Themen Themen Profil Profil Hilfe/Anleitungen Hilfe Teilnehmerliste Teilnehmerliste [Wahlrecht.de Startseite]
Suche Letzte 1|3|7 Tage Suche Suche Verzeichnis Verzeichnis  

Archiv bis 16. November 2005

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Strafanzeige gegen die SPD? » Archiv bis 16. November 2005 « Zurück Weiter »

Autor Beitrag
 Link zu diesem Beitrag

Verbittert, enttäuscht und verraten! (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2005 - 21:20 Uhr:   

Ich bin stinksauer! Ich habe die SPD gewählt, weil die gesagt hat, daß sie Merkel nie wählen wird, daß die Mehrwertsteuer nicht steigt und daß der Kündigungsschutz nicht angetastet wird!

Ist das nicht Wählertäuschung (dazu gibt es einen Paragraphen im Strafgesetzbuch!)? Kann es sein, daß die SPD-Spitze ins Gefängnis muß, wenn ich sie anzeige? Oder schützt sie die parlamentarische Immunität?

Ich wähle demnächst nurnoch Linkspartei! Es reicht!
 Link zu diesem Beitrag

(Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2005 - 22:25 Uhr:   

Es gibt kein Gesetz, dass falsche Wahlversprechungen belangt.

MfG
 Link zu diesem Beitrag

Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Freitag, 11. November 2005 - 22:59 Uhr:   

Tja, willkommen in der Realität!
Irgendwie scheint es nicht untypisch für die in Deutschland derzeit herrschende Mentalität, dass immer gleich nach dem Strafrichter gerufen wird.
Doch <besserwissermodus> im Recht überlagern sich verschiedene Ebenen, von der verfassungsrechtlichen über die staatsrechtliche, die verwaltungsrechtliche, die öffentlich-rechtliche, strafrechtliche bis hin zur zivilrechtlichen, sonderrechtlichen, partikularrechtlichen und der Rechtsetzung durch Privatvereinbarung, Satzung usw.
Schliesslich gibt es das, was man unter Brauch, Sitte, Anstand, Höflichkeit, Moral usw. zusammenzufassen pflegt. Dieser ganze Bereich ist allerdings nicht Recht, daher auch nicht justiziabel.
Nun überlagern sich die Ebenen in verschiedener Weise; so kann etwas zwar einen Verfassungsbruch darstellen, doch dagegen gibt es keine Strafnorm, also kann ein entsprechender Akt zwar als verfassungswidrig kassiert, aber nicht bestraft werden. Eine Schuld nicht zu begleichen, ist zivilrechtlich unzulässig und kann zur Zwangsvollstreckung führen, ist vielleicht auch unmoralisch, aber nicht strafbar. Unter Umständen kann ein schwerer Verstoss gegen die Verfassung sogar zu militärischen Massnahmen führen, muss deswegen aber nicht strafbar sein.
Wahlversprechen, Parteiprogramme, Koalitionsverträge usw. gehören zum Bereich der noch nicht einmal zivilrechtlich verbindlichen privatautonomen Absprachen oder gar nur zu Sitte und Anstand. Gäbe es einen einklagbaren Anspruch darauf, dass eine Partei bzw. ihre Abgeordneten immer nur genau das tun, was sie einmal öffentlich verkündet haben, dann würde dies gleich zu mehreren schweren Problemen führen:
Erstens würde dann der Staat der privatautonomen Verfügung von Parteivertretern unterliegen, solche Dinge wie allgemeine Interessen oder verfassungsrechtliche Vorgaben wären dann aber unverbindlich; zweitens würde damit letztlich das imperative Mandat verwirklicht, was GG 38I gerade ausschliesst; drittens wäre es den regierenden Parteien damit unmöglich, auf unvorhergesehene Ereignisse, die nicht in ihrem Parteiprogramm stehen oder die Massnahmen verlangen, die diese Partei unter andern Umständen strikte ablehnt, angemessen zu reagieren; ja, ggf. käme es noch nicht einmal zu einer funktionierenden Regierung, weil keine zwei Parteien einen Kompromiss schliessen könnten, auf Grund dessen sie eine Koalition führen könnten.
Ein Parlament heisst im übrigen nach dem parler, also dem Reden, Debattieren, Ausdiskutieren, und sollte im Idealfall wirklich ein Ort sein, an dem verschiedene Standpunkte und Interessen ausdiskutiert und im Hinblick auf eine allgemein tragfähige Lösung beurteilt werden, nicht einfach nur eine Schaubühne, auf der gemachte Meinungen in zugespitzter Form konfligieren.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2005 - 12:37 Uhr:   

Zur Demokratie gehört der Kompromiss. Und es war doch zu Beginn der Großen Koalition klar, dass hier schmerzhafte Kompromisse zu machen sind. Nach meiner derzeitigen Kenntnis der Koalitionsverhandlungen - der Koalitionsvertrag wird ja heute erst in Berlin vorgestellt - ist es allerdings die Crux der neuen Koalition, dass der Staat an sich zu wenig einspart und die Defizite durch Steuererhöhungen löst. Das heißt: der Staat geht nicht konsequent genug an das Sparen heran und kürzt eigene Leistungen, v.a. an Deregulierung etc. Die Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte hat niemand vorausgesehen. Insofern kann ich die Verbitterung schon verstehen. Dies liegt meines Erachtens aber vor allem an dem doch sehr inhaltsarmen Wahlkampf. Wer sagt, der Kündigungsschutz wird nicht gelockert und tut dies, der ändert natürlich seine Position in zentralen Grundfragen. Wird die Mehrwertsteuer erhöht, ohne dass es zu Entlastungen bei den Sozialabgaben und damit zu einer Senkung des Bruttolohnes kommt - und ob dies kommt, daran zweifle ich bislang, da ja auch die Rentenbeiträge zur Rentenversicherung erhöht werden, ist dies in der Tat ein Bruch des Wahlversprechens. Und dies führt in der Tat zu Vertrauensverlust. Um nicht missverstanden zu werden: Kompromisse - auch schmerzhafte Kompromisse - sind sicherlich notwendig und das Wahlergebnis hat ja dazu geführt, dass es zu der Großen Koalition kam, es war ja nicht eine gewollte Koalition, sondern eine durch den Wähler herbeigeführte "Zwangs"-koalition. Also: Kompromisse in Einzelfragen schön und gut. Hier wurde aber in grundsätzlichen Fragen eine derartige Kehrtwende der Aussagen beider Parteien - Union und SPD - vollzogen, dass ich die Enttäuschung von "verbitterter Besucher" durchaus nachvollziehen kann. Hoffentlich führt dies nicht zu einer Stärkung der extremen Parteien rechts und links.
 Link zu diesem Beitrag

Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2005 - 13:11 Uhr:   

Ich sehe das wie B. Nowak.

Bei einer Koalition müssen Kompromisse eingegangen werden, ganz klar.
Ich habe daher auch Verständnis dafür, wenn in den einzelnen Bereichen am Ende etwas realisiert wird, das irgendwo zwischen den Positionen von SPD und Union liegt.

Daher kann man z.B. Verständnis für die Reichensteuer haben - da hat sich eben die SPD durchgesetzt. Oder für eine Lockerung des Kündigungsschutzes - da hat sich eben die CDU durchgesetzt.

Was ich allerdings beim besten Willen nicht verstehe ist die Mwst-Erhöhung um 3 Punkte.
Die SPD-Position war: Keine Erhöhung.
Die Unions-Position war: Erhöhung um 2 Punkte dafür im Gegenzug Entlastung bei den Sozialabgaben.

Nun sieht es aber so aus, als käme eine Erhöhung um 3 Punkte (was die Großkoalitionäre wohl kaum als Kompromiss aus ihren Positionen verkaufen können) - und die werden nicht einmal zu Senkung der Sozialabgaben benutzt!

Und dann muss man sich auch noch durch Politiker verhöhnen lassen, die ihre Steuererhöhungen allen Ernstes als "Sparmaßnahmen" anpreisen.
Nur zur Erinnerung: "Sparen" bedeutet im eigentlichen Wortsinn, wenn man weniger ausgibt als man einnimmt. Eine alternative Bedeutung wäre "senken der Ausgaben".
Eine Erhöhung der Einnahmen als "Sparen" zu bezeichnen ist hingegen schon reichlich dreist.
 Link zu diesem Beitrag

SPD-Wähler (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 12. November 2005 - 17:26 Uhr:   

@B. Nowak

Deshalb habe ich ja SPD gewählt, weil sie gesagt hat, sie wolle keine Große Koalition und an dieser Aussage muß sie sich messen lassen. Müntefering hat vor der Wahl gesagt "nie mit Merkel", alles andere ist nun Wählertäuschung. Aus meiner Sicht hätte die SPD in die Opposition gehen müssen und die drei bürgerlichen Parteien (Union, FDP und Grüne) regieren lassen müssen, um dann in vier Jahren aus der Opposition heraus anzugreifen. Ein Zusammengehen mit der Union gegen die vorherige Aussage ist ein schwerer Vertrauenbruch. Ich will eine SPD-Regierung (ohne Linkspartei) gegen die Unternehmerparteien und nicht ein Anhängsel der Union. Wo das endet, sieht man in Israel, wo sich die Arbeitspartei unter Shimon Peres zum Anhängsel des reaktionären Likud gemacht hat und deswegen von einer einst stolzen Partei zum kleinen Wahlverein degradiert wurde (zu recht), so wird es auch der SPD ergehen, wenn sie nicht wieder eine starke demokratische Arbeiterpartei mit dem Anspruch entweder alleine oder garnicht zu regieren wird.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 12:25 Uhr:   

@SPD-Wähler: Ich kann dies gut verstehen. Auch ich bin zutiefst verärgert über die Aufgabe des Kündigungsschutzes. Dies war für mich als Parteiloser der Hauptgrund, dieses Mal SPD zu wählen. Nochmals: Kompromisse gehören zum Sinn der Demokratie. Wenn aber Wahlversprechen in dieser eklatanten Art und Weise gebrochen werden, so wird das Vertrauen der Wähler in die Gewählten zerstört.

Besser wäre es meines Erachtens gewesen, sich nicht zu einigen und Neuwahlen durchzuführen mit der Maßgabe, dem Wähler vorher zu sagen: sollte erneut ein ähnliches Wahlergebnis zustande kommen, gehen beide Parteien eine große Koalition ein. Kanzler wird dann der Spitzenkandidat/die Spitzenkandidatin der stärksten Partei. Dann muss man auch deutlich darauf hinweisen, dass zentrale Wahlversprechen nicht einzuhalten sind.

Besser noch, weil wir auf einer Wahlrechtsseite sind:
Neuwahlen mit verändertem Wahlrecht (mehrheitsbildendem Wahlrecht, etwa dem absoluten Mehrheitswahlrecht nach Einerwahlkreisen wie im Kaiserreich), so dass sichergestellt ist, dass die stärkste Partei die absolute Mehrheit der Mandate erhält. Dann kann die Partei, die gesiegt hat, ihr Wahlprogramm umsetzen und die Politikverdrossenheit ist nicht so groß.

So wie es jetzt kommt, kann sich der Wähler beider großer Parteien doch nur "veräppelt" vorkommen. Dies fördert Politikverdrossenheit.
 Link zu diesem Beitrag

Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 12:44 Uhr:   

@Bernhard
>absoluten Mehrheitswahlrecht nach Einerwahlkreisen wie im Kaiserreich), so dass sichergestellt ist, dass die stärkste Partei die absolute Mehrheit der Mandate erhält.

Das absolute Mehrheitswahlrecht stellt dies allerdings nicht sicher.

Wenn man will, daß die stärkste Partei die absolute Mehrheit der Mandate erhält, sollte man das so ins Wahlsystem schreiben.
 Link zu diesem Beitrag

Philipp Wälchli (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 13:07 Uhr:   

Es ist ja schön zu erfahren, dass die Grünen eine bürgterliche Partei sein sollen; bisher habe ich das so nicht gesehen und auch nicht sehen können.
Das dumme, wenn die SPD nicht mitregieren soll, ist leider, dass sie den andern nicht vorschreiben kann, wie sie sich zu verhalten haben. CDU/CSU und Grüne sind ja anfänglich zusammengesessen und haben dann festgestellt, dass sie so ziemlich in allem anderer Meinung sind; nimmt man noch die Positionen der FDP hinzu, so weiss ich nicht, wie eine solche Dreierkoalition sich auf irgend etwas einigen können sollte.
Zum Thema Kündigungsschutz möchte ich mir ebenfalls eine Bemerkung erlauben: "Kündigungsschutz" klingt erst einmal schön. Allerdings schützt Kündigungsschutz nur jene, die bereits eine Anstellung haben. Alle diejenigen, die KEINE Anstellung haben, werden dadurch nicht geschützt. Im Gegenteil kann der "Kündigungsschutz" sogar dazu führen, dass weniger Leute weniger gute Anstellungen finden und mehr aus der Arbeitswelt ausgeschlossen bleiben. Wer stellt schon jemand ein, den er nicht mehr loswerden kann? Es wäre auch zu fragen, ob durch Kündigungsschutz nicht falsch qualifizierte Leute auf falsche Positionen geschoben werden - nur damit man ihnen nicht kündigen muss. Inzwischen wird in Deutschland jede zweite Kündigung vor Arbeitsgericht angefochten, einsamer Rekord weltweit; so kann es nicht bleiben und auf diese Weise wird der Arbeitsmarkt in Deutschland ganz sicher nicht gesunden.
Viel eher ist ein System, das nur missbräuchliche Kündigungen finanziell bestraft (beim kündigenden Arbeitgeber) bzw. entschädigt (beim entlassenen Arbeitnehmer), im übrigen aber an der Vertragsfreiheit festhält, dazu geeignet, den Arbeitsmarkt zu beleben und die nötige Flexibilität auf beiden Seiten zu erhalten.
 Link zu diesem Beitrag

Good Entity (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 14:12 Uhr:   

Laut Umfrage vor der Bundestagswahl auf wahlrecht.de, ausgewertet von Soulsurfer, haben die teilnehmenden Poster knapp zur Hälfte auf ein Wahlergebnis getippt, dass weder eine CDU/CSU/FDP noch eine SPD/Grüne - Mehrheit ermöglicht hätte. Fast 50 % der Tipper haben also das tatsächliche Ergebnis richtig vorausgesehen.

Als denkbare Varianten wurden vor der Wahl für diesen Fall lediglich eine rotrotgrüne Koalition und eine große Koalition erörtert - erstere wurde von Ralf Arnemann ins Spiel gebracht, aber mehrheitlich in verschiedenen Threads als unwahrscheinlich verworfen. Sie kommt jetzt auch tatsächlich nicht.

Von allen teilnehmenden Postern hat außerdem nur ein einziger mehr Stimmen für die SPD als für die CDU/CSU getippt. Die eindeutige Mehrheit hat dies also richtig vorausgesehen. Nach der bis vor der Wahl geltenden allgemeinen Auffassung gab es für diesen von nahezu allen richtig vorausgesehenen Fall also keine Möglichkeit für einen Kanzler Schröder in einer großen Koalition. Etwas anderes wurde vor der Wahl nicht diskutiert, daran müssen wir die Stimmabgabe messen.

Jeder hier postende Wähler der SPD wusste also bei seiner Stimmabgabe am 18. September 2005 sehr genau, dass seine Stimme für die SPD im Erfolgsfall nahezu zwangsläufig zu einer Stimme für eine Kanzlerin Merkel in einer Großen Koalition werden würde.

Das gleiche gilt natürlich auch für Wähler der Linkspartei.PDS. Diese hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie sowohl eine rotgrüne als auch eine schwarzgelbe Regierung verhindern und selbst an keiner Regierung teilnehmen will. Jede Stimme für die Linkspartei.PDS war damit vorhersehbar im Ergebnis auch eine Stimme für Frau Merkel als Kanzlerin einer Großen Koalition, und Wählern wie zB Sole war auch das klar, wie man seinen einschlägigen Postings vor der Wahl entnehmen kann. Ob das den Wähler so gefreut hat, dürfte der Stimme egal gewesen sein.
 Link zu diesem Beitrag

ap (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 18:04 Uhr:   

@ SPD-Wähler:

Ich ärgere mich auch über die Mehrwertsteuererhöhung. Aber um die zu verhindern, hätten die Menschen rotgrün bestätigen müssen. (bei schwarzgelb wäre die FDP sicher wieder irgendwann umgefallen.)

Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass bei gegebenem Parteiensystem eine Partei eine absolute Mehrheit holt, muss man hat koalieren und Kompromisse eingehen. Und da kann man sich nicht überall durchsetzen.

Die Forderung "Alleinregierung oder Opposition" dürfte auch nicht im Interesse der SPD-Wähler liegen, denn dann wird die SPD in der Opposition landen und könnte gar nichts mehr durchsetzen. Viele SPD-Anhänger dürften noch mehr "bluten" als in der großen koalition.


@ Philipp Wächtli:

"Wer stellt schon jemand ein, den er nicht mehr loswerden kann?"

Man kann die Leute aber wieder loswerden. Sonst gäbe es ja nicht so viele Entlassungen.

"Inzwischen wird in Deutschland jede zweite Kündigung vor Arbeitsgericht angefochten,"

Woher hast Du denn die Zahlen?

"so kann es nicht bleiben und auf diese Weise wird der Arbeitsmarkt in Deutschland ganz sicher nicht gesunden."

Es gibt mehrere Untersuchungen zur Auswirkung des Kündigungsschutzes, unter anderem von der OECD, die den Kündigungsschutz international verglich. Ergebnis: keine (negative) Auswirkung auf die Beschäftigung.
 Link zu diesem Beitrag

Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 18:39 Uhr:   

Grundsätzlich gilt ja bei Wahlversprechen: Die können nur dann 1:1 eingefordert werden, wenn der Wähler dieser Partei auch die Möglichkeit dazu gegeben hat, d.h. wenn sie alleine regieren kann.
Fehlt diese Voraussetzung, muß sie natürlich Abstriche machen.

Wobei natürlich die Sache mit SPD und der Mehrwertsteuer schon sehr krass ist.
Das war ein so zentrales Wahlkampfthema, da wäre schon ein Kompromiß (etwa die von Florian vorgerechneten 1%) nur mühsam begründbar gewesen.
Jetzt so locker auf gleich 3% zu gehen, das ist wirklich eine sehr widerliche Wählertäuschung.
Wobei die Glaubwürdigkeit der SPD in Steuerfragen nach der 2002-Wahl ohnehin schon sehr lädiert war.
Man könnte auch sagen: Wer das noch geglaubt hat, ist selber schuld.

> Auch ich bin zutiefst verärgert über die
> Aufgabe des Kündigungsschutzes.
Sinn und Unsinn des deutschen Arbeitsrechts wäre eine lange Diskussion für sich (und gehört nicht hierher).
Aber de facto hat sich beim Kündigungsschutz gar nichts getan. Ob das nun "zwei Jahre Probezeit" heißt oder vorher "zwei Jahre befristeter Vertrag mit Verlängerungsmöglichkeit" - das ist gleich.
Es hat sich beim Arbeitsrecht nichts geändert.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 21:04 Uhr:   

@Martin: Klar, es muss heißen: der stärkste Block. Natürlich wurde im Kaiserreich die stärkste Partei des ersten Wahlganges, die SPD, häufig durch Koalitionsbildungen anderer Parteien auf einen Einheitskandidaten im 2. Wahlgang überstimmt.

Zum Kündigungsschutz: natürlich sind die befristeten Arbeitsverträge - schon unter Arbeitsminister Blüm eingeführt und unter rot-grün weiter verändert - ein Ärgernis. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man nun sechs Monate Probezeit hat oder 24. Denn: "zwei Jahre befristeter Vertrag mit Verlängerungsmöglichkeit" ist dann doch etwas anderes, da sich die Verlängerungsmöglichkeit häufig auf Mutterschaftsvertretung (Elternzeit etc.) bezog. Die Möglichkeit des Hire und Fire wird noch wahrscheinlicher. Es ist meines Erachtens nicht erwiesen, dass eine Lockerung des Kündigungsschutzes Arbeitsplätze schafft; lediglich, dass er sie abbaut. In meinem Bereich - Bibliothekswesen - werden schon Zwei-Monats-Verträge (!) angeboten. Insofern ist es doch die fehlende soziale Sicherheit, die von den Arbeitnehmern verlangt wird und die immer mehr kaputt geht. Das zweite Problem sind die hohen Lohnnebenkosten, die zu hohen Bruttolohnen führen. Die Nettolöhne sind in der Regel nicht das Problem.
 Link zu diesem Beitrag

SPD-Mitglied (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 22:06 Uhr:   

@Good entity
Ich habe SPD gewählt, um Merkel zu verhindern, nicht damit meine Partei Juniorpartner von ihr wird. Dann lieber Opposition und die Hoffnung, daß die Bürger in vier Jahren merken, wie schlimm die Union für sie ist. Ich halte die ständigen Kompromisse für einen der Hauptgründe für die Politikverdrossenheit. Ich möchte zwei Blöcke, die sich klar unterscheiden und man kann für den einen oder den anderen Block stimmen, aber bitte nicht ständig wischi-waschi-Politik betreiben, sondern klare Kante: Einer regiert, der andere opponiert und ist damit die Alternative zur Regierung. Übrigens gehört für mich dazu auch die radikale Beschneidung der Rechte des Bundesrates (nur noch für Grundgesetzänderungen) bei gleichzeitiger Klärung, daß Bund und Länder und die EU für jeweils strikt abgegrenzte Themenfelder ohne jede Überschneidung zuständig sind, damit die Bürger auch wieder durchsteigen. Bei der EU muß dann allerdings a) das Parlament das alleinige Gesetzgebungsorgan sein (die Kommission ist dann die Regierung und der Rat der Bundesrat mit Kompetenz nur noch bei EU-Verfassungsänderungen) und b) das Parlament nach EU-weiten Parteien gewählt werden (meinetwegen mit Landeslisten) und 5%-Hürde EU-weit (um Partikularisten auszuschalten und klare Verhältnisse zu befördern), bei dem es keine Verzerrung der Einwohnerzahlen im Verhältnis zu den Abgeordnetensitzen mehr geben darf (sofern die nicht dadurch entstehen, daß in einem Land viele Parteien stark sind, die an der 5%-Hürde scheitern)
 Link zu diesem Beitrag

SPD-Wähler (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 22:07 Uhr:   

sorry vertippt. Ich bin natürlich nur SPD-Wähler (derselbe wie oben) und nicht Mitglied. Ganz so "verdorben" bin ich dann doch nicht ;-)
 Link zu diesem Beitrag

Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 22:48 Uhr:   

@ B. Nowak:
Wir sind off-topic.
Dennoch kann ich mir einen Kommentar nicht ganz vrkneifen.

Ich bin selbst Arbeitgeber.
Ich sehe derzeit eine interessante Geschäfts-Chance.
Wenn ich sie ergreife könnte ich ca. 15 Mitarbeiter zusätzlich einstellen.
Die Erfolgs-Chance des Vorhabens schätze ich auf ca. 80%.
Sollte das ganze aber nicht so laufen wie geplant (Wahrscheinlichkeit 20%) wäre dieses Geschäft defizitär. Die Mitarbeiter könnte ich dann aber nicht bzw. nur sehr aufwändig wieder loswerden.
In diesem Fall bestünde die realistische Gefahr, dass mein Unternehmen pleite ginge - und dann stünde nicht nur ich selbst sondern auch noch 80 andere Mitarbeiter auf der Straße.
Als gewissenhafter Kaufmann möchte ich so ein Risiko nicht eingehen.

Daher werde ich dieses Projekt nicht angehen.

Hätte ich die Möglichkeit, diese 15 Mitarbeiter wieder zu entlassen, würde ich das Projekt machen.
Mit 80% Wahrscheinlichkeit würden die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz dann auch langfristig behalten.

Wäre es denn nicht besser, es mich wenigstens versuchen zu lassen, 15 Mitarbeitern einen dauerhaften Arbeitsplatz zu besorgen statt mich faktisch an diesem Versuch zu hindern?
 Link zu diesem Beitrag

Gast (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 23:05 Uhr:   

@Florian
(ebenso OT)
"Ich sehe derzeit eine interessante Geschäfts-Chance."

Und deren Aussicht auf Erfolg ist nicht innerhalb von zwei Jahren erkennbar?
 Link zu diesem Beitrag

Good Entity (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Sonntag, 13. November 2005 - 23:25 Uhr:   

@SPD-Wähler: Die SPD hat Wahlkampf geführt, um gerade nicht in die Opposition zu gehen. Sie wollte sogar genau das (nämlich eine Mehrheit für schwarzgelb) verhindern. Dafür hat sie hart und erfolgreich gekämpft. Auch dies ist mühelos in diversen Threads hier (und natürlich auch anderswo) nachzulesen. Jamaica im Bundestagswahlkampf der SPD? Wäre mir völlig neu.

Niemand kann überrascht sein, wenn die SPD ihr Wahlziel wie von 50 % der Poster getippt schafft und dann genau das tut, was die Mehrzahl der Tipper auch angenommen hat: Sie wählt Frau Merkel als Kanzlerin einer Großen Koalition.

Wer eine SPD in der Opposition wollte (gegen den erklärten Willen der SPD selbst), hätte sie nicht wählen dürfen.
 Link zu diesem Beitrag

Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 08:32 Uhr:   

"
Und deren Aussicht auf Erfolg ist nicht innerhalb von zwei Jahren erkennbar?"
Nicht mit Sicherheit.

Das Problem stellt sich ja auch nicht nur mir - sondern hunderttausendfach in Deutschland.
Und zwar umso mehr, je anspruchsvoller und differenzierter (und damit auch zukunftsträchtiger und besser bezahlt) die Tätigkeiten werden.
Eine Putzfrau kann ein Pharma-Unternehmen ggf. auch an einem anderen Arbeitsplatz einsetzten. Einen Spezialist für sagen wir sagen wir mal Krebsforschung eher nicht, wenn man nach 3 Jahren feststellt, dass der konkrete Forschungszweig in eine Sackgasse führt.

Es ist wirklich deprimierend wenn man sieht, wie viele Geschäfts-Chancen in Deutschland auf der Straße liegen und nicht ergriffen werden, weil der Arbeitsmarkt zu starr ist.
 Link zu diesem Beitrag

ap (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 17:22 Uhr:   

"Die Mitarbeiter könnte ich dann aber nicht bzw. nur sehr aufwändig wieder loswerden."

Doch, Du spricht einfach betriebsbedingte Kündigungen aus. Das ist in der Praxis ganz einfach.
 Link zu diesem Beitrag

Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 17:38 Uhr:   

"Doch, Du spricht einfach betriebsbedingte Kündigungen aus. Das ist in der Praxis ganz einfach."

Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen:
Eine betriebsbedingte Kündigung setzt eine Sozialauswahl voraus. Das Ergebnis der Sozialauswahl ist aber nicht unbedingt ein Ergebnis mit dem ich bzw. mein Unternehmen leben können.
 Link zu diesem Beitrag

AeD (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 17:44 Uhr:   

@Florian
Wobei sich die Möglichkeiten für den Arbeitgeber, eine ihm genehme Auswahl durch die Sozialauswahl zu erzielen, doch seit Mitte der 90er Jahre stark verbessert haben.
 Link zu diesem Beitrag

Gandalf (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 18:18 Uhr:   

Wie bitte???
Wahlversprechen sind gebrochen worden???
Davon hab ich ja noch niiie gehört! ;-)

Tja, wer die Systemparteien wählt, tut mir leid.
In Sachsen haben 9,2 % schon begriffen, woher wirklich frischer Wind weht!
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 21:07 Uhr:   

@Florian: Off-topic: Das Arbeitsrecht ist doch schon aufgeweicht, wie ich schon oben geschrieben habe. Gerade für die von Dir beschriebenen Projekte kann ein Arbeitgeber sachlich begründete Befristungen durchsetzen. Wozu benötigen wir also noch weitere Aufweichungen des Kündigungsschutzes? Um Arbeitsplätze zu schaffen? Daran glaube ich nicht.

Aber hier geht es ja um etwas anderes: das Grundvertrauen der Wähler in die Parteien, die sie gewählt haben, geht verloren, wenn sie sachlich in }Grundpositionen derartig von ihren Versprechungen abweichen. Hier kann - Ralf hat dies ja richtig am Beispiel der Mehrwertsteuererhöhung dargestellt - von Wahlbetrug sprechen, so meine Sicht der Dinge.
 Link zu diesem Beitrag

Klaus (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 21:34 Uhr:   

"@Florian: Off-topic: Das Arbeitsrecht ist doch schon aufgeweicht, wie ich schon oben geschrieben habe. Gerade für die von Dir beschriebenen Projekte kann ein Arbeitgeber sachlich begründete Befristungen durchsetzen. Wozu benötigen wir also noch weitere Aufweichungen des Kündigungsschutzes? Um Arbeitsplätze zu schaffen? Daran glaube ich nicht."

Wozu braucht man denn den speziellen Kündigungsschutz (der allgemeine Kündigungsschutz, der vor willkürlicher Kündigung schützt, steht nicht zur Debatte, er gilt auch bei Befristungen, in der Probezeit, in Kleinbetrieben usw) überhaupt? Vor Kündigung schützt er nicht, wie die 5 Millionen Arbeitslosen eindrucksvoll zeigen. Er bringt nur Bürokratie und Arbeitsgerichtsprozesse und sonst nichts.

"kann man sachlich begründete Befristungen durchsetzen"

Vielleicht. Der Arbeitgeber hat ja auch nichts besseres zu tun, als monatelang mit Ämtern, Gewerkschaften und Betriebsräten zu verhandeln. Währenddessen schreitet die Konkurrenz aus Dänemark (z.B.) zur Tat. Wir befinden uns im internationalen Wettbewerb, die Welt macht nicht Pause, nur weil in Deutschland manche Leute eine ideologische Verstopfung haben.

Offenbar glauben viele noch immer, arbeitslos sei besser als mit weniger Kündigungsschutz beschäftigt zu sein.

"Aber hier geht es ja um etwas anderes: das Grundvertrauen der Wähler in die Parteien, die sie gewählt haben, geht verloren, wenn sie sachlich in }Grundpositionen derartig von ihren Versprechungen abweichen. Hier kann - Ralf hat dies ja richtig am Beispiel der Mehrwertsteuererhöhung dargestellt - von Wahlbetrug sprechen, so meine Sicht der Dinge."

Das der SPD-Wahlkampf unehrlich und realitätsfern war, das haben schon vor der Wahl genug Leute gesagt. Wer den Quatsch (Kritik der Opposition? "unverantwortliche Schlechtrederei", Kündigunsschutz ändern? "Radikal unsozial", "Merkelsteuer"? "Das Dümmste, was man jetzt tun kann, wir versprechen: die MwSt wird nicht erhöht") geglaubt hat ist selber schuld. Nun sind die SPD-Wähler in der Realität angekommen. Tut offenbar weh. Eine gewisse Schadenfreude kann ich nicht verhehlen.
 Link zu diesem Beitrag

Martin_D (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 14. November 2005 - 22:49 Uhr:   

Ich finde die Art und Weise, wie mit dem Begriff "Wahlbetrug" umgegangen wird, ein eindrucksvolles Beispiel für den Verfall unserer demokratischen Kultur.

"Wahlbetrug" ist ein feststehender Begriff und steht für Dinge wie Wahlzettel fälschen oder ähnliches.

Man kann ja zu Recht den Parteien einen unaufrichtigen Wahlkampf vorwerfen, doch man sollte sich bitteschön davor hüten, das mit Wahlbetrug gleichzusetzen !



Meiner Meinung nach ist übrigens der Vorwurf eines unaufrichtig geführten Wahlkamps bei allen Bundestagsparteien berechtigt.
Sicher war der SPD-Wahlkampf realitätsfern. Doch besonders realitätsnah war beispielsweise der Steuersenkungswahlkampf der FDP angesichts der Haushaltslage gewiss auch nicht. Doch das im einzelnen groß auszudiskutieren, bringt uns nicht weiter und halte ich deshalb für Zeitverschwendung. Schließlich ist ja auch das Volk selber "schuld", denn zumindest seit der Bundestagswahl 1990 gilt: Wer zuerst die Wahrheit sagt, verliert.

Ich denke, das die große Koalition hier eine Chance bietet. Denn der nächste Wahlkampf wird zwangsläufig kein polarisierender Lagerwahlkampf sein, sondern wesentlich sachbezogener werden. Und das kann der demokratischen Kultur nur gut tun.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 00:27 Uhr:   

@Klaus: Was will man? Will man die Arbeitslosigkeit drastisch reduzieren? Dann möchte ich wissen, wie dies mit derart gelockertem Kündigungsschutz gehen soll.
a pros pros Schadenfreude: nicht nur die SPD hat mit dem Versprechen, den Kündigungsschutz zu erhalten, bei der letzten Wahl geworben, sondern auch die Union hat ein anderes Steuerkonzept versprochen. Auch sie hat ihre Wahlversprechen nicht gehalten. Insofern kann man wohl nicht alles bei der SPD abladen.

@Martin: Ob dies als Wahlbetrug zu bezeichnen ist, darüber kann man in der Tat streiten. Für mich grenzt es allerdings an Wählertäuschung, wenn einerseits jahrelang von beiden großen Parteien unisono erklärt wird, es dürfe keine Steuererhöhungen geben, um die Binnennachfrage zu fördern und nun die Mehrhwertsteuer nicht nur um 2, sondern um 3 Prozent erhöht wird, ohne dass der Staat - und dies sehe ich nach wie vor nicht, hier bin ich der Meinung des scheidenden Wirtschaftsministers Clement - keine sichtbaren Anstrengungen zur Einsparung seiner Ausgaben unternimmt. Es wird lediglich dem Bürger in die Tasche gegriffen - Aktiensteuer etc. Einen Ausweg hat der Bürger doch gar nicht. Und dies fördert Politikverdrossenheit. Ansonsten stimme ich Dir darin zu, dass die große Koalition die Chance bietet, Probleme sachlich anzugehen und dadurch auch die Zustimmung des Bundesrates zu erhalten. Denn eine kleine Koalition - ob Union und FDP oder SPD und Grüne - hätte in absehbarer Zeit die Mehrheit im Bundesrat verloren, während große Koalitionen immer eine Mehrheit - und wenn sie knapp sein sollte - in der Bevölkerung erringen können. Dies bedeutet, dass für den Fall, dass FDP oder PDS Stimmenthaltung und damit de-facto Ablehnung bei zustimmungspflichtigen Gesetzen im Bundesrat erzwingen, diese Koalitionen durch große Koalitionen "ersetzt" werden können. Obwohl also eine Koalition aus Union und FDP theoretisch mit 43 Bundesratsstimmen über eine solidere Mehrheit verfügen würde als Alleinregierungen der Union und große Koalitionen in den Bundesländern (36 Stimmen), ist letztere Mehrheit ausbaubar. Insofern werden die Wahlkämpfe in der Tat sachbezogener und Landtagswahlen haben die Chance, wieder Landtagswahlen zu werden. Und wenn die Föderalismusreform Wirklichkeit werden sollte, so dürfte in Zukunft die unselige Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat aufgrund der Senkung der zustimmungspflichtigen Gesetze wegen der Entflechtung von Bundes- und Landesgesetzen zu einer schnelleren Entscheidungsfähigkeit des politischen Systems führen. Und damit wird die Bundesrepublik international schneller auf Veränderungen reagieren können. Dies wird wesentlich effektiver sein als das Drehen am Kündigungsschutz.
 Link zu diesem Beitrag

Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 09:41 Uhr:   

@Martin_D:
> Doch besonders realitätsnah war beispielsweise
> der Steuersenkungswahlkampf der FDP angesichts
> der Haushaltslage gewiss auch nicht.
Ganz offensichtlich kennst Du das FDP-Konzept nicht.
Das ist ja komplett durchgerechnet und veröffentlicht - das ist durchaus realitätsnah.
Ob man nun die dort vorgeschlagenen Sparmaßnahmen etc. schön findet oder nicht, das ist eine rein politische Bewertung - zur Haushaltslage passen sie aber sehr wohl.

@Bernhard:
> Gerade für die von Dir beschriebenen Projekte
> kann ein Arbeitgeber sachlich begründete
> Befristungen durchsetzen.
Er kann - wenn er sich auskennt.
Das Hauptproblem beim Arbeitsrecht (wie im Steuerrecht) ist inzwischen dessen Kompliziertheit (auch wegen der vielen Sachen, die nicht im Gesetz stehen, sondern durch Gerichte zugefügt wurden).

Es gibt so viele formale Besonderheiten, die man bei Einstellung und Kündigung beachten muß, das durchblicken nur noch Spezialisten. Und wenn man irgendwo ein Detail falsch macht, führt das zu erheblichen Mehrkosten.
Die großen Firmen haben eine ganze Abteilung, die sich nur mit solchen Fragen beschäftigt - die kriegen jede Entlassungswelle geregelt. Der Kleinunternehmer aber hat keine Chance, sich hier auf dem Laufenden zu halten.

Deswegen haben wir gleichzeitig zu viel Kündigungsschutz (und kleine Firmen verzichten vorsichtshalber auf Einstellungen, weil sie das Risiko nicht eingehen können) und zu wenig Kündigungsschutz (der Arbeitnehmer kann sich auf nichts verlassen, wenn die Firma nur aggressiv genug alle Hebel nutzt).
 Link zu diesem Beitrag

ja (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 10:29 Uhr:   

@Ralf Arnemann:
> Ganz offensichtlich kennst Du das FDP-Konzept nicht.
> Das ist ja komplett durchgerechnet und veröffentlicht - das ist durchaus realitätsnah.
> Ob man nun die dort vorgeschlagenen Sparmaßnahmen etc. schön findet oder nicht, das ist eine rein politische Bewertung - zur Haushaltslage passen sie aber sehr wohl.

Ich zitiere 'mal den wohl entscheidenden Abschnitt des 2005er Wahlprogramms:

"Das FDP-Steuerkonzept ist solide durchgerechnet. Es sieht Entlastungen im Umfang
von 17 bis 19 Mrd. Euro vor, die als Impuls für Investitionen und mehr Arbeitsplätze
dringend erforderlich sind. Nur mit steuerlichen Entlastungen erhalten die Bürger
den finanziellen Spielraum, um mehr Eigenverantwortung für ihre soziale Absicherung
zu übernehmen. Im Gegenzug hat die FDP bereits in den Haushaltsberatungen
zum Bundeshaushalt 2005 in über 400 Anträgen Einsparvorschläge mit einem
Volumen von 12,5 Mrd. Euro aufgezeigt. Zusammen mit weiteren strukturellen
Maßnahmen erfolgt eine Entlastung der öffentlichen Haushalte in Höhe von rund 35
Mrd. Euro. Bei konsequenter Umsetzung dieser Vorschläge kann diese Summe noch
erheblich gesteigert werden."

http://files.liberale.de/fdp-wahlprogramm.pdf, S. 7

Wenn ich das jetzt durch den Übersetzungsfilter laufen lasse, heißt das:
1. Die Milliarden sollen rausgehauen werden - das hat schon Rot-Grün mit mäßigem Erfolg getan, das soll besser klappen, wenn es Guido verkauft?
2. Von den 400 Anträgen kann man locker 300 vergessen, wenn die FDP Regierungsverantwortung übernimmt. Und das hat nichts mit Umfallerpartei oder so zu tun, sondern mit Lobbyarbeit, Machbarkeit etc.: in der Opposition ist nun einmal leichter reden. Dazu kämen dann noch die Vorbehalte des Koalitionspartners und des Bundesrates und dann könnte man sehen, was noch übrig bliebe ...
3. Die wörtliche Übersetzung von "weitere strukturelle Maßnahmen" ist: "Wir haben noch keine Ahnung, wie das gehen soll." Und das gilt wiederum nicht nur für die FDP.

Fazit: das gleiche Niveau wie bie den anderen und dann noch mit einer Zielrichtung, die ich ablehnen muss.

P.S.: Durchgerechnete und veröffentlichte Konzepte gibt es auch von anderen (manchen reichte da schon ein Bierdeckel ...), damit sind sie noch lange nicht realitätstauglich oder politisch durchsetzbar.
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 10:55 Uhr:   

"2. Von den 400 Anträgen kann man locker 300 vergessen, wenn die FDP Regierungsverantwortung übernimmt. Und das hat nichts mit Umfallerpartei oder so zu tun, sondern mit Lobbyarbeit"

Von Lobbyismus ist natürlich auch die FDP nicht frei, aber bestimmt nicht stärker davon befallen als andere.

"1. Die Milliarden sollen rausgehauen werden - das hat schon Rot-Grün mit mäßigem Erfolg getan, das soll besser klappen, wenn es Guido verkauft?"

Ganz einfach, die FDP hat eine erkennbare STRATEGIE (nämlich weniger Staat, mehr Freiheit). So etwas hatte Schröder nie, die große Koalition auch nicht, es wird einfach in den Tag gewurschtelt.

"damit sind sie noch lange nicht realitätstauglich oder politisch durchsetzbar."
Das Argument ist so blöde wie falsch: Würden genug Leute FDP wählen, wäre das auch durchsetzbar. Daß Rote und Schwarze immer eine satte Mehrheit haben ist kein Naturgesetz, der Wähler kann das bei jeder Wahl ändern. Nur will er das leider nicht.

"Die wörtliche Übersetzung von "weitere strukturelle Maßnahmen" ist"
Es gibt natürlich tausende Haushaltspositionen wo man sparen kann, Kleinvieh macht auch Mist. Nur kann man die nicht alle aufzählen.
 Link zu diesem Beitrag

Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 11:08 Uhr:   

@ B. Nowak:
Das deutsche Arbeitsrecht ist sehr assymetrisch aufgebaut. Kurze Kündigungsfristen für Arbeitnehmer, oft keine bzw. nur sehr teure Kündigungsmöglichkeiten für Arbeitgeber.

Diesen Zustand kann man natürlich als soziale Errungenschaft sehen.
Allerdings sollten Sie sich auch darüber im Klaren sein, was das für einen Arbeitgeber bedeutet. Jede Einstellung wird damit zu einem Risiko das um so höher wird je schwerer später eine Entlassung fällt. (Ich meine hier das Risiko, dass man irgendwann in der Zukunft aufgrund geänderter Rahmenbedingungen den Mitarbeiter nicht mehr sinnvoll beschäftigen kann).*
Dieses Risiko ist aus Arbeitgebersicht ein (naturgemäß nicht genau quantifizierbarer aber dennoch vorhandener) Kostenfaktor.

Einen Arbeitnehmer kann man nur daher nur dann einstellen, wenn der potenzielle Nutzen die Kosten plus das Risiko übersteigt:

Nutzen >= Arbeitskosten + Risiko-Kosten

Wenn diese Gleichung für den Arbeitgeber nicht aufgeht wird er niemanden einstellen, da können sich alle Gutmenschen der Republik auf den Kopf stellen.
Damit die Gleichung aufgeht können bei hohem Risiko entsprechend geringere Löhne gezahlt werden.
Wenn man auch weiterhin hohe Löhne will, dann bedeutet das zwangsläufig, dass die Gleichung in weniger Fällen aufgeht - eben nur noch in solchen Fällen, in denen der Nutzen besonders hoch ist.

Entsprechend ist die Zahl der tatsächlich eingegangenen Beschäftigungsverhältnisse geringer als dies bei geringerem Risiko (=geringerem Kündigungsschutz) der Fall wäre.

Soweit die theoretische Herleitung.

Und nun zur Empirie:
Weltweit und innerhalb der EU ist die Arbeitslosigkeit in den letzten 10-20 Jahren tendenziell gefallen. Dies gilt keineswegs nur für Niedriglohnländer sondern auch für Länder mit einem vergleichbaren Lohnniveau wie in Deutschland. (USA, Kanada, Großbritanien, Neuseeland, Niederlande, Österreich als bekannte Beispiele).
Deutschland ist hier wirklich nicht die Regel sondern die Ausnahme.
Es ist eben gerade KEIN unveränderliches Schicksal, dass die Globalisierung die Arbeitslosigkeit ansteigen lässt.
Könnte es also nicht vielleicht doch daran liegen, wie in Deutschland der Arbeitsmarkt organisiert ist?


*
Besonders schwer zu entlassen sind in Deutschland ältere Arbeitnehmer. Ist es wirklich nur reiner Zufall, dass ältere Arbeitnehmer es in Deutschland so besonders schwer haben, eine neue Stelle zu bekommen? Ist dem arbeitssuchenden 56-jährigen wirklich damit gedient, dass er faktisch unkündbar wäre, wenn er erst einmal wieder einen Job hätte? }
}
 Link zu diesem Beitrag

Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 11:40 Uhr:   

@ja:
Du zitierst das Wahlprogramm, da wird das Steuerkonzept aber nur mit Eckdaten zitiert.
Das komplette Konzept mit allen Berechnungen findet sich im Buch von Solms.
Das gab es im Wahlkampf öfters an FDP-Ständen - eben finde ich auf die Schnelle aber keinen Link.

> Die Milliarden sollen rausgehauen werden ...
Nein. Diese Milliarden sollen erst gar nicht kassiert werden - das gibt dann die Wachstumsimpulse. Es ist NICHT als staatliches Konjunkturpaket gedacht.

> Dazu kämen dann noch die Vorbehalte des
> Koalitionspartners und des Bundesrates ...
Das sind keine Argumente für "nicht realitätsnah".
"Realitätsnah" bedeutet, daß das Konzept bei 1:1-Umsetzung funktioniert und sich rechnet.
Und das ist im Solms-Buch belegt.
Wenn die anderen Parteien sagen "wollen wir nicht", dann ist das kein inhaltliches Argument gegen das Konzept.

> Von den 400 Anträgen kann man locker 300
> vergessen, wenn die FDP Regierungsverantwortung
> übernimmt.
Auch hier: Wenn ein Koalitionspartner verhindert, daß 300 Anträge umgesetzt werden, ist das kein Beleg dafür, daß das FDP-Konzept schlecht ist.

> 3. Die wörtliche Übersetzung von "weitere
> strukturelle Maßnahmen" ist: "Wir haben noch
> keine Ahnung, wie das gehen soll."
Nein. Das heißt hier: Diese strukturellen Maßnahmen sind anderswo (im Konzept) ausführlich beschrieben".
Du zitierst das Wahlprogramm, das ist halt eine Zusammenfassung.

> Durchgerechnete und veröffentlichte Konzepte
> gibt es auch von anderen
Welches?
Mir ist außer dem Solms-Konzept keines bekannt.
 Link zu diesem Beitrag

Wilko Zicht
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 13:10 Uhr:   

Bitte keine steuerpolitische Fachdiskussion hier im Forum. Danke!
 Link zu diesem Beitrag

Friend of Gerd (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 14:35 Uhr:   

Naja, die SPD konnte von ihrem Programm doch noch relativ viel durchsetzen, ich denke die CDU hat wesentlich mehr Federn lassen müssen.
Die einzigen Gebiete, in denen sich die CDU durchstzte waren Kündig.-schutz und Mwst-erhöhung.
Die Spd konnte zumindest nahezu alle Erungenschaften von Rotgrün retten, inklusive Atomausstieg. Dennoch ist der Vertrag wohl ziemlich unsozial , da wieder vor allem die Schwachen getroffen werden.
Und die sog. Reichensteuer ist ja auch eher symbolischer Art und macht den Kohl nicht mehr fett.
Es zahlt sich allerdings positiv aus, dass die FDP dauerhaft von der Regierung ausgeschlossen ist. Endlich wird die Priviligierung von Apothekern und sonstiger FDP-Klientel eingedämmt,siehe zB Nichtmehrabsetzbarkeit der Steuerberatung.
 Link zu diesem Beitrag

Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 15:44 Uhr:   

@ Wilko Zicht:
Mein Teil des Threads ging zwar nicht um Steurern sondern um Arbeitsmarkt. Aber ich beziehe Deine Ermahnung auch auf mich und gelobe Besserung.

Du hast recht: Das wahlrecht.de-Forum ist gerade deshalb so gut, weil Partei-Scharmützel weitgehend ausgeblendet bleiben. Leider lasse ich mich aber doch immer wieder zu off-topic-Diskussionen hinreißen.
 Link zu diesem Beitrag

ja (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 15. November 2005 - 18:37 Uhr:   

Gut, ist mir recht (und korrekt).
Ansonsten hätte ich mich wirklich ins FDP-Programm graben müssen, danke für die Bremse!
 Link zu diesem Beitrag

Kalle (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Mittwoch, 16. November 2005 - 08:10 Uhr:   

"Die einzigen Gebiete, in denen sich die CDU durchstzte waren Kündig.-schutz und Mwst-erhöhung."

Und bei welchen wichtigen Punkten konnte sich die SPD durchsetzen (jetzt kein Pillepalle wie "Neidsteuer")? Richtig: nirgends. Fällt aber nicht weiter auf, die SPD hatte ja auch kein Konzept im Wahlkampf präsentiert, sie konnte nur über die Konzepte der politischen Gegner abmeckern.

Und "Merkelsteuer" und "Kündigungsschutz" waren ja auch nicht zwei beliebige Punkte, in denen die SPD einstecken musste, sondern DIE BEIDEN WAHLKAMPFSCHLAGER DER SPD.

"Die Spd konnte zumindest nahezu alle Erungenschaften von Rotgrün retten, inklusive Atomausstieg."

Das ist gleich in zweierlei Hinsicht falsch.

1) Der blödsinnige Atomausstieg ist nicht im Koalitionsvertrag festgeschrieben und wird von der Union weiterhin nicht akzeptiert.

2) Welche anderen "Errungenschaften" von rotgrün waren denn in Gefahr?

"[Böse FDP] Nichtmehrabsetzbarkeit der Steuerberatung."

Wollte die FDP auch abschaffen, siehe Solms-Modell.

Ich lehne mich jetzt gemütlich zurück und beobachte vergnügt, wie es die Gerd-und-Münte-lose Chaostante SPD zerlegt... hihihi.

Admin Admin Logout Logout   Vorige Seite Vorige Seite Nächste Seite Nächste Seite