweilig etwa in Genf. Das hat aber auf Dauer nicht so gut funktioniert, in Genf bspw. wurde es schon bald schwierig, irgendetwas durch die Volksabstimmung zu bringen.
Auf Bundesebene wäre der Ausschluss der SP wohl gleichbedeutend damit, dass wichtige Fragen wie bspw. Steuerpakete nicht mehr durch die Volksabstimmung zu bringen wären. Schon in der Vergangenheit gab es mehrfach Schiffbrüche, wenn nur eine Partei aus dem "Kartell" ausscherte. Das waren ja auch die Gründe, die überhaupt erst dazu geführt haben, dass man diese vier Parteien in die Regierung aufnahm. Stellt man sich ein System vor, bei dem SP oder SVP nicht dem Bundesrat angehören, aber konsequent Opposition bzw. eher sogar Obstruktion betreiben, so werden sich wahrscheinlich keine grösseren Projekte mehr durchbringen lassen. In den vergangenen ca. 3 Jahren haben sich in einigen Fällen bereits die bürgerlichen Parteien auf grössere Pakete geeinigt, etwa Strommarktliberalisierung, Steuerpaket usw., dies jeweils unter Protest der Linken, und prompt sind alle diese Projekte, die unter Ausschluss der Positionen der SP zustande kammen, in der Volksabstimmung gescheitert.
Wollte man also eine der vier Parteien aus der Regierung werfen, ohne massive Probleme zu bekommen, müsste man diese entweder dann doch irgendwie vor wichtigen Abstimmungen wieder mit "ins Boot" holen - aber womit denn, wenn nicht mit einem Anteil an der Regierung? - oder aber das verfassungsrechtliche System irgendwie umbauen, wofür die Mehrheit beim Volk mindestens auf die nächsten zehn Jahre hinaus nicht absehbar ist.
Zwar wird von gewissen politischen Akteuren auf allen Seiten bisweilen mit einem klaren System von Regierung und Opposition geliebäugelt, viel öfter wird es auch theoretisch von Politologen und andern Vordenkern, die in aller Regel null praktische politische Erfahrung aufzuweisen haben, gefordert, doch sehe ich ohne wesentliche Veränderungen der Verfassung und des politischen Rahmens schlicht keine Möglichkeit, wie sich so etwas durchführen liesse.

Noch ein Wort zu Frankreich: Wie die Erfahrung gezeigt hat, ist der Präsident zwar stark, aber bei einer anders gerichteten politischen Mehrheit in der Nationalversammlung nicht mächtig genug, seine Linie durchzusetzen, sondern einen Premierminister dulden zu müssen, der auf die parlamentarische Mehrheit gestützt Entscheidungen durchsetzt. Wenn aber die Mehrheit der gleichen Richtung wie der Präsident angehört, besteht schon ein gewisser Drall hin zum Präsidenten. Das Parlament hingegen ist in diesem Spiel tatsächlich eher untergeordneter Akteur. Der Regierung stehen auch etliche Instrumente zur Verfügung, das Parlament zu disziplinieren und ihm sogar teilweise ihren Willen aufzuzwingen. Das Parlament kann sogar nicht einmal seine eigene Tagesordnung unabhängig von der Regierung aufstellen. Französische EU-Parlamentarier, die auch Abgeordnete auf nationaler Ebene waren, haben sich sogar schon dahingehend geäussert, dass das EU-Parlament, das ja gerade auch in diesem Forum als eher minderwertiger Parlamentsersatz angesehen zu werden pflegt, mehr Rechte und mehr Macht habe als das französische Parlament.
In den USA gibt es ein ähnliches verfassungsrechtliches und politisches Moment wie in der Schweiz: Zwar kann der Präsident weitgehende exekutive Vollmachten nutzen, aber in entscheidenden Fragen ist er auf den Kongress, vor allem auf den Senat angewiesen. Dabei haben nun die Väter der amerikanischen Verfassung Instrumente eingebaut, die konsensbildend wirken bzw. als eigentliche Blockadehebel, wenn auch beiden Seiten der Wille zur Einigung fehlt.
Gegenüber dem Kongress verfügt der Präsident mit dem Veto zwar über einen recht starken Hebel, damit lässt sich aber kein wichtiges Vorhaben durchsetzen. Schon beim Haushalt ist der Präsident auf den Kongress angewiesen und kann ihm nicht einfach etwas Beliebiges vorsetzen. Ohne Zustimmung des Senates kann der Präsident auch keine wichtige Ernennung vornehmen, er muss also seine Minister und die Chefs wichtiger Behörden, Botschafter usw. durch den Senat bestätigen lassen. In der Aussenpolitik ist der Präsident zwar von gewissen verfassungsrechtlichen Schranken, die im Inland gelten, befreit, er kann aber kein Abkommen schliessen, ohne die Zustimmung von 2/3 des Senats zu erhalten. Dies ist eine hohe Hürde, die eine Partei alleine schon durch das Wahlverfahren (Erneuerung alle 2 Jahre zu 1/3) faktisch nie schaffen wird. In der Praxis wird also eine Zusammenarbeit der beiden Parteien bei Fragen der Gesetzgebung, des Haushaltes, bei Ernennungen und Vertragsschlüssen durch die Verfassung erzwungen.
Es wäre natürlich denkbar, dass sich bspw. die zur Zeit in der Minderheit befindlichen Demokraten weigern, irgendwelche Abkommen mit dem Ausland im Senat zu billigen. Das kann sich aber bei den nächsten Wahlen rächen, wird die Stellung der USA in der weiten Welt nicht eben angenehmer machen und vor allem den Republikanern, wenn sie bei einer der nächsten Wahlen in die Minderheit geraten und ein Demokrat Präsident wird, die Rechtfertigung liefern, genauso Obstruktion zu treiben. Nimmt man bspw. an, dass bei einer der nächsten Wahlen ein demokratischer Präsident gewählt wird und dass auch die knappe Mehrheit im Senat zu den Demokraten kippt, dann bleibt aber wahrscheinlich eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus. Mit einem demokratischen Senat kann ein demokratischer Präsident zwar seine Minister ernennen und regieren, aber immer noch kein Abkommen und kein Gesetz gegen den Willen der Republikaner durchpauken. Bleibt den beiden Parteien also eigentlich nur, in der Regel mitzumachen und bspw. bei der Ratifikation von Verträgen, beim Haushalt, bei Ernennungen u. dgl. mitzuwirken und nur in Fällen abzulehnen, in denen krass die eigenen parteipolitischen Positionen verletzt werden, andernfalls riskieren sie, selbst blockiert zu werden, wenn sie in der Mehrheit sind.

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