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Archiv bis 08. Mai 2010

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Wahlen, Abstimmungen usw. im europäischen Ausland » Vereinigtes Königreich – Großbritannien » Archiv bis 08. Mai 2010 « Zurück Weiter »

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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 18:39 Uhr:   

@Thomas:
Natürlich fehlt Evidenz, ich habe das ja auch als Vermutung gebracht.
Aber es ist m. E. die einzige bisher gebrachte Vermutung, die die doch recht krassen Unterschiede zwischen Prognosen und Wahlergebnis schlüssig erklärt.

Es ist bekannt, daß es zwischen Labour und LibDem auch in der Vergangenheit viel taktische Wahlunterstützung gegeben hat. LibDem-Wähler sind tendenziell auch eher dazu bereit (siehe Gründe oben) als Tory- und Labour-Stammwähler, und das gilt m. E. erst recht für die Wähler, die früher keine LibDem-Stammwähler waren, inzwischen aber zu ihnen tendieren.
Bei denen ist m. E. die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich hoch, daß sie zwar ihre (neue) politische Präferenz bei der Umfrage abgeben, aber nicht blind durchwählen, sondern sich stärker überlegen, wie sie ihre Stimme wirksam werden lassen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 19:37 Uhr:   

"Aber es ist m. E. die einzige bisher gebrachte Vermutung, die die doch recht krassen Unterschiede zwischen Prognosen und Wahlergebnis schlüssig erklärt."
Mir fiele da eine andere Erklärung ein: unter denen, die angaben, LibDem zu wählen, waren zwangsläufig weniger Stammwähler und auch viele bisherige Nichtwähler. Nun geben bei Umfragen ja üblicherweise erheblich mehr Menschen an, wählen zu gehen, als es tatsächlich tun. Nicht unwahrscheinlich, dass unter den vorgeblichen LibDem-Anhängern überproportional nicht bekennende Nichtwähler waren. Die LibDems sind, bedingt durch das Wahlrecht, z.T. auch Protestpartei (allerdings, im Gegensatz zu den meisten anderen, nicht am rechten oder linken Rand), die haben weniger zuverlässige Anhänger.

Was die Regierungsbildung angeht, ist der Fall m.E. relativ klar: einigen sich Cameron und Clegg, wird Cameron Premier. Tun sie das nicht, bleibt erstmal Brown. Der würde dann versuchen, mit LibDems und mindestens zwei weiteren Regionalparteien (in Betracht kommen SNP, PC, SDLP) eine Mehrheit zustande zu bringen. Gelingt ihm das, kann er erstmal regieren, wie lange ist fraglich. Sicher wäre das kein Zustand für fünf Jahre. Gelingt es Brown nicht, gibt es wohl noch dieses Jahr noch eine Wahl.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 19:46 Uhr:   

Brown hat, wie ich in den Nachrichten hörte, den Liberaldemokraten eine Abstimmung über eine Wahlrechtsänderung angeboten, während Cameron sich hier - dem wichtigsten Nahziel der Liberaldemokraten - zurückhaltender geäußert haben soll. Möglicherweise hat daher Brown zur Zeit größere Chancen, eine - temporäre - Unterstützung der Liberaldemokraten - zumindest bis zu einer Abstimmung über diese Wahlrechtsänderung und anschließend unter dem neuen Wahlrecht durchgeführten Neuwahlen - zu erhalten als Cameron.
Wenigstens steht Großbritannien vor einer spannenden Regierungsbildung.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 20:07 Uhr:   

Dass die überschüssigen LibDem-Wähler aus den Umfragen zu taktischem Wahlverhalten tendieren, halt ich für äußerst unwahrscheinlich. Das waren vor allem politisch relativ Desinteressierte, die eher zur Nichtwahl oder zu spontaner Wahlentscheidung neigen. Und der härtere Kern der LibDem-Anhänger hätte aufgrund der Umfragen weniger Grund als je zuvor gehabt, taktisch gegen seine Präferenz zu wählen.

Tatsächlich muss ein sehr unterschiedlicher Mobilisierungsgrad eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Wahlbeteiligung war zwar für britische Verhältnisse hoch, aber von den Befragten, die gesagt haben, dass sie (wahrscheinlich) wählen werden, haben trotzdem viele in der Realität nicht gewählt. Nachdem beim Exitpoll offenbar keine Daten für die Wählerwanderung erhoben worden sind, wird das aber immer mehr oder weniger Spekulation bleiben. Und die Umfragen müssen auch noch aus anderen Gründen systematisch falsch gewesen sein, damit man die Abweichung insgesamt erklären kann. Für einen statistischen Zufall war die kumulierte Stichprobe jedenfalls viel zu groß.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 20:21 Uhr:   

Ein Kommentar auf Spiegel Online zum Thema:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,693689,00.html
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Wahlter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 20:41 Uhr:   

Es dürfte in der Tat spannend sein, diese Politiker ohne Koalitionsverhandlungserfahrung bei ihren Verhandlungen zuzusehen. Während die deutschen Politiker koalitionserfahren sind, ist dem bei den dreien nicht so. Das verkompliziert die Lage noch mehr als jetzt schon ist. Mir scheint fast, dass Cameron einen Anfängerfehler begeht, wenn er das Hauptanliegen der LibDems, das wie diese Wahl durchaus zeigt, berechtigt ist, nicht ernst nimmt, zumal er keine realistische Alternative hat.
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N.Krause
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 20:43 Uhr:   

Bei diesem Wahlsystem mit seinen Unwägbarkeiten (taktisch motiviertes Wahlverhalten, große regionale Unterschiede auch im Swing, Fokussierung auf die Kandidaten als Einzelpersonen) finde ich es sensationell, wie treffsicher die BBC in der Exit-Poll die Sitzverteilung schon prognostiziert hat!
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 21:12 Uhr:   

@Wahlter:
> Mir scheint fast, dass Cameron einen
> Anfängerfehler begeht, wenn er das Hauptanliegen
> der LibDems, ..., nicht ernst nimmt
Er nimmt es wohl schon ernst - aber er kann das wohl nicht so schnell und öffentlich anbieten.
In seiner Partei gibt es erhebliche Widerstände gegen eine Wahlrechtsänderung, da muß er erst für Akzeptanz sorgen.
Man darf nicht vergessen: Bei den britischen Konservativen gibt es noch viele Leute, die sind WIRKLICH konservativ. In einer Weise, wie es sie bei der weichgespülten deutschen Union nur noch als Exoten gibt.
Einen der traditionellen Grundpfeiler der britischen Demokratie durch irgendwelchen kontinentalen Schnickschnack zu ersetzen (womöglich noch nach deutschem Vorbild - shocking), das geht so schnell nicht in die rein. Viele von denen werden auch noch gar nicht realisiert haben, daß sie die Wahl zwar gewonnen haben - aber trotzdem keine Sieger sind. Und daß sie wirklich Zugeständnisse machen müssen, um Labour auch faktisch abzulösen.

Bei Cameron vermute ich schon, daß er zu einer Reform bereit wäre, um Premierminister werden zu können. Aber er wird jetzt erst einmal in die Verhandlungen einsteigen, er steht nicht so unter Zeitdruck wie Brown, und kann begleitend seine Partei auf so etwas Merkwürdiges wie eine Koalition einstellen.
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Wahlticker
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 21:19 Uhr:   

Die Frage ist ja ob sich eine Koalition für Cameron überhaupt lohnt. Er müsste viele Zugeständnisse machen, für eine Regierung die vielleicht gar nicht handlungsfähig ist und schnell zerbricht. Wartet er einfach ab, gibt es vielleicht bald Neuwahlen - für ihn wäre das doch wesentlich komfortabler.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 21:35 Uhr:   

"Bei Cameron vermute ich schon, daß er zu einer Reform bereit wäre, um Premierminister werden zu können."
Er muss sie ja erstmal nur zusagen. Das kostet nichts. Rational für ihn ist, Reform zusagen und auf Zeit spielen, wenn er erstmal Premier ist. Es ist stark anzunehmen, dass die LibDems als Juniorpartner der Tories einen erheblichen Teil ihrer Wähler verlieren werden. Damit verschwächte sich dann auch ihre Verhandlungsposition. Ein "Additional Member System" dürfte das Äußerste sein, worauf sich die Tories einlassen würden. Oder Cameron nutzt eine günstige Gelegenheit und setzt eine Neuwahl an.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 21:59 Uhr:   

@Wahlter:

Für die Tories ist eine Wahlrechtsänderung eine schwierige Angelegenheit, weil sie damit u.U. ihren eigenen politischen Tod beschließen würden. Ohne die LibDems, mit denen sie für sie sehr weitgehende Kompromisse eingehn müssten, hätten sie bei einem Verhältniswahlsystem auf absehbare Zeit keine Chance mehr auf eine Regierungsbeteiligung. Auf die Dauer würde sich die Parteienlandschaft verändern, aber damit eben auch der Charakter der Tories.

Aber auch objektiv ist ein Verhältniswahlrecht in Großbritannien von der aktuellen Ausgangsposition her schwierig. Wenn sich die LibDems klar richtung Labour orientieren, wäre längerfristig ständig ein Patt zu erwarten, weil zwischen den Blöcken eine große Menge an Kleinparteien stünde, die man nicht so leicht mit einer Sperrklausel rauswerfen kann. Wenn sich die LibDems stärker richtung Mitte orientieren, haben sie andererseits faktisch die Dauerkontrolle über die Regierung, solang sich die Parteienlandschaft nicht grundlegend wandelt. Der Wechsel zu einem konsensorientierteren System wäre zu radikal, um realistisch zu sein.

Bei einem absoluten Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen ist unsicher, was passieren würde. Vermutlich wär das für die Tories gar nicht so schlimm (und für die LibDems nicht allzu vorteilhaft), aber ein Risiko ist es auf jeden Fall. Die Frage ist dann noch, was man jenseits parteitaktischer Überlegungen wirklich für sinnvoll hält. Aus unserer Sicht wär so ein System kein allzu großer Fortschritt, aber für Großbritannien mit seiner stark regionalisierten Parteistruktur wär es vorerst vielleicht gar nicht so unpassend. Rudimentäre Elemente eines Verhältniswahlsystems würden wohl sämtliche Nachteile miteinander verbinden.

Ich hab da nicht wirklich den Einblick, aber mein Eindruck ist, dass die Tories die Wahlrechtsfrage bisher weitgehend verdrängt haben. Vor Zugeständnissen müssen sie das halbwegs klären, aber viel Zeit bleibt dafür nicht. Vielleicht könnten sich die Tories doch mit der Klärung per Volksentscheid anfreunden, wo der Ausgang keineswegs sicher sein dürfte.
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Florian das Original
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 22:03 Uhr:   

Aber es hätten doch auch die Tories ein strategisches Interesse an einer Wahlrechtsreform.
Oder sehe ich das falsch?

Beim jetzigen System haben es die Tories selbst bei für sie optimalen Begleitumständen nicht geschafft, eine eigene Mehrheit zu bekommen.
Nicht zuletzt deshalb, weil es einen Bias zugunsten von Labour in der schier unglaublichen Größenordnung von 100 Sitzen gibt.

Ein reines Verhältniswahlrecht würde zwar womöglich auf lange Sicht stets Mehrheiten mitte-links hervorbringen.
Aber ggf. kann ja ein Kompromiss gefunden werden, der Tories und LibDem nutzt.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 22:20 Uhr:   

Der Bias hat aber nichts mit dem Mehrheitswahlrecht zu tun, sondern mit der Hochburgenstruktur und (eingeschränkt) der Wahlkreiseinteilung. Im Saldo ist das relative Mehrheitswahlrecht für die Tories günstig, wenn es auch für Labour unter den gegebenen Umständen noch günstiger ist. Bei einem Verhältniswahlsystem lassen sich andere Mitbewerber nicht mehr so leicht ausbremsen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 07. Mai 2010 - 22:37 Uhr:   

@Florian
Bei Verhältniswahl würde garantiert Konkurrenz im eigenen Lager stärken, man muss sich nur die Europawahl ansehen. Natürlich kann man das nicht 1:1 übertragen, aber die Tories würden deutlich Stimmen bei Verhältniswahl nie mehr auch nur in die Nähe der absoluten Mehrheit kommen.

"Ein reines Verhältniswahlrecht würde zwar womöglich auf lange Sicht stets Mehrheiten mitte-links hervorbringen."
Noch ein Grund mehr, um Verhältniswahl nicht zu wollen. Selbst eine Mehrheit für eine Koalition mit den LibDems wäre bei Verhältniswahl fraglich, die schnitten bisher bei Verhältniswahl durchgehend nicht so gut ab. Die LibDems würden bei Verhältniswahl stark an die Grünen verlieren.

Es gibt für die Tories absolut kein Argument, Verhältniswahl positiver zu sehen als das jetzige Wahlrecht, sie würden sich mit einer Radikalreform nur selbst kastrieren.


@RL
"Im Saldo ist das relative Mehrheitswahlrecht für die Tories günstig, wenn es auch für Labour unter den gegebenen Umständen noch günstiger ist. Bei einem Verhältniswahlsystem lassen sich andere Mitbewerber nicht mehr so leicht ausbremsen."
Richtig
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2010 - 00:52 Uhr:   

Die Tories sind sehr dicht an der parlamentarischen Mehrheit.
Das britische Unterhaus hat 650 Mandate.
5 Mandate gehen an Sinn Fein. Diese Abgeordneten können ihre Mandate aber nicht wahrnehmen, weil sie den Eid auf die Königin verweigern. Faktisch sind also nur 645 Mandate besetzt. Das bedeutet das für eine parlamentarische Mehrheit de facto 323 Mandate (und nicht 326 Mandate) erforderlich sind.
Die Tories werden wohl nach der Nachwahl auf 307 Mandate kommen.
Zusammen mit der Democratic Unionist Party (8 Mandate) hat man also schon 315 Mandate zusammen.
Der Auftrag zur Regierungsbildung liegt klar bei den Tories.
Die Tories haben 100 Sitze im Verhältnis zur letzten Wahl hinzugewonnen. Das ist einer der größten Mandatszugewinne der Tories in der britischen Geschichte.
Labour ist abgewählt worden. - 6,8% und nur noch 29% der Stimmen. Labour ist heute wieder da, wo es in den 80er-Jahren in der Thatcher-Ära war - ganz unten. Einige hier haben diese Realität noch nicht zur Kenntnis genommen. Aber das wird sich in der nächsten Zeit schon noch ändern. Die Labour-Ära ist vorbei und eine neue Tory-Ära steht bevor. Allerdings mit Geburtsschwierigkeiten. Leider reicht es auch mit den Democratic Unionists nicht knapp nicht zu einer parlamentarischen Mehrheit. Das ist für die Tories sehr bedauerlich. Nun werden sie sich auf Gespräche mit den LibDems einlassen müssen.
Bei der Frage der Wahlrechtsreform sehe ich überhaupt gar keine Einigungsmöglichkeiten zwischen Tories und LibDems. Mehr als Formelkompromisse über ein mögliches Verfahren (Einsetzung einer Kommission) halte ich für ausgeschlossen. Möglicherweise wird diese Frage auch einfach ausgeklammert, wobei sich die LibDems dafür vorbehalten könnte in dieser konkreten Frage für eine Reform eine Mehrheit jenseits der Tories im Parlament zu suchen. Das dürfte aber nicht einfach sein. Schließlich hat gerade auch Labour viel von einer Wahlrechtsreform zu verlieren. Die LibDems haben mit 23% 57 Mandate, Labour hat mit 29% der Stimmen 258 Mandate. Das Stimmenverhältnis von LibDems zu Labour beträgt damit 1 zu 1,26, die Sitzzahl 1 zu 4,52. Labour hat durch eine grundlegende Wahlrechtsreform eigentlich sogar noch mehr zu verlieren als die Tories. Von daher dürfte auch Labour nicht zu wirklich grundlegenden Änderungen bereit sein.
Daher ist die Position der Liberaldemokraten für eine Wahlrechtsreform alles andere als gut. Sie sind zu schwach um sie durchzusetzen, sie haben ja bei dieser Wahl sogar 5 Mandate verloren.
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Martin Dauser
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2010 - 01:02 Uhr:   

"Der Auftrag zur Regierungsbildung liegt klar bei den Tories."

Wem es auch immer gelingt, eine Mehrheit im Parlament zu organisieren, er hat das Recht, eine Regierung zu bilden. Wie das Wahlergebnis im Vergleich zur Wahl davor ausgefallen ist, spielt dabei keine Rolle.

Nach deiner Logik hätte in Deutschland 1976 nicht Schmidt, sondern Kohl die Regierung bilden müssen. Denn die SPD hat im Vergleich zu 1972 verloren und die Union war nah dran an einer absoluten Mehrheit.
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Wahlticker
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2010 - 01:09 Uhr:   

Heute in der Tagesschau wurde auch wieder gesagt dass Brown als amtierender Premier im Prinzip das recht hätte zu versuchen eine Regierung zu bilden, nach den Signalen der LibDems an die Tories hat er aber erst mal darauf verzichtet. Aber ich denke auch, letztlich ist es völlig egal wer das Recht hat, in UK und D, denn entscheident ist nur wer eine Mehrheit organisieren kann, alles andere ist völlig uninteressant.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2010 - 01:11 Uhr:   

Für eine Wahlrechtsreform sind verschiedene Modelle denkbar:
1. Ein Wechsel zu einer absoluten Merheitswahl. Wobei auch dagegen die Widerstände groß sein dürften, da dies regelmäßig zu zwei Wahlterminen zwänge (auch in Deutschland kommen wir bei der Bundestagswahl mit einem Wahltermin aus).
2. Vorstellbar wäre auch ein Präfenzstimmensystem. Die LibDems könnten sich wohl mit diesem anfreunden. Letztlich wäre das eine Form der (faktischen) absoluten Mehrheitswahl mittels eines Wahlgangs. Aber ein solches System ist bei der Auszählung nicht so leicht zu handhaben und es dürfte auch schwierig sein, diese Möglichkeiten an die Wähler überhaupt zu kommunizieren.
3. Ein Zweitmandatsmodell das einer bestimmten Zahl von Zweitplatzierten in den Wahlkreisen Mandate zuteilen würde. Damit wäre faktisch ein Verhältniswahlsystem in Ansätzen eingeführt. In Baden-Würtenberg wird ein erhbeblicher Teil der Sitze über diese Zweitmandate besetzt (Verhältniswahlsystem mittels einer Wahlkreisstimme). Für GB halte ich ein solches Modell für völlig ausgeschlossen. Weder Labour noch die Tories werden sich auf einen solchen grundlegenden Wechsel einlassen. Schon die Zulassung weniger Zweitmandate - etwa 50 Zweitmandate - wäre ein Strukturbruch im britischen Wahlmodell und würde der britischen Mentalität, die auch in der Politik die Idee des sportlichen Wettkampfs hochhält, bei der sich nur ein Sieger durchsetzt, völlig widersprechen.

Modell 3 scheidet daher aus. Modell 2 hat Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung (Information der Wähler, Probleme bei der Auszählung), hat aber den Vorteil alles in einem Wahlgang zu erledigen. Modell 1 ist so einfach bei der Auszählung wie das bisherige System, macht aber einen zweiten Wahlgang nötig. Ich kann mir gut vorstellen, dass es zu heftigen Debatten über Modell 2 und 3 kommen wird, diese aber nicht zum Abschluss gebracht werden, weil weder Labour noch die Tories wirklich an einer Änderung des Status quo interessiert sind. Und das gilt unabhängig davon, ob sich die LibDems als Koalitionspartner der Konservativen anbieten oder ein Wackelbüdnis mit Labour versuchen, dass parlamentarisch nur über eine Mehrheit verfügen würde, wenn sich eine Vier-Parteien-Koalition aus Labour, den LibDems, der Scottish National Party und Plaid Cymru zusammentun würde. Und selbst diese zusammen kämen nur auf 324 Mandate von 650. Da aber 5 Mandate von Sinn Fein nicht wahrgenommen werden, weil diese den Eid auf die Königin verweigern, sind nur 645 Mandate besetzt, so dass 323 zur Mehrheit reichen würden. Ein solches Wackelbüdnis hat nur ein Mandat darüber.
Die LibDems sind bei diesem Wahlergebnis in keiner guten Position. In einer solchen wären sie, wenn sie sowohl mit den Tories wie mit Labour eine parlamentarische Mehrheit bilden können. Das können sie nach Lage der Dinge aber nur mit den Tories. Damit ist auch ihre Verhandlungsposition schwach, auch und gerade in Bezug auf die Wahlrechtsreform.
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Marc K.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2010 - 01:29 Uhr:   

@Martin Dauser,

es geht um den Auftrag zur Regierungsbildung. Und der liegt - jedenfalls nach deutscher Tradition - bei der stärksten Fraktion. Ob diese dann in der Lage ist eine Regierungsbildung hinzubekommen ist eine andere Frage. Sie selbst haben auf ein Beispiel hingewiesen, bei der die stärkste Fraktion in der Opposition landete.
In Bezug auf den Auftrag zur Regierungsbildung teilt der Vorsitzende der Liberaldemokraten Nick Clegg für GB offensichtlich die Auffassung, das sie den Vorsitzenden der stärksten Parlamentsfraktion, mithin den Tories zusteht.
Schwierig wird es allerdings einen Erfolg oder einen Mißerfolg festzustellen. Während in Deutschland durch die Kanzlerwahl durch den Bundestag diese Frage entschieden wird, gibt es eine solche Wahl in GB nicht. Hier müßte die Königin entscheiden. Dies kann sie aber nur, wenn der Amtsvorgänger von seinem Amt zurücktritt. Im schlimmsten Fall drohen in GB nun "hessische Verhältnisse", mit einem geschäftsführenden Regierungschef ohne parlamentarische Mehrheit (wie eben in Hessen von 1982-84 und 2008-2009).
Ich denke aber das die LibDems sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewußt sind und den Bogen daher nicht überspannen werden. Nach Lage der Dinge kann eine stabile Regierung nur gebildet werden, wenn sich Tories und LibDems verständigen. Ob dies in Form eine Koalition oder eines Tolerierungsabkommens oder in anderer Form geschieht ist dafür zwar eine politisch wichtige, letztlich aber sekundäre Frage.
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Wahlter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 08. Mai 2010 - 09:07 Uhr:   

@Marc: Sind die LibDems wirklich in so einer schwachen Position wie du beschreibst? Man könnte auch argumentieren, dass, falls sie und die Tories nicht zusammenkommen, was ja eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich ist,wenn die Tories sich in der Wahlrechtsfrage nicht näher kommen, dass Labours Interesse momentan an einer Neuwahl extrem gering sein dürfte und aus diesem Grund LibDem entgegen kommen. Die Frage wäre nur, wie Labour die langfristige Entwicklung der Wahlergebnisse bewertet. Was mir in der bisherigen Diskussion zu kurz kommt, ist die implizite Aussage des Wählers neben den reinen Zahlen: Wir trauen keiner Partei soviel zu, dass sie allein regieren soll und das,obwohl auch die Tories so einen grandiosen Wahlerfolg hat. Ich glaube, dass auf lange Sicht die Briten auf Grund der Ausdifferenzierung der Gesellschaft und damit der Interessen, sich künftig auf eine größere Wahrscheinlichkeit von "hung parliaments" wird sich einstellen müssen und das trotz Mehrheitswahlrecht.

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