Themen Themen Profil Profil Hilfe/Anleitungen Hilfe Teilnehmerliste Teilnehmerliste [Wahlrecht.de Startseite]
Suche Letzte 1|3|7 Tage Suche Suche Verzeichnis Verzeichnis  

Archiv bis 28. Juli 2008

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Landtagswahlen in Deutschland » Ministerpräsidentenwahl und Regierungsbildung in Hessen » Archiv bis 28. Juli 2008 « Zurück Weiter »

Autor Beitrag
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. Juli 2008 - 12:23 Uhr:   

@mma
"Wenn die Grünen Anfang der Achtzigerjahre ein paar Wochen nach einem spektakulären Einzug in einen Landtag von derherrschenden Medienmeinung allseits als baldige SPD-Partner verkauft worden wären
und selbst nicht vernehmlich widersprochen hätten (!)"

Daß die Grünen durch Koalitionsverweigerung gewachsen sein sollen, das ist nun wirklich abenteuerlich. Es gab in den 80-er Jahren drei Mal den Fall, daß es eine rot-grüne Mehrheit gab, aber keine neue Regierung zustande kam (was aber nicht nur an den Grünen lag). In allen drei Fällen verloren die Grünen bei der recht schnell folgenden Neuwahl, während die SPD gewann.

Hessen:
26.9.1982: SPD 42,8%, Grüne 8%
25.9.1983: SPD 46,2%, Grüne 5,9%

Hamburg
6.6.1982: SPD 42,7%, Grüne 7,7%
19.12.1982: SPD 51,3%, Grüne 6,8%

9.11.1986: SPD 41,7%, Grüne 10,4%
17.5.1987: SPD 45%, Grüne 7%
 Link zu diesem Beitrag

mma
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. Juli 2008 - 12:38 Uhr:   

Aber wie viele (Stamm-)Wähler hätten sie erst verloren, wenn sie doch mit der bösen Atom-Partei koaliert hätten?

Letztlich kann man die Zahlen auch so interpretieren, dass primär die SPD davon profitiert hat, dass der ihr vermeintlich zustehende Koalitionspartner sich gesträubt hat und dieses Schicksal Solidarisierungseffekte ausgelöst hat.
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. Juli 2008 - 12:48 Uhr:   

"Aber wie viele (Stamm-)Wähler hätten sie erst verloren, wenn sie doch mit der bösen Atom-Partei koaliert hätten?"
Die SPD war mal eine sehr technikfreundliche Partei, aber ab Mitte der 70-er Jahre hat sie da einen Kurswechsel vollzogen, der spätestens mit Schmidts Abgang abgeschlossen war.


"Letztlich kann man die Zahlen auch so interpretieren, dass primär die SPD davon profitiert hat, dass der ihr vermeintlich zustehende Koalitionspartner sich gesträubt hat und dieses Schicksal Solidarisierungseffekte ausgelöst hat"
Kann man so sehen. Jedenfalls hat das Nicht-Zustandekommen einer rot-grünen Regierung den Grünen geschadetzt.
 Link zu diesem Beitrag

Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 18. Juli 2008 - 16:18 Uhr:   

Meine Vermutung ist, daß Fundamentalopposition eher bei politisch aktiven Leuten ein Thema ist, die (mit viel privatem Aufwand) eine "reine Lehre" vertreten und die nicht Koalitionskompromisse verwässern lassen wollen.
Solche Leute gab es damals bei den Grünen und heute bei den Linken einige in der Mitgliederschaft, auf die muß eine Parteführung Rücksicht nehmen.

Bei den reinen Wählern dagegen (also denen, die nicht Mitglied werden) - und die sind natürlich viel zahlreicher - ist diese Haltung selten. Wenn die wählen gehen, wollen die etwas erreichen, d.h. den von der Partei versprochenen Zielen ein Stück näher kommen.
 Link zu diesem Beitrag

Florian das Original
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 18. Juli 2008 - 18:04 Uhr:   

Ralf:
Ganz recht.

Ein Großteil der Wählerwanderung der letzten Jahre weg von der SPD hin zur Linkspartei besteht natürlich aus der Gruppe der "Pragmatiker".
(Denn wären das orthodoxe Kommunisten, dann hätten sie ja auch schon in der Vergangenheit nie und nimmer SPD gewählt).

Für die SPD ist es m.E. wichtig zu klären, welches Signal man an diese "Pragmatiker" sendet (denn die Hardcore-PDSler sind für die SPD ja eh nicht erreichbar).

Und auf die Prgamatiker hätte eine klare Ablehnung jeder Koalition mit der PDS natürlich schon Eindruck gemacht.
Wenn man denen ein paar Jahre lang gezeigt hätte, dass jede Stimme für die PDS nur die Wahrscheinlichkeit einer CDU-Regierung erhöht aber dem Ziel einer "linken" Politik nicht näher bringt, dann wären diese Pragmatiker irgendwann zähneknirschend zur SPD zurück gekehrt.

Wenn die Pragmatiker aber sehen, dass sie mit einer PDS-Stimme diese entweder in die Regierung bekommen können oder aber - was dem Pragmatiker ja schon reichen würde - die SPD zur Annäherung an diese linken Positionen bewegen können (wie Aufgabe von Agenda 2010 etc.), dann ist das natürlich eine Ermutigung, nicht mehr SPD zu wählen.

Aber nicht nur dieser "pragmatische Linke" wird von der SPD-Strategie zum Wechsel zur PDS ermutigt.
Auch der "pragmatische Mittewähler" bekommt einen Anreiz, zur CDU abzuwandern.
(Denn eine strikt linke Politik wird der ja auch nicht wollen).

Ich bin ja nicht unbeingt ein SPD-Fan.
Aber auch bei nüchterner "neutraler" Betrachtung ist es einfach nur erschreckend, wie strategisch dämlich sich die SPD da verhält.
 Link zu diesem Beitrag

Richard Seyfried
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 19. Juli 2008 - 01:14 Uhr:   

@Florian

Die SPD ist nicht dämlich, sie ist strategisch in einer hoffnungslosen Lage. Schließt sie die PDS weiter aus, wie du es wünscht, wird sie auf der linken Seite nur mehr als Mehrheitsbeschaffer für die CDU gesehen und muss fürchten, dass sie langfristig zur dritten Kraft hinter der Linkspartei wird.

Was würde unser "pragmatischer" linker Wähler denken, dem soziale Themen am Herzen liegen:
Vom ersten Platz ist die SPD weit entfernt, CDU-SPD geht sich sowieso aus. Daher werde ich, um Druck auf eine solche Regierung zu erzeugen, Linkspartei wählen. SPD direkt wählen schafft ja insbesondere auf die SPD wesentlich weniger Druck, linke Positionen engagiert zu verteidigen. Und wenn die SPD als benötigter Koalitionspartner unter Druck von links ist, muss auch die Union nachgiebiger sein, um den angeschlagenen Koalitionspartner SPD nicht zu verlieren.

Ähnlich denken die pragmatischen Wähler, die eher zu einem "rechten", wirtschaftsorientierten Kurs neigen. Die wählen sowieso Union oder eventuell FDP, auch wenn sich die SPD da anbiedert. Man geht zum Schmied und nicht zum Schmiedl. Die vergangenen Erfolge der SPD unter Schröder sind da enden wollend.

Die große Ausnahme ist der Bereich der Alternativenergie. Da ist Deutschland nach rot-grün Weltmarktführer, die Regierung war strategisch erfolgreich. Wen aber wählt der pragmatische Wähler, der diese Themen weiter stärken will: Auch wieder den Schmied, die Grünen, und nicht den Schmiedl SPD, weil es das klarere und stärkere Signal ist.

Formulieren wirs mal überspitzt:
Aus der Sicht eines "pragmatischen" Wählers gesehen müsste die SPD eigentlich gar nicht am Stimmzettel stehen, da die grundlegenden Positionen besetzt sind und die SPD irgendwie grad nur als Mehrheitsbeschaffer gebraucht wird.

Dumme Ausgangslage! Meines Erachtens auch für den besten Strategen im Moment nicht lösbar.
 Link zu diesem Beitrag

Good Entity
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 19. Juli 2008 - 17:49 Uhr:   

SPD direkt wählen schafft ja insbesondere auf die SPD wesentlich weniger Druck, linke Positionen engagiert zu verteidigen.

- Andererseits schafft SPD direkt wählen natürlich für die SPD mehr Abgeordnete (jedenfalls sollte das so sein, ganz anderes Thema) und damit eine weit stärkere Position in einer Koalition mit wem auch immer, auch als Juniorpartner. Eine "Große Koalition", in der die CDU/CSU doppelt oder dreifach soviel Abgeordnete hat wie die SPD, wird nämlich nicht nur 3 oder 4 Ministerposten weniger für die SPD haben, sondern auch die für die SPD und ihre Wähler wichtigen Themen anders behandeln - eben so, wie Gerhard Schröder zuletzt etwa die Grünen und ihre Themen behandelt hat.

Relevant ist jetzt natürlich nicht, was nun objektiv wirklich im Interesse eines Wählers ist (da lässt sich ohnehin keine Einigung erzielen), sondern was der potentielle Wähler nun folgert und tatsächlich wählt.

Wen wählt denn jetzt der pragmatische Lehrer, stolz auf sein modernes Unterrichtskonzept, seine langjährige Gewerkschaftszugehörigkeit (wenn auch kaum aktiv), sein soziales Engagement in einer lokalen Organisation für die Betreuung von Asylbewerbern, sein Reihenhaus mit Garten (noch nicht ganz abbezahlt) und seinen japanischen Mittelklassewagen? - Wen wählt seine Frau (Schulsekretärin halbtags und mag Helmut Schmidt und Heide Simonis), sein Vater (Chemiefacharbeiter i.R. und früherer Betriebsrat), seine 18jährige Tochter, die 95jährige Oma im Seniorenheim, der Nachbar (Stellvertretender Leiter im Jugendamt - der Leiter ist in der CDU)? Ich denke schon, dass die SPD für alle fiktiv Aufgezählten auf dem Teil des Stimmzettels steht, der für das Kreuzchen ernsthaft in Betracht kommt und dass sie für die Wahlkämpfer erreichbar sind. Natürlich kann man jeden einzelnen von ihnen mit mieser Strategie verprellen. Aber hoffnungslos ist die Situation dabei für die SPD nicht.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juli 2008 - 20:33 Uhr:   

Ypsilanti verweigert die Antwort auf die "Gretchenfrage", ob sie einen neuen Versuch unternehmen will, sich mit Hilfe der Linkspartei zur hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Möglicherweise wird der für den 13. September 2008 geplante SPD-Landesparteitag auf einen Termin nach der Landtagswahl in Bayern verschoben.http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/index.jsp?rubrik=34954&key=standard_document_34781670
Quelle:
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 23. Juli 2008 - 20:53 Uhr:   

Ein interessanter Kommentar dazu - bereits vom Tage vorher - findet sich hier:
http://www.faz.net/s/Rub5785324EF29440359B02AF69CB1BB8CC/Doc~E7A4E4E75FB444F8D8254BAEC8F71D39C~ATpl~Ecommon~Scontent.html
 Link zu diesem Beitrag

mma
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 25. Juli 2008 - 11:16 Uhr:   

Am Sonntag liegt die Landtagswahl nun schon ein halbes Jahr zurück. Was ist seither passiert?

Der "Wortbruch", der der SPD so geschadet haben soll, hat immer noch nicht stattgefunden: Ypsilanti hat keine Stimmen der Linkspartei bekommen, die Regierung Koch ist weiter im Amt. Zwar nur geschäftsführend, aber das ist in einer personalisierenden Medienrealität ungefähr so wichtig wie die Frage, ob die Meinung des Verkehrsministers zum Steinschlag-Zeichen wirklich von Wolfgang Tiefensee persönlich stammt oder von seinem Pressesprecher.

Je länger Koch weiter regiert, desto mehr drängt sich die Frage auf, wieso denn eine Wahl Ypsilantis mit den Stimmen der Linkspartei ein dauerhaftes Bündnis, eine Tolerierung etc. bedeuten soll. Auch Y. könnte sich doch wählen lassen und dann ohne parlamentarische Mehrheit weiterregieren; den Vorwurf, dass mit solchen Methoden die parlamentarische Legitimation des Regierens geschädigt werde, kann ihr Gegner ja nicht mehr erheben, da er selbst damit angefangen hat ...
 Link zu diesem Beitrag

Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 25. Juli 2008 - 13:16 Uhr:   

"Der "Wortbruch", der der SPD so geschadet haben soll, hat immer noch nicht stattgefunden: Ypsilanti hat keine Stimmen der Linkspartei bekommen"
Das hatten wir doch alles schon. Wenn man nach der Wahl genau das anstrebt, was man vor der Wahl kategorisch ausgeschlossen hat, dann ist das natürlich Wortbruch. Daß es bisher nicht zur Linksfrontregierung kam, ist Unvermögen und nicht Unwillen zuzuschreiben.


"Je länger Koch weiter regiert, desto mehr drängt sich die Frage auf, wieso denn eine Wahl Ypsilantis mit den Stimmen der Linkspartei ein dauerhaftes Bündnis, eine Tolerierung etc. bedeuten soll. Auch Y. könnte sich doch wählen lassen und dann ohne parlamentarische Mehrheit weiterregieren; den Vorwurf, dass mit solchen Methoden die parlamentarische Legitimation des Regierens geschädigt werde, kann ihr Gegner ja nicht mehr erheben, da er selbst damit angefangen hat ..."
Die Parallele ist Unsinn, denn Koch MUSS weitermachen, solange keine MP-Wahl stattfindet. Ypsilanti muß sich dagegen keineswegs mit Stimmen der Linkspartei wählen lassen. Und auch das hatten wir alles schon: Ist Y erstmal gewählt, wird sie sicher keine Stimmen von CDU und FDP für die Einführung der Einheitsschule, Scheers Energiephantasien und anderes bekommen. Wechselnde Mehrheiten wird es nicht geben.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 12:49 Uhr:   

In einem Interview mit der FAZ Sonntagszeitung hat der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Grünen, Al Wazir, seine Bereitschaft bekräftigt, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu bilden, falls die Linken dem Haushalt einer solchen Regierung zustimmten und ein "Mindestmaß an Verläßlichkeit" zeigen würden. "Ich werde einem Grünen-Parteitag keinen Regierungseintritt vorschlagen, wenn absehbar ist, dass eine solche Regierung nicht lange Bestand haben wird. Für Himmelfahrtskommandos sind wir nicht zu haben." Er erklärt in dem Interview, die Linkspartei müsse sich darüber im klaren sein, ob sie weiterhin reine Oppositionspartei sein möchte oder ob sie auch Verantwortung übernehme. Dies bedeute zum Beispiel die Bereitschaft, einem Haushalt zuzustimmen. "Man kann keine Regierungs installieren und diese dann ohne Haushalt stehen lassen." Tarik Al Wazir betont auf Fragen der FAZ-Reporter Jacqueline Vogt und Ralf Euler weiter, er sei nicht "begeistert" von einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Es gäbe aber derzeit überhaupt keine denkbare Konstellation im Hessischen Landtag, von der er begeistert sei.
Auf die Fage, ob er erwarte, dass Frau Ypsilanti beim Landesparteitag der SPD am 13. September eine klare Aussage zu ihrem weiteren Vorgehen machen werde, sagt er wörtlich: "Ja natürlich, wir erwarrten von der SPD Klarheit."

Auf die Frage, was die Option sei, sollte Frau Ypsilanti bei der Wahl zur Ministerpräsidentin scheitern, weicht Al Wazir aus. Bislang stehe ja nicht einmal fest, ob sie als Ministerpräsidentin kandidieren werde. Außerdem stellt er fest, dass es aus seiner Sicht wenig Druck auf die FDP gäbe. "Wenn man wie die Liberalen jeden Tag erklärt, das Schlimmste, was passieren könne, wäre, dass die Linkspartei Einfluss auf die hessische Landespolitik gewinnt, dann muss man sich doch die Frage gefallen lassen, warum man nicht bereit ist, mit SPD und Grünen in Verhandlungen über eine Ampel-Koalition einzutreten. Jamaica ist aus meiner Sicht die unwahrscheinlichste Option, weil die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Grünen und der hessischen CDU sehr groß sind."

Auf die Frage nach Neuwahlen geht Al Wazir in dem Interview nicht ein.

Das Interview ist im Rhein-Main-Teil der heutigen Sonntagszeitung der FAZ nachlesbar.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 13:14 Uhr:   

Die Nachrichtenagentur Reuters meldet, Ypsilanti erwäge, sich mit Hilfe der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen:


Berlin (Reuters) - Die SPD in Hessen erwägt ungeachtet der Bedenken der Bundesspitze einen neuen Anlauf zur Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin mit Hilfe der Linkspartei.

Dies werde die Landes-SPD in den nächsten Wochen besprechen, sagte SPD-Landesvorsitzende Ypsilanti dem Berliner "Tagesspiegel" vom Samstag. Sie lasse sich von niemandem unter Druck setzen. Der Landesverband und die Landtagsfraktion seien sehr geschlossen: "Wir können uns deshalb die Freiheit nehmen, ohne Denkverbote zu überlegen, wie es weiter geht."

Nach der Landtagswahl im Januar war es weder Ministerpräsident Roland Koch (CDU) noch Ypsilanti gelungen, eine Koalition zu bilden, da die favorisierten Bündnisse Schwarz-Gelb und Rot-Grün über keine Regierungsmehrheit verfügen. Koch ist derzeit geschäftführender Ministerpräsident ohne Landtagsmehrheit. Ypsilanti gab nach Widerstand in der SPD-Landtagsfraktion den Plan auf, sich mit Hilfe der Linkspartei zur Regierungschefin wählen zu lassen. Die auch von SPD-Chef Kurt Beck befürwortete Öffnung zur Linkspartei ist in der Partei umstritten.

Zu früheren Äußerungen Becks, wonach die Hessen-SPD nicht zweimal mit demselben Kopf gegen dieselbe Wand rennen werde, sagte Ypsilanti: "Ich sehe in Hessen weder eine Wand noch eine Mauer, sondern ein breites, unbeackertes Feld, das beackert werden will." Natürlich würden die Interessen der Bundespartei in die Erwägungen einbezogen. "Auf meiner Prioritätenliste stehen aber die Inhalte ganz oben, ihnen bin ich zuallererst verpflichtet."

Auf die Hilfe der Grünen kann Ypsilanti zählen. "Wenn die SPD mit uns Koalitionsverhandlungen aufnehmen möchte, und die Ergebnisse überzeugend sind, wird eine rot-grüne Minderheitsregierung an uns nicht scheitern", sagte der Landesvorsitzende Tarek Al-Wazir der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" nach Vorabbericht vom Freitag.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 13:25 Uhr:   

Und auch die Nachrichtenagentur AP hat jetzt - wie verschiedene Medien melden - den Text übernommen:
Rot-rote Gedankenspiele in Hessen:
Ypsilanti erwägt zweiten Versuch
27. Jul 12:50

Ypsilanti sieht in Hessen ein 'Feld, dass beackert werden will'
Foto: dpa

Die Warnung von ihrem Bundesvorsitzenden Beck, nicht zweimal gegen dieselbe Wand zu rennen, kümmert Hessens SPD-Vorsitzende nicht. Ypsilanti hofft, doch noch mit den Stimmen der Linken Ministerpräsidentin zu werden.

Die hessische SPD denkt offenbar über einen neuen Versuch zur Regierungsbildung nach. Die Partei werde in den kommenden Wochen besprechen, ob es zu einem neuen Anlauf komme, sagte Landeschefin Andrea Ypsilanti dem Berliner «Tagesspiegel». Sie selbst lasse sich dabei aber von niemandem unter Druck setzen.
MEHR IN DER NETZEITUNG:
» Hessens Grüne liebäugeln mit der CDU
» Beck will Ypsilanti Links-Flausen austreiben
» Ypsilanti verteidigt Geheimtreffen mit Linken

Ypsilanti sagte, der Landesverband und die Landtagsfraktion seien geschlossen. «Wir können uns deshalb die Freiheit nehmen, ohne Denkverbote zu überlegen, wie es weiter geht.» Die Landes-SPD habe in den vergangenen Monaten gelernt, dass es schwierig sei, einen echten Politikwechsel durchzusetzen, wenn man nicht an der Regierung beteiligt sei.

Zu Äußerungen des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, wonach die Hessen-SPD nicht zweimal mit gegen dieselbe Wand rennen werde, sagte Ypsilanti: «Ich sehe in Hessen weder eine Wand noch eine Mauer, sondern ein breites, unbeackertes Feld, das beackert werden will.»

Zwar würden die Interessen der Bundespartei in die Erwägungen einbezogen, sagte Ypsilanti. «Auf meiner Prioritätenliste stehen aber die Inhalte ganz oben, ihnen bin ich zuallererst verpflichtet.» Es gehe ihr um einen grundlegenden Wandel in der Bildungs-, Sozial- und Energiepolitik. «Da stehe ich gegenüber meinen Wählern im Wort.»



«Für Himmelfahrtskommandos nicht zu haben»

Auch der Grünen-Landesvorsitzende Tarek Al-Wazir hält eine von der Linkspartei tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung in Hessen noch immer für denkbar. «Wenn die SPD mit uns Koalitionsverhandlungen aufnehmen möchte und die Ergebnisse überzeugend sind, würde eine rot-grüne Minderheitsregierung an uns nicht scheitern», sagte er in einem Interview der Rhein-Main-Ausgabe der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung».

In einem solchen Fall erwarte er von den Linken allerdings ein Mindestmaß an Verlässlichkeit. Dazu gehöre, einem Haushalt für das Jahr 2009 zuzustimmen. Er werde einem Grünen-Parteitag keinen Regierungseintritt vorschlagen, wenn absehbar sei, dass eine solche Regierung nicht lange Bestand haben könne, stellte Al-Wazir klar. «Für Himmelfahrtskommandos sind wir nicht zu haben.»

Der Grüne stelle in dem Interview erneut klar, dass er nicht begeistert von einer Zusammenarbeit mit der Linken sei, «aber es gibt derzeit überhaupt keine denkbare Konstellation im hessischen Landtag, von der ich begeistert wäre».



CDU spricht von Dreistigkeit

Kritik an den Äußerungen von SPD und Grünen kam von der CDU. Es grenze an Dreistigkeit, wie unverfroren Ypsilanti ihren erneuten Anlauf zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei zu rechtfertigen versuche, erklärte Landesgeneralsekretär Michael Boddenberg. «Wer wie Ypsilanti nur Stunden nach einer Wahlentscheidung sein Wort gebrochen hat, dem kann kein Wähler mehr die Aussage abnehmen, dass er aber in Inhalten gegenüber seinen Wählern im Wort stehe.»

Nach der Landtagswahl ist die Regierung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nur noch geschäftsführend im Amt. Bislang gibt es keine Mehrheit im Parlament. Eine Große Koalition wollen CDU und SPD nicht, für eine Koalition aus CDU und FDP oder SPD und Grünen fehlt die Mehrheit und Ypsilanti scheiterte mit der Bildung einer von den Linken tolerierten Minderheitsregierung am Widerstand aus der eigenen Partei. Vor der Wahl hatte sie eine Zusammenarbeit mit den Linken ausgeschlossen. (AP/dpa)

Ich gehe daher davon aus, dass der Landtag nach dem SPD-Landesparteitag zu einer Sondersitzung einberufen wird und Ypsilanti sich zur Wahl stellen wird. Spannende Frage: erhält sie dann 56 Stimmen? Und wie verhält sich Jürgen Walter? Es wird also spannend werden die nächsten Wochen und Monate in Hessen.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 13:34 Uhr:   

Das Interview mit Frau Ypsilanti im Berliner Tagesspiegel im Wortlaut:
Quelle: www.tagesspiegel.de

Andrea Ypsilanti
"Ich verkrieche mich nicht im Mauseloch"Sie war angetreten, Roland Koch aus dem Amt zu hebeln - doch bislang ohne Erfolg. Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti über ihre rot-rot-grüne Option und die Bedenken der Genossen im Bund.
Anzeige
Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti im Tierpark Germerode mit Bartkauz "Kalle". - Foto: dpa
26.7.2008 0:00 Uhr
26.7.2008 0:00 Uhr





Frau Ypsilanti, Ihr Parteichef Kurt Beck hat im Frühjahr versichert, die Hessen-SPD werde nicht zweimal mit demselben Kopf gegen dieselbe Wand rennen. Gilt das noch oder nehmen Sie bald einen neuen Anlauf?

Ich sehe in Hessen weder eine Wand noch eine Mauer, sondern ein breites, unbeackertes Feld, das beackert werden will.

Von SPD, Grünen und Linkspartei mit Ihnen als Ministerpräsidentin?

Natürlich denken alle Parteien sechs Monate nach der Landtagswahl darüber nach, wie es in Hessen weitergehen soll. CDU und FDP machen sich Gedanken über eine Jamaika-Koalition, die Grünen wünschen sich, dass ich mich entscheide, einen neuen Anlauf zu machen. Meine Partei denkt auch darüber nach. Ob es dazu kommt, werden wir in den nächsten Wochen besprechen. Ich lasse mich dabei von niemandem unter Druck setzen.

Die Bundes-SPD fürchtet, ein neuerlicher Versuch in Hessen werde der Sozialdemokratie im Bundestagswahljahr schwer schaden, weil sie die Debatte um Rot-Rot im Bund nicht mehr los würde. Spielen diese Bedenken für Sie eine Rolle?

Die Bundes-SPD hat eine breite Diskussion über den Umgang mit der Linken geführt und einen Beschluss gefasst, der auch für uns gilt. Der Beschluss lautet, dass die Länder freie Hand bei der Regierungsbildung haben, mit dieser Freiheit aber verantwortlich umgehen müssen. Diese Verantwortung nehme ich gerne wahr.

Das hört sich nicht so an, als seien die Sorgen der Bundes-SPD für Sie entscheidend.

Natürlich beziehen wir die Interessen der Bundespartei in unsere Erwägungen mit ein. Auf meiner Prioritätenliste stehen aber die Inhalte ganz oben, ihnen bin ich zu allererst verpflichtet. Ich bin für einen Politikwechsel angetreten und gewählt worden. Mir geht es um einen grundlegenden Wandel in der Bildungs-, Sozial- und Energiepolitik. Da stehe ich gegenüber meinen Wählern im Wort. Die haben für mich gestimmt, weil sie zum Beispiel wollen, dass Hessen Vorzeigeland für alternative Energien wird.

Ihr erster Versuch, Roland Koch mit Hilfe der Linkspartei aus dem Amt zu hebeln, scheiterte am Widerstand der SPD-Abgeordneten Dagmar Metzger. Sie wollte sich nicht am Bruch eines zentralen Wahlversprechens beteiligen, nämlich der Absage an eine Kooperation mit den Linken. Hat Frau Metzger ihre Haltung geändert oder gibt es einen anderen Grund für Sie, neu über eine Kandidatur zur Ministerpräsidentin nachzudenken?

Wir müssen alle Möglichkeiten ernsthaft in Erwägung ziehen, um Hessen voranzubringen. Eine geschäftsführende Landesregierung kann nicht über eine ganze Wahlperiode hinweg im Amt bleiben. Meine Partei ist sehr geschlossen, die Fraktion auch, wir haben die neuen Mitglieder gut integriert. Wir können uns deshalb die Freiheit nehmen, ohne Denkverbote zu überlegen, wie es weiter geht. Die Erwartungen in der Partei, aber auch in den Bildungs-, Umwelt- und Sozialverbänden an uns sind groß, den Politikwechsel auch umzusetzen. Wir haben in den letzten Monaten gelernt, dass es schwierig ist, einen echten Politikwechsel durchzusetzen, wenn man nicht an der Regierung beteiligt ist.

Glauben Sie, das Risiko einer Kandidatur ist heute geringer als vor fünf Monaten?

Ich lasse mich nicht darauf festlegen, dass ich einen neuen Versuch wage. Wir führen eine offene, transparente Diskussion. Ich gehe davon aus, dass wir auf unserem Parteitag am 13. September dann eine Entscheidung darüber treffen werden, wie es weitergeht. Aber auch das ist keine Vorgabe. Wir sind eine diskussionsfreudige Partei. Die Partei möchte gefragt und mitgenommen werden. Und das ist meine Aufgabe als Vorsitzende.

Ihre Genossen von der Bayern-SPD passt eine Rot-Rot-Debatte zwei Wochen vor der Landtagswahl gar nicht ins Konzept. Sind Sie bereit, Ihren Parteitag zu verschieben?

Das halte ich derzeit nicht für notwendig.

Ein neuer Anlauf wäre mit immensem Druck auch auf Sie persönlich verbunden. Fällt das für Sie ins Gewicht?

Politiker dürfen sich nicht im Mauseloch verkriechen. Ich habe das in den letzten Monaten nicht getan und werde es auch weiterhin nicht tun.

Frau Ypsilanti, wenn Sie bei einer Kandidatur zur Ministerpräsidentin im Wiesbadener Landtag scheitern würden, könnten Sie die Hessen-SPD dann noch in eine Neuwahl führen oder müssten Sie zurücktreten?

Lassen Sie uns über solche und andere Fragen sprechen, wenn sie anstehen.

Das Gespräch führte Stephan Haselberger.
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 13:45 Uhr:   

Da es ja bei solchen Entscheidungen auf jedes Wort ankommt, habe ich mich entschieden, das Interview mit dem hessischen Grünen-Fraktionschef, welches ich oben in den wichtigsten Teilen in eigenen Worten zusammengefasst hatte, doch noch einmal auch hier komplett einzustellen. So kann jeder sehen, wie ich zu meiner Einschätzung komme, dass ich glaube, dass Frau Ypsilanti einen neuen Versuch unternehmen bzw. wagen wird, sich der Wahl als Ministerpräsidentin im hessischen Landtag zu stellen.

Interview mit dem hessischen Grünen-Chef Tarek Al-Wazir
Wir werben um Zustimmung von allen Seiten
Von Jacqueline Vogt und Ralf Euler

Hält Rot-Grün in Hessen immer noch für möglich: Grünen-Chef Tarek Al-Wazir
27. Juli 2008 Bei der Landtagswahl haben Sie für eine rot-grüne Regierung gekämpft und diese knapp verpasst. Dann sollte es eine rot-grüne Minderheitsregierung sein, toleriert von der Linken. Ist das noch Ihre Wunschkonstellation?

Wenn die SPD mit uns Koalitionsverhandlungen aufnehmen möchte und die Ergebnisse überzeugend sind, würde eine rot-grüne Minderheitsregierung an uns nicht scheitern. Ich würde allerdings sehr genau darauf achten, dass sich auch die Linkspartei in einer solchen Konstellation ihrer Verantwortung bewusst wäre. Wir erwarten von den Linken ein Mindestmaß an Verlässlichkeit. Ich werde einem Grünen-Parteitag keinen Regierungseintritt vorschlagen, wenn absehbar ist, dass eine solche Regierung nicht lange Bestand haben kann. Für Himmelfahrtskommandos sind wir nicht zu haben.

Sie haben vor der Wahl von der Linkspartei gesagt, sie sei „eine sehr bunte Mischung von frustrierten Ex-SPDlern, Ex-DKPlern und Ex-PDSlern bis hin zu Vertretern von obskuren trotzkistischen Gruppierungen“, mit denen man keine vernünftige Politik machen könne. Was hat sich geändert?

Zum Thema

Verlässlichkeit gefordert: Al-Wazir appelliert an Linkspartei
Ypsilanti hält sich Wahl durch Linke offen
Kernkraftwerk Biblis: Atomkrach? Nein, danke!
Roland Koch zieht 100-Tage-Bilanz: „Hessen auf Kurs“
Dass die Linkspartei eine bunte Mischung aus genau diesen Zutaten ist, hat sich in den vergangenen Wochen bestätigt. Es ist ja nicht so, dass ich mir eine solche Konstellation gewünscht hätte. Im Gegenteil. Aber wir müssen sehen, wie wir in der momentanen Situation den größtmöglichen Anteil an Grünen-Positionen umsetzen können. Deshalb waren wir im März bereit, in Koalitionsverhandlungen mit der SPD einzutreten. Dass es dazu nicht gekommen ist, lag nicht an uns, sondern an der SPD. Ich sage aber auch ausdrücklich: Die Linkspartei muss sich klar darüber sein, ob sie weiterhin reine Oppositionspartei sein möchte oder ob sie auch Verantwortung übernimmt. Das bedeutet zum Beispiel die Bereitschaft, einem Haushalt zuzustimmen. Man kann keine Regierung installieren und diese dann ohne Haushalt stehen lassen.

Grundsätzlich haben Sie keine Bedenken, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten? Dass die Linke den Verfassungsschutz abschaffen möchte, das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte nicht in Wiesbaden will und sich bei ihren Forderungen nach mehr Sozialstaat keinen Deut um die Finanzierung schert, kümmert Sie nicht?


Vergebliches Werben: Tarek Al-Wazir (links) sieht kaum Geminsamkeiten mit Roland Kochs CDU
Die Forderung nach Auflösung des Verfassungsschutzes hat die Linkspartei vor zwei Wochen schon fallenlassen. Das finde ich in Anbetracht der Tatsache, dass sie erst seit Anfang April im Parlament vertreten ist, erstaunlich schnell. Bei den Grünen hat es ein paar Jahre länger gedauert, bis sie diese Forderung aufgegeben haben. Ich bin nicht begeistert von einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Aber es gibt derzeit überhaupt keine denkbare Konstellation im Hessischen Landtag, von der ich begeistert wäre.

Erwarten Sie, dass Frau Ypsilanti beim Landesparteitag der SPD am 13. September eine Aussage zu ihrem weiteren Vorgehen macht?

Ja natürlich, wir erwarten von der SPD Klarheit.

Was ist die Option, wenn Frau Ypsilanti bei der Wahl zur Ministerpräsidentin scheitert? Jamaika, Neuwahlen, Weiterwurschteln?

Bisher steht ja nicht einmal fest, ob Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin kandidieren wird.

Aber gesetzt den Fall, es kommt nicht zu Rot-Grün-Rot. Was wäre Ihnen dann lieber: Jamaika oder Neuwahlen?

Es gibt aus meiner Sicht erstaunlich wenig Druck auf die FDP. Wenn man wie die Liberalen jeden Tag erklärt, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass die Linkspartei Einfluss auf die hessische Landespolitik gewinnt, dann muss man sich doch die Frage gefallen lassen, warum man nicht bereit ist, mit SPD und Grünen wenigstens in Verhandlungen über eine Ampel-Koalition einzutreten. Jamaika ist aus meiner Sicht die unwahrscheinlichste Option, weil die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Grünen und der hessischen CDU sehr groß sind.

Die hessische Union haben Sie in der Vergangenheit wahlweise als „Kaderpartei“ oder als den „rückständigsten Landesverband der CDU“ bezeichnet? Hat sich an dieser Einschätzung etwas geändert?

Die Kommandostrukturen innerhalb der hessischen CDU scheinen intakt zu sein. Da wurde nach der Wahl das Kommando ausgegeben: „Jetzt alle freundlich zu den Grünen“, und dann waren alle freundlich zu uns. Spannender ist die Frage, was sich in der Sache tut. Wir haben mit den Reparaturarbeiten an den Fehlern der CDU aus der vergangenen Legislaturperiode begonnen. Dazu gehören erste Korrekturen an der verkürzten gymnasialen Schulzeit und die Abschaffung der Studiengebühren, aber wir haben auch für ein Umdenken in der Energiepolitik gesorgt. Wer hätte geglaubt, dass die hessische CDU unser Ziel von einem vierzigprozentigen Anteil erneuerbarer Energien im Jahr 2020 überhaupt in Erwägung ziehen könnte? Aber auch hier zählen nur Taten, nicht schöne Worte.

Sind die Grünen in ihren energiepolitischen Positionen überhaupt noch festgelegt? In einem Interview hat diese Woche der frühere hessische Grünen-Vorsitzende und heutige Politikprofessor Hubert Kleinert den Widerstand gegen Kernkraft zu einem Gründungsmythos der Grünen und für falsch erklärt.

Für falsch hat er ihn nicht erklärt, er hat über Laufzeitverlängerungen vor dem endgültigen Ausstieg spekuliert, ist dabei aber aus meiner Sicht der Atomlobby und ihrer Legende von der sogenannten Stromlücke auf den Leim gegangen.

Er hat auch gesagt, dass der gleichzeitige Ausstieg aus der Atomenergie und der Kohle nicht möglich sei.

Da hat er recht, das will aber auch niemand. Wir hatten ja seinerzeit in der rot-grünen Bundesregierung nicht ohne Grund den Atomkonsens so angelegt, dass es ein schrittweises Abschalten der Atomkraftwerke gibt und die Möglichkeit, ältere Anlagen schneller stillzulegen und dafür modernere etwas länger laufen zu lassen. Die Kraftwerksbetreiber tun das nicht, weil sie weiter Milliarden verdienen wollen mit den abgeschriebenen Altanlagen. Wir wollen auch nicht alle Kohlekraftwerke sofort abschalten, wir wehren uns nur gegen den Neubau von ineffizienten Anlagen, die dann 40 bis 50 Jahre laufen und die Energiewende blockieren würden.

Wird angesichts steigender Energiepreise nicht die Zahl derer wachsen, die den Atomausstieg in Frage stellt?

Drehen die Russen uns den Gashahn ab? Das war vor zwei Jahren das Horrorszenario, dann wurde der Klimaschutz entdeckt, jetzt ist es der Energiepreis. Dass die Atomlobby jede Situation für sich nutzt, wundert mich nicht. Eine Laufzeitverlängerung für Biblis A und Biblis B, wie RWE sie beantragt hat, würde der Betreibergesellschaft zusätzliche Einnahmen von über drei Milliarden Euro bringen. Und die Stromlücke, die ja angeblich existieren soll, die gibt es nicht. Wir hatten im vergangenen Jahr den Stillstand von Biblis A und Biblis B und von Krümmel und von Brokdorf. Trotzdem ist Deutschland Stromexport-Land gewesen. Dass Konzerne ihre Monopolgewinne schützen wollen, hat nichts mit zukunftsweisender Energiepolitik zu tun.

Wechseln wir zur Zukunft des Schulwesens. Wem fühlen Sie sich in der Bildungspolitik im Moment näher, der SPD oder der CDU?

Wir sehen uns als Garanten dafür, dass der mehr als 30 Jahre lange hessische Schulkampf endgültig der Vergangenheit angehört. Unser Verständnis von Eigenverantwortung der Schulen ist etwas, was beiden Volksparteien eher fremd ist. Wenn sich da jetzt etwas ändert, haben die Grünen einen großen Beitrag geleistet.

Welche schulpolitische Position ist eine singuläre der Grünen?

Wenn Sie so wollen, die Entideologisierung der Schulpolitik, weniger Systemdebatten und mehr Fokussierung auf die Inhalte. Wir stehen dazu, dass wir eine neue Schule wollen, dass wir ein längeres gemeinsames Lernen wollen – aber auf freiwilliger Basis, überzeugend durch Leistung, das ist uns ganz wichtig. Wir stehen auch dazu, dass wir kleinere Klassen, eine stärkere Verzahnung von Schule und Jugendhilfe wollen und mehr echte Ganztagsangebote. Das steht alles noch aus, und da werben wir um Zustimmung von allen Seiten. Man sollte sich außerdem nicht davon täuschen lassen, dass sich der CDU-Kultusminister Jürgen Banzer bei seinen Reparaturarbeiten aus unserem Fundus bedient hat. Die Frage, ob die CDU sich wirklich von der Linie Dregger-Kanther-Koch gelöst hat, wird zum Beispiel bei der Zukunft der Hauptschule eine Rolle spielen.

Wollen Sie die Hauptschule abschaffen?

Die Hauptschule schafft sich gerade von selbst ab. Und unabhängig davon, was man in dieser Frage will oder nicht: Wenn die Eltern diese Schulform nicht mehr annehmen, braucht man auf diese Entwicklung eine Antwort. Ich habe aus der hessischen CDU noch keine gehört.



Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AP, dpa

Quelle: www.faz.net
 Link zu diesem Beitrag

Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 18:17 Uhr:   

Und heute nachmittag findet sich auch der entsprechende Bericht auf Spiegel Online. Danach habe es keinen Sinn, Außenminister Steinmeier zum SPD-Kanzlerkandidaten auszurufen, solange Ypsilanti ihre Versuche, in Hessen Ministerpräsidentin mit Hilfe der Linken werden zu wollen, nicht begrabe
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,568360,00.html
Quelle:
 Link zu diesem Beitrag

J.A.L.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 27. Juli 2008 - 21:57 Uhr:   

@ Bernhard Nowak:

Ich kann mich erinnern, dass Sie schon öfter gebeten wurden, nicht 4 oder 5 Agenturmeldungen am Stück zu zitieren, sondern nur in kurzem Auszug oder als Link? Ist es reine Sturheit, dass Sie es immer noch machen?
 Link zu diesem Beitrag

Ralf Arnemann
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 28. Juli 2008 - 09:58 Uhr:   

In einer schwierigen Situation muß ein Politiker vorsichtig formulieren, muß manchmal Probleme beschönigen oder herunterspielen.

Aber man muß die Leute nicht so krass anlügen wie das Ypsilanti hier wieder tut: "Meine Partei ist sehr geschlossen, die Fraktion auch, ..."

Das ist völliger Unsinn, jeder weiß, daß weder Partei noch Fraktion derzeit geschlossen sind, sondern im Gegenteil in wesentlichen Fragen Dissens besteht.
Es wäre auch nicht schädlich, wenn die Vorsitzende das so darstellt - oder zumindestens das Thema nicht anspricht.

Was treibt sie nur dazu, so offensichtlich weiß für schwarz zu erklären - da kann sich doch kein Wähler mehr ernst genommen fühlen.
 Link zu diesem Beitrag

Cyrix
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 28. Juli 2008 - 10:27 Uhr:   

Eine Parteivorsitzende, die öffentlich breit tritt, dass ihre Partei nicht hinter ihr steht bzw. sie nicht ihre Fraktion unter Kontrolle hat, ist die längste Zeit Parteivorsitzende gewesen.

Und dass sie das nicht unbedingt will, ist doch nur allzu menschlich, oder? ;)

Grüße,
Cyrix

Admin Admin Logout Logout   Vorige Seite Vorige Seite Nächste Seite Nächste Seite