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Archiv bis 06. Juni 2010

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Bernhard Nowak
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Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 13:43 Uhr:   

@Marc K.:
Die Debatte über eine Direktwahl hier fortzusetzen, bringt nichts. Ich denke, die gegenseitigen Standpunkte sind hier ausgetauscht.
Nochmals eine Anmerkung zur Bundestagsauflösung 2005.
Niemand bestreitet, dass sich Bundespräsident Köhler an das Urteil des Verfassungsgerichtes von 1983 gehalten hat und dass die Auflösung daher verfassungsgemäß war. Die Passage über die diesbezüglichen Anmerkungen und die Auflösungsentscheidung des Staatsoberhauptes 2005 sind daher auch nicht auf Kritik gestoßen. Was allerdings - und m.E. zu recht - auf Kritik gestoßen ist, ist der erste Teil der Rede, die Begründung. Ich zitiere hier aus der Köhler-Biographie von Gerd Langguth, dessen Ausführungen ich hier teile und auf die sich ja auch Volker Zastrow bezogen hat:
"Wenn man den Text der Fernseh- und Rundfunkansprache Köhlers vom 21. Juli 2005 mit der von Karl Castens am 7. Januar 1983 vergleicht, wird man sehen, dass sie...mit einem identischen Satz beginnen. Beide sagten: "Ich habe heute den ...Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen...angesetzt. Der nächste Satz von Karl Carstens lautete jedoch: "Alles, was zu dem Thema im Bundestag gesagt worden ist, habe ich sorgfältig geprüft. Horst Köhler hingegen formulierte: "unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten." Karl Carstens wies eingangs darauf hin, dass er sich mit dem Bundeskanzler, mit den Vorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien und mit den Fraktionsvorsitzenden sowie mit den Präsidenten von Bundestag und Bundesrat und mit weiteren Persönlichkeiten beraten hatte. Nachdem alle im Bundestag vertretenen Parteien - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - Neuwahlen für nötig gehalten und auch die Opposition ungeachtet einiger Vorbehalte gegen den eingeschlagenen Weg keine einwendungen gegen den Wahltermin erhoben hatte, erklärte Carstens: "Zunächst ist es dem Bundespräsidenten nicht möglich festzustellen, aus welchen Gründen der einzuelne Abgeordnete dem Bundeskanzler die Zustimmung versagt hat. Ich halte mich an die öffentlich vorgetragenen Begründungen. Danach haben die Koalitionsparteien der neuen Regierung von vorneherein nur eine sachliche und zeitlich begrenzte Unterstützung zugesagt. Sie haben erklärt, sie wollten zunächst den haushalt nebst einigen dazugehörigen Gesetzen durchbrigen, dann aber Neuwahlen herbeiführen." damit nahm Carrstens auf die offizielle Begründung von Unionsparteien und FDP Bezug, die bei der Koalitionsbildung nur für begrenzte Zeit ein Mandat gehabt hätten, um politische Notoperationen vorzunehmen. Der "Vertrauensbonus" sei nach einigen Monaten aufgebraucht. "Das sind Tatsachen, an denen ich nicht vorübergehen kann. Aus ihnen ergibt sich nach meiner Überzeugung, dass eine handlungsfähige parlamentarische Mehrheit zur Unterstützung der Regierungspolitik nicht mehr vorhanden ist."
Karl Carstens begründete seine Auflösungsentscheidung also ausschließlich juristisch, während Horst Köhler eine politische begründung an den Anfang seiner Erklärung stellte. iele Fernsehzuschauer empfanden Köhlers Rede als politische Abrechnung mit der bisherigen Bundesregierung, zumal sie mit dem Satz endete: "Schauen Sie bitte genau hin. Demokratie heißt, die Wahl zu haben zwischen politischen Alternativen. Machen Sie von Ihrem Wahlrecht sorgsam Gebrauch." Erst nach seiner inhaltichen Begründung befasste sich Köhler mit den juristischen Aspekten. Er brachte nun zum Ausdruck, dass er die Gründefür den vom Kanzler proklamierten Vertrauensentzug bejahe - und das nicht nur mangels gegenteiligen Beweis. In einer "Gesamtabwähgung" kam er "zu dem Ergebnis, dass dem Wohl unserers Volkes mit einer Neuwahl jetzt am besten gedient ist." Wohlgemerkt: Er begründete seine Auflösung des Bundestages in erster Linie nicht mit den formalen Kriterien, also der Frage, ob eine Mehrheit im Bundestag noch Vertrauen zum Bundeskanzler hatte, sondern er begründete es vor allem mit dem "Wohl unseres Volkes, das er zu kennen meinte. Allerdings wies der Bundespräsident unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass eine Auflösung dann möglich ist, wenn die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers "so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine von stetiger Zustimmung der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll verfolgen kann." Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 habe der Bundespräsident, so Köhler, die Einschätzung des Bundeskanzlers zu beachten, es sei denn, eine andere Einschätzung sei eindeutig vorzuziehen.
Horst Köhler musste sich an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 16. Februar 1983 orientieren. Gegen die vorzeitige Auflösung des Bundestages hatten damals vier Bundestagsabgeordnete...geklagt. Im "Leitsatz" zum Urteil des Zweiten Senats sprach das Bundesverfassungsgericht von einer "politischen Leitentscheidung, die dem pflichtgemäßen Ermessen des Bundespräsidenten obliegt." Dies folt aus dem Wortlaut des Artikels 68 des Grundgesetztes, der davon ausgeht, dass der Bundespräsident den Bundestag auflösen "kann", also nicht muss. Das Verfassungsgericht legte 1983 Kriterien für eine vorzeitige Auflösung fest, nach denen eine vorgezogene Wahl keinesfalls dem Belieben eines Kanzlers überlassen ist . Es muss eine Beeinträchtigung oder Lähmung der Handlungsfähigkeit einer Regierung nachgewiesen werden. Dabei wird dem Bundespräsidenten eine Prüfkompetenz zugewiesen. Horst köhler tat sich mit seiner Entscheidung auch deshalb besonders schwer, weil er diese in dem Bewusstsein treffen musste, dass Abgeordnete den Weg zum Bundesverfassungsgericht nicht scheuten und dass sich eine negative Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gegen ihn, den Bundespräsidenten, als Beklagten rihten würde. Allein dies spricht dafür, dass es sich um eine souveräne Entscheidung des Bundespräsidenten handelt, da ja weder die Bundesregierung noch der Bundestag in dieser Frage verklagt werden können, sondern nur der Bundespräsident.
Als Fazit ist festzuhalten: Die Umstände, die zu den vorgezogenen Neuwahlen führten, hätten den Bundespräsidenten auch dazu bewegen können, dem Begehren des Kanzlers nicht nachzukommen und den Bundestag nicht aufzulösen. Köhler machte im wahrsten Sinne des Wortes gute Miene zum bösen Spiel, denn eine prinzipielle und auf Dauer angelegte Handlungsunfähigkeit der Regierung latg nicht vor. Bis zuletzt verabschiedete die rot-grüne Regierungskoalition im Bundestag alle Gesetze mit Mehrheit. Wenn man das Datum des mit dem Bundespräsidenten nicht abgesprochenen Verkündens von sieht, wird man sich dem Argument kaum verschließen können, dass es sich hier um einen gelenkten Akt des Bundeskanzlers handelte. Köhler muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass er zum Spielball der Fraktionen im Deutschen Bundestag gemacht wurde - sowohl vom Bundeskanzler als auch von der damaligen Opposition. Mit der auch für ihn überraschenden Neuwahlankündigung über das Fernsehen wurde er faktisch auf das Ziel vorzeitiger Parlamentsauflösung festgelegt. Anschließend wurde vor sienen Augen die Vertrauensfrage frisiert, die Begründung fingiert und den Koalitionsabgeordneten das passende Stimmverhalten abgetrotzt.
Köhlers Entscheiudng stieß auch wegen der Art seines Vortrages und wegen seiner politischen und weniger juristischen Begründung in den Medien auf erhebliche Kritik. Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee beispielsweise erklärte, er habe eine Rüge des präsidenten wegen dder "eindeutig manipulierten Vertrauensfrage" vwermisst: "Köhler hat zwar davon gesprochen, dass er Kritik und Besorgnisse respektiere, aber er hat den Eindruck erweckt, als ob das alles sonnenklar sei. Es hat ihn nicht einmal gestört, dass Müntefering ihm das Gegenteil von dem versichert hat, was er im Bundestag erklärt hat." Insgesamt sagte Isensee zur vorzeitigen Parlamentsauflösung: "Das war politisches Schmierentheater, das aus Widersprüchen und Lügen besteht. Der Bundeskanzler hat das Misstrauen inszeniert. Er hat den Koalitionsfratkionen das Misstrauen erklärt und wirbt gleichzeitig um Vertrauen für die Fortsetzung dieser Politik." Der Osnabrücker Staatsrechtler Jörn Ipsen hingegen fand die Entscheidung des Bundespräsidenten vertretbar, da sich die von ihm vorgetragenen Argumente "Genau an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1983" orientierten. Köhler hatte für Ipsen den richtigen und vom Verfassungsgericht vorgegebenen Maßstab gewählt. Entscheidend sei, ob der Kanzler noch eine stetige und verlässliche Basis für seine Politik sehe oder nicht.
Natürlich ist auch zu fragen, was gewesen wäre, wenn Köhler Schröders Auflösungsbegehren widersprochen hätte. Nachträglich kann man sagen, dass er in diesem Fall als "starker Präsident" gegolten hätte, weil er sich nicht an den WÜnschen von Regierung und Opposition orientiert hätte. Andererseits hätte er eine bereits im Auflösungsprozess befindliche Regierung zumindest für eine weitere Zeit am Leben gehalten. Möglicherweise wäre der Rücktritt des Bundeskanzlers der nächste Schritt gewesen, dem es ja - wenn man seine Begründung mit dem mangelnden Rückhalt in den beiden Regeirungsfraktionen stimmte - dann kaum noch möglich gewesen wäre, einen ordentlichen Haushalt vorzulegen. Wäre es im Plenum des Bundestages infolge von Schröders Rücktritt zur Wahl eines Nachfolgers gekommen, hätte dieser bis zum Ende der Legislaturperiode noch ein Jahr im Amt sein können. Es wäre sicher zu einer Agonie der Regeirung gekommen. Die vorgezogenen WAhlen hatten übrigens einen Vorteil für Angela Merkel, die anderenfalls viel stärker um die Kanzlerkandidatur hätte kämpfen müssen. Die Ankündigung vorgezogener Wahlen erleichterete es ihr ungemein, nicht nur von der CDU, sondern auch von der CSU als Kanzlerkandidatin in einem schnellen Nominierungsporzess aufgestellt zu werden.
Das Bundesverfassungsgericht verkündete am 25. August 2005 die Rechtmäßßigkeit der Entscheidung Köhlers. in den Leitsätzen zum Urteil wird zwar betont, die "auflösungsgerichtete Vertrauensfrage" sei nur dann gerechtfertigt, "wenn die Handlungsfähigkeit einer parlamentarisch verankerten Bundesregierung verloren gegangen ist." Ob eine Regierung politisch noch handlungsfähigk ist, "hängt maßgeblich davon ab, welche Ziele sie verfolgt und mit welchen Widerständen sie aus dem parlamentarischen Raum zu rechnen hat. Die Einschätzung der Handlungsfähigkeit hat Prognosecharakter und ist an höchstpersönliche Wahrnehmungen und abwägende Lagebeurteilungen gebunden." Auch die Tatsache, dass es drei Verfassungsorgane - der Bundeskanzler, der Deutsche Bundestag und der Bundespräsident - jeweils in der Hand haben, "die Auflösung nach ihrer freien politischen Einschätzung zu verhindern", trage dazu bei, "die Verlässlichkeit der Annahme zu sichern, die Budnesregierung habe ihre parlamentarische Handlungsfähgikeit verloren." Das Urteil wird zur Folge haben, dass künftig Vertrauensfragen leicher herbeigeführt werden können - und hatte ein Aufatmen bei Horst Köhler bewirkt. Er war der Beschuldigte. Hätte das Verfassungsgericht anders entschieden, hätte Köhler dann nicht zurücktreten müssen?

Seit seiner Erklärung zu den Neuwahlen begann sich das Bild Köhlers in den Medien und teilweise auch in der Öffentlichkeit zu wandeln. Sein Ansehensverlust begann nicht erst, wie manche meinen, mit dem Zustandekommen der Großen Koalition, sondern bereits mit seiner von vielen Millionen Menschen beachteten Rede zur Parlamentsauflösun. Die Art und Weise des Vortrags, vor allem die politische Akzentuierung in dieser Erklärung hat viele befremdet. Man kann sich gut vorstellen, was Köhlers juristische Berater alles tun mussten, damit bestimmte juristische Minimalia in den Text seiner Ansprache hineinkamen. Denn nur so konnte seine Auflösungsentscheidung auch vom Bundesverfassungstgericht akzeptiert werden."
Quelle: Gerd Langguth: Horst Köhler. - München: Deutscher Taschenbuch-Verl., 2007, S. 291-296, leicht gekürzt.

Karl Carstens hat sich m.E. völlig korrekt verhalten. Köhler hat sich nicht gescheut, eine ihm politisch unbequeme Regierung indirekt massiv anzugreifen und ein Weltuntergangsszenario in Deutschland als primäre Begründung für die vorzeitige Auflösung des Bundestages heranzuziehen. Denn die - zutreffende - juristische - Begründung folgte erst unter Punkt 2. Schon dies war m.E. nicht richtig und zeugt von einem falschen Amtsverständnis der Rolle des Bundespräsidenten. Ich stimme Gerd Langguth - und Volker Zastrow hier ausdrücklich zu.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:09 Uhr:   

@Bernhard Nowak,

die Beschreibung der Probleme des Landes durch Köhler war und ist inhaltlich zutreffend. Sie selbst schreiben zurecht davon das dies eine politische Entscheidung des Bundespräsidenten ist. Daher darf er sie auch politisch begründen.

"Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee beispielsweise erklärte, er habe eine Rüge des präsidenten wegen dder "eindeutig manipulierten Vertrauensfrage" vwermisst"

Das wäre ein Rüge gegenüber Bundeskanzler Schröder gewesen. Da hätte zurecht das Rot-Grüne Lager ihm Parteilichkeit vorgeworfen.
Isensee mag die Rechtsauffassung vertreten, dass es sich um eine manipulierte Vertrauensfrage handelt. Nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts von 1983 - und Köhler konnte und durfte davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht an diesen festhält (was es ja auch tat - es hat sie sogar eher noch lockerer gefasst) - war es gerade KEINE manipulierte Vertrauensfrage, sondern eine zulässige unechte Vertrauensfrage. Ein (nach Auffassung des BVerfG) ausdrücklich zulässiges Vorgehen des Bundeskanzlers darf der Bundespräsident nicht rügen.

Man kann der Auffassung sein, dass das Bundesverfassungsgericht 1983 und 2005 falsch entschieden hat - das macht ja einen Teil der Staatsrechtslehre -, aber Köhler konnte und durfte vom Bestand der vom BVerfG 1983 aufgestellten Grundsätze ausgehen. Meiner Meinung nach musste er das sogar...

Und einen Satz zum letzten Satz von Köhler: "Schauen Sie bitte genau hin. Demokratie heißt, die Wahl zu haben zwischen politischen Alternativen. Machen Sie von Ihrem Wahlrecht sorgsam Gebrauch."

Ich kann hier keinen Wahlaufruf für eine bestimmte Partei erkennen und herauslesen. Köhler hatte doch zuvor MEHRFACH die Agenda 2010 ausdrücklich gelobt - bekanntlich ein Rot-Grünes Projekt. Dieser Satz ist - wenn man ihn unvoreingenommen betrachtet - nichts anderes als ein Aufruf an die Wähler über ihre Wahlentscheidung nachzudenken und insbesondere nicht verfasssungsfeindliche Parteien zu wählen. Allgemeinen Aufrufe vom Wahlrecht Verantwortungsbewusst Gebrauch zu machen gab es mehrfach in den 90er-Jahren, zu einer Zeit in der rechtspopulistische Parteien im Auftrieb waren.
Und 2005 war erkennbar die linkspopulstische PDS - die ja schon in Westdeutschland Verstärkung durch die WASG bekommen hat (und es war beim Zeitpunkt der Rede schon klar, dass diese gemeinsam antreten) - im Auftrieb. Immerhin wurde die PDS und wird die Linkspartei vom Verfasssungsschutz beobachtet.

Von daher kann man - wenn man seriös argumentiert - dem Bundespräsidenten keinen Wahlaufruf für eine politische Partei unterstellen. Ihm das vorzuwerfen ist schon eine extrem böswillige Argumentation und Unterstellung.....
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:15 Uhr:   

@Marc K.:
Auch hier unterscheiden wir uns in der Bewertung. Ich halte - wie Zastrow und Langguth - den ersten Teil der Rede Köhlers, dieses Horror- oder Untergangsszenario, welches er an die Wand gemalt hat und welches als primäre Begründung für die Auflösungsentscheidung des Bundestages herhalten musste, nicht für zutreffend, was die Auflösungsbegründung anging. Hier hat Köhler persönliche Ansichten über den Zustand des Landes geäußert und als Begründung für die Auflösung des Parlaments herangezogen. Dies stand ihm aber nicht zu. Er hatte zu prüfen, ob er dem Auflösungsbegehren des Kanzlers stattgeben sollte oder nicht und hätte daher den Teil 2 - die juristische Begründung - für seine Auflösungsentscheidung heranziehen können. Die im ersten Absatz geäußerten persönlichen Einschätzungen hingegen können gut und gerne Privatmeinung Köhlers gewesen sein - sie hatten aber in der Begründung der Auflösungsentscheidung nichts zu suchen. Hier hat sich Köhler - mal wieder - als parteiischer Präsident erwiesen. So denke ich.
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Interessierter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:15 Uhr:   

@Marc K.
"der Schweizer Bundesrat ist nicht mit dem deutschen Bundesrat vergleichbar. Der deutsche Bundesrat hat zwar auch exekutive aber überwiegend legislative Kompetenzen. Seine Beteiligung am Erlaß von Rechtsverordnung ist eine legislative Kompetenz, da Rechtsverordnungen Gesetze im materiellen Sinne sind. Das Grundgesetz regelt sie im VII. Abschnitt (Die Gesetzgebung des Bundes) - Rechtsverordnung, Art. 80 GG."

Sie missverstehen mich! Ich meinte damit, dass die BR-Präsidentschaften in beiden Systemen ähnlich vergeben werden. Auch ist der BRP nur der primus inter pares, keineswegs hat er Richtlinienkompetenzen (schon ein unendlich schweres Wort, um eine sehr simple Sache auszudrücken) oder ist die Quelle aller Exekutiven Macht wie in den USA.

@Ratinger Linke
"Ob man auf eine Wahl wegen mangelnder Beteiligung oder wegen vorhersehbarem Ausgang verzichtet, ist ein massiver Unterschied. Beides wird aber normalerweise (und zurecht) nicht als Begründung herangezogen; bei mangelnder Beteiligung gibt es zuweilen sogar Regelungen, nach denen gleich nochmal gewählt werden muss (mit der praktischen Folge noch niedrigerer Beteiligung)."

Ich meinte: Bloß weil die Mehrheit ihr Wahlrecht nicht wahrnimmt, ist es nicht abzuschaffen, da dies das Wahlrecht der anderen Wahlberechtigten genauso verletzten würde, wie im Fall das Mandat dauerhaft an den immer wieder Gewinner zu vergeben.
Aus anderen Gründen, falls es notwendig seinen sollte (zum Sparen...oder Flexibilität) oder die Leute wirklich nicht wählen wollen: Meinetwegen. Aber diese diese Argumentation halte ich für problematisch.

"In der Tat wird der Bundespräsident im Prinzip oft als geistlicher Führer Deutschlands angesehen, und das Amt ist auch tatsächlich dahingehend konzipiert. Zudem hat diese Religion in den letzten Jahren wieder Anhänger gewonnen und kaum noch Konkurrenz durch andere institutionalisierte Religionen."

Da ist natürlich auch was dran. Ein demokratischer Staat muss mE in vielen wesentlichen politischen Fragen schlicht indifferent angelegt sein, um der Regierung und ggf. dem Parlament einen durch Wahl legitimierten Gestaltungsspielraum zu lassen.

Auch braucht ein souveränes Individuum natürlich keinen Super-Onkel der Nation, der ihn bei der Hand nimmt usw., dennoch ist diese Amt mitlerweile zu soetwas wie einem "Moralischen" Amt geworden.

@Wahlwatcher
"Es geht nicht darum, ob der BP selbst auf der Grundlage/dem Boden des Grundgesetz steht (hat wohl niemand behauptet).
Sondern darum, ob seine Interpretation bzw. Meinung über die Bundeswehr dies erfüllt.
Kleiner Unterschied."


Anders gefragt: Ab wievielen verfassungsfeindlichen Positionen würden Sie ein Problem sehen?
In dem Fall ist es natürlich bei weitem nicht so extrem, dass ihn das vorgeworfen würde, aber hier gehts auch ums Prinzip. Ich bleibe dabei: Der Rücktritt ist eigentlich nachvollziehbar, wenn auch weder wünschenswert noch toll.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:22 Uhr:   

@Interessierter,

wenn sie nur den Punkt des rotierenden Vorsitzes meinen haben sie recht. Das ging aus ihren Ausführungen aber nicht hervor.
Ich begrüße es, dass Sie das klargestellt haben...
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:32 Uhr:   

@Bernhard Nowak,

die materielle Auflösungslage lag - nach den Maßstäben des BVerfG - vor. Nach dem Grundgesetz hat dann der Bundespräsident das Recht nach freien Ermessen über die Auflösung zu entscheiden. Das ist eine dezidiert politische Entscheidung, die er daher auch so begründen darf.
Ihnen mag die Begründung nicht gefallen haben, er hatte aber das Recht dazu. Die Aufzählung der Probleme Deutschlands ist inhaltlich zutreffend. Leider ist unser Land nicht im besten Zustand. Köhler war niemand der dies beschönigte. Indem er diese Probleme benannte hat er auch kein Weltuntergangsszenarium an die Wand gemalt. Das wäre der Fall gewesen wenn er sie als unlösbar bezeichnet hätte.
Ich halte vieles was derzeit über Köhler geschrieben wird für nicht berechtigt und für unfair. Ich denke das vieles davon nur erklärbar ist weil er auf diese Art und Weise zurückgetreten ist. Zudem waren Teile des Feuillitons verärgert das 2004 nicht Schäuble nominiert wurde. Das ist alles verständlich, nur ist das keine Rechtfertigung dafür Köhler etwas zu unterstellen, was er als Bundespräsident nie gemacht hat (Wahlaufruf für eine Partei).
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Interessierter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:41 Uhr:   

@Marc K.
"Aus meiner Sicht ist eine Direktwahl sinnvoll wenn der Präsident tatsächlich über substanzielle Kompetenzen verfügt. Ansonsten ist eine Direktwahl überflüssig. Ihre Einführung wäre reine Symbolpolitik"

Wie bereits erwähnt verfügt der BP bereits theoretisch über diese Kompetenzen. Es wäre auch kein Dammbruch, wenn diese vielleicht ein- zweimal angewendet würde.

"Die mögliche Lösung - Direktwahl des Ministerpräsidenten oder Bundeskanzlers - ist aber nicht sinnvoll. Israel hat dieses Experiment in den 90er-Jahren versucht und wieder abgeschafft. Es paßt nicht zu einem Land mit der Tradition einer parlamentarischen Demokratie."

Diese Fälle verhalten sich mW nicht streng analog.
Tatsache ist doch, dass in Deutschland zeitweilig die FDP allein entscheiden konnte, wer die Regierung stellt, damals bei rotgelb, auch wenn die Union die meisten Stimmen auf sich vereinigte. Und genau dieser Zustand kann wieder eintreten.

@Wahlticker
"Gerade im Presseclub wurde Weizsäcker als "Quereinsteiger" benannt. Ich schätze Weizsäcker sehr, aber der Mann war als er Bundespräsident wurde 30 Jahre CDU-Mitglied, davon 18 Jahre Mitglied im CDU-Präsidium, 12 Jahre MdB, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, war Regierender Bürgermeister von Berlin. Die Vokabel "Quereinsteiger" wird wirklich langsam bis zum Unerträglichen überstrapaziert,"

Dies war auch mein erster Gedanke.

@Marc K.
"von Weiszäcker war zudem schon 1974 Bundespräsidentenkandidat. 1984 hat er seine Nominierung von seiner Partei geradezu erpresst. Die Machtversessenheit - die er später mal den Parteien vorwarf - hatte er also selbst gehabt."

Es ist ein Unterschied, ob ein überdehnter bürokratischer Apparat, der sich teilweise in Bürgerferne nur noch von manchen Königshäusern überbieten lassen muss, ein Machtbewusstsein entwickelt oder eine Einzelperson, der mit der Amtszeitbeschränkung in Übrigen bereits Effektiv ein Riegel vorgeschoben wurde.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:44 Uhr:   

@Marc K.:
Nein, der Bundespräsident hatte das Recht, als Begründung für die Auflösung des 15. Deutschen Bundestages ein solches Szenario, m.E. ein unzutreffendes Horror-Szenario, an die Wand zu malen, nicht. Er hatte im Rahmen der vom BVerfG konzedierten "Leitentscheidung" zu prüfen, ob er die Einschätzung des Bundeskanzlers, über keine stabile Regierungsmehrheit mehr zu verfügen, eine andere Einschätzung "eindeutig vorzuziehen" war. Dieses ist die "Leitentscheidung" des Bundespräsidenten, die ihm niemand abnehmen kann. Genau in diesem Rahmen hat Karl Carstens - m.E. vollkommen zutreffend - seine Entscheidung getroffen. Köhler nicht. Köhler hat sachfremde Gründe zur Auflösung des Parlaments aufgeführt. Dass er nicht gesagt hat: ich kann Schröder nicht leiden und möchte gerne Angela Merkel in diesem Amt sehen, verwundert dann beinahe. Was den Wahlaufruf zu einer anderen Partei angeht, so kann man die Schlussworte unterschiedlich deuten. Man kann sie so deuten, wie Sie es tun und keine Wahlempfehlung daraus herauslesen. Man kann aber ebenso - wie Langguth und Zastrow dies tun - eine gehörige Distanzierung von der Bundesregierung und eine indirekte Wahlempfehlung für alternative Parteien daraus herauslesen. Insofern war die Auflösungsbegründung des Präsidenten m.E. "suboptimal", um es vorsichtig auszudrücken. Dies hat mit Schäuble-Präferenzen des Feuilletons überhaupt nichts zu tun. Dies kann man auch in die Kritiken, die über die Amtsführung des zurückgetretenen Bundespräsidenten jetzt geschrieben werden und möglicherweise auch überzogen sein mögen, m.E. nicht herauslesen.
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Interessierter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 14:50 Uhr:   

@Marc K.
"wenn sie nur den Punkt des rotierenden Vorsitzes meinen haben sie recht. Das ging aus ihren Ausführungen aber nicht hervor.
Ich begrüße es, dass Sie das klargestellt haben..."


Und ein rotierender Vorsitzender mit nur formalen Vorrechten. Im Grunde sind alle Bundesräte der Schweig gleichberechtigt und wählen aus ihrer Mitte ein (informelles?) Oberhaupt für eine gewisse Zeit, der ihre Sitzungen leitet. Wäre der Bundesratspräsident irgendwie mit einem Regierungschef vergleichbar, würden Bundesräte systematisch für diesen Posten kandidieren und das Parlament Bundesräte auch ganz anders wählen. Stattdessen ist das schweizerische System sehr auf Konsens ausgelegt und alleingänge sind nicht vorgesehen, weder von den einzelnen "Ministern" (in D haben sie ja in ihren Aufgabenbereichen schon eine große Kompetenz!), noch vom Präsidenten. Das macht einen großen Unterschied. Also nochmal: Die Schweiz kennt keinen Quasi-Monarchischen Präsidenten, wie manche andere Republiken, sondern nur einen Rat Gleichberechtigter, die die Regierung bilden. Einen Exikutivrat.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 15:15 Uhr:   

@Bernhard Nowak,

ich nehme zur Kenntnis, dass Sie seine juristischen Ausführungen für zu knapp gehalten haben. Aber dennoch muss ich Ihnen wiedersprechen, dass dieser Punkt der entscheidende bei der Auflösungsentscheidung ist.
Denn eine Entscheidungsbefugnis hat der Bundespräsident nur, wenn eine materielle Auflösungslage gegeben ist. Ist diese gegeben - was nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgericht von 1983 der Fall war - dann hat der Bundespräsident eine freie politische Entscheidung, ob er auflöst oder nicht. Er fragt sich dann: Ist es staatspolitisch besser einen Antrag des Bundeskanzlers, der ihm plausibel erläutert das er keine stabile Mehrheit mehr im Bundestag hat, zurückzuweisen oder eben stattzugeben und daher den Bundestag aufzulösen. Das ist eine höchtspolitische Entscheidung. Und die darf er daher auch politisch begründen.

1983 war ja die Frage ob eine unechte Vertrauensfrage möglich war, gänzlich offen. Daher ist es verständlich das Carstens fast nur auf diesen Punkt in seiner Rede einging. 2005 war die Lage ganz anders. Durch das Urteil des BVerfG gab es einen Präzedenzfall, der das ausdrücklich bejahte. Daher ist es verständlich, dass der Bundespräsident den Schwerpunkt seiner Rede auf die Gründe legte, die ihn bewegten den Antrag des Bundeskanzlers zur Bundestagsauflösung zu entsprechen (was eben eine politische Entscheidung ist).

Über die Qualität einer Rede kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein. Wenn Sie sagen, dass Sie sie als "suboptimal" bewerten, respektiere ich das. Diese Meinung kann man haben.
Nicht in Ordnung ist es aber dem Bundespräsidenten zu unterstellen das er in der Rede einen Wahlaufruf für eine bestimmte Partei gemacht hat.
Das was er gemacht hat war ein Aufruf überhaupt zur Wahl zu gehen und von diesem Recht "verantwortungsbewusst" Gebrauch zu machen. In den 90er-Jahren wurden solche Aufrufe gemacht mit Blick auf die Erfolge rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Parteien. 2005 war für jedermann erkennbar die linkspopulistische und teilweise linksextreme PDS im Auftrieb. Eine Partei die zudem jede Reformnotwendigkeit bestritt. Köhler hatte stets die Reformnotwendigkeit betont und die rot-grüne Agenda 2010 ausdrücklich gelobt.
Auf diese wie auf andere extreme Parteien war Köhlers Aussage offenkundig gemützt.

"Man kann aber ebenso - wie Langguth und Zastrow dies tun - eine gehörige Distanzierung von der Bundesregierung und eine indirekte Wahlempfehlung für alternative Parteien daraus herauslesen."

Wenn man böswillig ist kann man auch linken Politikern die in den 90er-Jahren mit Blick auf den Auftrieb von rechtspopulistischen Parteien Wahlaufrufe zum "verantwortungsbewussten Gebrauch des Stimmrechts" gemacht haben vorwerfen, dass dies nur Wahlaufrufe für das linke Lager gewesen seien. Seriös ist das aber nicht.
Man sollte Reden schon beim Wort nehmen und nicht einfach etwas unterstellen, was nicht gesagt wurde. Das jeder Politiker selbst eine Meinung hat wissen im übrigen die Wähler sehr genau. Und das Köhler eine Präferenz für die CDU hat, Rau für die SPD, usw. usw. weiß ja nun wirklich jeder. Das macht aber einen Aufruf zum "verantwortungsbewußten Gebrauch des Wahlrechts" nicht zum Wahlaufruf für eine Partei. Das zu behaupten erfordert schon eine rabulistische Argumentationsweise. Wenn man diese anwendet, könnte man, wenn man die Reden der Bundespräsidenten durchforstet, bei jedem einen Wahlaufruf für seine Partei konstruieren. Das zu behaupten ist daher weder seriös noch fair.
Der Satz "gehen sie zur Wahl und nehmen Sie von Ihrem Wahlrecht verantwortungsbewußt Gebrauch" ist ein absoluter politischer Standardsatz. Hätte er diesen nicht gesagt wäre das äußerst merkwürdig gewesen. Aus diesem Satz "Parteilichkeit" und eine Wahlaufruf für eine Partei zu konstruieren ist schon ziemlich grotesk.

(Beitrag nachträglich am 06., Juni. 2010 von Marc editiert)
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 15:29 Uhr:   

@Marc K.
Dem Bundespräsidenten steht eine politische Leitentscheidung zu: zu prüfen, ob der Entscheidung des Bundeskanzlers, den Bundespräsidenten nach abgelehnter Vertrauensfrage um die Auflösung des Bundestages zu bitten, eine alternative Einschätzung "eindeutig" vorzuziehen ist. Die materielle Voraussetzung - abgelehnte Vertrauensfrage - war gegeben. Politisch war der Bundespräsident frei, dieser Vertrauensfrage zu entsprechen oder nicht, dies war seine Leitentscheidung. Dies hatte er zu begründen. Der Zustand des Landes hatte mit dieser Frage nichts zu tun und gehörte hier nicht hinein. Dies war parteipolitisches Gesülze, mehr nicht. Dass im Rahmen dieser Ausführungen auch ein relativ harmloser Schlusssatz weitergehend interpretiert wird - und die Interpretationen von Langguth und Zastrow sind Interpretationen, mehr nicht - ist angesichts der Ausführungen im ersten Teil des Präsidenten nachvollziehbar. Ich selber teile diese Interpretation nach längerem Nachdenken nicht und geben Ihnen hier recht; nicht aber im ersten Teil; der Bundespräsident hat zwei Schritte nach der verlorenen Vertrauensfrage durchzuführen:
1.) Er hat zu prüfen, ob die Vertrauensfrage fingiert ist oder nicht, dies ist eine Frage, ob die materiellen Voraussetzungen zur Auflösung gegeben sind oder nicht.
2.) Er hat politisch eine Entscheidung zu treffen, ob er nach den gegebenen materiellen Voraussetzungen - ob also die Einschätzung des Bundeskanzlers aus dessen Sicht stimmig ist - eine andere Einschätzung der Einschätzung des Bundeskanzlers "eindeutig vorzuziehen" ist. Und dies ist - wie es Karl Carstens vorexerziert hat - eine juristische Entscheidung - nichts anderes. Alles andere geht über diese Kompetenzen hinaus. Die Beschreibungen zum Zustand war die - zulässige - Privatmeinung Köhlers zum Zustand des Landes. In der Auflösungsbegründung hatte sie nichts zu suchen; hier hat der Präsident m.E. seine Komptenzen eindeutig überschritten.
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Silencio
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 15:32 Uhr:   

@Bernhard Nowak:

"Schlimmer als der Vorgang selbst war Köhlers Begründung dafür, dass er dazu die erforderliche Unterschrift gab. Er berierf sich nämlich auf eine halb ökonomische, halb staatspolitische Krise, eine Art allgemeinen Notstand, und legitimierte die Auflösung des Bundestags in den Mustern präsidialer Notwverordnung. Es gibt kaum etwas, das die Väter und Mütter des Grundgesetzes dringlicher hatten verhindern wollen;"

Gab es eigentlich dazu eine Art Verfassungsklage gegen diese Entscheidung? Kann man überhaupt gegen ein Misstrauensvotum klagen, wenn die Begründung fragwürdig ist?
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Wahlticker
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 15:40 Uhr:   

Gabs anscheinend siehe hier http://de.wikipedia.org/wiki/Urteil_des_Bundesverfassungsgerichts_zur_Vertrauensfrage_2005
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 15:47 Uhr:   

@Bernhard Nowak,

"Politisch war der Bundespräsident frei, dieser Vertrauensfrage zu entsprechen oder nicht, dies war seine Leitentscheidung."

Genauso ist es. Und diese Meinung darf er dann auch politisch begründen. Aber eines muss ich dann doch sagen: Das der Zustand des Landes und die Politik nichts miteinader zu tun haben, wollen Sie doch nicht ernsthaft behaupten?

Ich fasse jetzt mal zusammen, wie ich als Bürger die Rede von Köhler verstanden habe:

"Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten."

Ich fasse das in meinen Worten mal zusammen:
Unser Land steht vor gewaltigen Herausforderungen. In dieser Zeit brauchen wir eine handlungsfähige Regierung. Der Bundeskanzler hat mir - dem Bundespräsidenten - mitgeteilt, dass er nicht mehr über das stetige Vertrauen der Parlamentsmehrheit verfügt. Ihm werde mit abweichenden Abstimmungsverhalten und sogar mit Parteiaustritten gedroht. Daher hat er um Neuwahlen ersucht. Nach Überlegung bin ich - der Bundespräsidtent - zum Entschluss gekommen den Bundestag aufzulösen, damit es nach Neuwahlen zu einer stabilen Regierungsbildung kommt (und eine Hängepartie von einem Jahr, in der die Regierung (nach eigenen Aussagen des Bundeskanzlers) kaum noch handlungsfähig wäre zu vermeiden).
Und dann zum Abschluss der Aufruf zur Wahlteilnahme und zum verantwortungsbewussten Gebrauch des Wahlrechts (indirekte Warnung vor Extremisten und Populisten).

Ich kann daher in dieser Rede weder einen Wahlaufruf noch eine sonstige Parteinahme erkennen. Ob es eine gute Rede war oder nicht, darüber kann man streiten. Aber der Vorwurf sie enthalte einen "Wahlaufruf für eine Partei" ist völlig unberechtigt und auch unfair.

(Beitrag nachträglich am 06., Juni. 2010 von Marc editiert)
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 16:04 Uhr:   

@Marc K.:
Wenn der Bundespräsident es so gesagt hätte, wie Sie es in Ihren eigenen Worten sagen, dann hätte nichts gegen eine solche Begründung gesprochen. Denn hier wäre der Zusammenhang zwischen der Einschätzung des Kanzlers, über keine handlungsfähige Regierung zu verfügen mit der Auflösungsentscheidung des Bundespräsidenten verdeutlicht worden. Ein Zusammenhang zwischen der Einschätzung des Kanzlers und der Auflösungsentscheidung des Präsidenten - und dies ist eine politische Entscheidung - wäre offensichtlich gewesen.

Dies geht aber aus den Worten Köhlers, die sie oben zitieren, nicht hervor. Hier wird der amtierenden Regierung ein Problemstau indirekt zum Vorwurf gemacht und dieser Handlungsunfähigkeit in Bezug auf die Lösung dieser Probleme vorgeworfen. Hier wird - im Gegensatz zu Ihrer eigenen Formulierung unten - die Regierung indirekt attackiert, während die untere Formulierung neutraler gehalten ist und auf die Einschätzung des Kanzlers Bezug nimmt. Eine solche Formulierung hätte doch niemals Anstoß erregt.

Anstoß erregt aber, dass bei der obigen Formulierung dem Kanzler indirekt Handlungsunfähigkeit ungeachtet der Stabilität oder Instabilität der Mehrheitsverhältnisse vorgehalten wird. Mit anderen Worten: selbst wenn Schröder in Bundestag und Bundesrat im Mai 2005 eine stabile Mehrheit gehabt und keinen Anlass zum Stellen der Vertrauensfrage gehabt hätte, hätte ihm der Bundespräsident mit dieser Rede Handlungsunfähigkeit unterstellt. Und dies ist ein Unterschied. Mir ist nicht einmal klar, ob dieser Unterschied Köhler und seinen Beratern bewusst war. Aber erweckte auf mich - und ja nicht nur auf mich, ich habe oben ja nur Langguth und weiter oben Zastrow zitiert - einen "unguten" Eindruck. Und ich hoffe, dass wir in Zukunft - egal ob mit Wulff oder - unwahrscheinlicherweise - mit Gauck einen Präsidenten bekommen, der seine parteipolitischen Präferenzen nicht so deutlich in seinen Reden ausdrückt und hier in der Tat "über den Parteien" steht.
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Silencio
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 16:08 Uhr:   

Ups...ja, jetzt wo ichs lese, erinnere ich mich auch wieder...tsts, ich sollte mein Gehirn mal auf Demenz abklopfen. Danke für den Link.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 16:16 Uhr:   

@Bernhard Nowak,

wir bewerten die Rede offensichtlich anders.
Ich fand es in Ordnung das Köhler deutlich auf den Problemstau aufmerksam gemacht hat. Sie interpretieren das als einseitige Kritik an der Regierung. Man kann es aber auch ganz anders interpretieren - nämlich als Kritik an der politischen Klasse insgesamt. Er hat ja vom Bund und den Ländern gesprochen, er hat die gegenwärtige Struktur der föderalen Ordnung als überholt (also dringend reformbedürftig) bezeichnet (2006 gab es dann ja auch eine Föderalismusreform). Das die Geburtenrate zu niedrig ist, ist ein Problem seit Jahrzehnten. Er hat die Probleme benannt, aber nicht jemanden die Alleinschuld zugesprochen. Er hat von der politischen Klasse allgemein eingefordert die Lösung der Probleme anzugehen. So interpretiere ich die Rede.
Wenn man natürlich die Rede schon mit dem Vorurteil liest der Präsident agiere und rede völlig parteiisch wird man diese anders interpretieren. Aber selbst dann ist für mich der Versuch dem Bundespräsidenten eine Wahlaufruf für eine Partei zu unterstellen nicht nachvollziehbar und nicht gerechtfertigt.
Köhler hat in seiner Amtszeit auch immer wieder erhebliche Kritik aus den Reihen der Union erfahren (etwa wegen der Nichtausfertigung von Gesetzen). Ihn als "parteiischen Präsidenten" darzustellen finde ich daher ungerecht.

Wenn man seine Amtsführung als "schwach" bezeichnet, dann akzeptiere ich diese Meinungsäußerung. In Bezug auf seine erste Amtszeit teile ich sie allerdings nicht. Er hat meiner Ansicht nach sein Amt in der ersten Amtszeit ordentlich ausgeübt.


(Beitrag nachträglich am 06., Juni. 2010 von Marc editiert)

(Beitrag nachträglich am 06., Juni. 2010 von Marc editiert)
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 16:37 Uhr:   

@Bernhard Nowak:
"Niemand bestreitet, dass sich Bundespräsident Köhler an das Urteil des Verfassungsgerichtes von 1983 gehalten hat und dass die Auflösung daher verfassungsgemäß war."

Doch, Jentsch bestreitet das (und ich auch). Selbst die Mehrheit des zweiten Senats hat nicht gesagt, dass die Auflösung verfassungsgemäß war, sondern nur, dass das vom Bundesverfassungsgericht nicht geprüft wird.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 16:48 Uhr:   

@Ratinger Linke:
Na ja, dies ist doch so nicht haltbar. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Bundestagsauflösung 2005 für verfassungswidrig, also nicht mit der Verfassung vereinbar, erklärt hätte, wäre der Bundestag nicht aufgelöst worden, die Auflösungsanordnung wäre zurückgenommen worden. Sie hat sie als nicht verfassungswidrig - und damit als vereinbar mit dem Art. 68 GG - erklärt. Im übrigen halte ich Jentschs Argumentation für falsch, da er nicht plausibel begründet, warum er Kohls Vorgehen 1982 und Carstens Auflösung von 1983 für verfassungsgemäß, Schröders Vorgehen 2005 aber verfassungswidrig findet. Daher hielt und halte ich Jentschs Begründung für falsch.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 06. Juni 2010 - 17:01 Uhr:   

@Ratinger Linke,

ich halte es für kaum begründbar, dass man auf der einen Seite für 1983 eine materielle Auflösungslage annimmt, aber andererseits im Jahr 2005 nicht.
Aus meiner Sicht lässt sich dies in beiden Fällen nur mit der Einschätzungsprärogative des Bundeskanzlers begründen. Und die ist - aus meiner Sicht - weder im einen noch im anderen Fall völlig unplausibel. Objektive Anhaltspunkte gab es auch 2005 - etwa die Drohung von abweichenden Abstimmungsverhalten von Bundestagsbbgeordneten, Enthaltungen bei einigen Abstimmungen, usw.

Das Bundesverfassungsgericht hat das im Ergebnis mit 7-1 ja auch so gesehen. Eine Richterin war ja sogar der Auffassung, das nur eine rein formale Prüfung erfolgen könne. Diese Ansicht weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem angelsächsischen Grundsatz "parliament can do no wrong" auf. In der Tat ist eine "Motivforschung" für das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten wie sie die Mehrheitsmeinung - wenn auch nur eingeschränkt - vornmimmt, nicht ganz unproblematisch.

Ich muss auch Ihrer Aussage widersprechen, dass Bundesverfassungsgericht prüfe nicht die Verfassungsmäßigkeit.
Das Mehrheitsvotum hat klar erklärt: "Die Anträge sind unbegründet. Die Anordnungen des Bundespräsidenten vom 21. Juli 2005, den 15. Deutschen Bundestag aufzulösen und die Wahl auf den 18. September 2005 festzusetzen, verstoßen nicht gegen das Grundgesetz."

Recht folgt einem dualen Schema: rechtmäßig-rechtswidrig (hier verfassungsgemäß-verfassungswidrig). Das Mehrheitsvotum hat den Antrag der Bundestagsabgeordneten als unbegründet zurückgewiesen - nicht als unzulässig.
Die Frage nach dem Prüfungsumfang ist - gerade in diesem Fall - eher eine der nach der Praktikabilität.

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