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Kommunalwahlen in Bayern

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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 23. Februar 2010 - 18:02 Uhr:   

Inzwischen liegen 3 Gesetzentwürfe zur Änderung des Sitzzuteilungsverfahrens bei den Kommunalwahlen in Bayern vor.

CSU und FDP wollen weiter Hare/Niemeyer einführen. Entgegen der Koalitionsvereinbarung bleiben aber die Bezirkstagswahlen (zunächst?) ausgenommen. Interessanterweise wird in der Begründung auch die amerikanische Bezeichnung "Hamilton-Verfahren" verwendet.

Die Grünen wollen auch Hare/Niemeyer, jedoch auch bei den Bezirkstagswahlen.

Die Freien Wähler, die als Erste einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, wollen auf kommunaler Ebene überall Sainte-Laguë und begründen auch ordentlich, warum das besser als Hare/Niemeyer ist. Eine entsprechende Änderung des Landtagswahlgesetz ist nicht enthalten. Ausdrücklich soll auch der Modus von Ausschussbesetzungen und dergleichen in der Verantwortung der Kommunen verbleiben. Nebenbei soll ein sprachlicher Fehler in das Bezirkswahlgesetz eingebaut werden, weshalb es nicht reicht, einfach "1, 2, 3, 4" durch "1, 3, 5, 7" zu ersetzen.

Alle Gesetzentwürfe behalten die dann obsolete Möglichkeit von Listenverbindungen bei.

Bei der Debatte über die Ausschussbesetzung waren die Fronten noch genau umgekehrt: CSU, FDP und Grüne haben zusammen Sainte-Laguë beschlossen; Freie Wähler und SPD wollten Hare/Niemeyer. Allerdings ist in diesem konkreten Fall Sainte-Laguë zulasten der beiden günstiger für die CSU (wenngleich praktisch kaum relevant); bei den Freien Wählern hat sich das durch das Ausscheiden von Gabriele Pauli teilweise erledigt.

Beim Parlamentarischen Kontrollgremium waren alle Fraktionen für Sainte-Laguë. Hare/Niemeyer wäre hier identisch gewesen. Bei der Besetzung des Rundfunkrats und einiger anderer Gremien war auch Sainte-Laguë Konsens (der Streitpunkt war, ob sofort (Opposition) oder erst in 5 Jahren (Koalition)).

Bei der Debatte zur Popularklage der ÖDP gegen D'Hondt hat die SPD gemeint, dass man über die Alternative zu D'Hondt diskutieren müsse bzw. ob überhaupt eine Festlegung nötig sei. Die Freien Wähler wollten da bereits nicht das "zweit- oder drittbeste Verfahren", sondern "nach dem optimalen Verfahren suchen".

Jürgen W. Heike von der CSU (der den Landtag im Verfahren vertritt) ist durch absolute Unkenntnis aufgefallen: "Jetzt kann es sicherlich bei d'Hondt eine Überaufrundung in gewissem Maße zugunsten der Großen geben; genauso kann es - Sie haben selber zugegeben, daran Interesse zu haben - eine Überaufrundung für die Kleinen geben. Das Problem tritt aber immer erst beim zweiten, dritten oder siebten Aufrunden auf; dann erst entsteht eigentlich das Problem. Ich weiß nicht, wie Sie begründen wollen, dass sich eine Verfassungswidrigkeit aus d'Hondt durch die Überaufrundung ergebe, aber nach Sainte-Laguë/Schepers oder nach Hare-Niemeyer kann es auch eine Überaufrundung geben, allerdings zugunsten der Kleineren." Das ist natürlich komplett falsch; mit dem "siebten Aufrunden" war wohl die bereits verfassungswidrige (weil besonders krasse) ehemalige 7fache Anwendung bei den Landtagswahlen gemeint.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 23. Februar 2010 - 18:41 Uhr:   

Erste Lesung ist übrigens morgen Nachmittag mit 5 Minuten Redezeit pro Fraktion.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Februar 2010 - 17:29 Uhr:   

Demnächst live im Plenum (nachdem die Abstimmung zum Wassergesetz mit 60 Änderungsanträgen durch ist, was wohl dauern wird).
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Matthias Cantow
Moderator
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Februar 2010 - 21:38 Uhr:   

Der TOP ist nun dran.
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Matthias Cantow
Moderator
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Februar 2010 - 22:11 Uhr:   

Wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz der Einsatz des d’Hondtschen Verfahrens in Bayern in der Vergangenheit immer wieder verteidigt und durchgesetzt wurde, war es schon erstaunlich, dass die drei Entwürfe nicht im Plenum vorgestellt wurden (auch wenn vermutlich die vorgerückte Zeit den Redeeifer der Abgeordneten gebremst hat). Lediglich einen Zwei-Minuten-Beitrag von Joachim Hanisch (FW) gab es, der auch zu Recht fragte, warum die anderen Entwürfe noch das Sitzzuteilungsverfahren nach Hare/Niemeyer vorsehen. Wahrscheinlich wird es nicht einmal in den Ausschussitzungen oder in der Zweiten Lesung eine inhaltliche Debatte geben.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Februar 2010 - 22:12 Uhr:   

Das war wenig ergiebig. Eingequetscht zwischen 4 ausgedehnten Debatten zum Wassergesetz (2. Lesung, Änderungsanträge, Petitionen, 3. Lesung) haben alle Fraktionen ihre Wortmeldungen zurückgezogen, bis auf die Freien Wähler, die nur kurz die zu erwartende Abschaffung von D'Hondt begrüßt haben und Sainte-Laguë lediglich damit begründet haben, dass es auf höheren Ebenen verwendet wird (ohne auf Hare/Niemeyer bei den Landtagswahlen einzugehen).
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Wahlticker
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Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Februar 2010 - 22:14 Uhr:   

Hab nur kurz reingeschaut, was war denn mit dem Vorsitzenden los?
Vorsitzender: "Zugestimmt haben SPD, FW und die Grünen"
<tumult>
Vorsitzender: "Na gut, einige Grünen"
<tumult>
"Na gut, SPD FW und einer von den Grünen"
<tumult>
"Okay, keiner von den Grünen"

Und zwischendurch hat er auch noch gesagt er würde von oben besser sehen als die da unten. Was war denn das? Man hats ja leider nicht sehen können wer wirklich die Hand gehoben hat, aber das war schon etwas befremdlich fand ich.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 24. Februar 2010 - 23:34 Uhr:   

Übrigens hätte die NPD bei der letzten Bezirkstagswahl in Oberbayern bei Hare/Niemeyer ein negatives Ausgleichsmandat bekommen (Sollsitzzahl 58 (Idealanspruch 0,403), Endsitzzahl 72 (0,580), Sitzanspruch bei 50 (0,403) - 51, 55-56, 60-61, 65-68, 71, 73-79, 81+ Sitzen, Idealanspruch bei 80 0,644). Vielleicht haben das CSU/FDP bemerkt und deshalb die Bezirkstagswahlen ausgeklammert.

Nebenbei bemerkt gibt es einen Erfahrungsbericht über die allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen 2008. Laut bayrischem Innenministerium ist er "zur Information des Bayerischen Landtags bestimmt. Er beinhaltet keine abschließenden Aussagen über die dargestellten Problemfelder, sondern soll dem Bayerischen Landtag als Material für die Diskussion etwaiger künftiger Änderungen des Gemeinde- und Landkreiswahlrechts dienen. Insoweit hat er internen Charakter und kann Ihnen leider nicht zugesandt werden." (Für diese Aussage haben sie 14 Tage gebraucht.)
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 25. Februar 2010 - 22:12 Uhr:   

In Oberfranken hätte es sogar ein echtes negatives Ausgleichsmandat für die Reps gegeben. Bei der Sollsitzzahl von 17 und einem Idealanspruch von 0,301 (!) hätten sie einen Sitz gehabt (0,277 hätten genauso gereicht, wenn die dicht folgende NPD auch entsprechend weniger Stimmen gehabt hätte), dann aber erst wieder ab 21 (durchgehend, obwohl der Anspruch auch da erst 0,372 ist; auf die noch kleineren Listen entfallen da bereits zusammen 0,776 Sitze, und sowas bringt Hare/Niemeyer durcheinander, weil da die Quotenbedingung zu einschränkend wird). Endsitzzahl ist 20 (2 Überhangmandate, 2 positive Ausgleichsmandate, 1 negatives Ausgleichsmandat).

http://www.bezirk-oberfranken.de/fileadmin/2_Bezirk/bezirkstag/Bezirkswahl.pdf

Oben bei der NPD in Oberbayern sollte der Idealanspruch bei 58 Sitzen 0,467 lauten.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. März 2010 - 14:52 Uhr:   

Noch ein Beispiel für negatives Stimmengewicht durch Hare/Niemeyer bei den Bezirkswahlen: Hätte die CSU 2008 in Oberbayern 9'000 Stimmen mehr, die Linke 8'000 Stimmen weniger und die NPD 2'000 Stimmen weniger gehabt, wäre die Stimmen- und Sitzverteilung wie folgt (zusammen 72 Sitze):
 
CSU 1391889 22 + 6 Überhangmandate
SPD 659977 11 + 2 Ausgleichsmandate
Grüne 446993 7 + 2 Ausgleichsmandate
FW 380442 6 + 2 Ausgleichsmandate
FDP 346576 6 + 1 Ausgleichsmandat
Linke 126697 2 + 1 Ausgleichsmandat
ÖDP 92533 2
BP 74257 1
Reps 44668 1
NPD 26932 0

http://www.bezirkstagswahl-oberbayern.de/n_2008/start_2008.html

Hat die NPD nochmal 400 Stimmen weniger, dann überholt die CSU die Freien Wähler beim Nachkommaanspruch bei 71 Sitzen. Damit verlieren die Freien Wähler ein Ausgleichsmandat. Als Nebenwirkung durch das vorliegende Alabama-Paradoxon verliert auch die Linke ihr Ausgleichsmandat an die NPD, die somit wegen Stimmenverlust einen Sitz erhält.
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Ratinger Linke
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juni 2010 - 20:15 Uhr:   

CSU und FDP haben einen Änderungsantrag zu ihrem eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Hare/Niemeyer soll jetzt auch für die Bezirkswahlen gelten.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 12. November 2010 - 15:59 Uhr:   

Vorgestern hat der federführende Ausschuss über die Anträge beraten. Ausschussdokumente werden in Bayern (wie in vielen anderen Ländern und im Bund) geheim gehalten, aber laut Dokumentationssystem wird beim Antrag der Freien Wähler (Sainte-Laguë) Ablehnung empfohlen, während bei den Anträgen von CSU/FDP (inklusiv dem Änderungsantrag) sowie beim Antrag der Grünen "Zustimmung in geänderter Fassung" steht.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 09. Dezember 2010 - 20:20 Uhr:   

Sainte-Laguë ist mit den Stimmen von CSU und FDP gegen Freie Wähler und SPD bei Enthaltung der Grünen in den Ausschüssen abgelehnt worden. Daraufhin ist Hare/Niemeyer einstimmig angenommen worden, auch bei den Bezirkswahlen, wo die resultierenden Systemfehler absehbar Probleme machen werden.

Was mit negativen Ausgleichsmandaten passieren soll, ist undefiniert. Listenverbindungen bleiben trotz Hare/Niemeyer möglich (außer bei Bezirkswahlen, wo sie auch bisher nicht möglich waren). Die Mehrheitsklausel bei Bezirkswahlen bleibt wie sie ist und ist grundsätzlich mit Hare/Niemeyer funktionsfähig, wenngleich inkompatibel mit Überhang. Bei den restlichen Kommunalwahlen gibt es weiter keine Mehrheitsklausel (wegen der geraden Sitzzahl war die Abbildung einer absoluten Mehrheit schon mit D'Hondt nicht gesichert). Neu ist der Vorschlag vom Rechtsausschuss, das Inkrafttreten auf die nächsten regulären Wahlen 2014 zu verschieben; nur für Bezirkswahlen (regulär 2013) soll die Änderung ab 2011 gelten.

Das Plenum soll schon am Dienstag oder Mittwoch endgültig darüber entscheiden. Außerdem ist eine Reihe weiterer wahlrechtlicher Gesetzentwürfe in zweiter Lesung auf der Tagesordnung:

Streichung der Altersgrenze für Bürgermeister (SPD): CSU und FDP empfehlen Ablehnung gegen den Rest bei einer Enthaltung seitens der CSU im Rechtsausschuss.

Passives Wahlrecht zum Bürgermeister/Landrat ab 18 und für Unionsbürger (SPD), außerdem Rederecht auf Einwohnerversammlungen ab 14 und für Ausländer: CSU, FDP und Freie Wähler empfehlen Ablehnung gegen SPD und Grüne.

Aktives Wahlrecht ab 16 bei Kommunalwahlen (Grüne), außerdem die vorigen Punkte der SPD, aber keine Altersbeschränkung bei Rede- und Antragsrecht; Integrationsräte: CSU, FDP und Freie Wähler empfehlen Ablehnung; Enthaltung der SPD

2-jährige Bindungswirkung von Bürgerentscheiden (Freie Wähler), Klagebefugnis der Bürgerinitiative: CSU und FDP empfehlen Ablehnung gegen den Rest

Zustimmungsquorum bei Bürgerentscheiden maximal 15% (Grüne), Verlängerung der Bindungswirkung wie bei den Freien Wählern, obligatorische Abstimmungsbenachrichtigung: CSU und FDP empfehlen Ablehnung gegen den Rest

Sitzverteilung in Ausschüssen (Grüne): CSU und FDP empfehlen Ablehnung gegen den Rest

Der letzte Gesetzentwurf ist besonders interessant. Das Ziel ist eine gerechte Verteilung von Ausschusssitzen, aber ob es dafür was bringt, ein einzelnes Verfahren (D'Hondt) herauszugreifen und zu verbieten, ist fraglich. Krasse Fälle sind schon bisher von der Rechtsprechung unterbunden worden, und weniger krasse Fälle lassen sich auch leicht durch ein anderes Verfahren oder gleich manuelle Zuteilung erreichen. Laut Begründung können Hare/Niemeyer, Sainte-Laguë oder andere "optimierte" Verteilungsverfahren verwendet werden, wobei aber offen bleibt, worin die Optimierung bestehen soll. Mit der Optimierung würde im Allgemeinen auch das Verfahren eindeutig bestimmt sein, und auch D'Hondt optimiert auf seine Weise.

Außerdem soll das Gebot der Spiegelbildlichkeit auch auf die Festlegung der Ausschussgröße erweitert werden, ohne dabei aber konkret zu werden (was auch schwierig ist). Letztlich würden damit wie bisher die Gerichte entscheiden, wobei aber sicher die Stellung der Minderheit gestärkt würde. Laut Begründung handelt es sich um ein Optimierungsgebot, was aber im Allgemeinen bedingen würde, dass die Ausschussgröße auf die Sitzzahl des Ausgangsgremiums festgelegt wird.

Zählgemeinschaften für die Ausschüsse werden in Bayern von der Gemeindeordnung grundsätzlich zugelassen; der Gesetzentwurf will auch sicherstellen, dass damit jederzeit die Sitzverteilung in den Ausschüssen geändert werden kann.

Außerdem geht es im Plenum noch um Informationsrechte der Gemeinderäte und um die Öffentlichkeit der Ausschüsse (Grüne; Ablehung durch CSU/FDP gegen den Rest). Einen Gesetzentwurf für weitere Änderungen im Kommunalwahlrecht hat das Innenministerium bisher noch nicht auf die Reihe bekommen; dazu existiert inzwischen ein Dringlichkeitsantrag.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 10. Dezember 2010 - 20:29 Uhr:   

"Was mit negativen Ausgleichsmandaten passieren soll, ist undefiniert."
Das Gesetz ist hier lückenlos. Wenn das Alabama-Paradoxon auftritt, dann tut es das eben. Natürlich wäre aber Sainte-Lague besser gewesen.

"Die Mehrheitsklausel bei Bezirkswahlen bleibt wie sie ist und ist grundsätzlich mit Hare/Niemeyer funktionsfähig, wenngleich inkompatibel mit Überhang."
Ich sehe nicht, wo das Problem mit der Mehrheitsklausel bei Überhang sein soll.

"Listenverbindungen bleiben trotz Hare/Niemeyer möglich (außer bei Bezirkswahlen, wo sie auch bisher nicht möglich waren)."
Wohl nur dann sinnvoll, wenn zwei Gruppierungen nicht glauben, allein einen Sitz zu holen. Ist praktisch aber nicht sehr wahrscheinlich, dass sie nicht mindestens einen Sitz für sich erwarten. Bei größeren Gruppierungen dürfte das Ergebnis zu wenig vorhersehbar sein, um den Effekt der Listenverbindung kalkulieren zu können. Es ist jedenfalls nicht wünschenswert, die Wahrscheinlichkeit auf einen Sitz mit weit weniger Stimmen als der halben Hare-Quote zu erhöhen. Von daher wäre eine Streichung der Listenverbindung sinnvoll gewesen.

"Aktives Wahlrecht ab 16 bei Kommunalwahlen (Grüne),"
Ca. zwei Drittel der Erstwähler wären selbst bei einer Absenkung schon mindestens 18, wenn sie das erste Mal wählen dürfen. Das Thema allgemein haben wir hier schon ausführlich diskutiert.

"Passives Wahlrecht zum Bürgermeister/Landrat ab 18 und für Unionsbürger "
Ich denke, dass die Wähler seltenst so dumm sein werden, einen 18-Jährigen mehrheitlich zu wählen. Die praktische Auswirkung dürfte sehr gering sein.

"Streichung der Altersgrenze für Bürgermeister (SPD)"
Das wäre nun zweifelsfrei sinnvoll. Warum soll ein 21-Jähriger geeignet sein und ein 66-Jähriger nicht?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. Dezember 2010 - 00:57 Uhr:   

@Thomas Frings:
"Wenn das Alabama-Paradoxon auftritt, dann tut es das eben."

Mit welcher Konsequenz? Dass der fragliche Sitz nicht zugeteilt wird? Tendenziell würd ich das auch so sehn, aber bei sequenzieller Lesart ist in Art. 42 Abs. 2 LWG der Sitz bereits "zugeteilt" worden. Ob das Art. 44 Abs. 2 rückgängig machen kann, ist jedenfalls dann nicht klar, wenn man z.B. der Argumentation der Union gegen die interne Kompensation im Bundestagswahlrecht folgt. Wenn nicht, dann müsste aber auch jede Partei die höchste Sitzzahl zugewiesen bekommen, die bei der schrittweisen Erhöhung aufgetreten ist, auch wenn kein negatives Ausgleichsmandat im engeren Sinn auftritt.

Bei der Mehrheitsklausel stellt sich die Frage, ob zuerst die Mehrheitsklausel (Wortlaut) oder zuerst der Ausgleich (Sinn der Sache) angewendet wird. Solang die Mehrheitspartei überhängt, wird sie wohl durch den Mindestausgleich immer die Sitzmehrheit bekommen (wäre zu beweisen; möglicherweise nicht, wenn beim Alabama-Paradoxon die höhere Sitzzahl erhalten bleibt). Wenn eine andere Partei überhängt, ist das aber jedenfalls nicht gesichert; insbesondere kann dann die Mehrheitspartei die Sitzmehrheit erst durch den Überhang verlieren.

Bei den Listenverbindungen muss man unterscheiden, ob sie objektiv oder parteitaktisch sinnvoll sind. Objektiv sinnvoll wäre die Messung als Gesamtheit bei Gruppierungen, die politisch fast völlig übereinstimmen und wo personelle Erwägungen der Hauptgrund für das getrennte Antreten sind. Ein Beispiel dafür sind Grüne und Rosa Liste in München, wo völlig klar ist, dass sie auch eine inhaltlich begründete Fraktionsgemeinschaft bilden werden (taktisch ist die Lage hier unklar, nachdem die Rosa Liste bei sehr stabilem Wähleraufkommen ziemlich genau bei 1,5 Sitzen liegt und die Grünen in den Nachkommastellen unabschätzbar sind).

Rein taktisch wäre in München eine Beibehaltung des Trios aus ÖDP, Bayernpartei und Freien Wählern überlegenswert, die alle bei ziemlich genau 1 Sitz liegen. Tendenziell haben sie zusammen mehr zu gewinnen als zu verlieren. Wobei die Freien Wähler weniger gut abschätzbar sind und die Bayernpartei als wahrscheinlich schwächster Partner wohl nicht mitmachen wird. 2008 hätte die ÖDP damit einen zweiten Sitz bekommen.

Allgemein lässt sich ein Sitzanspruch zwischen 1,0 und 1,5 in vielen Fällen noch vernünftig abschätzen; bei etablierten Gruppierungen in kleineren Gemeinden, wo das einem höheren Prozentsatz und höherer Bandbreite entspricht, eher mehr als in München. Rein taktische Überlegungen rechtfertigen aber bei einem (parteibezogen) gerechten Sitzverteilungsverfahren keine Listenverbindungen, und die wenigen sinnvollen Fälle (wo die tatsächliche Anwendung sicher auch von taktischen Aspekten überlagert ist) auch nicht.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. Dezember 2010 - 12:14 Uhr:   

"aber bei sequenzieller Lesart ist in Art. 42 Abs. 2 LWG der Sitz bereits "zugeteilt" worden."
Das bezieht sich auf die Dezimalreste. Bei einer Erhöhung der Gesamtzahl ergeben sich aber natürlich andere Dezimalreste.


"Bei der Mehrheitsklausel stellt sich die Frage, ob zuerst die Mehrheitsklausel (Wortlaut) oder zuerst der Ausgleich (Sinn der Sache) angewendet wird."
Es wird indirekt klar durch Art. 42 Abs. 5 Satz 2:
Die Sitze erhalten die nach den Vorschriften der Art. 43 bis 45 nicht gewählten sich bewerbenden Personen in der Reihenfolge der auf sie landesweit entfallenden höchsten Stimmenzahlen.
Die Ausgleichsregel findet sich in Art. 44 Abs. 2. Es ist also erst auszugleichen und dann ggf. die Mehrheitsklausel anzuwenden.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 13. Dezember 2010 - 03:28 Uhr:   

"Zugeteilt" werden schon Sitze. Bei der Erhöhung der Gesamtsitzzahl erhöhen sich (zumindest potenziell) auch die Sitze nach ganzen Zahlen. Wiederholt angewendet wird der ganze Absatz. Die Frage ist nur, ob ausschließlich der letzte Durchlauf zählt, oder ob irgendwie auch die vorigen eine gewisse Bestandskraft haben.

Praktisch würd ich darauf tippen, dass (vor Wahlanfechtung) jede Liste mindestens die Sitzzahl nach der regulären Gesamtsitzzahl erhält, sonstige Rücksprünge sich aber in der Sitzverteilung niederschlagen. Das entspricht der Veröffentlichung durch das statistische Landesamt, wo die Sitzverteilung vor Überhang separat ausgewiesen wird, die Zwischenschritte aber nicht. Vor der expliziten Ausweisung negativer Ausgleichsmandate wird man wahrscheinlich zurückschrecken. Bei der amtlichen Bekanntmachung ist aber zumindest in Mittelfranken Überhang und Ausgleich völlig unerwähnt geblieben, obwohl sie sich nicht nur auf die vorgeschriebenen Angaben beschränkt.

Der Landeswahlleiter (nur bei Landtagswahlen offiziell relevant) sitzt faktisch im statistischen Landesamt. Die Wahlkreisleiter sind faktisch die Regierungspräsidenten. In den Wahlausschüssen (in den relevanten für die Bezirkswahlen zumindest) werden die betroffenen Parteien in der Regel nicht vertreten sein; falls sie nach Eigeninteresse entscheiden, werden sie die fraglichen Sitze also nicht zuteilen. Wobei nicht klar ist, ob überhaupt irgendwer außer dem Wahlkreisleiter das Problem erkennt.

Bei der letzten Landtagswahl ist übrigens bei der FDP in Oberbayern zwar auch ein Alabamaparadoxon aufgetreten, aber letztlich hat sie wieder den Ausgangswert bekommen. Bei 2 Direktmandaten weniger für die CSU hätt es aber zugeschlagen.

Bei der Mehrheitsklausel regelt Art. 42 Abs. 5 Satz 1 die Sitzverteilung auf die Listen. Satz 2 regelt nur noch die Verteilung dieser Sitze auf konkrete Personen (mäßig sinnvolle Regelung übrigens, tendenziell ist Oberbayern bevorzugt; außerdem wie die 5%-Klausel falsch formuliert, da auf Landesebene gar keine Wahlvorschläge existieren; insgesamt bei getrennten Wahlgebieten sowieso systemwidrig). Allerdings ist es ein Indiz für einen nicht beabsichtigten Fehler, dass diese Sitze bereits besetzt sein könnten, wenn zwischendurch noch Ausgleichsmandate vergeben werden.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 13. Dezember 2010 - 19:55 Uhr:   

Art. 42 Abs. 5 Satz 2 macht unmissverständlich deutlich, dass die Mehrheitsklausel erst nach dem Ausgleich angewendet werden kann. Bei einer Landtagswahl geht es sowieso nicht anders. Da hier die Vorschriften für die Landtagswahl entsprechend gelten, ist allein schon deshalb auch bei den Bezirkstagen so zu verfahren.


""Zugeteilt" werden schon Sitze."
Man sollte nicht unbedingt eine konsistente Terminologie unterstellen, schon gar nicht, wenn ein Gesetz schon Jahrzehnte in Kraft ist und vielfach geändert wurde. Das Landeswahlgesetz ist ja gerade ein schönes Beispiel für unsystematische Flickschusterei. In der ursprünglichen Fassung von 1954 wurden keine Überhangmandate zugeteilt, bei Überhang bekamen die Stimmkreisbewerber mit den wenigsten Gesamtstimmen keinen Sitz. Da war die jetzige Artikelreihenfolge sinnvoll. Später wurden Überhangmandate doch zugeteilt. Da war das Ganze schon weniger sinnig, und noch viel weniger, als man 1973 Ausgleichsmandate einführte. Die Mehrheitsklausel ließ sich dann nicht vernünftig unterbringen - zumindest nicht ohne komplette Neufassung der Bestimmungen zur Sitzverteilung. So wurde die ursprüngliche Systematik nach und nach durchschossen, Hare/Niemeyer wurde auch erst nachträglich eingeführt.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 15. Dezember 2010 - 21:35 Uhr:   

Laut Reinhold Perlak (SPD) war eigentlich verabredet, beim Sitzverteilungsverfahren zu einer gemeinsamen Entscheidung im Rahmen der noch ausstehenden generellen Reform des Kommunalwahlrechts und auf Grundlage eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfs der Staatsregierung zu kommen (der eigentlich schon längst vorliegen sollte und der später zumindest noch für 2010 angekündigt war). Eine ebenfalls vereinbarte vergleichende Prüfung von Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë ist auch nicht erfolgt.

Im Gegensatz zu CSU, FDP und Grünen hat sich die SPD aber selber informiert und ist zum Ergebnis gekommen, dass Sainte-Laguë besser ist; die Begründung ist nicht ganz sauber formuliert, bezieht sich aber offensichtlich auf die optimale Erfolgswertgleichheit von Sainte-Laguë. Joachim Hanisch (Freie Wähler) hat nun auch nicht mehr nur damit argumentiert, dass Sainte-Laguë auch auf höheren Ebenen und bei den Ausschüssen im Landtag angewendet wird, sondern auch mit den Paradoxien von Hare/Niemeyer (er geht offenbar davon aus, dass bei negativen Ausgleichsmandaten die niedrigere Sitzzahl zugeteilt wird). Dass diese überhaupt auftreten können, ist von Susanna Tausendfreund (Grüne) fälschlicherweise bestritten worden. Jörg Rohde (FDP) bestreitet sogar, dass bei Bundestagswahlen nach Sainte-Laguë verteilt wird. Der CSU ist das alles egal; sie setzt nur (widerwillig) den Koalitionsvertrag um.

http://www.bayern.landtag.de/lisp/anzeigen?CASE=SitzungAnzeigen&ACTION=VideoArchiv

@Thomas Frings:

Möglich ist die Anwendung der Mehrheitsklausel auch bei der Landtagswahl ohne Weiteres vor dem Ausgleich. Es ist bloß noch weniger sinnvoll, als eine Mehrheitsklausel bei getrennten Wahlgebieten ohnehin schon ist. Dass das Zusammenwirken mehrerer Spezialklauseln nicht geregelt ist, ist aber allgemein eher der Normalfall.

Mehrheitsklausel und Ausgleichsregel sind gleichzeitig ins Landeswahlgesetz gekommen, nämlich 1993 bei der Einführung von Hare/Niemeyer nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Zuvor war die Ausgleichsregel ganz anders (mit Höchstzahlen) formuliert, und es war nur ein Teilausgleich (Limitierung der Ausgleichsmandate auf die Zahl der Überhangmandate, wobei unklar war, ob das auf den jeweiligen Wahlkreis bezogen oder insgesamt war).

Die Mehrheitsklausel geht wie die ganze Formulierung auf einen Änderungsantrag der CSU zurück und war damals auf 1 Sitz beschränkt, also sowieso funktionsunfähig. Der erste Entwurf der FDP hat die Definition eines Sitzverteilungsverfahrens ganz aus dem LWG gestrichen. Der zweite Entwurf war zwar auch keine eindeutige Definition des Ausgleichs, aber klarer als der heutige Gesetzestext.

Begründungen zu den Entwürfen gibt es keine und auch in den Plenardebatten ist dazu nichts gesagt worden. Allgemein ist aber die Hilflosigkeit der CSU deutlich geworden, ein verfassungskonformes Wahlrecht zu entwickeln, das ihren Interessen entgegenkommt (wozu auch gehört hat, dass die Liste in allen Bezirken noch zieht). Die weiterhin getrennten Wahlgebiete sind wohl vorallem der FDP zu verdanken, vermutlich aus Angst davor, dass die CSU stattdessen eine Ober- und Unterverteilung mit D'Hondt einführt.

Erste Lesung (Seiten momentan falsch sortiert; ab PDF-Seite 3684), zweite Lesung (ab PDF-Seite 5328)
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 15. Dezember 2010 - 23:26 Uhr:   

"Möglich ist die Anwendung der Mehrheitsklausel auch bei der Landtagswahl ohne Weiteres vor dem Ausgleich."
Nochmal: die wegen der Mehrheitsklausel vergebenen Mandate erhalten die stimmenstärksten Bewerber, die nicht nach den Art. 43 bis 45 gewählt sind. Die Ausgleichsregelung befindet sich in Art. 44 Abs. 2. Damit muss Art. 44 Abs. 2 vor Art. 42 Abs. 5 angewendet werden. Das ist schon vom Wortlaut her eindeutig, trotz der komischen Reihenfolge im Gesetzestext.

"weiterhin getrennten Wahlgebiete sind wohl vorallem der FDP zu verdanken,"
Damals hatte die CSU 127 von 204 Sitzen. Da ist die Verantwortung eindeutig zu verorten.

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