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Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Bundestagswahl 2005 » Mehrheitswahlrecht statt proportionaler Repräsentation? » 001-025 « Zurück Weiter »

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Jobst Heitzig
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 10:07 Uhr:   

Georg Milbradt hat heute laut Spiegel vorgeschlagen, "im Zuge einer größeren Verfassungsreform" ein Mehrheitswahlrecht einzuführen, "um stabilere Regierungsverhältnisse zu schaffen".

Sind die Folgen eines solchen Rückschritts (abgesehen von einer wahrscheinlichen Reduktion auf zwei Parteien) hier schon einmal diskutiert worden?
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 10:17 Uhr:   

Mal abgesehen von den schon oft diskutierten Argumenten gegen das Mehrheitswahlrecht: Das ist schon recht krass von Milbradt.
Die Wahl hat einen dramatischen Vertrauensverlust gerade für die beiden "Volksparteien" gebracht.
Und selbige bieten derzeit ein besonders merkwürdiges Schauspiel an Verantwortungsverweigerung.

Und deswegen sollen wir jetzt ein Wahlrecht einführen, daß de facto nur noch eben diese beiden Parteien ins Parlament läßt?

Das ist ja fast schon so dreist wie Schröders Suff-Auftritt am Sonntag.
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Marc D. aus F.
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 10:24 Uhr:   

@Ralf: bleib mal bissle sachlich
zum Thema: Milbradt's Vorschlag fällt wohl eindeutig in die Kategorie der frustrierten Wunschvorstellungen :-)
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 10:25 Uhr:   

@Ralf: Zustimmung

Bei Mehrheitswahl hätte die Union auch wahrscheinlich verloren.

Aber dazu wird es schon aus Eigeninteresse der Abgeordneten nicht kommen: In Ost- und Norddeutschland gibt es sehr wenige sichere CDU-Wahlkreise und im Süden fast keinen halbwegs sicheren SPD-Wahlkreis. Viele Abgeordnete würden um ihre Mandat zittern müssen.
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Tim Spier
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 10:30 Uhr:   

Der Vorschlag entspringt, genau wie der Ruf nach erneuten Wahlen oder die Stoiber-Schelte gegenüber Wählern in den neuen Ländern, einem sehr seltsamen Demokratieverständnis: Wenn uns das Ergebnis nicht passt, dann wird es halt passend gemacht.
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Claus
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 10:30 Uhr:   

Ich kann Ralf Arnemanns Argumentationen in der Regel nicht zustimmen, aber hierbei liegt er zu 100% richtig. Ganz offensichtlich ist die politische Sozialisation von Herrn Milbradt nicht zufriedenstellend verlaufen, anders kann ich mir seine Äußerungen beim besten Willen nicht erklären.
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Nicola
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 11:00 Uhr:   

Ich kann da im Grunde dem Herrn Milbradt nur einen Literaturtip geben: Giovanni Sartori: Comparative constitutional engineering, da ist es ziemlich gut erklärt, was die Probleme bei Systemswechseln sind und daß es in aller Regel nicht glücklich ist in einem Land wie Deutschland von einem VW-System zu einem MW-System zu wechseln.

Erst die einschlägige Literatur zum Thema lesen und dann mit solchen Diskussionsvorschlägen an die Öffentlichkeit, liebe Herren und Damen Politiker, sonst macht Ihr damit mehr kaputt als es nützt.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 13:20 Uhr:   

MINDERHEITSREGIERUNG

Milbradt bringt Tolerierung ins Spiel

Sachsens Regierungschef Georg Milbradt sucht einen Ausweg aus der vertrackten Lage nach der Wahl: Eine von Union und FDP gebildete Minderheitsregierung hält er für möglich. Sein rheinland-pfälzischer Kollege Beck schloss diese Option für Rot-Grün vorerst aus.



DPA
Georg Milbradt (mit seiner Frau Angelika Meeth-Milbradt): "Man kann nichts ausschließen"
Berlin - "Man kann nichts ausschließen, auch wenn es keine erstrebenswerte Situation ist", sagte Milbradt der "Berliner Zeitung" zu dem Modell einer Minderheitsregierung. Die Verfassung sehe diese Möglichkeit vor. Es liege dann beim Bundespräsidenten, ob er einer solchen Regierung genügend Stabilität zutraut oder erneut Neuwahlen ausschreibt.

Milbradt sprach sich zugleich für die Einführung des Mehrheitswahlrechts ein, um stabilere Regierungsverhältnisse zu schaffen. Dies müsste "im Zuge einer größeren Verfassungsreform" geregelt werden, "unabhängig vom aktuellen Wahlergebnis".

Angesichts des Wahldebakels der CDU meldete Milbradt Diskussionsbedarf über die Wahlkampfstrategie seiner Partei an. Diese Debatte solle aber erst nach der Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin geführt werden, sagte der CDU-Politiker. Angesichts der anstehenden Verhandlungen und der Nachwahl in Dresden am 2. Oktober wäre es fahrlässig, jetzt eine Nabelschau zu betreiben und die eigene Position zu schwächen.

Skepsis bei der SPD

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Michael Müller warnte gestern Abend im ZDF vor einem "Risiko der Instabilität", sollte es einen Minderheitskanzler geben. Im Gegensatz zu Willy Brandts Wegbegleiter Egon Bahr schlossen der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, und der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (alle SPD) eine Minderheitsregierung der SPD aus. "Das ist keine Option, die für Deutschland in Frage kommt", sagte Beck der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". Durch das Zweikammersystem mit dem Bundesrat würde es eine Minderheitsregierung doppelt schwer haben. "Im Interesse der Stabilität und Handlungsfähigkeit des Landes darf es nicht zu einer solchen Lösung kommen", erklärte Beck.


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Nach der Entscheidung - Eine gute Wahl?

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von Urs Kinzelbach

Zugleich bekräftigte der stellvertretende SPD-Vorsitzende, dass es eine SPD-Regierungsbeteiligung ohne einen Kanzler Gerhard Schröder nicht geben werde. "Der Anspruch ist selbstverständlich, dass wir mit ihm an der Spitze eine Regierung bilden wollen", sagte Beck. Schließlich sei die SPD die stärkste Partei, CDU und CSU dürften nicht als eine Partei gezählt werden. "Die Union spielt immer zwei Parteien CDU und CSU, wenn es um Geld des Staates, um Spenden oder Sendezeiten im Fernsehen geht", kritisierte Beck. Formal sei nach der Bundestagswahl noch nicht einmal wieder eine Fraktionsgemeinschaft gebildet worden. Außerdem würden Koalitionen von Parteien gebildet und nicht von Fraktionen.

Auch SPD-Fraktionsvize Joachim Poß untermauerte heute den Führungsanspruch seiner Partei bei der Bildung einer neuen Regierung. Die SPD sei stärkste Partei "und nicht die Fraktionsgemeinschaft aus CDU/CSU", sagte Poß in der ARD. Poß warf der FDP vor, ihren "Spieltrieb" auszuleben, indem sie sage, "das Förmchen nehme ich, das andere nehme ich nicht".

Auf anderen Ebenen versucht die SPD Druck auf die FDP auszuüben, sich Koalitionsgesprächen mit Rot-Grün nicht zu verweigern. "Ich fand es gestern absolut unverständlich, warum die FDP erklärt, wir reden nicht mit der SPD", sagte SPD-Vorstandsmitglied Sigmar Gabriel der ARD. Er verwies auf das überraschend gute FDP-Ergebnis bei der Bundestagswahl und forderte, die Liberalen müssten sich an Koalitionsgesprächen mit der SPD beteiligen.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle bekräftigte in der ARD jedoch abermals, seine Partei stehe für eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen nicht zur Verfügung. Darauf habe sich die Partei bereits vor der Bundestagswahl festgelegt. "Ich sehe auch die gemeinsame Basis bei einer so genannten Schwampel - also CDU, Grüne und FDP - sehr, sehr schwierig", sagte Brüderle. So gebe es in der Biotechnik, in der Gentechnik, bei den erneuerbaren Energien sehr unterschiedliche Auffassungen zwischen den Parteien.

Brüderle räumte ein, auch die FDP müsse bei Koalitionsgesprächen kompromissbereit sein. Wo sich Kompromisse anböten, wollte er vor Sondierungen nicht sagen. Er betonte, das Wahlergebnis müsse nun umgesetzt werden. "Deshalb ist es die gute Tradition, dass die Vorsitzende der stärksten Fraktion - das ist Frau Merkel - nun mit den Parteien sondiert."

Heute stellen sich Merkel und SPD-Chef Franz Müntefering zur Wiederwahl als Fraktionsvorsitzende. Merkel erhofft sich trotz der Stimmenverluste der Union Rückendeckung für die kommenden Koalitionsgespräche mit den anderen Parteien. Vor zwei Jahren hatte Merkel 93 Prozent der Stimmen erhalten.
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Christian Schmidt
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 16:48 Uhr:   

Jobst Heitzig schrieb:

> Sind die Folgen eines solchen Rückschritts (abgesehen von einer wahrscheinlichen Reduktion auf zwei Parteien) hier schon einmal diskutiert worden?

CS: Reduktion auf zwei Parteien? Wie kommst Du den darauf? In Großbritannien gibt es auch trotz Mehrheitswahlrecht mehr als 2 Parteien im Parlament (3 in England, je 4 in Wales, Schottland, Nordirland).

Christian
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Tim Spier
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 18:16 Uhr:   

Vermutlich säßen vier Parteien in einem Bundestag mit Mehrheitswahlrecht. Das ist aber m.E. nicht der Punkt. Problematisch ist vor allem die Verzerrung des Wählerwillens, oder, anders ausgedrückt: die erhebliche Einschränkung der Erfolgswertgleichheit.

Ein kleines Zahlenspiel anhand des Ergebnisses der Bundestagswahl (ohne Dresden I). Gehen wir davon aus, dass nur Wahlkreiskandidaten in den Bundestag ziehen, also ein relatives Mehrheitswahlrecht gilt, dann kämen wir auf folgende Sitzanteile (im Vergleich dazu in der Mitte die aktuellen Sitzanteile und - ganz rechts - die aktuellen Zweitstimmanteile):

SPD : 48,66 % 36,21 % 34,27 %
CDU : 35,23 % 29,20 % 27,79 %
FDP : 0,00 % 9,95 % 9,80 %
Linke: 1,01 % 8,80 % 8,67 %
Grüne: 0,33 % 8,32 % 8,12 %
CSU : 14,77 % 7,50 % 7,42 %

Gewinner wären natürlich die Volksparteien und die regionale Volkspartei CSU, bei etwas schlechterem Abschneiden der SPD könnte aber auch die PDS eine Chance auf mehr Sitze haben. Großer Verlierer sind FDP, Grüne und abgeschwächt auch die Linkspartei, die Stimmen ihrer Wähler werden praktisch entwertet. Und das sind immerhin ein Viertel der Wähler.

Stabilität würde lustigerweise das Mehrheitswahlrecht in diesem Fall auch nicht bringen: Wir hätten genau ein Patt aus CDU+CSU und SPD+Ströbele+Gysi+Lötsch+Pau.
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Jobst Heitzig
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 19:45 Uhr:   

Zunächst würde ja wohl bei einem Umstieg bis auf eine Handvoll Mandate alles an CDU/CSU (mal als eine Partei betrachtet :-) und SPD gehen, weil die meisten Wähler ja wie bisher ihre Erststimme vergeben würden. Nachdem dies dann einmal so wäre, hätten es die kleinen umso schwerer, wieder mehr Mandate zu gewinnen. Am ehesten könnte ich mir noch vorstellen, dass im Osten dann mehr Leute Linkspartei wählen würden, was dann zu immerhin drei Parteien führen würde...
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Dave
Veröffentlicht am Dienstag, 20. September 2005 - 20:20 Uhr:   

> dass im Osten dann mehr Leute Linkspartei wählen würden,
> was dann zu immerhin drei Parteien führen würde

Naja auch kein sooo wahnsinnig rosige Vorstellung...

Das Wahlrecht finde ich an sich schon gut, nur sollte es imo bei wichtigen politischen Entscheidungen mehr Volksentscheide geben...
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Schorsch
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. September 2005 - 16:32 Uhr:   

Ihr scheint alle von der Annahme auszugehen, daß die Wähler und die Parteien sich bei einem reinen Mehrheitswahlsystem - zumindest anfänglich - genauso wie jetzt verhalten würden. Das ist nicht ausgemacht, denn die Parteien würden dann nämlich Wahlbündnisse schließen (z. B. könnte die SPD in Universitätsstädten ihre Anhänger zur Wahl der Grünen-Kandidaten aufrufen und die Grünen an anderer Stelle dafür die SPD-Kandidaten unterstützen). Zudem würde die jeweils regierende Partei versuchen, bei der erstbesten Gelegenheit für sie günstige Wahlkreis-Zuschnitte festzusetzen.

Außerdem ist es eine Legende, daß das Mehrheitswahlrecht zwangsläufig "mehrheitsbildend" wirken müssen. Man sieht z. B. am britischen Unterhaus, daß es dort immer wieder zu Situationen kam, in denen Regionalparteien als Mehrheitsbeschaffer fungieren mußten - so etwa am Schluß der Regierung Major - oder wo es mangels funktionierender Mehrheit zu vorgezogenen Neuwahlen gekommen ist (z. B. 1974).
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Dave Remmel (Dave)
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. September 2005 - 16:39 Uhr:   

>> Ihr scheint alle von der Annahme auszugehen, daß die Wähler und die
>> Parteien sich bei einem reinen Mehrheitswahlsystem - zumindest
>> anfänglich - genauso wie jetzt verhalten würden. Das ist nicht
>> ausgemacht

...aber wahrscheinlich. Erkläar mal einem normalsterblichen Bürger der nicht unbedingt an Politik interessiert ist (und das ist derzeit die größe Masse in .de) den Unterschied zwischen "Wahlbündnissen" und "Koalitionen". Für die meisten wäre das das gleiche und es würde sich auch nicht viel an dem Wahlverhalten ändern...

Gruß, Dave
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Schorsch
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. September 2005 - 20:56 Uhr:   

Für die meisten wäre das das gleiche und es würde sich auch nicht viel an dem Wahlverhalten ändern...

Auf die Leute, die einfach aus Daffke irgendwas wählen, wird es keinen Eindruck machen, sicherlich.

Aber es gibt bei sehr vielen Leuten schon handfeste Präferenzen. Und wenn dann, um bei meinem Beispiel zu bleiben, die SPD für einen Grünen-Wahlkreiskandidaten eintritt, dann ergibt das im Wahlverhalten erhebliche Unterschiede.
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Sansiba
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. September 2005 - 22:15 Uhr:   

Ich fände viel besser ein reines Verhältniswahlrecht.
Erststimmen werden abgeschaft. Jede Stimme zählt gleich viel.

Die Probleme, die wir derzeit haben, haben wir ja nur, weil 4 Parteien beschlossen haben, eine fünfte Partei zu ignorieren. Sonst hätten wir ja eine stabile rot/rot/grüne Mehrheit. Das IST undemokratisch. Und es ist gut, dass es jetzt deswegen ein Problem bei der Regierungsbildung gibt.

Wir sollten das nicht als Anlass nehmen, ein Wahlrecht zu erfinden, welches jede 11. Stimme einfach unter den Tisch fallen läßt. Wir haben mit der 5%-Hürde einen Schutz gegen Splitterparteien, der ausreichend ist. Wenn eine Partei einmal von jedem zwanzigsten gewählt wird, kann, darf und sollte man sie nicht mehr ignorieren.
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Jeki
Veröffentlicht am Mittwoch, 21. September 2005 - 23:47 Uhr:   

@Tim Spier

Ich finde ein Mehrheitswahlrecht nicht weniger gerecht als ein Verhältniswahlrecht.

Erstens geht es in einem politischen System meiner Meinung nach nicht um die proportionale Repräsentation der Bevölkerung. Ich habe in meinem Beruf täglich mit Menschen aus unterschiedlichen Nischen und Schichten der Gesellschaft zu tun, und ich vermute sehr, daß der Bundestag keineswegs repräsentativ für die Bevölkerung ist - und das ist auch gut so.
Zweitens sind doch Begriffe wie "Wählerwille" äußerst problematisch. Wenn es so etwas überhaupt gibt, dann können wir ihn doch sowieso nicht erfassen. Ist es beispielsweise der Wille der grünen Wähler, Angela Merkel zur Bundeskanzlerin zu machen? Keiner weiß doch bei dem vorliegenden Ergebnis, was die Wähler gewollt haben.
Außerdem könnte man doch auch argumentieren, daß die Wählerstimmen für die Oppositionsparteien auch eine viel geringere Wertigkeit als die für die Regierungsparteien haben. Müßte man also nicht alle Parteien an der Regierung beteiligen, um den Wählerwillen "gerecht" abzubilden...? Denn was habe ich davon, wenn meine Partei im Bundestag in der Opposition sitzt und fast nichts zu sagen hat?


Viel wichtiger für das Wahlrecht sind meiner Meinung nach andere Aspekte. Vor allem soll das politische System möglichst reibungslos funktionieren: Klare Rollenverteilung in Regierung und Opposition, Transparenz der Verantwortlichkeiten, da nicht alles durch Koalitionsbildungen verdunkelt wird. In Deutschland weiß doch letztendlich niemand mehr, wer für postitive oder negative Auswirkungen des Regierungshandelns verantwortlich ist, weil inzwischen fast alle Parteien überall mitmischen. Voraussetzung für Effizienz und Transparenz wäre natürlich auch eine Abschaffung des Bundesrates oder zumindest eine klare Aufgabenteilung zwischen Bundestag und Bundesrat.

In der Tat würde uns in der gegenwärtigen Situation ein Mehrheitswahlrecht nicht helfen: Es gäbe ein Patt zwischen CDU/CSU (149 Sitze) und dem linken Lager (SPD 145/PDS 3/Grüne 1). Allerdings hätten die Wähler sich höchstwahrscheinlich auch ganz anders entschieden bei einem anderen Wahlrecht.

@Sansiba
Es zeigt sich doch aber eben nun, daß die Fünfprozenthürde nicht ausreichend ist, um eine Zersplitterung der Parteien zu verhindern. Es ist bei fünf Parteien in der Regel nicht klar, wer an die Regierung und wer in die Opposition gewählt ist. Wenn zwei Parteien Stimmen verlieren, kann man ja noch eine dritte dazunehmen, und die Mehrheit ist wieder gesichert. Selbst mit drei Parteien sind hübsche Machtspielchen möglich, die nichts mit dem Wählerwillen zu tun haben. Das Verhältniswahlrecht führt dazu, daß in Deutschland kaum je eine Regierung abgewählt worden ist (Ausnahme: 1998).
Ich schäme mich im übrigen dafür, daß in unserem Parlament eine Partei vertreten ist, die eine vierzigjährige Diktatur mit zahlreichen Opfern zu verantworten hat und sich heute noch nicht klar und deutlich davon distanziert hat.
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dave
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. September 2005 - 01:20 Uhr:   

>> Es ist bei füf Parteien in der Regel nicht klar, wer an die Regierung
>> und wer in die Opposition gewählt ist

Das ist das Hauptproblem. Selbst wenn das Ergebnis nicht so knapp gewesen wär und die CDU ein paar Prozent mehr gehabt hätte, wenn die SPD sich dazu entschließen würde, zusätzlich zu den Grünen noch die PDS ins Boot zu nehmen könnte sich niemand dagegen wehren...

Aber nichts ist perfekt, beim jetzigen Ergebnis hätte die Union bei einem reinen Mehrheitswahlsystem gewonnen mit weniger als einem Prozent Vorsprung... Das kann es auch nicht sein, weil dieses Ergebnis zumindestens bei über 60% der Wähler nicht deren Vorstellungen entspräche...

Was zum jetzigen Zeitpunkt sehr interessant wäre, wäre eine Stichwahl... und zwar nicht zwischen Union und SPD sondern über die bevorzugte Koalition an welche die Parteien sich dann halten MÜSSTEN. ;-)

Gruß, Dave
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. September 2005 - 10:38 Uhr:   

@Sansiba:
> Die Probleme, die wir derzeit haben, haben wir ja nur, weil 4
> Parteien beschlossen haben, eine fünfte Partei zu ignorieren.
> Sonst hätten wir ja eine stabile rot/rot/grüne Mehrheit.
So einfach kann man das nicht sagen.
Denn das Wahlergebnis hat ja auch etwas mit den Wahlaussagen vorher zu tun ...
Und wenn SPD und Grüne vorher gesagt hätten, daß sie eine rot/rot/grüne Mehrheit akzeptieren würden - dann hätte es diese wahrscheinlich nicht gegeben!

Im übrigen hat Schorsch recht, daß man das Wahlergebnis vom Sonntag nicht primitiv auf ein völlig anderes Wahlrecht umrechnen kann.
Die Parteien würden bei einem Mehrheitswahlrecht anders agieren, und die Wähler auch anders taktieren.

Insbesondere würden Grüne und FDP ihre kompletten Wahlkampfressourcen auf einige erfolgversprechende Wahlkreise konzentrieren - und dort wohl auch Erfolg haben. Denn Promis wie Westerwelle oder Fischer würden deutlich mehr Erststimmen bekommen wenn nicht klar wäre, daß sie ohnehin über die Landesliste abgesichert sind.
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Tim Spier
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. September 2005 - 12:12 Uhr:   

@Jeki: Sorry, aber hinter der Argumentation steckt ein sehr funktionalistisches Demokratieverständnis, dass ich nicht teile. Das pluralistische Demokratieverständnis, das ich bevorzuge, geht davon aus, dass im Parlament die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen repräsentiert werden. Da es keinen "wahren" und "einzig richtigen" Weg in der Politik gibt, streiten sich dann diese Interessenvertreter um den gangbarsten Weg und bilden Kompromisse, die zumindest annähernd den Interessen breiter Bevölkerungsteile entgegen kommen. Insofern gibt es auch einen Wählerwillen, der "repräsentiert" wird. Kommt übrigens von lat. representare, also etwas (Unsichtbares) vergegenwärtigen, sichtbar machen.

Überdies: Wir haben ja sowas wie ein Grundgesetz. Das formuliert den Grundsatz der Wahlgleichheit. Eine Ungleichbehandlung der Stimmen bedarf einer strikten Rechtfertigung. Ich kann nicht sehen, mit welchem Argument gerechtfertigt werden könnte, dass eine Partei, die noch nicht einmal die Mehrheit der Stimmen erlangt hat, eine verfassungsändernde 2/3-Mehrheit im Bundestag bekommt. Und nur eine weitere Partei in der Opposition ist. Dies aber genau wäre in der Geschichte der Bundesrepublik bei drei Wahlen der Fall gewesen, würde man ihre Ergebnisse auf ein relatives Mehrheitswahlrecht umrechnen. Auch kann man unmöglich ein Viertel der Wähler einfach ignorieren. Wie sollten die ihren politischen Willen zum Ausdruck bringen? Ist es Dir lieber, dass sie das Bundeskanzleramt stürmen?


Das muss nicht unbedingt heißen, dass wir 2 % Bäcker im Parlament haben, weil es soviele davon in der Bevölkerung gibt. Es hat nichts mit Berufsgruppen zu tun, meinetwegen können die Kandidaten auch alle studiert haben. Aber die Interessen von breiten Bevölkerungsgruppen sollten schon vertreten sein. Dies wäre bei einem Mehrheitswahlrecht aber definitiv nicht der Fall, meines Erachtens war das sogar mit unserem bisherigen Wahlrecht im letzten Bundestag nicht der Fall. Hierfür ein Beispiel: Eine Alternative zu den Einschnitten im Sozialsystem wurde eigentlich von keiner Fraktion im letzten Bundestag repräsentiert. Zwar mögen einzelne Abgeornete dagegen gewesen sein, traten aber damit aus verschiedenen Gründen nicht öffentlich auf. Obwohl in der Bevölkerung Fragen wie Gerechtigkeit und soziale Absicherung deutliche Mehrheitspositionen sind. Diese Gruppen nicht zu repräsentieren
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Tim Spier
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. September 2005 - 14:11 Uhr:   

Der letzte Absatz sollte eigentlich nicht in die Mail und gehört auch inhaltlich nicht an die Stelle, an die er jetzt gesetzt ist.
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Christian Schmidt
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. September 2005 - 15:50 Uhr:   

Schorsch schrieb:

> Für die meisten wäre das das gleiche und es würde sich auch nicht viel an dem Wahlverhalten ändern...

Schorsch schrieb:

>Ihr scheint alle von der Annahme auszugehen, daß die Wähler und die Parteien sich bei einem reinen Mehrheitswahlsystem - zumindest anfänglich - genauso wie jetzt verhalten würden. Das ist nicht ausgemacht

Dave antwortete:

> ...aber wahrscheinlich. Erkläar mal einem normalsterblichen Bürger der nicht unbedingt an Politik interessiert ist (und das ist derzeit die größe Masse in .de) den Unterschied zwischen "Wahlbündnissen" und "Koalitionen". Für die meisten wäre das das gleiche und es würde sich auch nicht viel an dem Wahlverhalten

CS: Wie bitte? Hast du mal Wahlen in Großbritannien verfolgt? Erstens wird da mitlerweile massive Taktisch gewählt, zweitens führt auch das Mehrheitswahlrecht selber zu großen Stimmenverschiebungen, weil z.B. die Parteien ihre Whalwerbung auf bestimmte Wahlkreise konzentrieren.

Best witches,

Christian
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Friends of Gerd
Veröffentlicht am Donnerstag, 22. September 2005 - 18:40 Uhr:   

Siehz man ja, was in Great Britain dabei rauskommt, man hat dann nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn man seine Stimme nicht verschenken will : entweder Kriegstreiber Blair wählen oder die rechten Tories. Da ist das deut. System doch wesentlich besser und gerechter.
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E.E.
Veröffentlicht am Freitag, 23. September 2005 - 08:56 Uhr:   

@Friends of Gerd: "Da ist das deut. System doch wesentlich besser und gerechter."

... und deswegen treten Sie unter einem englischen Pseudonym auf ;-)

Aber es gibt ja nicht nur das engliche Wahlsystem (mit einfacher Mehrheit und einem Wahlgang), sondern auch das französische System (absolute Mehrheit im 1. Wahlgang, ggf. Stichwahl).

Wie das französiche System funktioniert, wird in einigen Bundesländern bei der Bürgermeisterwahl praktiziert. Es ist nicht selten, daß sich in der Stichwahl die Mehrheit dreht. Zudem haben auch Kandidaten Erfolg, die keiner oder keiner großen Partei angehören.
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Klaus
Veröffentlicht am Freitag, 23. September 2005 - 22:53 Uhr:   

"Siehz man ja, was in Great Britain dabei rauskommt, man hat dann nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn man seine Stimme nicht verschenken will : entweder Kriegstreiber Blair wählen oder die rechten Tories."

Oder die Liberal Democrats, gegen den Irakkrieg und ziemlich links.

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