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Archiv bis 21. April 2010

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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 17. April 2010 - 23:49 Uhr:   

Im Vergleich zu deutschen Verhältnissen haben die LibDems schon viele Hochburgen, aber im Vergleich zu den Tories oder Labour, die eine extreme Varianz haben, sind sie eher vernachlässigbar.

Die Histogramme der Parteien 2005 schauen wie folgt aus. Jeweils zuerst die Zahl der Wahlkreise für die Vigintile, dann aufgeteilt auf die Parteien (in gleicher Reihenfolge) nach Gewinner. Zum Vergleich die Bundestagswahl 2009 (Erststimmen); am Schluss FDP, Linke und Grüne hypothetisch zusammengefasst (hätten 29,7 % und würden 57 Wahlkreise gewinnen, die SPD bei 27,9 % 53). Das Ergebnis in Großbritannien nach Stimmen war 2005 Con 33.2, Lab 36.2, Lib 22.6.
 
Con Lab Lib Oth
75-80 1 1
70-75 2 2
65-70 5 5
60-65 27 27
55-60 9 9 41 41 2 2 1 1
50-55 45 45 65 65 14 14 2 2
45-50 84 84 98 98 21 21 2 2
40-45 66 52 7 7 96 6 87 3 24 6 18 1 1
35-40 77 8 56 13 49 20 25 3 1 22 12 4 6 5 1 4
30-35 68 54 13 1 43 28 5 7 3 28 11 16 1 4 2 2
25-30 57 45 10 2 48 45 1 2 61 40 21 4 4
20-25 59 57 1 1 46 39 5 2 109 45 64 7 7
15-20 54 47 5 2 49 37 9 3 193 54 136 3 12 0 12
10-15 71 56 11 4 42 16 25 1 140 26 109 5 4 4
5-10 35 33 2 16 7 9 11 4 5 2
0- 5 3 1 2 3 1 2


Union SPD FDP Linke Grüne FDP+Li.+Gr.
65-70 1 1 1 1
60-65 2 2
55-60 2 2 3 3
50-55 24 24 2 2 2 2
45-50 46 46 2 2 2 2 1 1 7 7
40-45 64 64 23 1 22 1 1 31 2 29
35-40 70 54 16 36 11 25 2 2 25 11 14
30-35 56 21 29 6 58 48 10 18 7 1 10 42 36 5 1
25-30 21 4 14 3 64 57 3 4 21 17 3 1 3 3 98 80 18
20-25 9 5 4 48 43 5 11 10 1 3 1 2 73 49 24
15-20 3 3 47 39 7 1 6 5 1 6 4 1 1 16 11 4 1 14 9 5
10-15 1 1 19 19 97 95 2 15 3 12 72 57 14 1 3 2 1
5-10 191 116 61 14 203 159 44 161 113 41 7
0- 5 5 2 2 1 20 18 2 43 33 3 7

Für ein Mehrheitswahlrecht haben die LibDems viel zu viele Wahlkreise im Bereich 10-25 Prozent. 10 Punkte mehr bringen noch kaum Wahlkreise in den aussichtsreichen Bereich, nachdem die Wahlkreise überwiegend mit ziemlich großen Mehrheiten gewonnen werden.

Offenbar wählen die Anhänger der LibDems deutlich anders als der Rest. Die extrem schlechten Wahlkreise bei Konservativen und Labour lassen sich eigentlich fast nur dadurch erklären, dass viele Wähler bei aussichtsloser Lage gleich daheim bleiben und zu einem gewissen Teil wohl auch die LibDems wählen.

Nach der letzten Umfrage (die das Hoch für die LibDems bestätigt) haben die LibDems weniger als die Hälfte überzeugter Anhänger als Tories oder Labour, und zudem haben überdurchschnittlich viele davon 2005 nicht oder eine andere Partei gewählt. Aber gewählt werden sie trotzdem, auch und gerade da, wo es sinnlos ist.

Leider scheinen die Daten des Exitpolls 2005 (im Gegensatz zu den Umfragen) nicht veröffentlicht zu sein, da könnte man vielleicht mehr rauslesen als aus den Umfragen mit ihren viel zu kleinen Stichproben.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 17. April 2010 - 23:59 Uhr:   

Jetzt sind es schon 4 (von den 4 letzten) Umfragen, die die LibDems im Bereich 29-32 Prozent sehen. In der letzten von BPIX sind sie auf Platz 1.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 18. April 2010 - 12:01 Uhr:   

"haben die LibDems weniger als die Hälfte überzeugter Anhänger als Tories oder Labour, und zudem haben überdurchschnittlich viele davon 2005 nicht oder eine andere Partei gewählt."
Das ist ja fast zwangsläufig so. Deshalb ist es ja auch höchst unsicher, ob es für die LibDems dann wirklich so gut läuft.

Bei LD 32-Con31-Lab 28 wäre Labour immer noch klar stärkste Fraktion und die LibDems bei rund 120 Sitzen, landesweit einheitlichen Trend vorausgesetzt. Das ist die beste Umfrage für die LibDems. Premier wird Clegg also nur, wenn die LibDems noch wesentlich stärker werden.

Dass die LibDems in Umfragen extrem gut abschneiden, ist übrigens nicht beispielllos, um die Jahreswende 1981/82 lagen Liberale und SDP, also die Vorläufer der LibDems, zusammen um 40% oder darüber. 1985 lagen sie auch zeitweise über 30%. Nur ist das Umfragehoch diesmal natürlich sehr viel ernster zu nehmen wegen der Nähe zum Wahltermin.
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Interessierter
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 18. April 2010 - 17:17 Uhr:   

Vielleicht wirke ich extrem naiv, aber ich habe mir schon immer die Frage gestellt, was es in Systemen mit Mehrheitswahlrecht eigentlich bringen soll, solche Verhältnis-Umfragen zu starten, in denen dann die Stimmung der Bevölkerung in % ausgedrückt wird.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 18. April 2010 - 18:37 Uhr:   

Das ist nicht so sehr eine Frage des Wahlrechts. Die Wähler in GB wählen primär eine Partei bzw. deren Parteiführer, der Bewerber vor Ort interessiert weniger. Solange das der Fall ist, kann man natürlich von landesweiten Parteipräferenzen Schlüsse auf die Sitzverteilung ziehen, wenn auch mit erheblicher Fehlermarge. Umfragen in den einzelnen Wahlkreisen, und sei es auch nur in den unsicheren, wären extrem teuer. Das dürfte kein Auftraggeber bezahlen wollen, schon gar nicht im Wochenrhythmus oder sogar täglich.
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Wähler
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2010 - 14:18 Uhr:   

@ Thomas Frings

"Die Wähler in GB wählen primär eine Partei bzw. deren Parteiführer, der Bewerber vor Ort interessiert weniger."

Das sehen zumindest die Wähler in dem Wahlkreis, in dem jetzt schon zwei- oder dreimal der Kandidat dieser komischen Krankenhaus-Initiative gewählt wurde, wohl anders. Auch die Wahl des inzwischen verstorbenen abtrünnigen Labour-Abgeordneten in Wales spricht eher dafür, daß für die Wähler lokale Kandidaten durchaus wichtig sind.
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Tim Spier
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2010 - 14:38 Uhr:   

Realisieren sich die derzeitigen Umfragen auch nur ansatzweise, dann wird in jedem Fall das Mehrheitswahlrecht abgeschafft. Die LibDems haben ja schon angekündigt, dass sie keine Regierung unterstützen, die dies nicht tut. Könnte in der Tat zu einer critical election für Großbritannien werden.

Damit dürfte sich die immer wieder aufkommende Diskussion über ein Mehrheits- oder Grabenwahlsystem in Deutschland erübrigen. Würde mich nicht wundern, wenn man in GB ein Wahlrecht nach dem deutschen Vorbild einführt. Ist ja bereits in Schottland geschehen. Das teilweise vorgeschlagene Präferenzstimmensystem dürfte den LibDems wohl zu wenig sein.
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Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2010 - 18:02 Uhr:   

@Martin & Thomas:
Bei Eurer Hochburgen-Diskussion vernachlässigt Ihr m. E. die taktischen bzw. psychologischen Auswirkungen des Mehrheitswahlrechts.
Da gibt es ja erhebliche selbstverstärkende Effekte: Wenn eine Partei historisch in einem Wahlkreis schwach ist, dann wird sie wegen Chancenlosigkeit erst recht nicht gewählt - auch nicht von Leuten, die diese Partei eigentlich als Favorit haben.

Wenn die Wähler überhaupt keine Kenntnisse über die vergangenen Wahlergebnisse und das zu erwartende Verhalten der anderen Wähler in ihrem Wahlkreis hätten, dann würden m. E. die LD in vielen Wahlkreisen, in denen sie so signifikant unterm Schnitt liegen, besser abschneiden. Deswegen trotzdem meist nicht gewinnen, aber sie könnten einige Wahlkreise dazu bekommen, bei denen sie jetzt wohl nur deswegen verlieren, weil sie schon früher dort verloren haben.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2010 - 19:24 Uhr:   

@Ralf
Ich glaube die Wähler in den Wahlkreisen wissen schon, wie das Potential der Partei in den Wahlkreisen aussieht. Es gibt ja auch Kommunalwahlen und Europawahlen.

Der gute Start und die Umfragen könnten die bisherige Regel bei der Mehrheitswahl diesmal durchaus weg von der Wahl des kleineren Übels schieben. Es geht nicht mehr darum eine bestimmte Regierung abzuwählen oder zu verhindern, sondern keine der beiden Großen soll eine eigene Mehrheit bekommen. Da kann man trotz Chancenlosigkeit LD wählen, bevor man den Falschen unterstützt.

Andersherum gilt das aber auch. Chancenreiche LD-Kandidaten können sich weniger Hoffnung auf strategische Unterstützung durch Anhänger des hier chancenlosen Großen machen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2010 - 20:30 Uhr:   

@Tim Spier
"Realisieren sich die derzeitigen Umfragen auch nur ansatzweise, dann wird in jedem Fall das Mehrheitswahlrecht abgeschafft. Die LibDems haben ja schon angekündigt, dass sie keine Regierung unterstützen, die dies nicht tut. Könnte in der Tat zu einer critical election für Großbritannien werden."
Ein wenig überzogene Erwartungen. Gerade wenn die LibDems stark werden, haben Tories und Labour ein starkes Interesse, die relative Mehrheitswahl beizubehalten. Ohne sie kämen beide nie wieder auch nur in die Nähe der absoluten Mehrheit. Zusätzlich sind da noch die privaten Wiederwahlchancen der MPs, die für starken Widerstand von beiden Parteien sorgen werden. Außerdem ist natürlich zu beachten, dass die LibDems sehr wahrscheinlich stark an Popularität verlieren werden, wenn sie in irgend einer Form eine Koalition eingehen. Dann könnten die Tories oder Labour vorherige Zusagen schnell vergessen und in einem für sie günstigen Moment das Unterhaus auflösen. Die Verabschiedung eines komplett neuen Wahlsystems würde sich sowieso einige Zeit hinziehen, was Zeitgewinn für Labour oder Tories bedeutete.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 19. April 2010 - 21:43 Uhr:   

@Wähler
"Das sehen zumindest die Wähler in dem Wahlkreis, in dem jetzt schon zwei- oder dreimal der Kandidat dieser komischen Krankenhaus-Initiative gewählt wurde, wohl anders."
In nahezu allen Wahlkreisen spielen Unabhängige oder lokale Gruppierungen gar keine Rolle, die kriegen landesweit ca. 0,5%.

@Ralf
"Da gibt es ja erhebliche selbstverstärkende Effekte: Wenn eine Partei historisch in einem Wahlkreis schwach ist, dann wird sie wegen Chancenlosigkeit erst recht nicht gewählt - auch nicht von Leuten, die diese Partei eigentlich als Favorit haben."
Das ist bei den LibDems offensichtlich nicht der Fall. Die bekommen seit vielen Jahren in Hunderten Wahlkreisen 15, 20% oder noch mehr trotz Aussichtslosigkeit (zumindest bisher). Wenn man sich die Wahlen mit Verhältniswahl in GB anschaut, dann haben die LibDems da nicht berauschend abgeschnitten. Bei der Europawahl letztes Jahr holten sie nur 13,7%, die Grünen immerhin 9,1%. Auch bei den Regionalwahlen in Schottland und Wales, wo das Wahlrecht entfernt dem deutschen ähnelt, schnitten sie wesentlich schlechter ab als bei der letzten Unterhauswahl. In Schottland holten die LibDems 22,6% (Wales: 18,4%) bei der Unterhauswahl 2005, bei der Regionalwahlwahl 2007 16,2% (Wales: 14,8%) der Stimmen für Wahlkreiskandidaten (quasi die "Erststimmen") und 11,3% der Listenstimmen (Wales: 11,7%). Sie schnitten bei Verhältniswahl also erheblich schlechter ab. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Mehrheitswahl den Stimmenanteil der LibDems senken würde, eher ist das Gegenteil der Fall. Die LibDems sind offenbar Sammelbecken für viele, die mit den beiden anderen Großparteien unzufrieden sind. Wer z.B. die Grünen präferiert, könnte taktisch LibDem wählen, entweder weil die Grünen gar nicht antreten oder weil er den LibDems wenigstens Außenseiterchancen einräumt. Im Südwesten Englands, wo Labour sehr schwach ist, wählen viele Labour-Anhänger taktisch LibDems.
Ich denke, wenn Verhältniswahl eingeführt würde, würden alle drei Großparteien erheblich an Stimmen verlieren. Alle drei bekämen mit verschärfter Konkurrenz zu tun, die bisher durch das Wahlrecht klein gehalten wurde und oft erst gar nicht antrat. Für die LibDems wären vor allem die Grünen gefährlich.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 03:13 Uhr:   

In den 14 Umfragen der letzten 5 Tage sind die LibDems bei 26-34 Prozent mit Tendenz oberhalb von 30%. In der letzten Sitzprognose von AngusReid sind sie mit 186:160 Sitzen vor Labour (Tories 270), nachdem sie in den Wahlkreisen, die sie schon 2005 gewonnen haben, praktisch nicht zugelegt haben.

Nach meiner eigenen Vorhersage, die auf den Wählerwanderungen basiert, liegen die LibDems bei diesen Umfragewerten (Con 32, Lab 23, Lib 33) schon knapp oberhalb von 200 Sitzen, Labour bei knapp 120 und die Tories bei 290. Das Modell unterstellt, dass der Anteil an Stammwählern in allen Wahlkreisen gleich ist und sich die Wechselwähler auf die anderen Parteien nach deren Stammwählerzahl verteilen, gewichtet mit einem landesweit konstanten Faktor, so dass sich insgesamt die Wählerwanderungen ergeben. Bei diesem Vorsprung der LibDems vor Labour kippen die Wahlkreise sehr schnell; bei kleinerem Vorsprung tut sich dagegen wenig. Nach dem Modell verliert Labour hauptsächlich in den Hochburgen, während die LibDems hauptsächlich in den mittelstarken Wahlkreisen und kaum in den Hochburgen gewinnen. Problem ist, dass die Wählerwanderungen ausgerechnet bei den Umfragen mit den kleinsten Stichproben veröffentlicht werden, wo sie nicht besonders aussagekräftig sind und nur einen groben Anhaltspunkt ergeben.
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Taugenichts
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 15:41 Uhr:   

Sehe ich das richtig? Hätten die Liberaldemokraten derzeit eine realistische Chance, den nächsten Premierminister zu stellen?

Wenn es dazu käme, wäre das eine Sensation! Der letzte liberale Premierminister war David Lloyd George und der schied 1922 aus dem Amt.

Es gibt ja schon in Schottland und Wales Erfahrungen mit Koalitionsregierungen zwischen Labour und den LibDems. Nur war bisher immer Labour die stärkste Kraft in solch einer Konstellation.

Inhaltlich haben die Liberaldemokraten nach meinem Eindruck mehr Gemeinsamkeiten mit Labour als mit den Konservativen. Außerdem könnten die LibDems in einer von den Tories geführten Regierung nur Juniorpartner sein. Bei einem hung parliament wäre ein Bündnis der LibDems mit Labour also deutlich wahrscheinlicher, zumal Labour wohl im Zweifel lieber kleinere Regierungs- als eben Oppositionspartei wäre.
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Tim Spier
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 16:05 Uhr:   

@Taugenichts: Selbst wenn die LibDems einen größeren Stimmanteil erringen als die Labour Party, ist noch nicht gesagt, dass sie einen höheren Sitzanteil als diese erringen. Solche paradoxen Wirkungen kann das Mehrheitswahlrecht haben. Die üblichen "Swing"-Kalkulatoren geben bei den bisherigen Meinungsumfragen zumeist nur knapp über hundert Parlamentsmandate für die LibDems aus. Ob die zugrunde gelegten Modelle sich angesichts der fundamentalen Veränderungen in der politischen Stimmung überhaupt aufrecht erhalten werden können, ist aber fraglich. In jedem Fall denke ich auch, dass es im Falle eines hung parliaments ein "sozialliberale" Koalition gibt. Ob nun mit Brown oder Clegg als Premierminister, dass wird uns wohl erst der Wahlabend zeigen.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 17:15 Uhr:   

Die Sitzprognose von AngusReid basiert allerdings darauf, dass die Befragten nach Wahlkreistypen klassifiziert werden, und ist sicher ernster zu nehmen als die komplett pauschalisierenden Sitzprojektionen rein nach landesweiter Stimmenzahl, wenngleich die Aussage, dass die LibDems mehr Sitze bekommen als Labour, sicher nicht statistisch signifikant ist.

Relevant könnte sicher auch sein, dass laut AngusReid 35% der LibDems-Wähler bereit sind die Tories zu wählen, wenn sie damit Brown verhindern können. Umgekehr sind aber 62% der Labourwähler bereit, die LibDems zu wählen, wenn sie damit Cameron verhindern können. Insofern muss man davon ausgehn, dass die Umfragen zu einem relativ hohen Maß selbsterfüllende Prophezeihungen sein könnten. Natürlich kann sich das bis zur Wahl auch wieder umkehren, aber momentan ist Clegg als Premierminister keine Option, die man ausschließen könnte.
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Florian das Original
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 17:46 Uhr:   

" In jedem Fall denke ich auch, dass es im Falle eines hung parliaments ein "sozialliberale" Koalition gibt."

Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich die englische Realität abbildet.

(Nachfolgendes ist z.T. nur Vermutung von mir. Gerne lasse ich mich korrigieren).

1. Der Premierminister wird ja nicht vom Parlament gewählt, sondern von der Königin ernannt.
Diese ernennt traditionell den Führer der stärksten Fraktion. Ob dieser eine "Koalitionsmehrheit" hinter sich hat, ist dabei erst einmal egal.
Der Ablauf ist hier also starrer als (z.B.) in Österreich, wo der Präsident erst einmal vorfühlen kann, wem er eine parlamentarische Mehrheit zutraut und wo nicht zwangsläufig der Führer der (relativ) stärksten Partei zum Zuge kommt.

2. So oder so ist der Premierminister politisch erst einmal nicht zwingend auf eine ständige Mehrheit im Parlament angewiesen. Ein "Misstrauensvotum" des Parlaments o.ä. gibt es nicht.
Er muss daher auch nicht eine "Koalition" im deutschen Sinne bilden und Politiker anderer Parteien als Minister einbinden.
Ich glaube auch eher nicht, dass das passieren würde. Eher gäbe es eine klassische Minderheits-Regierung, die sich ihre Mehrheiten im Einzelfall sucht.
(Vielleicht würden die politischen Kompromisse v.a. zwischen Labour und LibDem geschlossen. Das ist aber keine "Koaltion" im deutschen Sinne. Insbesondere gäbe es keinen "Koalitionsvertrag" für die ganze Legislaturperiode.)

3. Eine solche Situation ermöglicht natürlich kein sehr stabiles Regierungshandeln. Dies ist auch der Grund, warum "Hung Parliaments" von den Engländern als etwas unnatürliches angesehen werden. Jeder Engländer hätte Verständnis dafür, wenn der Premierminister diesen Zustand möglichst bald wieder beenden wollen würde.
Baldige Neuwahlen sind also wahrscheinlich.

4. Selbst wenn es engere Absprachen zwischen Labour und LibDems geben sollte, stehen insbesondere den LibDems in einem solchen Szenario taktisch anspruchsvolle Zeiten bevor.
Der PM kann jederzeit das Parlament auflösen (auch gegen den Willen der LibDems) und wird das im Zweifel just dann tun, wenn die LibDems gerade einen demoskopischen Durchhänger haben.
Umgekehrt haben die LibDems keinen echten Disziplinierungshebel gegen den PM. Sie wählen ihn ja nicht und können ihn auch nicht abwählen.

5. Insbesondere haben die LibDems keinen Hebel, um dem PM Entscheidungen aufzunötigen, die er nicht treffen will. Eine Reform des Wahlgesetzes können die LibDems z.B. kaum politisch erzwingen, wenn der PM das nicht will.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 18:13 Uhr:   

"aber momentan ist Clegg als Premierminister keine Option, die man ausschließen könnte."
Bei den jetzigen Umfragewerten kann man das ausschließen. Dazu müßten die LibDems noch mehr zulegen. Und gerade da, wo Labour stark und die Tories schwach sind, gibt es keine taktische Motivation für Labour-Anhänger, zu den Tories umzuschwenken. Da, wo es sowieso wenig Tories gibt, können auch wenige taktisch zu den LibDEms umschwenken. Realistischer ist da schon, dass taktisch wählende Labour-Anhänger LibDem-Kandidaten zum Sieg verhelfen.

Zu beachten ist außerdem, dass die Tories in Umfragen immer eher unterschätzt werden und Labour überschätzt, bei den LibDems kam beides schon vor. Angus Reid ist aber gerade das Institut, wo Labour durchgehend ganz besonders schlecht abschneidet. Zu beachten sind dann noch UKIP und BNP (immmerhin 4 bzw. 3% in der AngusReid-Umfrage). Die werden garantiert nicht taktisch LibDems wählen, wohl aber UKIP-Anhänger Tories.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 18:25 Uhr:   

"Diese ernennt traditionell den Führer der stärksten Fraktion. Ob dieser eine "Koalitionsmehrheit" hinter sich hat, ist dabei erst einmal egal."
Es war nicht immer der Führer der stärksten Fraktion Premier, Gegenbeispiele sind MacDonald und Lloyd George.

"So oder so ist der Premierminister politisch erst einmal nicht zwingend auf eine ständige Mehrheit im Parlament angewiesen."
Es darf aber auf keinen Fall eine Mehrheit gegen ihn geben.

"Ein "Misstrauensvotum" des Parlaments o.ä. gibt es nicht."
Doch, gibt es. 1979 war ein Mißtrauensvotum gegen Callaghan erfolgreich (311:310 Stimmen), bei der daraufhin angesetzten Neuwahl siegte dann Thatcher.

"Baldige Neuwahlen sind also wahrscheinlich"
Richtig, eine Koalition oder Tolerierung über längere Zeit ist unwahrscheinlich.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 19:27 Uhr:   

@Thomas Frings:

Wenn Labour in den Umfragen systematisch überschätzt wird und AngusReid niedrigere Werte hat als der Rest, dann müsste der Wert ja halbwegs realistisch sein.

Für die Sitzprognose muss niemand umschwenken, das ist der Iststand. Und taktisch besteht eher noch ziemlich großes Potenzial von Labour richtung LibDem. Umgekehrt wäre eine beträchtliche Minderheit der LibDem-Anhänger für eine Botschaft "vote Clegg - get Brown" empfänglich (was sich dadurch reativiert, dass das für konservativ orientierte LibDem-Sympathisanten bisher ohnehin eine Selbstverständlichkeit gewesen sein sollte).

Die Werte der AngusReid-Umfrage gehören zu den extremeren, aber in der Bandbreite des allein statistisch Möglichen liegen sie schon.

Nicht ausschließen kann man auch, dass letztlich die Konservativen trotz bescheidenem Ergebnis eine absolute Mehrheit bekommen, wenn sich Labour und LibDems ihre Stimmen unökonomisch aufteilen.

Bei Neuwahlen muss man noch bedenken, dass eine absolute Mehrheit für irgendeine Partei ziemlich aussichtslos ist, falls sich der gegenwärtige Stand grob verfestigt.
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Florian das Original
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. April 2010 - 19:51 Uhr:   

@ T. Frings:
Danke, wieder was dazu gelernt.


Insgesamt werden Aussagen zum britischen politischen System natürlich auch dadurch erschwert, dass es keine geschriebene Verfassung gibt.

Zu den hier diskutierten Fragen ist z.B. auch Wikipedia keine rechte Hilfe.
Dort (http://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_des_Vereinigten_K%C3%B6nigreichs#Regierung ) steht z.B. recht widersprüchlich:

> " Aufgrund des Gewohnheitsrechts ernennt der Monarch den Vorsitzenden der größten Partei im House of Commons zum Premierminister. "

und ein paar Abschnitte weiter:

> "Der Monarch ernennt einen Premierminister und folgt dabei dem strikten Gewohnheitsrecht, dass dieser ein Mitglied des House of Commons ist und in der Lage ist, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden."

Was ja eindeutig unterschiedliche Kriterien sind.
(u.U. werden ja 2010 die Tories stärkste Partei und dennoch kann eher ein Labour-Mann eine mehrheitsfähige Regierung bilden).

Die gleichen Widersprüche gibt es übrigens auch in der englischsprachigen Wikipedia.

Es macht aber halt den Charme des englischen Systems aus, dass solche Unschärfen keinen so recht zu stören scheinen. Im Zweifel wird halt eine pragmatische Lösung gewählt.

In Deutschland ist ein solch vages System hingegen nicht recht vorstellbar.

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