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Archiv bis 04. Januar 2010

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Landtagswahlen in Deutschland » Ministerpräsidentenwahl und Regierungsbildung in Hessen » Archiv bis 04. Januar 2010 « Zurück Weiter »

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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 10. Februar 2009 - 00:27 Uhr:   

@Ralf:
Natürlich hat sich die CDU - sicherlich aus ihrer Sicht zu recht - darüber aufgeregt, dass sich die SPD bei der Wahl von Frank Lortz - der den Wahlkreis 46 Offenbach-Land III vertritt, zu dem auch Rödermark gehört - zum Landtagsvizepräsidenten enthalten hat und nicht seiner Wahl zustimmte. Aber dies ist ein legitimer Weg, wenn sich eine Partei nicht in ihrer Fraktion einigen kann, in einem solchen Fall sich zu enthalten.

Daraufhin stellte aber die CDU den Antrag (es war also kein "Gefallen" von der SPD), dem bereits gewählten Landtagsvizepräsidenten von der SPD die Funktion - und damit die Privilegien - als erster Stellvertreter des Parlamentspräsidenten abzuerkennen, obwohl die SPD nach der CDU die zweitstärkste Fraktion stellt - auch wenn ihre Mandatszahl stark reduziert wurde.

Natürlich kann die CDU dies beantragen - und die FDP dem zustimmen - wenn dies aber die Brücken zur Opposition sein sollen, die Ministerpräsident Koch im Landtag nach seiner Wiederwahl als Ministerpräsident angekündigt hat, dann weiß ich nicht, was Brücken sein sollen.
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 10. Februar 2009 - 14:34 Uhr:   

@Bernhard:
> Aber dies ist ein legitimer Weg ...
Sicher ist das legitim.
Und die Retourkutsche der CDU ist auch legitim.

Eine Brücke braucht halt zwei Enden - und in diesem Fall scheint es an beiden Enden kein wirkliches Interesse zu geben.

"Moralisch" gesehen sehe ich da nichts Aufregendes.

Aber taktisch gesehen war das dumm von der SPD, denn sie ist in der schwächeren Position und mehr auf ein Entgegenkommen der Mehrheit angewiesen als umgekehrt.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 09. August 2009 - 20:02 Uhr:   

Die FAZ-Sonntagszeitung berichtet, die sogenannten SPD-"Abweichler" hätten im Sommer 2008 aus freien Stücken angeboten, Frau Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen.
FAZ-Bericht
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 09. August 2009 - 20:04 Uhr:   

Einzelheiten des Berichtes, basierend auf dem neuen Buch des FAZ-Redakteurs Volker Zastrow, finden sich hier:
Zastrow-Bericht
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 16. August 2009 - 21:12 Uhr:   

Das ist ja eine hanebüchene Verschwörungstheorie, die Zastrow da zusammenbastelt.
Aber der Zeitpunkt für die Veröffentlichung ist geschickt gewählt, das Buch wird sich verkaufen.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 18. August 2009 - 20:28 Uhr:   

Ich habe das Buch jetzt gelesen. In der Tat differenziert Zastrow zwischen Dagmar Metzger und Silke Tesch auf der einen Seite sowie Jürgen Walter und Carmen Everts auf der anderen Seite. Fazit seiner Darstellung: während Metzger und Tesch grundsätzliche Bedenken gegen die Tolerierung der rot-grünen Regierung durch die Linkspartei hatten und aus diesen Gründen Frau Ypsilanti die Stimme verweigerten, hätten Jürgen Walter und die mit ihm verbundene Carmen Everts Frau Ypsilanti erst gestürzt, als sie Jürgen Walter das Wirtschaftsministerium verweigert habe. Allerdings geht aus dem Buch hervor, dass Hermann Scheer bereit gewesen sein soll, die Abteilung "Raumordnung" des Wirtschaftsministeriums an ein erweitertes - von Walter geführtes -Verkehrsministerium abzugeben. Walter wäre dann für den Flughafen zuständig gewesen. Walter habe zwei Ziele verfolgt - so Zastrow: er habe sich an Ypsilanti wegen seiner Niederlage an Rotenburg "rächen" wollen und gleichzeitig das Wirtschaftsministerium erlangen wollen. Wie dies beides zusammenpassen soll, darauf bleibt Zastrow eine Antwort letztlich schuldig. Interessant ist seine an Paulus und Luther angelehnte Analyse des Gewissensbegriffes. Er macht klar, dass Abgeordnete ja dem Parlament, also einem Staatsorgan angehören, und deshalb von ihrer Partei nicht wegen ihrer Gewissensentscheidung zum Mandatsverzicht auffordern können.

Hanebüchen erscheint allerdings die Aufstellung der Listenkandidaten in der hessischen SPD, wie sie Zastrow schildert. Anstatt die "Flügel" gleichermaßen auf der Landesliste abzusichern, habe Ypsilanti - zumindest im Raum Frankfurt - dafür gesorgt, dass Abgeordnete des linken Flügels die sicheren Listenplätze ergattert hätten. Die dem pragmatischen "Aufwärts"-Flügel angehörenden Abgeordneten - u.a. Tesch, die diesen Flügel gegründet hat, Everts und Dagmar Metzger - kamen alle über Direktmandate ins Parlament, Frau Tesch wurde sogar 2008 um 25 Plätze gegenüber ihrer ersten Kandidatur zurückgesetzt - offenbar, weil sie mit Ypsilantis Linkskurs nicht einverstanden gewesen sei.
Insofern habe Ypsilanti die restliche Fraktion de facto in "Geiselhaft" genommen, so Zastrow: denn bei Neuwahlen wären nur die ersten 25 Listenplätze abgesichert gewesen - überwiegend mit Kandidaten aus dem linken Parteiflügel besetzt.

Allerdings wird deutlich - und dies wurde ja inzwischen auch bestätigt - dass es ein Treffen zwischen Frau Tesch und Regierungssprecher Dirk Metz zehn Tage vor der Ministerpräsidentenwahl gegeben haben soll. Zastrow sagte im Interview im Hessischen Rundfunk - der bei Zastrow nicht gut weggkommt, er habe einseitig gegen die "Abweichler" - er vermute, dass die Landesregierung über die Absichten der Abweichler möglicherweise informiert worden sei, wenn er dies auch nicht belegen könne. Belegbar sei nur das Treffen zwischen Silke Tesch und Dirk Metz, was nicht ausschließe, dass es weitere Treffen gegeben habe.

Insgesamt kommt die hessische SPD-Spitze sehr viel "negativer" weg - vor allem in der aus meiner Sicht beschämenden Beschreibung der Art und Weise, wie Frau Metzger von den Funktinären verfassungswidrig nach ihrer Ankündigung, Frau Ypsilanti nicht ihre Stimme zu geben, unter Druck gesetzt wurde.

Allerdings kommt auch Jürgen Walter und Carmen Everts sehr schlecht weg. Ihnen sei es nicht um Grundsätze gegangen, sondern letztlich nur darum, Ypsilanti abzustrafen, weil Walter nicht Wirtschaftsminister geworden sei. Everts und Walter hätten nach der Entscheidung Kochs, das Gesetz über die Rücknahme der Studiengebühren nicht zu unterschreiben, Frau Ypsilanti dazu aufgefordert, es mit der Linkspartei zu versuchen - und Koch habe dies sogar gewollt, weil er damit gerechnet habe, Ypsilanti werde bei einem zweiten Versuch scheitern. Zastrow hält eine Absprache zwischen Koch und Walter in dieser Hinsicht für möglich, d.h. es könne sein - genau könne er dies nicht sagen, Politiker hätten immer mehrere Optionen (so im Interview mit dem HR zu seinem Buch) - dass Walter Ypsilanti bewußt in die Falle gelockt habe, um sich an ihr zu rächen. Auf jeden Fall habe Walter selber Ypsilanti die Stimme geben wollen und dies über Handykameras und Ehering dokumentieren wollen, um seine Chancen, Nachfolgerin einer gescheiterten Ypsilanti zu werden, nicht zu verspielen. Die "Drecksarbeit" - Ypsilanti scheitern zu lassen - hätten dann "andre" begangen. Allerdings ergibt sich für mich darin ein Widerspruch: wenn Walter wirklich Wirtschaftsminister im Kabinett Ypsilanti werden wollte, dann durfte sie ja nicht scheitern. Mögliche Erkärung - die Zastrow aber nicht bietet - wäre: Walter wußte von der Absicht von Frau Tesch, die Ende August - so Zastrow - entschieden habe, Ypsilanti die Stimme zu verweigern. Dann hätte es schon damals keine Ypsilanti-Mehrheit gegeben. Außerdem verdächtigt Zastrow Walter, die Information über die Absicht von Frau Metzger, Frau Ypsilanti nicht zu wählen, vor dem Gespräch zwischen Frau Metzer und Frau Ypsilanti im März 2008 an die Presse - die Süddeutsche Zeitung - weitergegeben zu haben und andere Politiker benannt habe, die dies getan hätten.

Na ja, es ist vieles von dem Buch nicht beweisbar. In jedem Fall wollte Zastrow wohl eine "Heldengeschichte" schreiben und stellte am Ende fest, dass es lediglich zwei Helden gab: Metzger und Tesch. Vor allem Tesch`s Lebens- und Leidensgeschichte, die in dem Buch ausgebreitet wird, überzeugt und man kann nach dem schweren Leiden von Frau Tesch die Äußerung der SPD-Politikerin Nießen, den "Abweichlern" sollten "die Beine abfaulen" (für die sich Frau Nießen allerdings mittlerweile entschuldigt hat), nur verdammen. Es ist schlimm, dass solche Zustände in einer demokratischen Volkspartei offenbar möglich waren oder sind, auch wenn man die Wut vieler Delegierter, die ihre Absicht durch die Vier durchkreuzt sahen, die SPD wieder an die Macht zu bringen, auch nachvollziehen kann. Doch diese Enttäuschung rechtfertigt nicht die Mittel, den Psychoterror, der von Funktionären der SPD auf Frau Metzger ausgeübt wurde.

Für mich bleibt als Fazit des Buches stehen: für mich hat einzig Frau Metzger vollkommen "ehrlich" gehandelt, denn sie hat rechtzeitig erklärt, dass sie Frau Ypsilanti nicht wählen werde. Zumindest bei Jürgen Walter und Carmen Everts bleiben nach der Lektüre des Buches aus meiner Sicht Zweifel an ihren Absichten offen. Aber ein sehr spannendes und m.E. auch lesenswertes Buch.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 18. August 2009 - 20:50 Uhr:   

Unter dem Titel: "Mimikry um Ypsilanti" hat Hermann Scheer, der von Ypsilanti nominierte Wirtschaftsminister, mittlerweile in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" seine Sicht der Dinge über die Gründe des Scheiterns von Frau Ypsilanti veröffentlicht. Sein Beitrag ist hier nachlesbar:
http://www.hermannscheer.de/de/images/stories/pdf/artikel_09-01-27-die%20bl%E4tter-ypsilanti.pdf
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 18. August 2009 - 21:29 Uhr:   

Es gibt einige Widersprüche zwischen Scheer und der Darstellung von Zastrow. Am wichtigsten scheint mir, dass nach Zastrow Ministerpräsident Koch Frau Ypsilanti am 04. März 2008 definitiv angeboten haben soll, auf sein Amt als Ministerpräsident in einer großen Koalition zu verzichten. Allerdings müsse die CDU in einer großen Koalition den Ministerpräsidenten stellen. Dies habe Ypsilanti abgelehnt und dieses Amt kategorisch für sich beansprucht, da sie die Wahlen gewonnen habe. In dem oben geposteten Artikel erklärt Hermann Scheer allerdings, ein solches Angebot Kochs - auf sein Ministerpräsidentenamt in einer großen Koalition zu verzichten - habe es nie gegeben. Scheer betont in seinem obigen Artikel die Rolle der "Verweigerungshaltung" der FDP, die niemals eine Ampelkoaliton angestrebt habe, weil sie frühzeitig auf Neuwahlen und auf eine dann folgende Mehrheit von Union und FDP gesetzt habe, eine Strategie, die dann ja auch aufgegangen sei. Ypsilanti hätte nach dem Scheitern der Gespräche mit der FDP sofort Neuwahlen verlangen und mit einer Mehrheit den Landtag auflösen sollen, um ihr Wahlversprechen nicht zu brechen. Dies sei aber am Widerstand innerhalb der SPD, die keine erneute Wahl wollte, gescheitert. Ob Ypsilanti diesen Weg wirklich erwogen hat, bleibt bei Scheers obiger Darstellung m.E. offen.

Zastrow geht auf die Rolle der FDP in seinem Buch kaum ein. Er erwähnt allerdings eine Beobachtung von Frau Tesch, nachdem Frau Ypsilanti schon im Jahre 2006, nach ihrer Wahl zur SPD-Landesvorsitzenden von Hessen, Sympathie für die Linke bzw. die damalige WASG gezeigt haben soll. Die Schlussfolgerungen wären dann natürlich diametral unterschiedlich. Bei Scheer ergibt sich, dass es ein Fehler Ypsilantis gewesen sei, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei vor der Wahl auszuschließen. Dies sei gemacht worden, weil man gehofft habe, die Linkspartei unter 5% zu halten und um die innerparteliche Geschlossenheit der SPD zu wahren.

Bei Zastrow stellt sich im Lichte der Tesch-Äußerung Frau Ypsilantis Verhalten anders da. Sie habe Wähler und Partei irre geführt, da sie eine Ampelkoalition niemals gewollt habe. Bei Scheer ergibt sich, dass nach der "Verweigerungshaltung" der FDP bei den großen programmatischen Unterschieden zur CDU die Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Landtag der einzig für Ypsilanti mögliche Weg gewesen sei. Alternativen - außer einer sofortigen Neuwahl ohne eine Festlegung, künftig nicht mit der Linken nicht zusammenarbeiten zu wollen - habe es für Ypsilanti nicht gegeben.

In der Beurteilung von Walter und seinen Motiven sind sich Zastrow und Scheer wiederum einig.

Neue Informationen als die, die in diesem Thread bereits gesammelt wurden, ergeben sich demzufolge m.E. nicht.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 18. August 2009 - 23:17 Uhr:   

Das haben wir letztes Jahr ausgiebigst diskutiert, harte Fakten bietet Zastrow offenbar eher wenig.

Ich halte es für ziemlich abwegig, Y als Opfer einer Intrige zu sehen, selbst wenn Walter und Everts wirklich Y eine Falle stellen wollten (was ich nicht glaube). Eine Falle zu stellen ist das eine, grob fahrlässig reinzutappen das andere. Y wußte, daß sie die Stimmen aller 56 rot-rot-grünen Abgeordneten außer Metzger brauchte und daß die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns sehr hoch war. Warum sonst hat man denn wohl den ersten Anlauf abgeblasen, als Metzger sich gegen die Linksfront stellte? Es ist ja nicht einmal sicher, daß nur die vier gegen die Linksfront waren, nicht unwahrscheinlich, daß in geheimer Wahl weitere nicht für Y gestimmt hätten.

Außerdem war es ja nun keineswegs so, daß es einer Intrige bedurft hätte, um Y in Bredouille zu bringen. Ihr stand das Wasser bereits bis zum Hals. Wir waren uns hier ja bereits vor dem 2. Anlauf darin einig, daß sie so gut wie erledigt sei. Sie hatte damals nur zwei Optionen:

1. MP-Wahl riskieren trotz des froßen Risikos,
2. abwarten, was Gras über die Sache wachsen lassen, auf günstige Gelegenheit warten für eine Neuwahl

Letztlich wählte sie Option 1, das Ergebnis ist bekannt. Option 2 hätte aber auch wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Denn auf eine günstige Ausgangslage hätte sie vielleicht Jahre warten müssen, mindestens ein gutes Jahr bis nach der Bundestagswahl, wie wir inzwischen wissen. Dafür hätten dann im linken Lager alle die Nerven haben müssen. Spätestens nach einigen Monaten hätte die eigene Partei so starken Druck auf sie gemacht, es doch zu versuchen, daß sie sich kaum hätte entziehen können. Vor allem aber hätten die Grünen und Linke kaum so lange warten wollen. Die SPD konnte eine Neuwahl allein nicht verhindern. Daß die Grünen nach dem Scheitern des 2. Anlaufs für die Neuwahl eintraten, war dann auch entscheidend dafür, daß es zur Neuwahl kam.

Ergo: Ypsilanti konnte bereits nach ihrem publik gemachten Wahlbetrug und Metzgers Nein kaum noch ihrem politischen Ende entrinnen, nur sehr viel Glück hätte sie noch retten können (z.B. eine große Affäre bei der Hessen-CDU). Sie war Anfang März praktisch erledigt und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der Sarg zugeklappt wird. Das haben Walter und Everts allenfalls etwas beschleunigt. Ypsilanti als Opfer einer Verschwörung, das ist natürlich etwas, woran die SPD-Linken gerne glauben werden. Solche Mythenbildung dürfte das Wahlvolk aber kaum interessieren.
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 19. August 2009 - 10:26 Uhr:   

Man sollte nicht übersehen: ALLES, was Zastrow über Walter/Ewerts angeblichen Pläne und Motive schreibt, ist reine Vermutung. Er hat keinen einzigen Beleg, keine einzige Aussage, überhaupt keine neuen Aspekte - er erfindet letztlich einen Ablauf, den er persönlich für denkbar und plausibel hält.
Wobei die Plausibilität schon recht wacklig ist, siehe die von Bernhard aufgezeigten Widersprüche.

Ich halte es generell für wenig sinnvoll, im Chaos der ganzen Abläufe zwischen Wahl und Neuwahl eine große zugrundeliegende Intrige oder einen Masterplan zu vermuten. Letztlich haben fast alle Beteiligten (Metzger ausgenommen) mehr oder weniger schlau auf die jeweilige Situation reagiert, dabei manche Schleifen und Wendungen hingelegt und wurden von unerwarteten Wechselwirkungen überrascht.
Und irgendwie stelle ich mir das Ergebnis einer so genialen Riesen-Intrige nicht so vor, daß der Urheber am Ende erfolgreich in der Ecke sitzt und seine komplette politische Zukunft versemmelt hat.

Daß Koch intern seinen Rücktritt angeboten hat, wird sich natürlich nicht beweisen lassen. Aber dazu habe ich jetzt schon genug glaubwürdige Berichte aus CDU und SPD gehört, daß ich das glaube, es paßt auch plausibel in die damalige Situation. Und dies abzulehnen war einer der großen strategischen Fehler Ypsilantis. Sie hatte letztlich keine echten Alternativen, und wäre auch als Partei- und Fraktionsvorsitzende mächtig genug gewesen. Aber die blinde Gier halt.

Wenn das stimmen soll, was Scheer über die Neuwahlpläne erzählt, dann muß das eine höchst geheime Kommandosache gewesen sein, die im wesentlichen Y und er mit ihrem Badezimmerspiegel diskutiert haben. Es gab dazu nie auch nur den Hauch eines Gerüchts, und auch keine Äußerungen oder Aktionen, die zur Vorbereitung eines solchen Plans hätten dienen können.
Auch die restlichen Ausführungen Scheers überzeugen nicht. Sie bestehen ja wesentlich aus den Themen "Andere haben doch auch gelogen, wieso wird uns das übel genommen?" und der völlig hanebüchenen Behauptung, Ypsilanti wäre deswegen so hart kritisiert worden, weil sie eine Frau ist.
Richtig ist nur, daß es in der SPD heftige Widerstände gegen sie und ihren Kurs gab - das ist aber nun wenig verwunderlich wenn man bedenkt, wie sie die Jahre zuvor gegen ihre "Parteifreunde" vorgegangen ist.
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 19. August 2009 - 10:28 Uhr:   

Noch ein Punkt: Was zum Teufel meint Scheer mit seinem Titel "Mimikry um Ypsilanti"?
Auch im Text verwendet er den Begriff Mimikry in einer Weise, die ich nicht mit dem mir bekannten Verständnis (oder der Wikipedia-Definition) zusammenkriege.
Gibt es da noch eine geheimnisvolle Nebenbedeutung oder ist er hier einfach auf "Fremdwörter sind Glückssache" reingefallen.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 19. August 2009 - 19:56 Uhr:   

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Ypsilanti wirklich absehen konnte, dass Option 1 so erfolglos für sie werden würde. Meines Erachtens kann dies auch anders gedeutet werden. Ypsilanti wußte, dass ihr Scheitern bei ihrem "zweiten" Anlauf im November 2008 vermutlich Neuwahlen bedeuten würde, denn die SPD hatte sich vorher zu deutlich gegen eine große Koalition in Hessen festgelegt, die CDU nach Ypsilantis Scheitern im November 2008 daran - verständlicherweise - kein Interesse mehr, eine Ampelkoalition war wegen inhaltlicher Sachdifferenzen und persönlicher Animositäten zwischen FDP und SPD nicht denkbar. Insofern kann sie doch wirklich gedacht haben: alle SPD-Abgeordneten - außer Frau Metzger - haben zwar Bauchschmerzen bei der Operation Ministerpräsidentenwahl (Option 2), aber sie werden mich schon zähneknirschend wählen, weil die Alternative Neuwahlen und damit Mandatsverlust insbesondere für SPD-Abgeordnete des gemäßigten "Aufwärts"-Flügels bedeuten würden, denn diese waren - wie Zastrow schreibt - ja überwiegend durch Direktmandate in den Landtag gekommen und nicht durch Listenmandate abgesichert. So hatte Ypsilanti - so schildert es Zastrow - die Fraktion - auch die gemäßigten und eher "rechten" SPD-Politiker "in Geiselhaft" genommen. Sie konnte aufgrund der Erbitterung bei SPD, Grünen und Linken nach der Vorführung dieser Parteien durch Koch in Sachen Studiengebühren im Sommer m.E. durchaus davon ausgehen, dass die restlichen 56 Abgeordneten außer Frau Metzger sie wählen würden - und dies hätte gereicht. Zumal Walter und Everts dies ja wohl auch deutlich mehrfach gesagt hatten: sie würden sich einem Mehrheitsbeschluss des Parteitags beugen - dies zitiert Zastrow mehrfach und dies war auch in den öffentlichen Äußerungen der beiden ablesbar. Und das Abstimmungsverhalten von Frau Tesch konnte Frau Ypsilanti zwar nicht einschätzen, aber Frau Tesch hätte durch das Ausscheiden aus dem Landtag wohl finanzielle Probleme bekommen - so Zastrow. Dies war Ypsilanti sicherlich bekannt. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob Option 1 - aus der Sicht des Sommers - wirklich ein "Risiko" für Frau Ypsilanti gewesen wäre. Dass Frau Tesch - nach Zastrow Ende August - sich definitiv entschied, Frau Ypsilanti nicht zu wählen, konnte sie nicht wissen, da in der Probeabstimmung 56 Abgeordnete für sie stimmten. Klar, Probeabstimmungen in einer solchen Situation sind absolut nicht aussagekräftig - dies zeigt ja auch der Fall Simonis in Schleswig-Holstein. Offenbar aber dachte Frau Ypsilanti, die Alternative "Neuwahlen" würde einige SPD-Parlamentarier dazu bringen, sie - aus Furcht vor Mandatsverlust - dennoch zu wählen.

Ich denke - und so geht es aus der Schilderung von Zastrow auch indirekt hervor - dass Frau Ypsilanti - wie es auch Gerhard Bökel in der FAZ letzten Dienstag im Interview sagte - heute Ministerpräsidentin von Hessen wäre, wenn sie nicht Scheer, sondern Walter das Wirtschaftsministerium angeboten hätte. Dann hätte sie möglicherweise 56 Stimmen erhalten können - und damit scheint sie auch gerechnet zu haben. Dass die Vier ihre Gewissensentscheidung über finanzielle Erwägungen (finanzielle Folgen durch Verlust des Abgeordnetenmandats) stellen würden, damit hat Frau Ypsilanti sicherlich nicht gerechnet.
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 20. August 2009 - 10:29 Uhr:   

@Bernhard:
Das klingt plausibel. Nur Überlegungen dieser Art können eigentlich dazu geführt haben, daß Ypsilanti sich zum zweiten Anlauf entschloß.

Für das Urteil über sie ist das aber noch fast schlimmer als die Wortbruch-Thematik.
Es gehört zwar durchaus zur allgemeinen Politik-Kalkulation, daß die Listenplatzierung eine Rolle spielt, eine Fraktion zu disziplinieren.
Aber so brutal Gefolgschaft erpressen zu wollen, das ist schon ungewöhnlich. Und letztlich dumm. Denn Menschen mit einer Biographie wie Tesch, die sich durch die Härten des Lebens gebissen haben und Politik mit einem hohen Maß an Idealismus betreiben, die kann man nicht so komplett zu blinden Befehlsempfängern degradieren, wie Ypislanti das vorhatte.

Insofern wäre ich auch vorsichtig, die Sache mit dem Wirtschaftsministerium zu hoch zu hängen. Das hat bei Walter bestimmt eine Rolle gespielt, aber das Amt alleine hätte es m. E. nicht gerissen. Da ging es auch darum, ob Ypsilanti ihm eine gewisse Rolle in der Regierung zugesteht, also auch inhaltlich etwas auf den von ihm geführten Flügel eingeht. Dazu war sie wohl auch nicht bereit - und so kann man eine Partei einfach nicht führen.

Und noch eine Sache: Nach meiner Einschätzung (und ich habe da einige regionale Kontakte) ist Ewerts nicht einfach nur gehorsames Gefolge von Walter, wie Zastrow das sieht. Die hätte - unabhängig von der Ministeriumsfrage - am Ende genauso gegen die Linksfront gestimmt wie Metzger und Tesch.

Und Ypsilanti brauchte ja JEDE Stimme (nachdem Metzger sich festgelegt hatte). Sowohl Tesch wie Ewerts hätten schon alleine ausgereicht, um das ganze Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. Walter kommt dann noch dazu.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 31. Oktober 2009 - 19:41 Uhr:   

Ein Jahr nach dem "gescheiterten" Machtwechsel gibt es im HR ein Interview mit Andrea Ypsilanti:
http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?key=standard_document_38245269&jmpage=1&type=a&rubrik=34954&jm=1&mediakey=rubrik-nachrichten/20091031_ypsilanti_gespraech
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nowhereman
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 04. November 2009 - 19:00 Uhr:   

Ehrlich gesagt, bin ich nach zweimaligem Anhören nicht schlauer, was Y. angeht. Zwar hat sie in einem Punkte recht, Koch hat bezüglich Nachtflugverbot mal was ganz anderes gesagt und keiner beschimpft ihn als Lügner, wenn er das Verwaltungsgerichsurteil gleichen Inhalts heute bekämpft - die veröffentlichte Presse ist da schon sehr einseitig im Frankfurter Raum - aber das war es dann schon. Glaubt sie wirklich, in ihrem Frankfurter Stadtteil wäre jeder von ihrer Politik überzeugt, weil beim Einkaufen solche Floskeln fallen? Steinbrück hat in der Tat in seiner Abschiedsrede vor dem Parteipräsidium alles wesentliche zu ihr und über sie gesagt.
Wer eine große Koalition abgelehnt hat, weil man der Juniorpartner gewesen wäre, auch wenn man vieles an Zielen von der CDU hätte verlangen können, eventuell auch Koch als Bauernopfer durchsetzen hätte können, der versteht nichts vom ewigen Spiel der Politik: Kompromisse suchen. Die Wähler hätten es verstanden, jeder weiß, dass in einer Koalition etwas anderes herauskommt als im Wahlprogramm versprochen.
Wenn es ihr um die Menschen wirklich ginge, dann hätte sie sich bei diesen erkundigen können, nicht dirigieren, was in solch einer neuen und verkorksten Situation opportun wäre. Heute verlangt sie von der Parteispitze auf die von unten zu hören. Welche Anmassung. Selbst eine rechtzeitig geplante Auflösung des Parlamentes hätte Chancen für die SPD ergeben, die CDU schwächelte längere Zeit. Darüber kein Wort.
Es dann nach einer weiteren Blamage bei der Gesetzestextfindung nochmals mit einer MP-Wahl zu probieren, dazu fehlt jegliche einleuchtende Begründung im Beitrag, was ich erwartet hätte, stattdessen ein Vortrag über die Wichtigkeit, Bücher zu lesen...
Von daher wünsche ich der SPD Hessen alles Gute im Selbstfindungsprozeß "linke Mitte" - aber bitte ohne die selbstgefällige Frau Y. Man wünschte sich, sie wolle dem Szenario von Spiegel Online (4.11) folgen und in die Linke eintreten.
Dort fehlt noch ein weiblicher Gegenpart zu den Exzentrikern Lafo und Gysi.
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Beobachter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 05. November 2009 - 23:57 Uhr:   

Diese Frau darf keine "wie auch immer geartete" Chance auf ein Comeback bekommen. Wer einen solchen Betrug am Wähler verübt hat, der hat in der Politik nichts mehr zu suchen.
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SaaleMAX
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 04. Januar 2010 - 12:25 Uhr:   

Eine Geschichte von Klüngel,Schmierentheater,Schieberei und üblem Geruch nach Gorrubbdion oder wie heißt das auf hessisch ?

Wie viele "Fehler" darf ein Politiker sich in seiner "Karriere" eigentlich leisten?
Noch dazu wenn sie scheinbar absichtlich? passierten...zumindest der reine Zufall war es wohl nicht.

Die TAZ schreibt eine Geschichte über den vermeintlichen Hessen Berlusconi? ,...Roland Koch:
Ein Mann wie sein Wort, nur dem sollte man manchmal erst auf den 3.Blick trauen...?!?!?

Gab es "gekaufte" SPD Abweichler ??Zumindest die Belohnung viel umso süßer aus...

TAZ:

http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/der-hessen-berlusconi/
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 04. Januar 2010 - 13:08 Uhr:   

Achja, die linke Kampfpresse zu lesen ist schon eher amüsant als ärgerlich oder gar erhellend. Daß man Steuerfahnder an gewisse Leute nicht ranläßt, ist kein rein hessisches Phänomen und Filzgeschichten kann man in mindestens gleichem Umfang auch über Schröder, Beck und ihre Mischpoke ausgraben.

Zum Fall Everts: Als Referatsleiterin in der Landeszentrale für politische Bildung wird sie mit Sicherheit wesentlich weniger verdienen als als MdL. Wer sich kaufen läßt, dürfte aber darauf aus sein, sein Einkommen zu steigern und nicht darauf, es zu senken. Allein das spricht für jeden halbwegs intelligenten Menschen dagegen, daß sie gekauft wurde. Und Tesch hätte Anspruch auf Abgeordnetenpension erworben, wenn sie bis zum 5.4.09 MdL gewesen wäre. Rein finanziell betrachtet hat sie also ziemlich dämlich gehandelt.
Den Vieren ging es eindeutig nicht um Geld. Sie haben sehr anständig gehandelt, ganz im Gegensatz zur Ypsilanti-Clique.
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Saarländer
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 04. Januar 2010 - 15:43 Uhr:   

Na, das mit dem Kauf von Everts usw. ist ja nicht neu. Der Journalist von "Die Vier" hat es ja schon erwähnt, zudem es doch überraschend anders gelaufen sein soll im Hintergrund wie er selbst vermutete.
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mma
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 04. Januar 2010 - 16:19 Uhr:   

"Achja, die linke Kampfpresse"

Von jemandem, der in einem anderen Diskussionsstrang auf "wir haben eine linke Bundesregierung," antwortet: "So ist es. Wir haben z.Z. leider nur die Wahl zwischen etwas links und ganz links.", bekäme ich ja gern mal erläutert, wer die "linke Kampfpresse genau ist.

Die der "linken" CDU/CSU-FDP-Regierung nahestehende, durchaus kampfesmutige FAZ etwa?

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