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Archiv bis 23. November 2007

Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Wahlen, Abstimmungen usw. im europäischen Ausland » Belgien – Belgische Staatskrise » Archiv bis 23. November 2007 « Zurück Weiter »

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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Dienstag, 13. November 2007 - 02:17 Uhr:   

Die Krise, die jetzt schon monatelang die Bildung einer Regierung in Belgien verhindert, scheint sich allmählich in eine ernsthafte Staatskrise zwischen Flamen und Wallonen auszuwachsen.

Allgemein angenommen wird ein Kompromiss in Form einer weiteren Föderalisierung Belgiens als letztendliche Lösung der Krise, aber wenn genügend böses Blut angerührt wird, könnten die Flamen einen eigenen Staat fordern...

Was dann? Gibt es Überlegungen, was man tun könnte, wenn mitten in Europa ein Staat zerfällt? (Und gehört eine solche Frage noch im weiteren Sinne zum Wahlrecht, und wenn nein, wo sollte man es dann diskutieren?)
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 13. November 2007 - 09:53 Uhr:   

> Gibt es Überlegungen, was man tun könnte, wenn
> mitten in Europa ein Staat zerfällt?
Es gibt m. W. keine offiziellen Überlegungen dazu. Bisher sind auch nur Staaten außerhalb der EU zerfallen.
Interessant ist übrigens bei diesen Beispielen, daß es da zwar teilweise zu heftigen inneren Problemen gab (mit den jugoslawischen Bürgerkriegen als negatives Extrem), im internationalen Kontext aber alles ziemlich problemlos abgewickelt wurde: Die Auslandsschulden, die diversen Vermögensobjekte (Botschaften), die Mitgliedschaften und Rechte/Pflichten des alten Staates wurden recht einvernehmlich auf die Nachfolger verteilt.

Sobald also die Belgier sich tatsächlich auf eine neue Struktur mit mehreren selbständigen Staaten einigen sollten, wäre der Nachvollzug für den Rest der Welt wohl einfach machbar.

> Und gehört eine solche Frage noch im weiteren
> Sinne zum Wahlrecht, ...
Im Sinne dieses Diskussionsbereichs "Tagesgeschehen" schon, es gibt ja auch einen direkten Zusammenhang zwischen politischen Strukturen und Wahlsystemen.

Im übrigen halte ich es für den Kardinalfehler der bisherigen belgischen Föderalismus-Versuche, daß man die streitenden Wallonen und Flamen in genau sich gegenüber stehende Länder aufgeteilt hat - das institutionalisiert ja den Konflikt.
Es wäre m. E. viel besser gewesen (und wohl immer noch möglich), sehr viel mehr kleine Bundesstaaten zu schaffen, die immer wieder zu neuen Koalitionen zusammenfinden können.

Dann würde es eben nicht mehr nur Wallonen gegen Flamen gehen, sondern auch ländlich gegen Stadt, rechts gegen links, große gegen kleine etc. - je mehr Kombinationsmöglichkeiten es gibt, desto öfter würden sich die potentiellen Bündnispartner neu sortieren müssen und damit die Kompromißfähigkeit steigen.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 13. November 2007 - 13:53 Uhr:   

Außenpolitisch wäre das nicht so dramatisch. Beide Teile würden sicher weiter der EU angehören. Das Problem wäre überschaubar. Eine Frage, die doch zu kären wäre, ist, ob die Stimmen Belgiens im EU-Parlament und vor allem im Rat nur audfgeteilt wären, oder ob sie so viele Stimmen bekommen wie ein "altes" Mitglied mit gleicher Einwohnerzahl hätte.

Schwieriger wird es immerhalb Belgiens. Das zu 85% französischsprachige Brüssel liegt inmitten Flanderns, auch wenn es nur wenige Kilometer bis Wallonien sind. Die flämische Regionalregierung sitzt sogar in Brüssel (die Regierung der französischsprachigen Gemeinschaft sitzt in Brüsel, die wallonische Regionalregierung in Namur). Ein weiteres Problem wären die inzwischen weit über Hunderttausend Frankophonen, die sich im Brüsseleer Umland und damit in Flandern niedergelassen haben. Diese wären bei einer Teilung entweder Ausländer oder sie müßten sich in die flämische Gesellschasft integrieren, was nur die wenigsten wollen.
Ein weiteres Problem ergäbe sich mit den deutschsprachigen Ostkantonen, die kein zusammenhängendes Gebiet bilden. Die wollen sicher nicht zu einem heruntergekommenen, unabhängigen Wallonien gehören. Angeblich hat der Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft schonmal bei Juncker angefragt...

Politisch wäre Wallonien stark links geprägt, auch wenn die affärengeschüttelten wallonischen Sozialisten dieses Jahr erstmals seit Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts nicht stärkste Partei Walloniens wurden. Die beiden mit Abstand größten wallonischen Provinzen, Lüttich und besonders Hennegau, haben nach wie vor eine strukturelle linke Mehrheit.
In Flandern dagegen kam das linke Lager nie über ein Drittel der Stimmen hinaus und das politische Spektrum ist deutlich weiter rechts, auch innerhalb der politischen "Familien". Die wallonische CDH ist z.B. viel linker als die flämischen CD&V. Innerhalb Flanderns gibt es aber keine ausgeprägten regionalen Unterschiede im Wahlverhalten.

Ich glaube nicht, daß eine andere Föderalisierung als die gegenwärtige mit den drei Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel besser gewesen wäre. Man kann mit keiner Föderalismusreform aus der Welt schaffen, daß es im wesentlichen zwei Sprachgruppen gibt, die sich nicht sonderlich leiden können. Hätte man statt der Bildung der Regionen den früher neun Provinzen mehr Rechte gegeben. hätte man 8 einsprachige Provinzen und ein ungefähr hälftig geteiltes Brabant, wo der Sprachenstreit dann umso heftiger toben würde. Der Spaltpilz war im Grunde von Anfang an da, die Flamen wurden bis weit ins 20. Jahrhundert gesetzlich und faktisch benachteiligt. Erst war z.B. nur Französisch Amtssprache, ab 1898 Französisch im ganzen Land und Niederländisch nur in Flandern. Als 1921 beide Sprachen endlich wenigstens rechtlich gleichgestellt wurden, wollten die Wallonen ein zweisprachiges Land nicht akzeptieren, und so kam es zur Einteilung in zwei einsprachige Gebiete und ein zweisprachiges Brüssel. Die mit der Festlegung der Sprachgrenze verbundene Spracherhebungen führte wieder zu Ärger, von flämischer Seite gab es Manipulationsvorwürfe. 1962 wurde ein Sprachgrenze dann gesetzlich und 1971 sogar verfassungsrechtlich endgültig festgelegt.
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Good Entity (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 13. November 2007 - 14:14 Uhr:   

Ralf Arnemann: Die Idee ist durchaus überzeugend und würde durch die erfolgreich nicht zerfallende Schweiz natürlich unterstützt, mit vielen Kantonen, und nicht etwa nur vier Ländern Romandie, Ostschweiz, Tessin und vielleicht Graubünden (vereinfacht).

Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Aufteilung nun wirklich Ursache für die Stabilität ist, oder ob nicht eher umgekehrt das ausgeprägte Gemeinschaftsgefühl der Eidgenossen dazu führt, dass ihnen die Kantone viel wichtiger sind, als irgendwelche andere Unterteilungen. Auch die Bewohner des Jura wollten ja keineswegs selbstständig werden oder sich womöglich Frankreich anschließen, sondern einen eigenen Kanton im Rahmen der Schweiz.

Dass eine Aufteilung in gemischte Regionen restlos schief gehen kann und keinesfalls zu friedvollen Sortiervorgängen führen muss, zeigt das Beispiel Jugoslawien. Dann schon lieber eine schmerzlose, wenn auch umstrittene Trennung wie in die tschechischen und slowakischen Republiken. Auch das darf man nicht verallgemeinern. In Belgien gibts außerdem die zweisprachige Region mit und um Brüssel. Wo sollte die hin? Ich fürchte, jedes Land muss seinen eigenen Weg finden.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 00:28 Uhr:   

Thomas Frings hat das Problem genau beschrieben: Es geht ja nicht darum, dass verschiedene Provinzen gegeneinander stehen, sondern dass zwei Gruppen (definiert durch Sprache) nicht zusammen auskommen, was auch historische Gründe hat (Belgien als Staat war ja, soweit ich die Geschichte kenne, eigentlich eine französische Schöpfung).
Die Mehrsprachigkeit der Schweiz hat hingegen eine andere Geschichte: Grob gesagt gründet die Einheit der Schweiz darauf, dass jeder Landesteil nicht seinem jeweils "grossen Bruder" angehören wollte. Die Deutschschweiz machte sich so vom deutschen Reich frei, umgkehrt achtete Genf, der westlichste "Zipfel" der Schweiz, immer darauf, ja nicht von Savojen oder Frankreich abhängig zu werden. Dabei war dann ein Bündnis mit z. B. Bern (das lange Zeit beste Beziehungen zu Frankreich pflegt) höchst zweckdienlich.
Im übrigen ist es auch erstaunlich, in Dokumenten des 16. und 17. Jhs. zu sehen, wie stark damals bereits das "Nationalbewusstsein" war, in einer Zeit, da z. B. ein italienischer, Verzeihung: piemontesischer Autor als Beispiele für Nationalstaaten gerade mal Frankreich, Spanien - und das alte Rom aufzuführen wusste, mit andern Worten schon der Gedanken der Nation noch ziemlich selten war.
Verfeindete Gruppen zu versöhnen und ein "Nationalbewusstsein" zu schaffen, fällt auch andernorts schwer - man denke nur mal an den Balkan, an Afghanistan oder auch an Länder in Afrika. Eine sinnvolle Kantonisierung oder Föderalisierung kann dabei ein Hilfsmittel sein, die entscheidenden Dinge geschehen aber auf anderen Ebenen.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 02:08 Uhr:   

Ich habe in Wikipedia etwas über Belgien herumgestöbert, und da sieht es mir eigentlich nicht danach aus, dass sich die beiden Sprachgruppen nicht ausstehen können, sondern dass den Belgiern langsam die kreativen Lösungen ausgehen, wie den einen etwas gegeben werden kann, ohne dass die andere Gruppe etwas verliert. In den letzten Jahrzehnten hat es einige Umwälzungen gegeben; die Flamen sind nicht nur in der Mehrheit, sondern jetzt auch wirtschaftlich stärker, und haben eigentlich in den letzten Reformen gewonnen, während die Wallonen immer weiter an Einfluss verloren haben und das diesmal nicht schon wieder zulassen wollen...

Nur: welche Art von Reform gibt es, in der beide Seiten gewinnen können? Die Wallonen würden die Flamen wohl ziehen lassen, wenn sie dafür mit einer rein wallonischen Regierung im Europäischen Rat und mit so vielen Abgeordneten im EP wie ein anderer Staat mit vergleichbar vielen Einwohnern vertreten wären... aber würde die EU das zulassen? Es gibt in Europa etliche Minderheiten, die einen eigenen Staat für sich fordern...

Wenn es also bei einer EU der 27 bleiben sollte, wäre zwei eigenständige Staaten Flandern und Wallonien (wobei Brüssel dann wahrscheinlich einen Sonderstatus innerhalb Walloniens erhalten würde) nicht möglich, und da Wallonien wohl kaum Frankreich beitreten wird, bliebe der Beitritt Flanderns zu den Niederlanden...

Nun ja, sie gehören zumindest zum gleichen Sprachraum... und das Niederländische ist dem Niederdeutschen ("Platt"), dessen Sprachraum die 5 norddeutschen Bundesländer umfasst, zumindest ähnlich. Wo wir schon bei Unmöglichkeiten sind, könnte man doch aus Flandern, den Niederlanden und Norddeutschland einen gemeinsamen Staat machen, mit 6 Millionen Flamen, 16 Millionen Niederländern und 15 Millionen Norddeutschen... das wären zusammen 37 Millionen, womit die neuen Niederlande ein mittelgroßer Staat mit einer Bevölkerungszahl wie Polen geworden wäre, während Deutschland sich in seiner Bevölkerungszahl wieder denen von F, GB und I nähert...
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tg
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 09:05 Uhr:   

Auch mir scheint es nicht so, daß sich die beiden Sprachgruppen nicht ausstehen können. Eher habe ich den Eindruck, daß man sich schlicht nicht füreinander interessiert. Man versuche einmal, in Flandern mit Französisch weiterzukommen (schwierig) oder gar in der Wallonie mit Niederländisch (unmöglich). Ich denke, daß im Gegensatz dazu die meisten Schweizer neben ihrer Muttersprache zumindest einen weitere Landessprache beherrschen.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 09:20 Uhr:   

Grundsätzlich muß natürlich jeder Staat seinen eigenen Weg finden, Beispiele sind nur begrenzt übertragbar (im Falle Schweiz gibt es halt Jahrhunderte an gemeinsamer Geschichte als Basis) - aber man kann trotzdem von ihnen lernen.

Ich bleibe aber dabei, daß die Zweiteilung des Landes als "Föderalisierung" völlig ungeeignet war und einer möglichen Spaltung erst den Weg geebnet hat, anstatt dieser entgegenzuwirken.

Es ist aber leider nicht zu erwarten, daß das noch korrigiert wird (mir ist jedenfalls kein Vorstoß in diese Richtung bekannt), also müssen die Belgier mit ihrem Konstrukt leben.

Und das werden sie wohl auch. Die "Spalter" sind vielleicht lautstärker, aber die meisten Belgier interessieren sich letztlich nur recht mäßig für den Streit. Und es gibt natürlich vielfältige Beziehungen über die Sprachgrenzen. Meine Schwägerin kommt z. B. aus einer "gemischten" Familie, alle Mitglieder aus beiden Familienzweigen sprechen Französisch und Flämisch (und Deutsch und Englisch) - und die sind alle erstaunlich unpolitisch und an all' diesen Debatten völlig desinteressiert.

Falls es doch zu einer Spaltung kommen sollte, wäre natürlich das Problem Brüssel zu löse - eine "Washington D.C."-Lösung als EU-Territorium könnte da helfen.

Ansonsten aber wird die EU jede Lösung akzeptieren, die in Belgien ausgehandelt wird, die Verteilung von Stimmen etc. wird kein Problem sein. Und dies wäre genauso, wenn sich andere Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa durchsetzen (z. B. Schottland): Solange es im Land eine Einigung gibt, wird das restliche Europa das immre akzptieren.

Für völlig ausgeschlossen halte ich aber im belgischen Fall ziemlich jede Überlegung, daß sich die Landesteile anderen Staaten anschließen.
Das wäre vielleicht noch bei Eupen/Malmedy denkbar, aber weder Wallonen noch Flamen haben irgendeine Lust, Niederländer oder Franzosen zu werden.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 10:35 Uhr:   

"Eher habe ich den Eindruck, daß man sich schlicht nicht füreinander interessiert."
Das simmt sicher, aber ist das in der Schweiz so viel anders?

"Ich denke, daß im Gegensatz dazu die meisten Schweizer neben ihrer Muttersprache zumindest einen weitere Landessprache beherrschen."
Sehr viele Flamen sprechen Französisch, bei den Spitzenpolitikern sogar fast alle. Umgekehrt sieht das ganz anders aus, zumindest die führenden wallonischen Politiker können aber inzwischen sogar häufig mehr (z.B. Reynders) oder weniger (Di Rupo) gut Niederländisch. Da liegt sicher nicht das Problem. Es gibt natürlich auch "Mischehen", ausgerechnet Leterme hat ja einen wallonischen Vater. Man sieht das ja auch schön an den Nachnamen. Da gibt es ehemalige und aktive flämische Politiker mit französischem Familiennamen (Wie Leterme, Lefevre, Delcroix) und auch wallonische Politiker mit flämischen Nachnamen (Van Cauwenberghe, van der Biest). Im 19. Jhdt. gingen viele Flamen ins wallonische Industrierevier, die wurden dann dort assimiliert. Insgesamt haben Flamen und Wallonen aber wenig miteinander zu tun.

Die Mehrheit der Flamen ist wohl nicht für die Unabhängigkeit, aber dagegen hätten die meisten wohl auch nichts. Einen Anschluß an die Niederlande wollen sie ganz sicher nicht (böse Zungen behaupten, Flamen und Wallonen seien sich nur in der Abneigung gegen die Holländer einig), nur in Antwerpen gibt es auch Überlegungen in diese Richtung (aus wirtschaftlichen Gründen, der Hafen ist ja praktisch nur von NL aus erreichbar).

"Ich bleibe aber dabei, daß die Zweiteilung des Landes als "Föderalisierung" völlig ungeeignet war und einer möglichen Spaltung erst den Weg geebnet hat, anstatt dieser entgegenzuwirken."
Die Zweiteilung ist Fakt seit der Staat existiert. Wäre der Graben zwischen Ost- und Westdeutschland tiefer, wenn die DDR als einziges Bundesland beigetreten wäre? Das glaube ich nicht.
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 11:21 Uhr:   

"Die Zweiteilung ist Fakt seit der Staat existiert. Wäre der Graben zwischen Ost- und Westdeutschland tiefer, wenn die DDR als einziges Bundesland beigetreten wäre? Das glaube ich nicht."

Ich denke schon, dass in einem solchen Fall der Graben viel tiefer wäre, da die regionalen Unterschiede in Ostdeutschland dann zumindest vom Westen aus gesehen weitgehend unter den Tisch fallen, und mit ihnen die Wahrnehmung von Erfolgsgeschichten, die es durchaus gibt. In der gegenwärtigen Wahrnehmung gibt es zwar Wessis und Ossis, aber die Abgrenzung voneinander wäre bei einem monolitischen Teilstaat viel schlimmer.

Laut Wikipedia waren die Sprachgruppen in Belgien zu Beginn seiner Existenz übrigens nach Schichten verteilt, und die Oberschicht im ganzen Land sprach französisch, während die Landbevölkerung flämisch sprach (Belgien hatte sich von den "Vereinigten Niederlanden" 1830 abgespalten). Die Sprachregionen bildeten sich erst richtig aus, nachdem sie nach der Ablehnung eines zweisprachigen Gesamtbelgien offiziell gebildet wurden.

Was das menschliche Umgehen der Belgier miteinander angeht, bin ich zuversichtlich, aber politisch scheint der Zug in Richtung Spaltung zu fahren, und es ist nur eine Frage, wann er dort ankommt.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 13:12 Uhr:   

Die Unterschiede zwischen Potsdam und Eisenhüttenstadt, Dresden und Hoyerswerda sind auch Westdeutschen bekannt, obwohl die Orte jeweils im gleichen Bundesland liegen.

"Laut Wikipedia waren die Sprachgruppen in Belgien zu Beginn seiner Existenz übrigens nach Schichten verteilt,"
Wikipedia muß man ja nicht alles glauben, vermutlich haben Sie das aber einfach falsch verstanden. Die Sprachgrenze existiert in etwa der heutigen Lage schon seit dem Mittelalter. Verschiebungen gibt es hauptsächlich im Brüsseler Raum. Brüssel war im Mittelalter rein flämisch erst später zogen die Wallonen zu. Die Oberschicht sprach auch in Flandern teils französisch, erst recht die Elite in Brüssel. Sämtliche Universitäten waren bis 1930 frankophon und an Gymnasien wurde bis in die 30er Jahre auch in Flandern fast nur französisch gesprochen. So wurde unter den Flamen ein Assimilierungsdruck erzeugt. Wer was erreichen wollte, mußte Französisch sprechen.


Flämisch galt dagegen als Sprache des einfachen Volkes (in Flandern). Es war aber nie so, daß die Unterschicht in ganz Belgien Flämisch und die Oberschicht nur Französisch gesprochen hätte.

Zwischenmenschlich geht es auch nicht immer herzlich zu. In Voeren (frz. Fourons), einem der wenigen von Alters her gemischten Gebiete, ging es in den 80er Jahren heftig zur Sache, aber wenigstens prügelte man sich nur und schoß nicht aufeinander, ist ja auch in Westeuropa nicht überall selbstverständlich. Ich bin da mal durchgefahren vor ein paar Jahren. Sah alles idyllisch, friedlich und auch recht wohlhabend aus. Nur an einem Ort war am Eingang "village wallon" angepinselt. Dieses Dorf wirkte auch im Gegesatz zu den anderen eher heruntergekommen. So kann man übrigens die Sprachgrenze auch allgemein leicht erkennen.
Lange stellten dort die Wallonen den Bürgermeister, es gibt dort bei Kommunalwahlen nur eine flämische und eine wallonische Liste. Durch zugezogene Niederländer (die Niederlande grenzen direkt an) ist die Mehrheit gekippt. Der neue flämische Bürgermeister machte sich gleich unbeliebt bei den Wallonen, als er Gemeindewohnungen privatisierte. Die waren ausschließlich von Wallonen bewohnt. 1987 zerbrach sogar die damalige Zentralregierung am Streit um den damaligen Bürgermeister Happart, als er sich weigerte, bei Ratssitzungen Niederländisch zu sprechen. Inzwischen ist er umgezogen und heute Präsident des wallonischen Regionalparlaments.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 13:16 Uhr:   

Die Unterschiede zwischen Potsdam und Eisenhüttenstadt, Dresden und Hoyerswerda sind auch Westdeutschen bekannt, obwohl die Orte jeweils im gleichen Bundesland liegen.

"Laut Wikipedia waren die Sprachgruppen in Belgien zu Beginn seiner Existenz übrigens nach Schichten verteilt,"
Wikipedia muß man ja nicht alles glauben, vermutlich haben Sie das aber einfach falsch verstanden. Die Sprachgrenze existiert in etwa der heutigen Lage schon seit dem Mittelalter. Verschiebungen gibt es hauptsächlich im Brüsseler Raum. Brüssel war im Mittelalter rein flämisch erst später zogen die Wallonen zu. Die Oberschicht sprach auch in Flandern teils französisch, erst recht die Elite in Brüssel. Sämtliche Universitäten waren bis 1930 frankophon und an Gymnasien wurde bis in die 30er Jahre auch in Flandern fast nur französisch gesprochen. So wurde unter den Flamen ein Assimilierungsdruck erzeugt. Wer was erreichen wollte, mußte Französisch sprechen.


Flämisch galt dagegen als Sprache des einfachen Volkes (in Flandern). Es war aber nie so, daß die Unterschicht in ganz Belgien Flämisch und die Oberschicht nur Französisch gesprochen hätte.

Zwischenmenschlich geht es auch nicht immer herzlich zu. In Voeren (frz. Fourons), einem der wenigen von Alters her gemischten Gebiete, ging es in den 80er Jahren heftig zur Sache, aber wenigstens prügelte man sich nur und schoß nicht aufeinander, ist ja auch in Westeuropa nicht überall selbstverständlich. Ich bin da mal durchgefahren vor ein paar Jahren. Sah alles idyllisch, friedlich und auch recht wohlhabend aus. Nur an einem Ort war am Eingang "village wallon" angepinselt. Dieses Dorf wirkte auch im Gegesatz zu den anderen eher heruntergekommen. So kann man übrigens die Sprachgrenze auch allgemein leicht erkennen.
Lange stellten dort die Wallonen den Bürgermeister, es gibt dort bei Kommunalwahlen nur eine flämische und eine wallonische Liste. Durch zugezogene Niederländer (die Niederlande grenzen direkt an) ist die Mehrheit gekippt. Der neue flämische Bürgermeister machte sich gleich unbeliebt bei den Wallonen, als er Gemeindewohnungen privatisierte. Die waren ausschließlich von Wallonen bewohnt. 1987 zerbrach sogar die damalige Zentralregierung am Streit um den damaligen Bürgermeister Happart, als er sich weigerte, bei Ratssitzungen Niederländisch zu sprechen. Inzwischen ist er umgezogen und heute Präsident des wallonischen Regionalparlaments
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Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Mittwoch, 14. November 2007 - 17:19 Uhr:   

sehr spannende Diskussion - wie so oft auf wahlrecht.de.

Ein paar Punkte:

"Belgien als Staat war ja, soweit ich die Geschichte kenne, eigentlich eine französische Schöpfung"

Die Unabhängigkeit Belgiens war in erster Linie eine belgische Schöpfung, die von den europäischen Großmächten im Nachhinein nur im Vertrag von London sanktioniert wurde. (Der Vertrag von London ist übrigens just jener "verdammte Fetzen Papier", der ein Jahrhundert später zur englische Beteiligung am 1. Weltkrieg führte - und damit auch zur deutschen Niederlage).

Das strategische Interesse an einem unabhängigen Belgien lag aber historisch betrachtet auf jeden Fall nicht bei Frankreich sondern bei England: "Antwerpen ist eine Kanone, die auf London gerichtet ist". Mit anderen Worten: eine europäische Großmacht die Belgien kontrolliert, war für die englischen Sicherheitsüberlegungen nicht akzeptabel. Ein unabhängiges Belgien war deshalb vor allem im Interesse Englands (das daher auch bereit war, die belgische Unabhängigkeit zu garantieren: etwas was England sonst nie einem Land zugestand - erst wieder in den 1930ern Polen). Interesanterweise führte dann diese englische Garantie an Polen zur englischen Kriegserklärung an Deutschland 1939. Genauso wie 25 Jahre zuvor die Garantie für Belgien.

Das strategische Interesse Frankreichs an Belgien war historisch betrachtet spätestens seit Ludwig XIV. hingegen nicht dessen Unabhängigkeit, sondern dessen Eroberung.

Was das Beispiel Schweiz betrifft:
Grundsätzlich ist die Schweizer Einheit auch nicht unumstößlich. Die Romandie fühlt sich von der Deutschschweiz oft genug übergangen.
Die Deutschschweizer haben ja nicht nur die relative Mehrheit. Sondern sie werden zusätzlich auch noch durch die Kantonsstruktur bevorzugt: die ganzen deutschsprachigen Kleinkantone ermöglichen ja oft ein entsprechendes Ständemehr.
Es gab m.W. zum Beispiel schon ein gewisses Aufatmen im offiziellen Bern, als die EWR-Abstimmung nicht nur deutlich am Ständemehr sondern auch knapp am Volksmehr scheiterte. Denn sonst hätte sich die Pro-EWR-Romandie zu Recht von der EWR-skeptischen Deutschschweiz gegängelt gefühlt.
Eine "Belgisierung" der Schweizer Politik wird zumindest als mögliche Gefahr somit wohl durchaus erkannt.

Dass die Schweiz dies besser managt als Belgien liegt sicher ganz stark an der ausgeprägten Schweizer Kompromiss-Willigkeit, an der starken Stellung der Kantone (damit verbunden die Möglichkeit, vieles vor Ort unabhängig von Bern zu regeln) an der vermittelnden Wirkung der direkten Demokratie und auch daran, dass Schweizer Politiker sehr bemüht um Verständigung sind.
Ich habe einmal eine Rede des damaligen Außenministers Cotti (m.W. Tessiner) vor Schweizer akademischen Publikum gehört. Er begann seine Rede auf Deutsch und beendete sie auf Englisch(!). Dazwischen gab es eine französische Passage. Wenn er jemanden zitierte, dann immer im Original.
Das ist natürlich nur ein Detail. Aber die Bereitschaft, sich auf die anderen Landesteile auch sprachlich einzulassen, ist sicher wichtig für die nationale Einheit.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 15. November 2007 - 10:29 Uhr:   

Meine Aussage bezog sich nicht auf 1830, sondern auf Vorgänge, die früher liegen: Ein "Belgien" gab es m. W. erstmals im Gefolge einer französischen Intervention während der Revolutionszeit, das muss so 1790 gewesen sein. Das wurde dann wider rückgängig gemacht, später wurde "Belgien" wieder französisch besetzt / erobert usw. Ohne diese Steigbügelhalter-Dienste Frankreichs scheint mir die spätere Staatsgründung aber historisch unmöglich.
Wer aber bessere Kenntnis der Geschichte hat, sei herzlich gebeten, diese uns wissen zu lassen.

Für das Verhältnis zwischen Wallonen (von denen übrigens nach Familienforschung meine Ur-Vorfahren irgendwann wahrscheinlich im 16. Jh. abstammen dürften) und Flamen bezeichnend scheint mir nun doch Jules Vernes Erzählung "Der seltsame Dr. Ox". Die Schilderung der Flamen darin mag ja gewissermassen lustig sein, vielleicht sogar liebevoll-amüsant, aber im Grunde doch abwertend.
Es scheint mir nun allerdings schlicht undenkbar, dass Deutschschweizer die Westschweizer (oder Romands) in vergleichbarer Weise beschreiben oder schildern, und sei es nur in "humorvoller" Weise.

Dies mal ganz unmassgeblich als Denkanstoss.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 15. November 2007 - 11:56 Uhr:   

@Philipp:
> Ein "Belgien" gab es m. W. erstmals im
> Gefolge einer französischen Intervention
> während der Revolutionszeit, ...
Da wurde aber nur der Name "Belgien" reaktiviert.
Für die Staatlichkeit war das recht nebensächlich, da war es entscheidend, daß über lange Zeit ein eigenständiges Gebiet "spanische Niederlande" bzw. "österreichische Niederlande" existierte - das schuf durchaus ein Eigenbewußtsein, die französische Besetzung unter Napoleon und die holländische von 1815-1830 waren da eher Episoden.

Im Prinzip ist Belgien daher viel älter, als das offizielle Gründungsdatum 1830 vermuten läßt.
Es war zwar lange Zeit nur eine abhängige Provinz, die von Madrid oder Wien regiert wurde - aber diese Provinz hatte eben 200 Jahre Eigenleben zwischen Frankreich und den Niederlanden und mit einer speziell katholischen Tradition.

> Es scheint mir nun allerdings schlicht
> undenkbar, dass Deutschschweizer die
> Westschweizer (oder Romands) in vergleichbarer
> Weise beschreiben ...
Heute bestimmt - aber früher?

Ich kann mich z. B. daran erinnern, daß in Freiburg lange Zeit die Deutschsprachigen sehr rigide Sprachpolitik betrieben, insbesondere nur Deutsch im Rat zugelassen war und in so einer Atmosphäre kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß man sich über die unterdrückten Französisch-Sprecher auf lustig machen durfte.
Ich weiß aber nicht mehr die Epoche dieser Ereignisse, im Zweifelsfall war das einige Generationen früher.

Ansonsten war Jules Verne eben nicht Belgier, sondern Franzose.
Wenn ein deutscher Autor einen karikierten Tessiner auftreten lassen würde, wäre das wohl kein Problem.
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trierer (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Donnerstag, 15. November 2007 - 12:08 Uhr:   

Ich hätte einmal eine Frage an die Verfassungsexperten hier im Forum:Was wäre wenn bei einer Spaltung Belguens der deutschsprachige Teil Belgiens in die Bundesrepublik eintreten wollte?
Laut Grundgesetz ist ja die Einigung vollendet und der heutige Zustand festgeschrieben.Darf damit Deutschland gar nicht über den Beitritt verhandeln, bevor es nicht eine Grundgesetzänderung gibt?
Wer müßste in Deutschland eine Volksabstimmung abhalten?
Nur das Bundeslandzu dem es beitreten möchte?
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Donnerstag, 15. November 2007 - 13:19 Uhr:   

"Es scheint mir nun allerdings schlicht undenkbar, dass Deutschschweizer die Westschweizer (oder Romands) in vergleichbarer Weise beschreiben oder schildern, und sei es nur in "humorvoller" Weise."
Wahr ist, daß die Wallonen die Flamen lange nicht für voll nahmen. Das ist sicher ein gewichtiger Grund für die heutigen Probleme.

@Trierer
Erstmal müßte natürlich ein Staatsvertrag zwischen Deutschland und Wallonien her. Vor dessen Ratifizierung würde man dann wohl das Grundgesetz ändern und ein Verfahren zur Aufnahme neuer Gebiete in den BUnd und in ein bestimmtes Land (wahrscheinlich NRW) ins Grundgesetz aufnehmen. Für eine bundesweite Volksabstimmung sind die knapp 70000 Einwohner der Ostkantone wohl nicht wichtig genug. Wohl aber dürfte ein Staatsvertrag eine Volksabstimmung in den Ostkatonen selbst vorsehen oder diese wird schon vorher abgehalten.
Art. 29 GG greift hier nicht, denn er bezieht sich nur auf Gebietsänderungen zwischen den Bundesländern.
Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass die Ostkantone sich Deutschland anschließen wollen. Eher werden sie zu Luxemburg wollen. Wenn Luxemburg nicht will, haben sie aber eihn Problem. Als unanhängiger Zwergstaat wären sie zwar durchaus lebensfähig, aber nur wenn die Nachbarn mitspielen. Weder Deutschland, noch Wallonien, noch Luxemburg noch die Niederlande werden einen neuen Zwergstaat als Nachbarn wollen, der ihnen mit Niedrigststeuern gute Steuerzahler wegschnappt und Kapital absaugt. Ein Zwergstaat ist nicht lebensfähig, wenn er alle Nachbarn gegen sich hat, zumal wenn er nicht einmal ein zusammenhängendes Staatsgebiet besitzt. Wenn also Luxemburg die Ostkantone nicht will, wäre ein Anschluß an Deutschland vielleicht doch eine Option, aber eine maximale Autonomie innerhalb Walloniens wäre wahrscheinlicher. Den Südtirolern geht es in Italien ja auch wirklich nicht schlecht den Aland-Inseln in Finnland ebenso.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 16. November 2007 - 09:42 Uhr:   

@trierer:
> Laut Grundgesetz ist ja die Einigung
> vollendet ...
Richtig.

> ... und der heutige Zustand festgeschrieben.
Nein.
Das Grundgesetz hatte lediglich spezielle Vorkehrungen für den Beitritt der bei Gründung der Bundesrepublik noch fehlenden Länder getroffen.
Diese Länder hatten ein Recht auf Beitritt, Westdeutschland hätte gar nicht die Möglichkeit gehabt, die Einheit abzulehnen.

Und eigentlich bezogen sich diese Möglichkeiten auch auf die ostdeutschen Länder wie Schlesien und Ostpreußen.

Mit der Einheit wurde diese Vorschrift als erledigt aus dem Grundgesetz gestrichen, eben um zu demonstrieren, daß wir östlich der Oder-Neiße-Linie keine offenen Ansprüche mehr haben.

Das heißt aber nicht, daß das Grundgesetz irgendwelche weiteren Änderungen nicht erlauben würde.
Diese müßten dann aber speziell ausgehandelt werden, es gäbe keinen Automatismus oder ein Beitrittsrecht (z. B. für Österreich).

Falls Belgien wirklich zerbrechen würde, UND die Ostkantone nach Deutschland wollten, dann wäre das problemlos umsetzbar.

Ob sie das wollten, bezweifele ich aber. Sie haben in den jetzt bald 90 Jahren bei Belgien eine entsprechende Prägung, und sie haben innerhalb Belgiens durchaus eine Bedeutung.
In Deutschland dagegen wären sie nur ein uninteressantes ländliches Gebiet irgendwo am Horizont, womöglich noch aufgeteilt zwischen NRW und Rheinland-Pfalz.

Die Luxemburg-Variante wäre wohl am interessantesten und dem Charakter des Gebiets am angemessensten. Die Geographie wäre etwas schwierig, aber durch die EU und Schengen machbar.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 16. November 2007 - 10:55 Uhr:   

Von Seiten des Grundgesetzes droht kein Ungemach; einen Beitrittsvertrag müssten Bundestag und Bundesrat schlimmstenfalls mit Hilfe einer Grundgesetzänderung, die eine entsprechende "Klarstellung" bezüglich der Zulässigkeit des Vertrages enthält, ratifizieren, was so vom GG vorgesehen ist.
Eine andere Frage, die noch zu prüfen wäre, ist die, wie es auf Seite der völkerrechtlichen Verträge aussieht. Ob Bestimmungen der Friedensverträge von 1919/20 per Rechtsnachfolge immer noch gültig wären, müsste man wohl prüfen. Es wäre auch angeraten, einen Blick in die Verträge im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der Beendigung des Besatzungsregimes zu werfen. Die von R. A. erwähnten Streichungen der Beitritts-Paragraphen waren jedenfalls in diesen Verträgen explizite vorgeschrieben, ebenso die ausdrückliche Respektierung der Oder-Neisse-Grenze. Was da sonst noch so steht, müsste man eben erst prüfen.
Das "Anschluss-Verbot" von 1919 gilt z. B. für Österreich immer noch völkerrechtlich (und auch verfassungsrechtlich, was aber im Aussenverhältnis unbedeutend ist).
Man kann sich ja fragen, was solche Regelungen aus der Vergangenheit im heutigen Europa noch sollen, an einen Anschluss Österreichs denkt bspw. wohl niemand mehr ernsthaft. Aber gleichwohl: Recht ist Recht und könnte im Falle eines Falles im Wege stehen.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 16. November 2007 - 11:48 Uhr:   

Aus dem "Vertrag über die abschliessende Regelung in bezug auf Deutschland", vulgo auch Zwei-plus-Vier-vertrag:

"Artikel 1: (1) 1. Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins umfassen.
2. Seine Aussengrenzen werden die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sein und werden am Tage des Inkrafttretens dieses Vertrags endgültig sein.
3. Die Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen des vereinten Deutschland ist ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa.
(2) Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.
(3) Das vereinte Deutschland hat keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten und wird solche auch nich in Zukunft erheben.
(4) 1. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik werden sicherstellen, dass die Verfassung des vereinten Deutschland keinerlei Bestimmungen enthalten wird, die mit diesen Prinzipien unvereinbar sind.
2. Dies gilt dementsprechend für die Bestimmungen, die in der Präambel und in den Artikeln 23 Satz 2 und 146 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland niedergelegt sind.
(5) Die Regierungen der Französischen Republik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs Grossbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen die entsprechenden Verpflichtungen und Erklärungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik förmlich entgegen und erklären, dass mit deren Verwirklichung der endgültige Charakter der Grenzen des vereinten Deutschland bestätigt wird."

Soweit also der Wortlaut des Vertrages in der deutschen Fassung (verbindlich sind aber gleichermassen auch die Texte auf Französisch, Englisch und Russisch).
Absätze 2 und 3 stehen einem Beitritt der belgischen Ostkantone nicht entgegen; es ist gewiss etwas anderes, jemand aufzunehmen, der einem beitreten will, als zu verlangen, dass jemand einem beitrete. Von einem Gebietsanspruch kann ja kaum ernsthaft die Rede sein, wenn das betreffende Gebiet selbst zu Deutschland will. Absatz 4 statuiert die von mir bereits erwähnten Streichungen der Beitritts-Paragraphen im Grundgesetz.
Die schwerwiegenden Passagen stehen hingegen in den Absätzen 1 und 5: Die bestehenden Grenzen werden als endgültig statuiert, zudem als wesentlich für die Friedensordnung in Europa erklärt. Da scheint mir schon ziemlich schwer herauszukommen zu sein.
Nun könnte man sagen, dass im Falle eines Falles die beteiligten vier Vertragspartner einer Änderung bezüglich der beitrittswilligen Gebiete zustimmen müssten und das wohl auch tun würden. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern dieser Vertrag auch Ansprüche zu Gunsten Dritter schafft. Könnte dann z. B. Luxemburg sich darauf berufen, dass ihm aus diesem Vertrag die Garantie erwächst, dass es keine Grenzverschiebungen mit deutscher Beteiligung geben dürfe und dass eine Abänderung daher gegen seinen Einspruch nicht zulässig sei?
Das dürfte Juristenfutter liefern. So gibt es Verträge oder Rechtshandlungen zu Gunsten Dritter, die ohne deren Einwilligung auch wieder geändert werden können. Ein solcher Fall ist z. B. eine Stiftung, die Dritten Beiträge verspricht, allerdings nicht in einer so verpflichtenden Weise, dass diesen ein unabdingbarer Rechtsanspruch zusteht. Daneben gibt es aber durchaus Verträge und Rechtsakte, die auch einem unbeteiligten Dritten einen unabdingbaren Rechtsanspruch verschaffen, der ohne dessen Einwilligung nicht zurückgenommen werden kann. In welche Kategorie fällt nun der Zwei-plus-Vier-Vertrag?
Also droht vermutlich von völkerrechtlicher Seite her doch Ungemach, falls das Szenario einer Spaltung Belgiens doch eintreten sollte.
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Florian (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Freitag, 16. November 2007 - 12:01 Uhr:   

Rein juristisch wäre ein Beitritt der Ostkantone wahrscheinlich recht einfach.

Politisch aber wohl nicht.
Der deutsche Blick ist ja meist auf den 2.Weltkrieg fixiert.
Aber man sollte nicht vergessen, dass Deutschland im 1.Weltkrieg speziell in Belgien massives Unrecht begangen hat.
Preußen hat damals seine Garantien gegenüber Belgien eiskalt gebrochen und danach ein sehr rigides Besatzungsregime aufgebaut.
Während des Krieges wurde eine (Teil-)Annektierung Belgiens auf einmal sogar zum Kriegsziel.
Der englische Kriegseintritt erfolgte (zumindest offiziell und wahrscheinlich auch faktisch) ausschließlich wegen Belgien.
Die (ohnehin geringen) deutschen Gebietsabtretungen an Belgien waren als zumindest symbolische Kompensation gedacht.

Es gab damals ursprünglich m.W. auch keine Volksabstimmung in den betroffenen Gebieten, ob die Leute überhaupt zu Belgien wollten.
Denn es ging gerade NICHT darum, der dortigen Bevölkerung irgendwelche Wünsche zu erfüllen sondern um Komepensation für Belgien (und England).

Wenn man diese Abtretung nun rückgängig macht, dann dürfte dafür eine positive Volksabstimmung im betroffenen Gebiet alleine kaum ausreichend sein.
Auch England (obwohl eigentlich hier nicht direkt betroffen) könnte hier indigniert sein.

Weit gravierender ist die Wirkung für Osteuropa:
Wenn Deutschland nicht bereit ist, die Grenzen in Westeuropa als unverrückbar zu akzeptieren (und damit sogar hinter den Vertrag von Locarno zurückfällt!), dann zeigt es damit symbolisch, dass es auch in Osteuropa Grenzänderungen zu seinen Gunsten nicht grundsätzlich ablehnen würde.
Was würde wohl passieren (so mag sich Polen denken), wenn ein schlesischer Landstrich bei Deutschland anklopfen würde.
Aus unserer deutschen Sicht mögen solche Befürchtungen lächerlich paranoid klingen, für viele Polen wären sie sicher sehr real.
Das deutsche Verhältnis zu Polen (und Tschechien und Russland) würde darunter ganz sicher leiden.

Und das ganz Theater nur für ein paar Landkreise an der belgischen Grenze?
Das wäre politisch wohl kaum im deutschen Interesse.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 16. November 2007 - 12:14 Uhr:   

@Philipp Wälchli:
> Ob Bestimmungen der Friedensverträge von
> 1919/20 per Rechtsnachfolge immer noch
> gültig wären, müsste man wohl prüfen.
Da Europa nach 1945 völkerrechtlich völlig neu sortiert worden ist, sind die Verträge von 1919/20 m. E. alle obsolet.

Und aus dem 2+4-Vertrag können auch nicht Dritte irgendwelche Ansprüche ableiten - wenn Luxemburg sich von irgendwelchen Ideen seiner Nachbarstaaten gestört fühlt, hat es keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Unterlassung.

Es wäre auch angeraten, einen Blick in die Verträge im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der Beendigung des Besatzungsregimes zu werfen. Die von R. A. erwähnten Streichungen der Beitritts-Paragraphen waren jedenfalls in diesen Verträgen explizite vorgeschrieben, ebenso die ausdrückliche Respektierung der Oder-Neisse-Grenze. Was da sonst noch so steht, müsste man eben erst prüfen.
Das "Anschluss-Verbot" von 1919 gilt z. B. für Österreich immer noch völkerrechtlich (und auch verfassungsrechtlich, was aber im Aussenverhältnis unbedeutend ist).

> Das "Anschluss-Verbot" von 1919 gilt z. B. für
> Österreich immer noch völkerrechtlich ...
Nicht das von 1919, sondern das wurde abgelöst durch den Vertrag von 1955.

Grundsätzlich funktioniert das Völkerrecht aber nicht so wie das nationale durch einen Gesetzgeber "gepflegte" Recht (diesen Unterschied verstehen insbesondere Deutsche oft nicht).

Insbesondere die durch Verträge irgendwann festgeschriebenen Positionen können durch Zeitablauf obsolet werden, wenn die Verhältnisse sich ändern und die Vertragsparteien nicht aktiv daran mitwirken, sie lebendig zu halten.

Es ist ja schon sehr die Frage, ob das Anschlußverbot nicht durch die EU-Mitgliedschaft Österreichs zu einem guten Teil obsolet ist.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Freitag, 16. November 2007 - 20:01 Uhr:   

Nun, das halte ich, mit Verlaubt gesagt, für höchst fraglich. Ich gebe zu, dass ich das Problem stärker unter rechtsgeschichtlicher Optik betrachte (Rechtsgeschichte war einmal die wichtigste juristische Disziplin und ist heute sehr zu unrecht vernachlässigt).
Allein aus der kleinen Schweiz fallen mit spontan ein paar neuere Fälle ein, bei denen alte Kamellen plötzlich wieder aufleben:
- Streit zwischen St. Gallen und Zürich um einige Objekte aus St. Gallen, die die Zürcher vor 400 Jahren bei einem "Raid" nach St. Gallen mal so "mitlaufen" liessen.
- Streit zwischen Bern und Wallis um ein Stück Alpengeröllhalde (inzwischen auf Grund eines Vertrages aus dem 17. Jh. entschieden).
- Gleichartiger Streit um einen Grenzverlauf zwischen Ob- und Nidwalden (inzwischen auf Grund eines alten Vertrages entschieden).
- Streit um eine Bischofswahl in Chur auf Grund alter Konkordate (teilweise noch 19. Jh.) (nicht wirklich geklärt).
- Und ein Fall im Aargau: Anlässlich der Feststellung der Baufälligkeit einer historischen Brücke wurde entdeckt, dass unklar ist, wer deren Eigentümer ist. Klar ist, dass sie einem im 19. Jahrhundert aufgehobenen Kloster gehörte. Dieser Fall ist bisher nicht gelöst, Rechtsgrundlage: Aufhebungsakt des Grossen Rates von ca. 1847.
Ich will diese Aufzählung nicht fortsetzen, es liessen sich noch viele (auch internationale) Beispiele anfügen, bei denen alte Akte eine Rolle spielen. Als aktuelle Fälle liessen sich z. B. noch Anführen: Die Schliessung eines Bordells gestützt auf eine alte Grunddienstbarkeit zu Gunsten eines Dritten oder der Streit um eine Zollfreistrasse in Basel zu Gunsten Deutschlands, gestützt auf einen ca. 30 Jahre alten Staatsvertrag - der nach Meinung der Schweizer Gegner "obsolet" sei, nach deutscher Meinung aber offensichtlich nicht.
Es gibt einige neuere, durchaus gemeinverständliche deutsche Rechtsgeschichten, die sich auch mit der Frage der Rechtsnachfolge der heutigen Bundesrepublik und des deutschen Reiches befassen. Es gibt dabei sogar Präzedenzfälle, in denen deutsche Gerichte mindestens dem Grundsatz nach anerkannt haben, dass Deutschland als Völkerrechtssubjekt niemals untergegangen sei und somit rechtliche Kontinuität herrsche.
Ich kann mir auch schlecht vorstellen, dass etwa Bestimmungen der Pariser Vorortverträge über den internationalen Zugang zu Soldatenfriedhöfen u. dgl., die ja immer noch bestehen und an denen zumindest noch lebende Nachfahren und Verwandte der dort Bestatteten ein aktuelles Interesse haben, einfach so obsolet sein sollen. Wenn diese Bestimmungen weitergelten, dann kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass diese Verträge insgesamt obsolet seien.
Ich kann auch der Meinung nicht zustimmen, dass das Anschlussverbot für Österreich von 1955 stamme. Im Gegenteil ist das alte Anschlussverbot ausdrücklich bestätigt worden. Man kann nun die Auffassung vertreten, dass somit durch Novation eine Aufhebung der alten vertraglichen Grundlage stattgefunden habe und nun die neue gelte, man kann das aber auch anders sehen.

Im Falle Deutschlands haben wir es aber mit einem Vertrag zu tun, der von 1990 stammt. Davon auszugehen, dass dieser bereits obsolet sei, halte ich für eine gewagte Annahme. Es handelt sich zudem um einen Fall eines Vertrages zu Gunsten eines Dritten, in diesem Fall die Staaten Europas, soweit sie nicht Unterzeichner sind. Dazu gibt es auch Völkerrechtsregeln, unter anderem würde man auch im Wiener Vertrag zum Recht der Verträge etwas finden. Es ist also nicht so, dass diese Rechtsfigur dem Völkerrecht fremd oder unbekannt oder nach Willkür handhabbar wäre. Der Fall liegt nicht so erheblich anders als im oben erwähnten Beispiel des Bistums Chur, in dem ein Konkordat, d. h. ein völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen zwischen verschiedenen Staatswesen und dem heiligen Stuhl, zu Gunsten eines Dritten, in diesem Falle das Domkapitel, vorlag. Dort hat das Domkapitel nichts anderes getan, als sich auf die aus dem Vertrag entspringenden Rechte zu berufen. Das könnte im Falle des 2+4-Vertrages auch ein anderer Staat tun.
Allerdings gebe ich Florian recht: Die Frage dürfte wahrscheinlich vor allem POLITISCHER Natur sein. Ob das a) gern gesehen würde und b) ob sich verschiedene andere Länder nicht auch herausgefordert fühlen würden, sei zumindest einmal zur Diskussion gestellt.
Wenn wir aber zum zitierten Vertragstext zurückkehren, so ist dieser eindeutig: Er sagt "endgültig", und er meint damit offensichtlich auch "endgültig".
Natürlich ist im Leben so gut wie nichts endgültig, auch endgültige Verträge können mal zu Ende gehen. Dass sie das aber auch wirklich tun, sollte man wohl doch besser nicht vorschnell unterstellen.
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gelegentlicher Besucher (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Samstag, 17. November 2007 - 15:48 Uhr:   

Ralf Arnemann hat Recht.

Die deutsche Staatsgrenze ist ja auch nach dem 2+4 vertrag schon geändert worden. "Endgültig" meint im Zusammenhang auch klar "unwiderruflich akzeptiert" und nicht "in Zukunft auch einvernehmlich nicht mehr änderbar". Und falls der 2+4 Vertrag Rechte von Drittstaaten schafft (das ist schon fraglich, sonst wäre die Zusatzbedingung "Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag." ja überflüssig), sind es die Rechte nichts an Deutschland hergeben zu müssen und nicht das Recht, dass kein Anderer etwas an Deutschland hergebe.

Was die Verträge nach dem 1. Weltkrieg angeht: Natürlich hat Die BR-Deutschland die Rechte und Pflichten des Reiches, der Begriff "Rechtsnachfolge" ist eher von der anderen Seite falsch, weil das Bundesverfassungsgericht von völkerrechtlicher Identität spricht und Rechtsnachfolge eben ein Untergehen des ursprünglichen Rechtssubjekts voraussetzt. Nur sind die fraglichen Verträge durch die völkerrechliche Neureglung der gleichen Materie allesamt beendet. Eine derartige automatische Beendigung steht z.B. auch in Art. 59 der Wiener Vertragsrechtskonvention. Darauf kommt es aber eigentlich nicht an, weil im Völkerrecht die Praxis Rechtsquelle ist, etwas überspitzt: Im Völkerrecht tollit abusus eben doch usum. Das andere und ältere Verträge zu zwischenzeitlich nicht neugeregelten Gegenständen noch bestehen ist damit durchaus vereinbar. Den Umgang mit Kriegsgräbern regelt heute ein Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen.

Was Österreich angeht: Das Anschlussverbot steht im Statsvertrag von 1955, das des Vertrags von Vertrag von Saint-Germain-en-Laye ist mit diesem untergegangen und wäre angesichts seiner Ausnahme im Fall der Zustimmung des aufgelösten Velkerbundes ohnehin stark interpretationsbedürftig. Nach dem Staatsvertrag "wird Österreich keinerlei Vereinbarung mit Deutschland treffen oder irgendeine Handlung setzen oder irgendwelche Maßnahmen treffen, die geeignet wären, unmittelbar oder mittelbar eine politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland zu fördern". Durch den Beitrit zur EU hat Österreich inzwischen ohne Widerspruch der Siegermächte eine wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland und der Vertrag ist wohl in diesem Punkt durch (stillschweigend) genehmigte Nichtanwendung obsolet geworden. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass das ganze Anschlussverbot aufgehoben wäre, eine "richtige" Vereinigung ist wohl immernoch verboten. Wobei das natürlich noch viel, viel weniger praxisrelevant ist, als der auch schon extrem unwahrscheinliche Vereinigungswunsch einiger belgischer Landkreise.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 09:55 Uhr:   

@Philipp:
> Allein aus der kleinen Schweiz fallen mit
> spontan ein paar neuere Fälle ein, ...
Das ist nationales Recht, da läuft das in der Tat weitgehend anders.
Da geht man (vor allem in Staaten wie Deutschland und der Schweiz, die in römischer Rechtstradition stehen) davon aus, daß Recht "ewig" ist, weil sich beständig ein Gesetzgeber drum kümmert und eine Gerichtsbarkeit alle Streitfragen letztinstanzlich festlegt.

Im Völkerrecht fehlt das (noch), es werden zwar zunehmend Rechtsgrundlagen geschaffen - die aber nicht unbedingt zueinander passen, es fehlt aber weitgehend die Rechtsprechung. Letztlich gilt da immer noch: Recht ist, was einer macht und damit durchkommt.

> Ich will diese Aufzählung nicht fortsetzen, ...
Auf jeden Fall Danke für diese schöne Liste, so etwas macht mir Spaß.

> Es gibt dabei sogar Präzedenzfälle, in denen
> deutsche Gerichte mindestens dem Grundsatz
> nach anerkannt haben, dass Deutschland als
> Völkerrechtssubjekt niemals untergegangen sei
> und somit rechtliche Kontinuität herrsche.
Siehe "gelegentlicher Besucher": Die fortdauernde Existenz Deutschlands (seit 1871) ist Fakt und entsprechend gelten alle alten Rechte und Pflichten - so sie nicht aus anderen Gründen obsolet geworden sind.

> Ich kann mir auch schlecht vorstellen, dass
> etwa Bestimmungen der Pariser Vorortverträge
> über den internationalen Zugang zu
> Soldatenfriedhöfen ...
Gutes Beispiel.

Ich schrieb ja, können obsolet werden, wenn "die Vertragsparteien nicht aktiv daran mitwirken, sie lebendig zu halten."

Wenn sich die letzten 50 Jahre keiner mehr um diese Gräber gekümmert hätte, dann würde es tatsächlich zunehmend schwieriger, unter Berufung auf einen Vertrag von 1919 ein Recht einzufordern.
Da nun aber die Vertragsparteien nach wie vor durch aktives Handeln (siehe auch die erwähnte Konvention) ihr Interesse bekunden, diese Vereinbarungen am Leben zu erhalten, behalten sie ihre Wirkkraft.

> Wenn diese Bestimmungen weitergelten, dann
> kann aber nicht davon ausgegangen werden,
> dass diese Verträge insgesamt obsolet seien.
Ganz wichtig: Beim Völkerrecht können durchaus einige Vertragsbestandteile obsolet werden, ohne daß andere ihre Gültigkeit verlieren.

Beispiel: Deutschland hat durch die Rheinlandbesetzung 1936 eine wesentliche Bestimmung des Versailler Vertrags aufgekündigt.
Es gab dafür zwar formale Kritik aus GB und Frankreich, aber im wesentlichen wurde das akzeptiert.
Die Gültigkeit anderer Vertragsbestimmungen blieb dadurch unberührt. Z. B. zahlte noch die Bundesrepublik weiter die dort vereinbarten Reparationszahlungen.

> Ich kann auch der Meinung nicht zustimmen,
> dass das Anschlussverbot für Österreich von
> 1955 stamme. Im Gegenteil ist das alte
> Anschlussverbot ausdrücklich bestätigt worden.
Da sehe ich keinen Widerspruch.
Das Verbot ist nicht 1955 erfunden worden, aber die weitere Wirksamkeit erfuhr es wesentlich durch diese Bestätigung.

> Im Falle Deutschlands haben wir es aber mit
> einem Vertrag zu tun, der von 1990 stammt.
> Davon auszugehen, dass dieser bereits obsolet
> sei, halte ich für eine gewagte Annahme.
Das wollte ich auch auf keinen Fall aussagen.
Diese Vertragsinhalte gelten immer noch. Aber sie können natürlich - wie bei allen Verträgen - jederzeit einvernehmlich ZWISCHEN DEN VERTRAGSPARTEIEN geändert werden.
Und wenn das geschieht, haben bisher begünstigte Dritte keinerlei Handhabe.

> Wenn wir aber zum zitierten Vertragstext
> zurückkehren, so ist dieser eindeutig: Er sagt
> "endgültig", und er meint damit offensichtlich
> auch "endgültig".
Das heißt: Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hat keine Vertragspartei noch offene Ansprüche oder Änderungswünsche.
Aber selbstverständlich hätten sich genau dieselben Vertragspartner schon drei Wochen später auf etwas ganz anderes einigen können - das "endgültig" des alten Vertrags hätte keine neue Regelung verhindert.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 09:57 Uhr:   

Nochmal zum Ausgangsthema:
Mit einer großen Kundgebung haben sich gestern Belgier FÜR die Einheit ihres Landes ausgesprochen:
http://www.tagesschau.de/ausland/belgiendemonstration16.html
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 11:13 Uhr:   

Das sagt nicht viel. Die Demonstranten waren größtenteils frankophon, was ja schon wegen der Brüsseler Bevölkerungsstruktur zu erwarten war. Für Brüssel wäre eine Teilung ja auch in der Tat schlecht, für den Rest des Landes nicht unbedingt. Wallonische Politiker waren einige da, hingegen kein bekannter flämischer.
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tg
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 13:40 Uhr:   

Interessant dürfte hier sein, daß der Ausgangspunkt für die verstärkten Spekulationen über einen Staatszerfall ja nicht nur die schleppende Regierungsbildung war, sondern auch eine Wahlrechtsfrage, nämlich das Problem des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wahlkreis_Brüssel-Halle-Vilvoorde

Problematisch ist vor allem, daß bei der Abstimmung über die Neugliderung die Fronten genau den Völkern entsprachen: Alle flämischen Parteien waren dafür, alle wallonischen dagegen.

Eine weitere interessante Tatsache zeigt im Wiki-Artikel die 2. Karte: Wäre Flandern bereit, für die Unabhängigkeit auf Brüssel und die Fazilitätengemeinden an der Brüsseler Grenze zu verzichten, so wäre Brüssel keine Enklave mehr.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 15:44 Uhr:   

Jemand hatte die Zuteilung der "Ostkantone" an Belgien nach dem 1. Weltkrieg erwähnt und dass es dabei keine Volksabstimmung gegeben habe. In der Tat wurde eine Art Referendum durchgeführt, bei dem sich jene melden konnten, die beim deutschen Reich bleiben wollten, was sie jedoch öffentlich und namentlich identifizierbar tun mussten. Die Grundlage findet sich im Versailler Vertrag:

"Artikel 34.

Deutschland verzichtet außerdem zugunsten Belgiens auf alle Rechte und Ansprüche auf das gesamte Gebiet der Kreise Eupen und Malmedy.
Während sechs Monaten nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags werden von der belgischen Behörde in Eupen und Malmedy Listen ausgelegt; die Einwohner dieser Gebiete sind berechtigt, darin schriftlich den Wunsch auszudrücken, daß diese Gebiete ganz oder teilweise unter deutscher Souveränität verbleiben.
Es ist Sache der belgischen Regierung, das Ergebnis dieser [engl. Text: dieser öffentlichen] Äußerung der Bevölkerung zur Kenntnis des Völkerbundes zu bringen, dessen Entscheidung anzunehmen sich Belgien verpflichtet."
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 16:16 Uhr:   

Nochmals kurz zu den staatsvertraglichen Problemen:

Die Beispiele aus der Schweiz sind mit Vorbedacht gewählt, handelt es sich doch um Verträge, die zwischen Kantonen bzw. Kantonen und dem hl. Stuhl in ihrer Eigenschaft als selbständige Völkerrechtssubjekte geschlossen wurden, und dies überdies zu einer Zeit, als sie auch noch nicht zur Schweiz zusammengeschlossen und somit auch formal unabhängig waren. Diese Verträge werden daher grundsätzlich auch nach ähnlichen Grundsätzen behandelt wie andere Staatsverträge. Es gibt heute zwar einen Bundesstaat, der allerdings in diesen Fragen nur bedingt eingreifen kann, da es sich um Souveränitätsgebiete der Kantone handelt. Im wesentlichen kann der Bund die Kantone zwingen, Streitigkeiten aus solchen Verträgen dem Bundesgericht zu unterbreiten. Auf weltweiter Ebene gibt es einen solchen Gerichtszwang nicht. Wenn sich ein Kanton allerdings nicht an den Entscheid des Gerichts halten wollte, so gibt es wenig unmittelbare Möglichkeiten des Bundes einzugreifen. Im wesentlichen bestünden diese darin, Truppen aufzubieten und eine eidgenössische militärische Intervention vornzunehmen. Auch gewisse Repressalien wie finanzielle Blockaden o. dgl. wären denkbar - also durchaus vergleichbar der Lage weltweit.

Damit ist aber nicht gesagt, dass völkerrechtliche Verträge nur dann gelten, wenn man sich ohnehin an sie hält. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass sie aus sich heraus Geltung besitzen. Wozu sollten sonst Verträge gut sein, wenn es doch am Ende nur um Faustrecht geht?
Allerdings gibt es entscheidende Einschränkungen der Durchsetzbarkeit, sprich: Erzwingbarkeit, weil es keinen Weltgerichtshof und keine Weltpolizei gibt.
Bei der Frage der Weitergeltung von Verträgen oder Vertragsbestimmungen wäre ferner verschiedenes zu unterscheiden, so die Frage, ob sie obsolet oder desolet geworden seien. Dies ist nicht dasselbe: Vertragsbestimmungen können obsolet werden, weil sie sich aus realen Gründen überlebt haben, z. B. Beschränkungen der Stärken von Kavallerieeinheiten (wo gibt es noch Kavallerie???). Dies ist im Grunde nichts anderes als der "Wegfall der Vertragsgrundlage" oder die clausula rebus sic stantibus". Das kann auch in abgeschwächter Form der Fall sein, etwa in der Weise, dass zwar an sich die realen Anknüpfungspunkte einer Vertragsbestimmung weiterhin gegeben sind, aber offensichtlich unsinnig oder unzweckmässig geworden sind, bspw. das Abstellen von Energieliferungen auf Kohlemengen. Und dann gibt es eben auch die Ausserkraftsetzung von Vertragsbestimmungen durch dauerhafte Nicht-Anwendung, die im römischen Recht durchaus noch üblich und an sich immer bekannt war, den meisten nationalen Rechtsordnungen aber eher fremd ist. Allerdings sollte man auch nicht vorschnell davon ausgehen, dass internationale Verträge durch Nichtanwendung ausser Kraft gesetzt worden seien. Auch da gilt es wieder verschiedene Verträge zu unterscheiden. Eine Nichtangriffsgarantie z. B. kann eigentlich per definitionem nicht durch Nicht-Anwendung ausser Kraft gesetzt werden, weil der erste Angriff zugleich eine Verletzung darstellt (wobei wir allerdings in gewisse Aporien gelangen).

Wie es sich nun im einzelnen mit dem 2+4-Vertrag verhält, müsste m. E. nach den verschiedenen bereits erwähnten (und weiteren) Gesichtspunkten geprüft werden. Dabei ist eine weitere Besonderheit zu beachten: Die Auslegung internationaler Verträge folgt nicht den Regeln des Binnenrechts eines Staates. Entscheidend wird daher sein, wie die Völkergemeinschaft bzw. die massgebenden Staaten in Europa die Sache sehen.

Daher halte ich an meiner Aussage fest, dass aus innerdeutschem Recht der Aufnahme eines Gebietes, das Aufnahme wünscht, nichts entgegenstünde, dass aber möglicherweise auf internationale Verträge gestützt Ungemach von dritten Staaten drohen könnte.
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Korinthenk. (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 17:00 Uhr:   

Ausgehend von dem historischen Kontext des Zwei-plus-vier-Vertrages bedeutet "Endgültigkeit" doch nur, dass kein Staat Gebietsabtretungs-/Grenzveränderungsansprüche an andere stellt, also "Unverletzlichkeit". Es bedeutet hingegen nicht "Unabänderbarkeit".
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zigzag
Veröffentlicht am Montag, 19. November 2007 - 23:06 Uhr:   

Passend zum Thema Staatskrise und Wahlkreis

Artikel und eine Grafik Grafik

Quellen: derstandard
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 20. November 2007 - 00:50 Uhr:   

Was der Standard schreibt, ist leider z.T. dummes Zeug.

"Das Parlament entzog mit der flämischen Stimmenmehrheit den 150.000 Wallonen am Rande Brüssels das Recht, eigene Gruppierungen aufzustellen, und teilte den Bezirk, um flämische Mehrheiten in Zukunft sicherzustellen."

Natürlich können Wallonen in Flandern mit eigenen Listen kandidieren, auch nach der Abschaffung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde. Im flämischen Regionalparlament ist die frankophone Liste UF auch mit einem Sitz vertreten. Sie müssen eben die 5%-Hürde in Vlaams Brabant schaffen, und die Frankophonen stellen deutlich über 10% der Wähler dort. Außer in Brabant sind die Wahlkreise mit den Provinzen identisch, von daher wäre eine Änderung durchaus logisch.

Es geht ja im Kern auch nicht um den Wahlkreis, sondern darum, daß die Wallonen die Region Brüssel vergrößern wollen (unter dieser Bedingung wären sie sehr wohl zur Wahlkreisänderung bereit), was die Flamen natürlich ablehnen.

Es ist auch die Frage, warum es denn so schlimm ist, wenn es fünf Monate nach der Wahl keine neue Regierung gibt. 1987 brauchte man auch fast 5 Monate. Eine Regierung gibt es ja, Verhofstadt ist immer noch Ministerpräsident. Die Regionen haben handlungsfähige Regierungen.
Die Beschreibung des Wahlrechts im Standard ist auch Blödsinn. Es gibt keine festen Sitzzahl für Flamen und Wallonen in der Abgeordnetenkammer, wohl aber im wenig bedeutsamen Senat (41 Flamen, 29 Wallonen, 1 Deutschsprachiger).

"Und obwohl in Flandern gelegen, gab es französischsprachige Parteien und Bürgermeister, die prompt vom flämischen Innenminister nicht angelobt wurden."
Das ist eine Entstellung der Tatsachen. Die betreffenden Bürgermeister sind bereits im Amt, es ging um die Verlängerung der Amtszeiten. Der flämische Innenminister legte sich quer, weil die Bürgermeister die Wahlbenachrichtigungen in französischer Sprache verschickten und in Gemeinderäten Französisch statt Niederländisch gesprochen wurde.

Die Einseitigkeit und Schlampigkeit dieser angeblichen Qualitätszeitung ist hier kaum zu überbieten. Aber das ist ein allgemeines Problem der Auslandsberichterstattung.
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loscha2 (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Dienstag, 20. November 2007 - 13:50 Uhr:   

Die Schweiz als Beispiel für Belgien?

1. JA: Die Schweizer Kantone wurden nicht entlang von Sprachgrenzen gebildet. In der Zeit der Grenzziehung ging es um Grundherrschaften, einige heutige Kantone waren Untertanengebiete (Kolonien) der damaligen "Regionalmächte" wie Bern oder die Urkantone, wo die Sprache der Herren an manchen Orten parallel zur Sprache der Untertanen gesprochen wurde. (Freiburg) Da die Konfessionsgrenze quer zu den Sprachgrenzen verläuft und die Religion mindestens 400 Jahre lang eine stete Quelle von Konflikten war, besteht in der Schweiz keine Tradition von Sprachkonflikten. Zur Zeit der Reformation waren die Dialekte innerhalb des Französischen, des Italienisch und des Deutschen zT gegenseitig unverständlich, so dass man auf eine gemeinsame Hochsprache ausweichen musste. In der Politik hatte diese Geschichte zur Folge, dass sich in den katholischen und reformierten Kantonen ganz unterschiedliche Parteiensysteme aus bildeten. (SVP und Liberale ausschliesslich reformiert, CVP ausschliesslich katholisch).

2. NEIN: Seit dem Aufkommen der elektronischen Medien und des Internet werden die Kantone als Kulturräume durch die Sprachregionen abgelöst. Das Englische hat an Gewicht derart zugenommen, teilweise sprechen Schweizer am Arbeitsplatz untereinander Englisch. Bei der jüngeren Generation hat das Englische die Stellung einer Lingua Franca erhalten, die Kenntnisse des Französischen, resp. Deutschen, werden nicht genutzt. Die Vereinheitlichung der Sprachregionen hat auch das Parteiensystem homogenisiert. Heute würde ich Sprachkonflikte deshalb nicht mehr ausschliessen!
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 02:32 Uhr:   

@Philipp Wälchli

"man könnte man sagen, dass im Falle eines Falles die beteiligten vier Vertragspartner einer Änderung bezüglich der beitrittswilligen Gebiete zustimmen müssten und das wohl auch tun würden."

Es stellt sich die Frage ob dies erforderlich wäre. Im Völkerrecht gibt es auch die Rechtsfigur des aquicense. Die Vier Mächte haben im Fall der Grenzänderung zwischen Deutschland und den Niederlanden sich nicht an der Neuregelung beteiligt. Es stellt sich daher die Frage ob sie durch die Nichtwahrnehmung ihrer Rechte aus dem 2-4-Vertrag (so man unterstellt das jedweder Grenzänderung völkerrechtlich ihrer Zustimmung bedürfte) sie damit auf diese Rechte verzichtet haben, bzw. aus dem Stillschweigen ein Verzicht zu schließen ist.
Denn wenn ein Staat ein Recht hat und dies über lange Zeit nicht wahrnimmt obwohl Anlaß hierzu bestand, so kann dies eben untergehen.
GB, F, die USA und Rußland hätten sich daher zumindest zustimmend zu dieser Grenzänderung äußern müssen. Wenn diese Mächte allerdings stillschweigend hinnehmen, dass die BR Deutschland ihre Grenzen eigenmächtig und ohne deren Zustimmung ändert, so kann man hierin sehr wohl einen Verzicht auf diese Rechte sehen.

Unabhängig von der Frage - die man sicher auch anders sehen kann- haben Sie die Frage einer möglichen Drittwirkung der Verträge angesprochen (Vertrag zugunsten Dritter). Diese sehe ich gerade nicht. Es ergibt sich gerade nicht, dass Drittstaaten berechtigt werden sollen aus dem Vertrag irend ein Recht abzuleiten (mit Ausnahme von Polen auf Abschluß eines Grenzvertrages (erfüllt 1990)).
Dies müßte sich schon ausdrücklich aus dem Vertrag ergeben, den grds. verpflichtet und berechtigt ein Vertrag nur die Vertragsparteien (und nicht Dritte). Es gibt zwar einen allgemeinen Hinweis das dieser Vertrag der Friedensordnung in Europa dient. Daraus ergibt sich allerdings lediglich, dass der Vertrag Schutzwirkungen zugunsten Dritter entfaltet, nicht aber das diese eigene Rechte gegen die Vertragsparteien geltend machen können (Ausnahme war hier die Frage des polnischen Grenzvertrages - in dem Punkt lag ein Vertrag zugunsten eines Dritten (Polen) vor. Diese Anspruch ist jedoch erfüllt und daher untergegangen).
Das der 2+4-Vertrag andere Staaten nicht berechtigen soll, ergibt sich im übrigen auch aus der Vorgeschichte.
1989/90 forderte etwa der italienische Außenminister auf einer NATO-Tagung
eine europäische Friedenskonferenz zur dt. Frage.
Darauf antwortete ihm der dt. Außenminister Genscher: "You are not even a player in this game".
Es war stets die Bestrebung der dt. Außenpolitik der Zeit, eine "große Konferenz" zu vermeiden, weil diese natürlich die Herstellung der dt. Einheit verhindert hätte, da muss man kein Prophet sein um das zu sehen.
Insofern spricht auch schon die Vorgeschichte dafür, dass hier nicht weitere Staaten Rechte aus den Vertrag erhalten sollten. Der Wortlaut sagt hierzu auch nichts (Ausnahme: Polen), daher kann dies auch nicht einfach behauptet werden.
Das wäre eine Fiktion, die den Unterschied zwischen Verträge mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter (ohne eigene Ansprüche) und zugunsten Dritter (mit eigenen Ansprüchen) verwischt.



"Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern dieser Vertrag auch Ansprüche zu Gunsten Dritter schafft. Könnte dann z. B. Luxemburg sich darauf berufen, dass ihm aus diesem Vertrag die Garantie erwächst, dass es keine Grenzverschiebungen mit deutscher Beteiligung geben dürfe und dass eine Abänderung daher gegen seinen Einspruch nicht zulässig sei?"

Sehe ich nicht, solange kein Luxemburger Gebiet betroffen ist.
Allerdings müsste natürlich Belgien bzw. der jeweilige Rechtsnachfolger hier beteiligt werden.

Ich halte dieses Szenario allerdings für maximal unwahrscheinlich.
Wahrscheinlich wird der belgische Staat durchaus noch einige Jahre oder Jahrzehnte bestehen (wobei momentan langfristig alles auf eine Spaltung zuläuft). Wahrscheinlich wird die gesamtstaatliche Ebene mehr und mehr verlieren und nur noch auf die Frage der Außenpolitik beschränkt werden, wobei selbst in der Europapolitik die Regionen zunehmend das Heft in die Hand bekommen werden. Problematisch sind hier allerdings die Interessengegensätze zwischen Flandern (als reicher Region) und Wallonien als strukturschwächeren Region.
Langfristig deutet vieles auf eine Auflösung des Staatsverbandes hin, zumal der einziger Belgier ja der König ist, der Rest sind Flamen und Wallonen (lol).

Brüssel könnte in der Tat ein EU-unmittelbares Territorium werden (Washington DC-Lösung), Flandern eine unabhängige Republik und Wallonien könnte vielleicht den belgischen König behalten. Vielleicht behält Wallonien sogar den Staatsnamen Belgien bei.
Wobei dies sicher zu Streit führen dürfte, ob sich einer der beiden Teile als Rechtsnachfolger verstehen darf oder will, denn dieser müßte dann auch die Altschulden übernehmen bzw. müßte vertraglich vereinbaren wie diese aufgeteilt werden. Also an sich ist die Aussicht Rechtsnachfolger des Königreichs Belgien zu werden nicht gerade besonders berauschend....

Wahrscheinlich würden daher wohl beide Teile einen Schnitt machen wollen, der Staatsname Belgien würde untergehen, und eine Republik Flandern und eine Republik Wallonien entstehen, die beide die Rechte des alten Staates "erben".

Die deutschsprachigen Gebiete würden dann erstmal bei Wallonien verbleiben.
Das diese sich davon abspalten würden sehe ich nicht. Sie genießen in der Region Wallonien große Autonomie und würden das in eine Staat Wallonien auch haben - und sogar mehr Einfluß auf den Gesmatstaat haben als in dem gegenwärtig größeren Belgien.
Von daher sehe ich nicht, dass sich diese Gebiete dann auch noch abspalten würden.
Sie würden wohl bei Wallonien bleiben und nicht einen Beitritt nach Luxemburg oder Deutschland suchen.



Wobei gänzlich auszuschließen ist die Luxemburg-Variante nicht.
Aber dann ist wohl sogar die Frage eher berechtigt, ob sich das wallonische Gebiet Luxemburg mit Luxemburg vereinigt. Es besteht ja schon Namensgleichheit.
Wobei dann Wallonien doch einen erheblichen Gebietsverlust erleiden würde und sich dann auch die Frage stellt, ob Wallonien nicht insgesamt mit Luxemburg fusionieren sollte.
Der Großherzog von Luxemburg könnte sich dann Großherzog von Luxemburg und Wallonien nennen.lol.

Wie auch immer: Falls der belgische Staatsverband sich auflöst halte ich das Szenario am wahrscheinlichsten, dass
1. eine Republik Flandern
2. eine Republik Wallonien und
3. ein EU-unmittelbares Gebiet Brüssel
entsteht, und das die Außengrenzen wie bisher bleiben nur eben weitere Staatsgrenzen entstehen.
Wallonien würde wohl für die Deutschsprachige Region ein Autonomiestatut vorsehen, das bisher die "Deutschsprachige Gemeinschaft" genannt wurde. Das Institut der Französischsprachigen Gemeinschaft könnte abgeschafft und mit der Zentralregierung verschmolzen werden (die ja ohnehin französisch dominiert wäre), es sei denn mal will unbedingt Doppelstrukturen erhalten, was mir nicht einleuchtet.

Spannend ist dann doch eher die Frage, welche Städte Hauptstadt von Flandern oder Wallonien sein würden.
Brüssel wäre als EU-unmittelbares Gebiet für beide ja dann "Ausland".
Für Flandern kommt am ehesten Antwerpen in Betracht (statt Brüssel, das gegenwärtiger Sitz ist, obwohl es gar nicht zur Region gehört)
In Wallonien sitzt die Regionalregierung schon seit längeren in Namur, womit diese Stadt wohl die größten Chancen hätte, obwohl an sich Lüttich das wirtschaftliche Zentrum bildet. Andererseits liegt aber Namur in der Mitte der Region und hat als gegenwärtiger Sitz der Regionalregierung sicher die bessere Ausgangsposition.
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 09:41 Uhr:   

Fein! Da haben wir doch bereits mindestens 3 konkurrierende Auslegungen des Vertrages. So klar, wie das andere sehen wollen, sind also die Verhältnisse offensichtlich nicht. QED.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 14:14 Uhr:   

@Philipp Wälchli,

wobei sich in der Praxis die Auslegung durchsetzen würde, die dann realisiert wird.
Und wenn die beteiligten Parteien den Streitfall nicht einem internationalen Gerichtshof stellen und sich dem Schiedsspruch unterwerfen, so wird das Ergebnis durch die "Realpolitik" gegeben.
Und in dem Fall könnte wohl niemand Belgien bzw. die Nachfolgestaaten von Belgien und Deutschland daran hindern im Einvernehmen ihre Grenzen zu ändern.
Anders sehe es hingegen aus, wenn eine Grenzverschiebung etwa von der Region Eupen-Malmedy ohne Zustimmung vom "belgischen Nachfolgestaat Wallonien" durchgeführt werden würde.
Denn ein allgemeines Sezessionsrecht gibt es
im Völkerrecht (das primär ein Recht zwischen Staaten ist, weshalb der Titel Völkerrecht nicht mißverstanden werden sollte) nicht, dass Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt grds. nur im Rahmen des (bestehenden) Staatsverbandes.
Es ist ein Recht auf Autonomie (insbes. Selbstbestimmung in Fragen der Kultur, Sprache, Schule, ggfs. auch Schutz vor Überfremdung und Masseneinwanderung der den Bestand der Identität der Volksgruppe gefährdet), dass durch die jeweiligen Staaten zu gewähren ist. Hierauf haben nationale Minderheiten wohl auch einen völkerrechtlichen Anspruch. Es ist aber grds. kein Recht auf Sezession aus dem Staatsverband. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker so auszulegen, würde den Grundsatz der territorialen Integrität der Staaten völlig unterhöhlen (allg. Ansicht, a.A. vertretbar).
Fraglich ist, was passiert, wenn ein Staat seine Verpflichtung zur Gewährung von Autonomie an eine Volksgruppe verletzt. In dem Fall kann jedenfalls die internationale Gemeinschaft im zur Erfüllung dieser Pflicht anhalten (ohne das der Staat sich auf den Grds. der Nichteinmischung berufen darf). Allerdings wird man wohl selbst dann kein Sezessionsrecht bejahen können (allg. Ansicht, a.A. vertretbar).
Allenfalls im Extremfall (extreme Verfolgung einer Minderheit, Vertreibungspolitik, Völkermord) steht einer nationalen Minderheit ein Sezessionsrecht zu (so westliche Völkerrechtler). Aber auch das ist umstritten. In nicht-westlichen Staaten wird selbst in so einem Fall ein Sezessionsrecht verneint (was ich persönlich nur für schwer vertretbar halte).
Diese Frage wird sich in der nächsten Zeit anhand des Status des Kosovo entzünden.
Die westlichen Staaten werden argumentieren, dass aufgrund der Vertreibungspolitik durch Serbien in den 90er-Jahren es den Kosovo-Albanern nicht zumutbar ist, dass dieses gegenwärtig unter UN-Verwaltung stehende Gebiet in den serbischen Staatsverband zurückkehrt.
Serbien (als Rechtsnachfolger der Bundesrepublik Jugoslawien) hat also aufgrund seines Verhaltens in den 90er-Jahren im Kosovo sein Recht auf territoriale Integrität in Bezug auf die Region Kosovo verwirkt. Insofern erstarkt - wegen der einstigen serbischen Vertreibungspolitik - das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu einem Sezessionsrecht.
Das halte ich persönlich für richtig.

Rußland und Serbien sehen dies naturgemäß anders.
Sie werden erstens bestreiten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu einem Sezessionsrecht erstarken kann, bzw. hilfsweise erklären, dass die serbische Politik jedenfalls "nicht so schlimm" gewesen sei und allenfalls im Falle eines Völkermordes bzw. versuchten Völkermordes ein Sezessionsrecht bestehen könne. Dies habe Serbien aber nie begangen.
Diese Ansicht ist vertretbar. Aus meiner Sicht räumt sie aber dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ein zu niedriges Gewicht ein. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gehört immerhin zu den zwingenden Regeln des Völkerrechts (ius cogens).

Im Ergebnis wird sich aufgrund der realpolitischen Verhältnisse die westliche Sicht durchsetzen (wobei für eine große Zeit einem unabhängigen Staat Kosovo wohl der Zutritt zur UN verwehrt bliebe. Dies ist aber nicht eine Voraussetzung um von einem unabhängigen Staat zu sprechen. Die BR Deutschland und die DDR waren bis 1973 nicht UN-Mitglieder, Nordkorea und Südkorea nicht bis 1991 und die Schweiz war gar bis 2002 kein Mitglied der UN; bis heute ist der Vatikanstadt kein Mitglied der UN, auch wenn es sich unzweifelhaft um einen Staat handelt).
Insofern wird man einer Mitgliedschaft in der UN keine konstitutive Bedeutung zumessen können, ob ein Staat allgemein anerkannt ist.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 14:58 Uhr:   

Anmerkung zu einer möglichen Auflösung Belgiens:
Theoretisch wäre es ja auch denkbar, dass drei Staaten entstehen:
Flandern, Wallonien und eine unabhängige Republik Eupen-Malmedy, bestehend aus den deutschsprachigen Gebieten.
Die Unabhängigkeit hätte für die Region auch Vorteile, da in jedem sonstigen Staatsverband ihr Gewicht sehr gering wäre. Zudem gibt es in Europa auch noch kleinere Staaten (Bsp. Lichtenstein). Der Staat müsste auch nicht notwendigerweise EU-Mitglied sein. Es wären ähnliche Regelungen wie in Bezug auf Andorra, Monaco oder San Marino denkbar.
Die Außenpolitik könnte - wie im Fall Lichtensteins, dass allgemein durch die Schweiz vertreten wird - durch einen anderen Staat per Vereinbarung mitübernommen werden.
Eupen-Malmedy könnte sich dann aussuchen, ob sie dafür eine Zusammenarbeit mit Wallonien, dem sie zur Zeit ja angehören, mit Flandern, mit Luxemburg, mit den Niederlanden oder auch mit Deutschland suchen.
Ich sehe hier volle Wahlmöglichkeiten für das Gebiet.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 15:14 Uhr:   

Weiteres Szenario:
Insgesamt ist doch bei den Flamen das Interesse an der Erhaltung des belgischen Staates sehr im Schrumpfen begriffen.
Bei den Wallonen sieht es hingegen (noch) anders aus.

Historisch war ja Belgien einst von den Französischsprachigen dominiert.
Diese Grundstruktur des Staates - die sehr tief verwurzelt ist - hat sicher auch zu der tiefen Spaltung geführt.
Zudem ist der belgische Staat ein Kunstprodukt (von 1830), der Gebiete vereint die - jedenfalls wenn man das Konzept von Nationalstaat zugrundelegt - eigentlich nicht zusammen gehören.
Nun kann ein gemeinsames Staatsbewußtsein auch dann entstehen, wenn es verschiedene Natioalitäten gibt (Bsp. Schweiz).
Das muss aber nicht so sein (Bsp. Ex-Jugoslawien).
In Belgien ist jedenfalls ein solches gemeinsames Staatsbewußtsein wohl nie richtig entstanden.
Soweit Ansätze zu einem solchen vorhanden sind, so sind selbst diese mittlerweile in einer Erosion begriffen.

Wobei generell wohl bei den Flamen eine geringere Identifikation mit dem belgischen Staat vorliegt als bei den Wallonen.

Von daher ist es auch denkbar, dass sich der belgische Staat nicht auflöst, sondern das sich Flandern lediglich abspaltet.

Im Ergebnis würde also dann eine Republik Flandern entstehen (mögliche Hauptstadt Antwerpen).
Im übrigen bliebe der belgische Staat erhalten (als Königreich Belgien). Dieser würde aus Wallonien (bestehend aus der französischsprachigen und der deutschsprachigen Gemeinschaft) und aus der Region Brüssel bestehen.

Insofern wäre in gewissen Sinne die Situation wieder hergestellt, die 1830 bei der Gründung Belgiens bestand: die Dominanz der französischsprachigen Bevölkerungsgruppe.
Der Staat würde in gewissen Sinne damit zu seiner Grundlage, zu seinen Wurzeln zurückgeführt. Nur eben nicht dadurch, dass die flämischsprachige Gruppe mißachtet würde, sondern dadurch, dass diese nunmehr einen eigenen Staatsverband hätte.
Das Staatsgebiet wäre eben deutlich kleiner (aber es gibt in Europa viele kleinere Staaten (Luxemburg, etc.).
Zudem hätten sowohl Flandern als auch Wallonien je eine Enklave auf dem anderen Gebiet (Flandern im Osten, und (Französisch-)Belgien im Norend (und zwar die Region Brüssel).
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:BelgieGewestenkaart.png


Da beide in der EU wären dürften diese Enklaven aber keine Problemstellung sein. Wenn man das dennoch vermeiden will, so könnte man einen Gebietstausch machen, indem man etwa die Zugangstraßen zu den "Enklaven" dem anderen Staat jeweils als Staatsgebiet abtritt (so dass es dann keine Enklaven wären), oder zumindest vereinbar, das die Zufahrtstraßen unter an die Verwaltungshoheit des jeweils anderen Staates stehen).
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gelegentlicher Besucher (Unregistrierter Gast)
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 15:14 Uhr:   

@Philipp Wälchli
Die drei Interpretationen (von Ralf Arnemann, Marc K. und mir) stimmen allerdings alle in dem entscheidenden Punkt überein, dass das von Ihnen ins Spiel gebrachte Verhinderungsrecht Luxemburgs nicht existiert. In dem Punkt sind die Verhältnisse anscheinend doch sehr klar.
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tg
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 15:49 Uhr:   

@ Marc K.
Das deutschsprachige Gebiet ist NICHT deckungsgleich mit dem Gebiet Eupen-Malmedy, das nach dem 1.WK von Deutschland an Belgien fiel. Siehe dazu die Karten im Wiki-Artikel:
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutschsprachige_Gemeinschaft_Belgiens
Eine Republik Eupen-Malmedy wäre zweisprachig (Deutsch, Französisch), ein Staat bestehend aus den deutschsprachigen Gebieten würde hingegen Malmedy nicht beeinhalten.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 16:09 Uhr:   

@tg..
dann muss ich mich dahingehend korrigieren, dass ich natürlich nur das Deutschsprachige Gebiet meinte (also den deutschsprachigen Teil von Eupen-Malmedy).
Wie sich diese Republik dann nennen würde (-vielleicht nur Republik Eupen) müssen diese dann selbst entscheiden.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 16:29 Uhr:   

... wobei wenn man die Luxemburg-Variante ins Spiel bringt, nicht nur die Deutsprachige Gemeinschaft (Eupen und andere Gemeinde), sondern auch Teile der französischen Gemeinschaft den Anschluß an Luxemburg suchen könnten.
So könnte es durchaus die Gemeinden des gesamten Gebiets Eupen-Malmedy (und nicht nur die der deutsprachigen Region) einen Anschluß an Luxemburg suchen.
In Luxemburg ist ja offizielle neben Luxemburgisch auch Französisch und Deutsch Amtssprache. Insofern könnte sowohl für die deutsprachigen wie für die französischsprachigen Bewohner ein Beitritt zu Luxemburg interessant sein, sollte der belgische Staat zerfallen.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 16:34 Uhr:   

@Philipp:
> Da haben wir doch bereits mindestens 3
> konkurrierende Auslegungen des Vertrages.
> So klar, wie das andere sehen wollen, sind
> also die Verhältnisse offensichtlich nicht.
Andere?
Ich hatte das so verstanden, daß Du eigentlich am stärksten die Position vertreten wolltest, das Völkerrecht würde diverse Fragen eindeutig regeln.

Ich sehe mich durch unterschiedliche Interpretationen eher in meiner Sicht bestätigt, daß gerade das Völkerrecht eben oft Fragen nicht klar regelt. Sondern da gilt dann meist wie von Marc beschrieben: Völkerrecht ist, was sich am Ende durchsetzt.

Dies ist speziell für die Deutschen sehr schwer verständlich (und da meine ich jetzt alle Deutschsprachigen ;-)
Und das ist kein Phänomen der Neuzeit.

Schon in den diversen Erbfolgekriegen des 18. Jahrhunderts hat die deutsche (bzw. kaiserlich-österreichische) Diplomatie reihenweise Chancen versemmelt weil sie nicht kapiert haben, daß sich die übrigen europäischen Staaten nicht für diverse alte Kamellen interessiert haben, die die Deutschen für einklagbare Rechtstitel hielten.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 16:52 Uhr:   

@Marc:
> Zudem ist der belgische Staat ein Kunstprodukt
> (von 1830)
Da muß ich widersprechen, siehe mein Beitrag vom 15. November.
Belgien hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahrhunderte Tradition als eigenständiges (wenn auch nicht unabhängiges) Gebiet.
Darauf hätte sich im Prinzip ein Staatsbewußtsein wie in der Schweiz entwickeln lassen - das wurde durch die überzogenen Machtansprüche der Wallonen verhindert.

Ich glaube auch, daß es wahrscheinlich überhaupt nie zu einem Zerfall kommen wird - alleine schon weil keine allgemein akzeptable Lösung für Brüssel und Umgebung in Sicht ist.

Was nun Angliederungen an Luxemburg betrifft: Bei Eupen/Malmedy wäre das denkbar, aber geographisch recht ungünstig.

Eine "Wiedervereinigung" mit dem wallonischen Luxemburg dagegen halte ich für ausgeschlossen.

Das Französische ist ja in Luxemburg nur aus historischen Gründen üblich und um sich stärker gegen Deutschland abzugrenzen.

De facto aber ist Luxemburg deutschsprachig (das Luxemburgische jetzt mal als deutscher Dialekt gerechnet), nur eine Minderheit versteht wirklich ausreichend Französisch, Umgangssprache ist es nur minimal.

Ist ja auch logisch: Belgisch-Luxemburg und das Großherzogtum sind ja damals im wesentlichen entlang der Sprachgrenze geteilt worden.

Die Luxemburger (Staatsmotto: "Wir wollen bleiben, was wir sind") werden keine große Lust haben, sich durch so eine Vergrößerung Sprachgruppenprobleme einzuhandeln.

Vor allem muß man sich überlegen: Wir reden hier über ein Szenario, in dem Belgien sich gerade zerlegt hat.
Da würden die Luxemburger doch einen Teufel tun, sich genau wieder so ein Szenario zu basteln: Prosperierende germanisch-sprachiges Mehrheitsgebeit, subventionsbedürftiges französisch-sprachiges Minderheitsgebiet.
Und dies mit einer Minderheit, die jahrzehntelang geübt haben, Sprachgruppeninteressen mit allen Ellenbogen durchzufechten.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 18:10 Uhr:   

@Ralf Arnemann

"Völkerrecht ist, was sich am Ende durchsetzt"
Nur weil sich unrecht in der Realität durchsetzt, wird es dadurch noch lange nicht zum Recht. Das wäre genauso, wie wenn man aus dem Umstand das nicht in 100% der Fälle Mord bestraft wird (sondern nur in 95%), die Schlußfolgerung gezogen wird, dass Mord in diesen 5% der Fälle kein Unrecht ist.
Bei Diebstahl ist die Aufklärungsquote ja noch ungünstiger.
Die Durchsetzbarkeit ist keine zwingende Voraussetzung von Recht. I
Zudem ist zu bemerken, dass sich die Staaten meistens an das Völkerrecht halten. Es gibt ja auch Sanktionsmöglichkeiten (Weltöffentlichkeit, ggf. Sanktionen, u.U. sogar die Möglichkeit einer internationalen bewaffneten Aktion gegen einen Staat (Art 53 UN-Charta: immerhin schon zweimal angewendet: Korea (1950), Irak (1990/91) außerhalb des ohnehin garantierten Rechts auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung.


Der Satz "Völkerrecht ist, was sich am Ende durchsetzt" kann ich nur mit folgender Änderung zustimmen:
Völkerrecht ist das Recht zwischen Staaten.
Sind im Einzelfall mehrere Auslegungen möglich, so ist - soweit nicht ein internationaler Gerichtshof im Einzelfall für die Entscheidung zuständig ist - die Auslegung als verbindlich anzusehen, die sich realpolitisch durchsetzt.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 18:17 Uhr:   

Zusatz:
Im nationalen Recht ist ja am Ende auch das "reales Recht", was die Gerichte entscheiden und das ist i.d.R. die berühmte h.M. (herrschende Meinung).

Das ist dann jedenfalls das geltende Recht.
Und wenn man die Sache empirisch betrachtet, so ist das das Recht.

Wenn man das Recht eher philosophisch betrachtet, von der Rechtsidee ausgeht, so kann man natürlich (fast) immer eine a.A. (andere Ansicht) vertreten.

Im Völkerrecht wird das eben am Ende nur selten von Gerichten entschieden - weil es nur wenige gibt und die Staaten sich auch nicht gerne sich pauschal unter die Urteile von "fremden Gerichten" unterwerfen - sondern durch die Realpolitik.
Auch im nationalen Recht werden im übrigen nicht alle Rechtstreitigkeiten von Gerichten entschieden. Oft kommt es im Vorfeld zu Vergleichen, auch u.U. deshalb weil beide Parteien Kosten vermeiden bzw. beide fürchten zu verlieren und einen Präzedenzfall für die Zukunft zu schaffen.

Diese nicht-gerichtlichhe Variante muss jedenfalls nicht per se zu schlechteren Ergebnissen führen. Zudem muss man berücksichte, dass das Völkerrecht in viel größeren Maße politisches Recht ist als z.B. das Zivilrecht.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 18:30 Uhr:   

"Da muß ich widersprechen, siehe mein Beitrag vom 15. November.
Belgien hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahrhunderte Tradition als eigenständiges (wenn auch nicht unabhängiges) Gebiet."

Es war aber keine geeinte unabhängige politische Einheit.

"Darauf hätte sich im Prinzip ein Staatsbewußtsein wie in der Schweiz entwickeln lassen - das wurde durch die überzogenen Machtansprüche der Wallonen verhindert."

Hat es aber nicht. Insofern sind wir - unabhängig von unterschiedlichen Wertungen in Bezug auf die Historie - jedenfalls insoweit einig, dass es ein belgisches Nationalbewußtsein allenfalls in Rudimenten gibt und das selbst diese inzwischen erodieren.

"Ich glaube auch, daß es wahrscheinlich überhaupt nie zu einem Zerfall kommen wird - alleine schon weil keine allgemein akzeptable Lösung für Brüssel und Umgebung in Sicht ist."

Das ist kein Hinderungsgrund. Dies ließe sich durch eine Volksabstimmung entscheiden.
Brüssel könnte entweder EU-unmittelbares Territorium werden oder Teil von Wallonien.
Für einen Beitritt zu Flandern dürfte es keine Mehrheit in Brüssel geben (wobei man dies wohl auch zur Abstimmung stellen sollte). Das die Region Brüssel eine wallonische Enklave wäre, ist kein Hinderungsgrund. Enklaven sind nur ein Problem, sofern grundlegende Probleme zwischen den Staaten bestehen, was bei EU-Mitgliedern wohl nicht der Fall sein dürfte.
Im übrigen hätte auch Flandern eine Enklave in Ostwallonien an der Grenz zu den Niederlanden.

Wenn man die Historie des wallonisch-flämischen Konflikts betrachtet, so hat Belgien in den letzten Jahrzehnten auf die Probleme mit einer immer weiteren Föderalisierung geantwortet.
Es sieht so aus, als ob sich diese Tendenz fortsetzen wird, ansonsten wird die gegenwärtige politsche Krise auch nicht - und auch nicht vorübergehend - überwunden werden.
Das bedeutet im Ergebnis eine weitere Schwächung der belgischen Zentralregierung und des Gesamtstaates. Dann wird sicher wieder ein paar Jahre Ruhe sein. Und dann geht das Spiel von vorne los.
Das ist absehbar.
Irgendwann wird nur nichts mehr übrig sein, was die Gesamtstaatliche Ebene an die beiden Regionen - insbes. an Flandern, den von dort kommen ja die Forderungen - abtreten kann.
Insofern läuft langfristig alles auf die Auflösung des belgischen Staatsverbandes hinaus, es sei denn es gelingt doch noch irgendwie diesen Prozeß anzuhalten.

"Was nun Angliederungen an Luxemburg betrifft: Bei Eupen/Malmedy wäre das denkbar, aber geographisch recht ungünstig."

Also wenn nicht nur das deutschsprachige Gebiet überwechselt (das aus zwei getrennten Teilen besteht), sondern Eupen-Malmedy insgesamt, wäre das sogar ein zusammenhängendes Gebiet.

"Eine "Wiedervereinigung" mit dem wallonischen Luxemburg dagegen halte ich für ausgeschlossen.
De facto aber ist Luxemburg deutschsprachig (das Luxemburgische jetzt mal als deutscher Dialekt gerechnet), nur eine Minderheit versteht wirklich ausreichend Französisch, Umgangssprache ist es nur minimal."
Ist mir persönlich in Luxemburg nicht aufgefallen.
Jedenfalls sehe ich Luxemburgisch schon als eigene Sprache an. Aber darüber kann man sicher streiten.

"Die Luxemburger (Staatsmotto: "Wir wollen bleiben, was wir sind") werden keine große Lust haben, sich durch so eine Vergrößerung Sprachgruppenprobleme einzuhandeln."

Gut. Aber bei einer Aufnahme von Eupen-Malmedy wäre das wohl nicht der Fall, sollte die Region nicht bei Wallonien (oder Französisch-Belgien - könnte ja sein das sich nur Flandern von Belgien abspaltet und der Rest den Staatsverband mit dem Staatsnamen aufrecht erhalten will) bleiben will, sondern sich auch abspalten möchte.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 18:42 Uhr:   

Ich glaube nicht an einen völligen Zerfall Belgiens. Das brächte einfach für Flamen und Wallonen einfach zu große Schwierigkeiten mit sich. Flämische Ultras wie Vlaams Belang wollen eine Unabhängigkeit Flanderns einschließlich Brüssel, aber das wollen die weit überwiegend frankophonen Brüsseler natürlich nicht. Da wäre die Hauptstadtfrage für Flandern ein großes Politikum. Derzeit sitzt die flämische Regionalregierung in Brüssel. Einen Umzug nach Antwerpen oder sonst wohin würde als Aufgabe Brüssels interpretiert und das Klima in Flandern vergiften.
Ein großes Problem wären auch die Steuern. Brüssel als eigenständiger Stadtstaat oder als Teil einer Föderation mit Wallonien (eine Lösung a la Wash. D.C. ist ausgeschlossen, das die EU eben kein Staat ist) würde natürlich auch von den Einpendlern Einkommensteuer erheben und ihr Wohnort wie bisher nochmal. Wenn hier kein Doppelbesteuerungsabkommen zustande kommt, gäbe es für viele ein großes Problem. Ein Kompromiß wäre jedenfalls für Flandern teuer, während andererseits Transfers in den Süden wegfielen. Von einem durch politischer Unsicherheit bedingten wirtschaftlichen Schaden für Brüssel ist beiden Seiten auch nicht gedient. Die Regelung Staatsangehörigkeit wäre ein weiteres Problem, dazu kommt noch die Aufteilung der Verbindlichkeiten Belgiens.
Was die Ostkantone und (die Provinz) Luxemburg angeht, glaube ich kaum, daß das Großherzogtum sie haben will. Dafür gibt es keinen rationalen Grund, Schwierigkeiten dürfte es dafür aber einige machen. So wären die alteingessenen Luxemburger im eigenen Land in der Minderheit (heute sind ja schon gut 30% Ausländer) und die Ausdehnung des luxemburgischen Luxus-Sozialstaates auf relativ "arme" neue Gebiete wäre teuer. Bei einer Wiedervereinigung Luxemburgs (die heutige Provinz Belgiens war 1839 mit Teilen Limburgs getauscht worden, damals war der König der Niederlande in Personalunion Großherzog von Luxemburg) würde Französisch stark an Einfluß gewinnen und Letzeburgisch sowie Deutsch völlig an den Rand gedrängt, aus luxemburgischer Sicht auch nicht unbedingt toll. Die Mehrsprachigkeit fastt aller Einwohner ist ja ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil.
Für die Ostkantone wäre es wohl die realistischste LÖsung, eine große Autonomie innerhalb Walloniens rauszuschlagen.


"Ich sehe mich durch unterschiedliche Interpretationen eher in meiner Sicht bestätigt, daß gerade das Völkerrecht eben oft Fragen nicht klar regelt. Sondern da gilt dann meist wie von Marc beschrieben: Völkerrecht ist, was sich am Ende durchsetzt."
Stimmt, letztlich gilt das Recht des Stärkeren und nicht UN-Resolutionen, wobei es aber auch Stärkere tunlichst vermeiden sollten, sich zu viele zu Gegnern zu machen.
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 19:07 Uhr:   

@Thomas Frings,

"letztlich gilt das Recht des Stärkeren und nicht UN-Resolutionen"

Was die UN-Generalversammlung beschließt (sog. Empfehlungen) ist NICHT rechtsverbindlich.
Das ist daher auch KEINE Rechtsquelle des Völkerrechts.

Es kann allerdings sein, dass das was die UN-Generalversammlung beschließt, ohnehin sog. "Gewohnheitsrecht" verdeutlicht.
Ob das der Fall ist muss man prüfen, aber wenn es viele Gegenstimmen gab wird man auch das nicht annehmen können.

Anderes gilt nur für Resolutionen des UN-Sicherheitsrat.
Und im übrigen natürlich von der UN-Charta.
Diese ist rechtsverbindlich (Art 103 UN-Charta).
Und da mit Ausnahme des Vatikanstaats alle allgemein anerkannten Staaten der Welt Mitglieder der UN sind wird man diese daher schon für universell gültig anzusehen haben (-die wesentlichen Grundsätze wohl sogar für die Nicht-UN-Mitglieder (Vatikan, nicht anerkannte Staaten, staatsähnliche Gebilde).
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Marc K.
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. November 2007 - 19:47 Uhr:   

@Thomas Frings

"Ich glaube nicht an einen völligen Zerfall Belgiens. Das brächte einfach für Flamen und Wallonen einfach zu große Schwierigkeiten mit sich."

Die Frage ist, ob die Aufrechterhaltung der Einheit des Staates nicht auf Dauer sogar noch mehr Probleme macht. Wenn die seit mehreren Jahrzehnten andauernde Entwicklung (zunehmender Zerfall des Staatsbewußtseins, zunehmende Partikularisierung, zunehmender Seperatismus) anhält, wird das irgendwann der Fall sein.

Ob 2030 Belgien in den heutigen Grenzen seinen 200. Geburtstag feiern wird, bleibt abzuwarten.
Möglich ist, dass dann ein solcher Staat gar nicht mehr existiert, oder dass sich Flandern von ihm abgespalten hat und der Staat Belgien dann nur noch aus Brüssel, dem französischsprachigen Wallonien und dem Deutschsprachigen Gebiet (vereint in Form einer Föderation) besteht.

Bei letztgenannter Variante ist die Staatsangehörigkeit im übrigen kein großes Problem. Die Pässe laufen irgend wann ab, und diejenigen die als Niederländischsprachige in Flandern leben werden von Belgien wohl keine mehr haben wollen (noch bekommen).
Flandern müßte ein eigenes Staatsangehörigkeitsrecht erlassen. Für eine Übergangszeit könnten ja die alten belgischen Pässe bei Wohnort in Flandern als Berechtigung zur Wahl gelten.

Die Staatsschulden sind ein Problem.
Noch mehr allerdings wenn der Staat zusammenbleibt, denn dann müssen diese von allen Belgiern getragen werden.
In zweiter Variante wird es sicherlich erstmal einen jahrelangen Streit um die Altschulden geben ehe es zu einer Aufteilung (in welcher Form auch immer) kommt.
Ähnliche Probleme gab es ja auch beim Zerfall der SU, der Tschechoslowakei, etc. Das ist hierfür kein Hinderungsgrund.

Zum EU-unmittelbaren Territorium: Nun, sicher ist die EU kein Staat. Allerdings ist es sehr wohl denkbar, dass die Region Brüssel einen internationalisierten Status erhält (so dass sie weder zu Flandern noch zu Wallonien gehört; Danzig hatte etwa einen solchen Status in der Zwischenkriegszeit).
Es ist allerdings sicher wahrscheinlicher, dass Brüssel im Fall einer Abspaltung Flanderns (was wahrscheinlicher ist, als dass Flandern und Wallonien sich zugleich abspalten) bei (Rumpf-)Belgien verbleibt.
Ob dieser Reststaat, dann den Namen Belgien behält (und als Königreich Belgien weiterbesteht (wenn auch eben als kleinerer Staat) oder sich umbenennt ist dann eigentlich eine nebensächliche Frage.
In der Konstellation wäre jedenfalls der übrig beleibende Teil (unabhängig von der Selbstbezeichnung als Belgien oder Wallonien in rechtlicher Kontinuität zu (alt-)Belgien.
Flandern wäre ein "neuer" Staat, der allenfalls eine Teilrechtsnachfolge zu Belgien hätte.

Für die Wallonen ein Vorteil: den alle internationalen Rechtsstellungen lägen dann bei ihnen, während Flandern überall noch die Mitgliedschaft beantragen müsste (wohl auch in der EU - hier ließen sich aber Übergangsregelungen finden). Allerdings hätten die Wallonen dann auch alle Schulden am Hals - wobei Zug-um-Zug für eine Kooperation zur Gewährung der Unabhängigkeit und der Mitgliedschaft in allen übrigen internationalen Organisationen könnte man ja auch sich allmählich über die Altschulden verständigen.
Beide Seiten hätten da schon etwas auf den "bargaining table".
Sicher ist das schwierig, aber möglich ist es.

Und wenn die Entwicklung wie bisher sich in Belgien fortsetzt wird irgendwann die Aufrechterhaltung der Einheit des Staates noch schwieriger sein und wohl irgend wann völlig unmöglich werden.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 23. November 2007 - 09:53 Uhr:   

Erst einmal muß ich klarstellen: Der Satz daß das Recht wird, was sich durchsetzt, bezieht sich natürlich nur auf den Kontext, daß es um verschiedene Interpretationen innerhalb des Völkerrechts geht.
Und da haben wir wohl Konsens.

Zum Problem Brüssel und Umland: Das läßt sich NICHT durch eine Volksabstimmung lösen. Ein friedliches und von der übrigen EU anerkanntes Auseinandergehen kann nur durch breite Zustimmung zu einem Kompromiß erfolgen. Man kann diesen durch eine Volksabstimmung bestätigen. Aber irgendwelche 51:49 Mehrheiten wären keine Basis für eine Lösung.

Und da ich derzeit keine wirklich für beide Seiten akzeptable Lösung für Brüssel und Umland sehe, wird Belgien wohl noch lange zusammenbleiben.

Auch noch stärkere Föderalisierung erwarte ich nicht.
Denn die aktuellen Streitpunkte beziehen sich ja nicht auf das Verhältnis der beiden Regionen zueinander oder zum Gesamtstaat. Vielmehr geht es um den jeweiligen Umgang mit Minderheiten, im typischen Fall flämische Einwohner einer mehrheitlich französischen Gemeinde in Flandern.

Bei einer Trennung wäre es noch viel wichtiger, die Rechte solcher Minderheiten klar zu regeln - weil diese Leute ja den Schutz des Gesamtstaats verlieren.
Und wenn man das regeln kann, entfällt die Hauptmotivation für die Trennung ...

Und nochmal: Sollten sich die Belgier irgendwie einvernehmlich neu strukturieren - dann sind staatsrechtliche und finanzielle Fragen immer relativ leicht lösbar.
Ich habe beruflich mitverfolgt, wie der Zerfall Jugoslawiens in Bezug auf Schulden und Vermögen geregelt wurde.
Das ging verblüffend gut - während in der Heimat die Volksgruppen sich abschlachteten, war das Verhandlungsklima bei den Schuldnergesprächen etc. sehr konstruktiv und alles wurde einvernehmlich geregelt.
Und wenn das sogar bei Jugoslawien (und CSSR, UdSSR ...) geklappt hat, dann würde das auch anderswo klappen.

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