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Wahlrecht.de Forum » Tagesgeschehen » Wahlen in den USA (US-Präsident, US-Senat usw.) » Wahlen in den USA » 101-125 « Zurück Weiter »

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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 14:23 Uhr:   

Bombastisch im Vergleich zu hiesigen Verhältnissen ist das ausgeprägte Gefälle von den Hochburgen zur Diaspora. Resultate einiger bekannter Städte:
Washington DC 90% Kerry
San Francisco 82% Kerry
Philadelphia 80% Kerry
Nouvelle Orléans 77% Kerry (LA ging natürlich trotzdem mit deutlicher Mehrheit an Bush)
New York City ca. 75% Kerry (hab jetzt die fünf Counties nicht addiert)
Portland 73% Kerry
Chicago 70% Kerry
Seattle (King County) 65% Kerry

Es ist leicht zu sehen, wo die Ursache für die Wahrnehmungsprobleme der Europäer liegt. Die republikanischen Hochburgen kennt hier halt keiner. Nur die Briten dürften das leichter verstehen, da gibts ja auch solche Extreme.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 14:49 Uhr:   

>> Die Kritik an der OSZE halte ich auch für unangebracht. Meinetwegen
>> darf eine solche Organisation auch mal eine Wahl in Deutschland
>> beobachten.
> Wir haben m. E. nichts zu verbergen und wenn Ausländer die Wahl
> anschauen wollen, seien sie mir herzlich willkommen.
> Ich wäre aber keineswegs bereit, für eine überflüssige Kontrolle
> öffentliche Gelder auszugeben.
Da bleibe ich doch einfach beim Schwarzfahren. Das Geld für die Bezahlung der der ÖPNV-Kontrolleure ist ja auch irgendwie im Fahrpreis integriert. Und diese Verrechnung liegt eher im Interesse der zahlenden Fahrgäste als ein genereller Freibrief für Schwarzfahrer.

Demokratie ist umständlich und kostet ein bisschen Geld.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 14:49 Uhr:   

> Nur die Briten dürften das leichter verstehen, da gibts ja auch
> solche Extreme.
Weil es in beiden Ländern das "winner takes it all"-System gibt.

Und natürlich führt das Mehrheitswahlrecht dazu, daß in bekannten Hochburgen viele Wähler gar nicht mehr zur Wahl gehen, weil ihr Stimmabgabe ohnehin keine Rolle spielen wird. Das sind dann meistens die Anhänger der jeweils schwächeren Seite, und damit verstärkt sich der optische Überhang der Hochburg-Seite.

Das ist übrigens auch der wesentliche Grund für die angeblich schwache Wahlbeteiligung der Amis.
Richtig mobilisiert wird ja nur in den umstrittenen Wahlkreisen/Bundesstaaten. Dort liegt die Wahlbeteiligung auch durchaus auf europäischem Niveau.
Aber der Landesschnitt wird natürlich durch die vielen Wähler gedrückt, die es wg. Hochburg-Effekt nicht für nötig halten, zur Urne zu gehen.

Aus nämlichem Grund ist auch die popular vote unwichtig. Denn in der sind die Hochburgen beider Seiten deutlich unterrepräsentiert.
Man kann überhaupt nicht sagen, wie z. B. 2000 die Stimmverteilung ausgesehen hätte, wenn es kein Wahlmännersystem gegeben hätte, bzw. wieviele Wähler beide Seiten zusätzlich hätten mobilisieren können.
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albert
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 14:58 Uhr:   

smile
Die bloß Gelisteten bei uns,

Quote:

MÖRSBERG: Es ist leicht zu sehen, wo die Ursache für die Wahrnehmungsprobleme der Europäer liegt. Die republikanischen Hochburgen kennt hier halt keiner. Nur die Briten dürften das leichter verstehen, da gibts ja auch solche Extreme.


die bloß Aufgestellten, behaupten zwar immer, sie würden uns repräsentieren, aber wir kennen die gar nicht und sind auch nicht so neu drauf. Denn würden sie was taugen, könnten sie sich auch ehrlich und persönlich zur Wahl stellen. Die sogenannte »Basis« (<1%) kungelt die Liste aus. Demokratie und »Basisdemokratie« sind zweierlei.

WahlRechtReform
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 16:18 Uhr:   

@Mörsberg:
> Da bleibe ich doch einfach beim Schwarzfahren.
Der Vergleich hinkt aber maximal ...
Eine OSZE-Delegation bei einer Wahl wie in Frankreich oder jetzt den USA kontrolliert ja nicht wirklich, das ist wohlfeile Repräsentation bzw. Spesenverfressen, ohne daß irgendwelche Konsequenzen bei rumkommen.
Ich will dieses Nebenthema auch nicht viel weiter auswalzen. Aber mich ärgern solche Sachen ziemlich. Da haben irgendwelche Bürokraten die letzte US-Wahl als Aufhänger genommen, um sich (neben den sinnvollen und notwendigen Einsätzen in anstrengenden Drittwelt-Staaten) auch mal ein paar schöne Dienstreisen in Länder zu gönnen, in denen die touristische Infrastruktur attraktiv ist.
Und ich würde mich sehr wundern, wenn bei dieser Gelegenheit der zuständige Bürokrat es nicht geschafft haben sollte, einige Stellen mehr unter sich und eine Gehaltsstufe mehr für sich rauszuschlagen - wegen größerem Verantwortungsbereich.

Die OSZE ist eine von den vielen Organisationen, die weit weg sind und von niemanden richtig kontrolliert werden. Das sind keine großen Steuerverschwendungen, aber sehr ärgerliche.
Aber dabei will ich es belassen.

> Demokratie ist umständlich und kostet ein bisschen Geld.
Da stimme ich völlig zu.
Das eigentliche Wahlverfahren selber incl. aller nötigen Kontrollinstanzen wie auch die Parlamente mit sinnvoller Ausstattung müssen solide finanziert werden.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 18:44 Uhr:   

Ich finde positiv, dass offensichtlich ein juristisches Nachspiel vermieden wird, Kerry seine Niederlage eingestanden hat und außerdem dieses Mal ein eindeutiges Votum erfolgt ist, d.h. dass der Sieger, Präsident Bush, sowohl eine Mehrheit im Wahlmännergremium aufgrund der Ergebnisse der Einzelstaaten erhalten hat wie auch die Mehrheit der Stimmen im Lande ("popular vote) erhalten hat. Dies stärkt in jedem Fall letztlich das Vertrauen in das amerikanische Wahlsystem und die Legitimität des neuen, dieses Mal alten, Präsidenten.

Für mich auch wichtig: es gibt keine "Cohabitation", da die Mehrheiten im Kongress in beiden Häusern republikanisch ist und der Präsident ebenfalls dieser Partei angehört. Dadurch ist das Land handlungsfähig, wenn auch natürlich nicht im Sinne der "Checks and balances".
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Good Entity
Veröffentlicht am Mittwoch, 03. November 2004 - 22:46 Uhr:   

Selektive Wahrnehmung der Hochburgen. @Mörsberg, Dein Posting trifft es genau.

Mit welchem US-Amerikanischen Wahlberechtigten spricht man denn als Deutscher über Politik, wenn man denn Kontakte in die USA hat? Die Unis mit Europa-Verbindungen sind in Boston, in New Jersey, in Connecticut oder Kalifornien. Die Muttergesellschaften von Automobilfirmen sind in Michigan. Banken sind in New York. Anwälte sitzen in Washington. Alles Kerry Country.

Klar, vielleicht war man ja 'mal im Urlaub in den USA im Bush - Land. Man war evtl. am Mount Rushmore (Bush), im Yellowstone Park (Doppel - Bush), am Grand Canyon (Bush) oder in den Rockies (alles Bush). Aber da hat man sich ja mit den anderen gleichaltrigen Touristen aus Baltimore, Pittsburgh oder sonst von der Ost- oder Westküste (Kerry) unterhalten (oder womöglich mit Australiern, die sind wie wir ja überall), nicht mit den Einheimischen.

Selbst die persönliche Wahrnehmung kann also intensivst über die tatsächliche Stimmung im Lande täuschen. Aber das soll ja in Deutschland auch vorkommen.
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thomas
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 09:22 Uhr:   

Kann mir jemand mal erklären, wieso gestern den ganzen Tag über in deutschen Medien, aber auch auf CNN erklärt wurde Ohio sei "too close to call" (auch wenn Bush dort einen Vorsprung hat), aber nach der concession speech von Kerry plötzlich gesagt wird, Bush sei der "projected winner" in Ohio, ohne daß weitere Stimmen ausgezählt wurden? Dann hätte man auch Ohio schon gegen 05 Uhr MEZ dem Bush-Lager zuschlagen können. Oder hängen Wahlergebnisse jetzt plötzlich davon ab, ob der Verlierer seine Niederlage eingesteht?
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agon
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 09:34 Uhr:   

Moin,

das hängt offensichtlich damit zusammen, daß die Meinungsforscher (und mit ihnen die großen Netzwerke) nach den 2000er Wahlen überaus vorsichtig geworden sind, jemanden zum "projected winner" auszurufen (wenn ich das richtig verstanden habe, werden in Ohio die bislang noch nicht gezählten Stimmen trotzdem noch aufgearbeitet und zumindest theoretisch könnte sich noch etwas ändern, nur die befürchtete große Klagewelle wird wohl ausbleiben).
Als aber der Kontrahent seine Niederlage zugab, shane sich die Medien offenbar veranlaßt nachzuziehen.

BTW: CNN hat für New Mexico und Iowa noch immer keinen Sieger ausgerufen, während sie in new Hampshire Kerry vergleichsweise früh zum Sieger erklärt haben, obwohl sein Vorsprung geringer war und ist als der von Bush in New Mexico. Hat das jemand verstanden?

Gruß
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 09:40 Uhr:   

> Kann mir jemand mal erklären, wieso gestern den ganzen Tag über in
> deutschen Medien, aber auch auf CNN erklärt wurde Ohio sei "too
> close to call"
Entweder konnten sich die Journalisten nicht von ihren Kerry-Träumen verabschieden oder sie waren hypervorsichtig, nicht vorschnell einen Sieger zu küren, der dann der Nachzählung nicht standhält.

Bush hatte in Ohio 140 000 Stimmen Vorsprung, und es waren noch 200 - 250 000 umstrittene Stimmzettel plus die Briefwähler auszuzählen
Und umstritten hieß ja, daß das Wahlrecht unklar war.
Selbst wenn ein großer Teil von denen wirklich als wahlberechtigt anerkannt war, und sie mit deutlicher Mehrheit Kerry gewählt hätten - wären daraus wohl kaum mehr als 140 000 Stimmen Vorsprung für Kerry geworden.

Eigentlich war es schon ziemlich früh ein recht stabiles Ergebnis.

Ach übrigens: Landesweit kann man wohl keineswegs von einem knappen Kopf-an-Kopf-Rennen sprechen, wie es die Institute in ihrer Ratlosigkeit vorhergesagt haben.
Auch in den USA sinkt der Wert von Wahlprognosen immer mehr in Richtung Gefrierpunkt.
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agon
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 09:58 Uhr:   

Moin,

@Ralf:
> Ach übrigens: Landesweit kann man wohl keineswegs von einem knappen Kopf-an-Kopf-Rennen sprechen, wie es die Institute in ihrer Ratlosigkeit vorhergesagt haben.
Auch in den USA sinkt der Wert von Wahlprognosen immer mehr in Richtung Gefrierpunkt.


Da warst Du m.E. weiter oben näher dran:
> Aus nämlichem Grund ist auch die popular vote unwichtig. Denn in der sind die Hochburgen beider Seiten deutlich unterrepräsentiert.
Man kann überhaupt nicht sagen, wie z. B. 2000 die Stimmverteilung ausgesehen hätte, wenn es kein Wahlmännersystem gegeben hätte, bzw. wieviele Wähler beide Seiten zusätzlich hätten mobilisieren können.


Wenn die popular vote unwichtig ist (und diese Einstellung teile ich), dann sind auch die Umfragen hierzu wenig bis gar nicht hilfreich.
Viel interessanter ist für mich, daß und wie weit die Meinungsforschungsinstitute in den swing states auseinander lagen. Da scheinen mit die, die richtig lagen, eher Zufallstreffer gelandet zu haben - womit Deine letzte These über den Wert von Wahlprognosen untermauert würde...

Gruß
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Philipp Wälchli
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 10:52 Uhr:   

Nur noch ein Wort zur OSZE: Diese gehört zu einer Reihe von Organisationen, die routinemässig Prüfungen in ihren Mitgliedstaaten vornehmen. Wahlen werden, zumindest stichprobenweise, in allen Mitgliedstaaten untersucht ebenso, wie regelmässige Gefängnisbesuche, Armee-Inspektionen u. a. m. dazugehören. Zweck solcher Aktionen soll es sein, sich periodisch gegenseitig zu versichern, dass man nichts zu verbergen hat und dass man die gemeinsam vereinbarten demokratischen Grundsätze einhält. Ersten Meldungen nach dürfte der Bericht der OSZE-Beobachter über die Wahlen in den USA ziemlich positiv ausfallen.
Im Grunde gehört die OSZE zu jenem Bereich "institutionalisierter" Diplomatie, in dem es ebenso wie in der allgemeinen Diplomatie üblich ist, auch Dinge zu tun, die keinen unmittelbaren Nutzen abwerfen; gleichwohl pflegt man solche Aktionen deswegen, weil man damit gute Beziehungen erhalten kann, die sich vielleicht später einmal auszahlen. Auch die meisten Staatsbesuche sind an sich überflüssig und verfolgen kein konkretes Ziel, sondern dienen einfach nur dazu, die gegenseitigen Beziehungen "am Laufen" zu halten, weil man diese velleicht noch brauchen wird.
Auch zwei Kumpels gehen ab und an mal ein Bier trinken, weil dann, wenn sie das über längere Zeit nicht tun, ihre Beziehung wahrscheinlich absterben wird.

Der Wert von Umfragen und Prognosen ist ein Thema für sich. Meine Wenigkeit beteiligt sich grundsätzlich nicht an solchen Ratespielen. Wie aber aus obigem Diskussionsverlauf ersichtlich ist, haben zumindest zwei Personen übereinstimmend mit gesundem Menschenverstand den jetzigen Wahlausgang zutreffend vorhergesehen. Es ist also möglich, zu treffenden Schlüssen zu gelangen auch ohne den ganzen Zahlenwust.
Ein grundsätzliches Problem bei allen "repräsentativen" Umfragen besteht ja darin, dass diese auf einer sehr kleinen Zahl Befragter basieren. Wenn man in einem Land wie Deutschland 1000 bis 3000 Leute befragt hat, dann meint man, ein "repräsentatives" Ergebnis zu haben. Selbst wenn man dabei methodisch sauber vorgeht, ist allerdings eine grosse Abweichung von mehreren Dutzend Millionen Wählern möglich und zu erwarten.
Für ein Land wie die USA kommen noch andere Dinge hinzu. Die deutsche Bundestagswahl hat ja immerhin eine landesweite Proporzrechnung aufzuweisen, und so ist es immerhin möglich, eine stichprobenartige Umfrage quer durchs Land zu ziehen und die Parteienstärken wenigstens abzuschätzen. In einem extrem föderalistischen Wahlsystem bringt das aber wenig.
Ïn den USA muss für jeden Bundesstaat ermittelt werden, welcher Ausgang die Präsidentenwahl vermutlich haben wird. Sodann muss für jeden Senatssitz der jeweilige Bundesstaat ausgemittelt werden. Schliesslich muss für jeden der 435 Repräsentanten-Wahlkreise eine Prognose erstellt werden. Dies ergibt 520 zu untersuchende Wahlkreise in diesem Jahr. Will man nur schon jeweils 1000 Bürger befragen, müssen also 520'000 Leute quer durchs Land befragt werden, und 1000 Leute verhalten sich zu mehreren Millionen Wahlberechtigten in einem grossen Bundesstaat nicht wesentlich anders als 1000 "repräsentative" Befragte zu allen Wahlberechtigten in Deutschland.
Ganz ähnliche Erfahrungen kennen wir auch aus der Schweiz. Hier bildet jeder Kanton einen Wahlkreis sowohl für die Wahl zum Nationalrat als auch für die Wahl zum Ständerat. Ferner bildet jeder Kanton auch noch einen Stimmkreis bei Volksabstimmungen, bei denen das sogenannte Ständemehr zur Anwendung kommt.
Wenn quer durchs Land eine "repräsentative" Zahl befragt wird, so kann das ein brauchbares Ergebnis liefern, wenn es um eine Abstimmung geht, bei der nur das Volksmehr erforderlich ist. Bei Abstimmungen mit Ständemehr müsste prinzipiell für jeden Kanton eine gesonderte repräsentative Umfrage durchgeführt werden; nimmt man 1000 als "repräsentative" Zahl, würde dies eine Befragung von mindestens 26'000 Leuten bedingen - aber wer macht das schon?
Aussagen wie: "Gesamtschweizerisch liegen die SVP und die SP vorn", geben zwar eine Tendenz an, aber im einzelnen kann dies je nach Kanton zu erheblichen Abweichungen führen, zumal auch noch erhebliche Rundungseffekte in einem Wahlkreis mit 2 oder 3 Sitzen auftreten können. Unter Umständen genügen wenige Stimmen, damit eine Partei einen Sitz gewinnt oder verliert, und so genau sind die Prognosen in der Regel nicht.
Bei der letzten Abstimmung von September wurde z. B. prognostiziert, dass 3 von 4 Vorlagen eine klare Mehrheit erhalten würden. Der Ausgang war dann allerdings 1 Ja und 3 Nein.
Es muss noch nicht einmal angenommen werden, dass die Umfragen "falsch" waren. Es ist möglich, dass Ereignisse in der letzten Minute noch eine grosse Zahl umgestimmt haben.
Es ist aber vor allem auch damit zu rechnen, dass die Mobilisierung von Wahl- bzw. Stimmberechtigten nach grundsätzlich anderen Kriterien erfolgt als die der Probanden einer "repräsentativen" Umfrage. Solche Umfragen werden in der Regel nach Zufallsprinzip konstruiert, ggf. ergänzt um gewisse formale Kriterien, etwa gebietsweiser Verteilung. Wahlberechtigte werden allerdings NICHT durch Zufälle mobilisiert, sondern durch andersartige Momente, etwa politische Kriterien, gesellschaftliche Präferenzen, Emotionen, Argumente usw.
Bis heute nicht beantwortet ist ausserdem die Frage, ob Probanden einer Umfrage gleich reagieren wie Wählende bzw. Stimmende.
Daher bietet sich m. E. oftmals ein treffenderes Bild, wenn man die Leserbriefspalten einiger Lokalzeitungen ansieht, als der Blick in eine "repräsentative" Umfrage.
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agon
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 11:19 Uhr:   

Moin,

@Philipp:
Grundsätzlich richtig, wobei man den Stichprobenumfang je nach Größe und Homogenität der untersuchten Einheit sowie Erfahrungswerten aus der Vergangenheit variieren müßte; d.h. angewandt auf die US-Präsidentschaftswahlen reichen in den kleinen und wenig umstrittenen Staaten (Alaska, Idaho, D.C. etc.) u.U. 100-200 Befragte, während man in den großen und umstrittenen Staaten (Florida, Pennsylvania, Ohio) entsprechend größere Stichproben ziehen müßte.
Und selbst dann bleiben eine Reihe von Problemen:
- Bei telefonischen Umfragen kann z.B. keine repräsentative Stichprobe gezogen werden, da viele Leute über ihren Festnetzanschluß kaum zu erreichen sind - so sie denn noch einen haben. Das klassische Beispiel ist hier wohl die Volkskammerwahl 1990, wo die westdeutschen Meinungsforschungsinstitute reihenweise banden gegangen sind.
- Gerade bei politischen Themen natürlich nicht zu unterschätzen sind Antwortverweigerungen bzw. Falschantworten - was regelmäßig die Prognosen für die rechten Parteien erschwert. Allensbach hat z.B. vor der Wahl 1976 die Leute befragt, welche Partei sie 1972 gewählt haben, um damit ihre Umfrage zu gewichten; das ging aber offensichtlich nicht, da die Angaben viel besser zu dem Wahlverhalten im Jahr 1976 als zum SPD-Anteil 1972 paßten, da offensichtlich eine Reihe von Wählern, die 1976 nicht wieder SPD wählen wollten falsche Angaben gemacht haben.
- Um diese - und wahrscheinlich noch weitere - Probleme in den Griff zu bekommen, fangen die Institute dann an zu "gewichten". Das ist dann definitiv Kaffeesatzleserei und eine Befragung unter Taxifahrern, Frisören und anderen Kommunikationsbörsen wäre repräsentativer.
- Außerdem müßten die Institute bei den Befragungen noch angeben, mit welcher Standardabweichung sie rechnen. Das hieße dann: "Wenn uns keine methodischen Fehler unterlaufen sind, liegt Partei A mit eine Wahrscheinlichkeit von 90% zwischen x% und y%", wobei der Unterschied zwischen x und y wohl mindestens 4 Prozentpunkte betragen dürfte. Das würde dann aber erstens keiner verstehen (und entsprechend keiner mehr bestellen und kaufen) und zweitens müßten die Institute zugeben, wie trübe das Wasser ist, in dem sie fischen.

Gruß

P.S.: Von Leserbriefspalten halte ich genauso wenig; dafür habe ich in meiner lokalen Prawda zu oft erlebt, was wann von wem gedruckt wurde.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 12:01 Uhr:   

@agon:
> Wenn die popular vote unwichtig ist (und diese Einstellung teile
> ich), dann sind auch die Umfragen hierzu wenig bis gar nicht
> hilfreich.
Jein.
Ich würde mal sagen: Wenn die schon beim (eher einfachen) landesweiten Trend so daneben lagen, dann sind die viel diffizileren Einzelstaatsprognosen doch erst recht für den Mülleimer.
Und dann: Wenn der Sieger der letzten Wahl landesweit noch deutlich zulegt, dann ist es unwahrscheinlich (wenn auch nicht unmöglich), daß er ausgerechnet bei den "swing states" einbricht.

Deinen Ausführungen über die diversen Probleme bei modernen Umfragen stimme ich zu.
Ich habe auch nie behauptet, man könne besser prognostizieren, als das die Institute tun.
Aber angesichts ihrer immer größer werdenden Fehlerquote empfehle ich denen halt das alte Motto: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach die Klappe halten".
(Aber auch mich hört ja wieder mal keiner ;-)

Zu den Leserbriefen: Das von Dir geschilderte Phänomen kenne ich. Aber in der Schweiz ist das m. W. deutlich anders (und besser).
Da schreiben die Leute mehr und bessere Leserbriefe, weil sie im System der direkten Demokratie eine wichtigere Rolle haben.
Und das wird dann auch gedruckt.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 12:08 Uhr:   

@Philipp Wälchli:
> Wie aber aus obigem Diskussionsverlauf ersichtlich ist, haben
> zumindest zwei Personen übereinstimmend mit gesundem
> Menschenverstand den jetzigen Wahlausgang zutreffend vorhergesehen.
Und das war eigentlich gar nicht so schwer. Wenn man sich nicht nur aus deutschen Medien informiert ...

> Es ist also möglich, zu treffenden Schlüssen zu gelangen auch ohne
> den ganzen Zahlenwust.
Ich würde sogar sagen: Genau dieser Zahlenwust erschwert treffende Schlußfolgerungen.
Vor lauter "wenn Ohio und Iowa, aber nicht Michigan oder knapp New Mexico" sieht man doch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Und ähnlich bei den Prozentspielereien bei deutschen Umfragen.


Mal als Exkurs: Bei Aktien ist das ähnlich. Da gibt es die, die sich einfach die Firma anschauen und überlegen, wie die mit ihren Produkten und Führungskräften dasteht. Und andere, die mit allen statistischen Tricks den Aktien-Chart analysieren.
Letztere sind die, die von jeder Baisse richtig fies erwischt werden ...
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agon
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 12:18 Uhr:   

Moin,

@Ralf:
> Ich würde mal sagen: Wenn die schon beim (eher einfachen) landesweiten Trend so daneben lagen, dann sind die viel diffizileren Einzelstaatsprognosen doch erst recht für den Mülleimer.

Jein (um Dich zu zitieren ;-))
Eine saubere landesweite Prognose aufzustellen, ist unter den gegebenen Umständen (Größe des Landes, stark schwankende Wahlbeteiligung - im Zeitverlauf wie nach Regionen, Erreichbarkeit, notwendige Stichprobengröße) sehr schwierig.
Ich halte es tendenziell für leichter, eine saubere Erhebung für einen Einzelstaat durchzuführen mit einem einigermaßen validen Ergebnis - wobei dieses Ergebnis in den drei am stärksten umkämpften Staaten (Ohio, Pennsylvania, Florida) dann ehrlicherweise hätte lauten müssen (vielleicht mit Ausnahme Floridas, wo Bush mit 5 Prozentpunkten vorne liegt): "Wir sehen Bush vorne, aber die statistische Unsicherheit ist zu groß für eine eindeutige Aussage."
Das sind dann auch die Ergebnisse, die vielleicht die Medien nicht interessieren, die aber für die Kampagnen der beiden Lager sehr wohl von Interesse sind; wobei die häufig stärker auf die Details zu Einstellungen, Motiven, wichtigen Themen usw. schauen dürften als auf die Exit-Polls.

Fazit: das, was die Meinungsforscher (vielleicht) leisten können, interessiert in den Medien kaum (wobei man noch trefflich darüber streiten kann, wie sinnvoll solche erhebungen überhaupt sind) - das, was die Institute nicht leisten können, wird von den Medien nachgefragt ("in dieser Woche hat die SPD 1% zulegen können" - welch ein Schwachsinn").

Gruß

P.S.: Wobei die Institute selbst Schuld sind: sie verkaufen die Daten ja auch so.
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Uwe
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 14:02 Uhr:   

>> Wie aber aus obigem Diskussionsverlauf ersichtlich ist, haben
>> zumindest zwei Personen übereinstimmend mit gesundem
>> Menschenverstand den jetzigen Wahlausgang zutreffend vorhergesehen.

>Und das war eigentlich gar nicht so schwer. Wenn man sich nicht
> nur aus deutschen Medien informiert ...

...kann man auch gehörig daneben liegen. Es ist ja nicht so, daß die ganzen Medienleute sich vorsätzlich blöd stellen. Sie sind aber auch wie jeder andere Mensch beeinflußbar.

Viele große US-Medien waren - jedenfalls nach dem, was aus den Online-Ausgaben erkennbar war - deutlich auf einen Sieg von Kerry eingeschworen. Und zwar nicht nur im Kommentarteil. Wenn man nicht gerade bei FOX-News nachschaute, erschien die Tendenz gerade in den letzten Tagen mehr als überdeutlich.

Vor dem Hintergrund muß man auch die etwas wohlfeile Schelte für die deutschen Medien relativieren. Damit meine ich jetzt nicht die Bild-Zeitung, sondern zum Beispiel die FAZ und die "Welt". Diese Blätter haben aus ihrer Symapthie für Bush kaum je einen Hehl gemacht und auch davor gewarnt, sich zu große Chancen für Kerry auszurechnen. Im Endeffekt haben sie damit recht behalten.

Was nun die Prognosen betrifft: Bei zwei Kandidaten liegt halt die Wahrscheinlichkeit, das richtige Ergebnis zu treffen, bei 50%. ;-)
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 14:45 Uhr:   

@agon:
> Jein (um Dich zu zitieren ;-))
Ok, Du hast mich überzeugt ;-)
(auch mit dem restlichen Beitrag).

@Uwe:
> Es ist ja nicht so, daß die ganzen Medienleute sich vorsätzlich
> blöd stellen.
Hätte ich früher auch gesagt - aber in den letzten Jahren zweifele ich immer mehr.
In einer Reihe von Bereichen sind die deutschen Medien so uniform, das erschreckt schon. Da schreibt ohne kritisches Nachhaken einer vom anderen ab (oder alle vom Spiegel), auch wenn das mit der Realität oft nicht viel zu tun hat.
Gerade bei der USA-Berichterstattung würde ich das fast kollektive "blöd stellen" feststellen. Bei angeblichen Bush-Zitaten habe ich mir inzwischen angewöhnt, grundsätzlich erst einmal die Originalfassung nachzulesen, bevor ich auf die Übersetzungsversuche deutscher Journalisten reinfalle.

Es geht weniger darum, daß fast alle deutschen Medien lieber einen Präsidenten Kerry gehabt hätten.
Es geht darum, daß normalerweise Stärken und Schwächen beider Kandidaten dargestellt und diskutiert werden, bevor man nach Abwägung ein Urteil fällt.

Das hat beim US-Wahlkampf fast überhaupt nicht statt gefunden.

Über Schwächen Kerrys hat man ein wenig lesen können. Aber sehr wenig, obwohl er in einigen zentralen Punkten (Gentechnik, Handelspolitik) sehr stark konträr zur Mehrheitsmeinung hierzulande steht.

Die Stärken Bushs dagegen waren ein absolutes Tabu. Selbst ein Kil-il-Sung wurde in deutschen Medien wohl nicht so durchgängig negativ dargestellt.
Obwohl die Tatsache, daß überhaupt ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet wurde darauf schließen lassen mußte, daß Bush in den vier Jahren doch irgendwo ein paar Sachen gut gemacht haben muß.
Vielleicht nicht so viele, daß man ihn wiederwählen muß. Aber doch genug, um darüber zu berichten.

Die weitgehend fassungslosen Reaktionen nach der Wahl laufen letztlich darauf hinaus, die Bush-Wähler wären halt dumme Hinterwäldler bzw. christliche Fundis - irgendwelche rationalen Motive können die Kommentatoren sich gar nicht vorstellen.

Ich halte es für ziemlich gefährlich, daß das Bild deutscher Wähler von der Weltpolitik auf so eine Weise geprägt wird.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 15:19 Uhr:   

@Ralf
Die Medienberichterstattung war wirklich arg einseitig.

"Obwohl die Tatsache, daß überhaupt ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet wurde darauf schließen lassen mußte, daß Bush in den vier Jahren doch irgendwo ein paar Sachen gut gemacht haben muß."
Nun ja, was hat Schröder denn in der letzten Legislaturperiode gut gemacht? Besser zu sein als es ein anderer SPDler vielleicht wäre halte ich nicht für eine Stärke.

Eine große Leistung von George W. kann ich ehrlich gesagt nicht erkennen, wohl aber erhebliche Schwächen von Kerry. Bush kann man wenigstens abnehmen, daß er glaubt was er sagt. Kerry dagegen hat sein Flip-Flop-Image durchaus nicht zu Unrecht, wie auch an Bushs Negativbild nicht aus der Luft gegriffen ist. Was nicht heißt, daß sich die Medien nicht um Differenzierung bemühen sollten.
Es ist auch negativ aufgefallen, daß die Kongreßwahlen völlig unter den Tisch fielen.
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Mörsberg
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 15:55 Uhr:   

Wenn über die Wahlen zum Repräsentantenhaus nicht viel berichtet wird, dann ist das irgendwie verständlich. Man beachte den Anteil der Wahlkreise, die ihren Besitzer wechselten. Wie schon an anderer Stelle mal erwähnt, liegt hier - auch weil die Wahlkreiseinteilung meistens die jeweiligen Hochburgen betont - das eigentlich schwerwiegende Problem des amerikanischen Wahlrechts.
Ich finde übrigens nicht, dass irgendjemand großartig danebengelegen hätte. Die meisten hatten vorausgesagt, dass es auf Ohio ankomme, und genau das ist auch eingetroffen. Der Abstand ist dort ziemlich gering, auch das war von allen vorhergesagt worden. Und Bush hat gewonnen, auch das haben fast alle für möglich gehalten.
Medienbashing ist im Falle der US-Wahl ziemlich fehl am Platz. Ich finde sogar, die Hintergrundberichterstattung war besser als bei mancher deutschen Wahl. Das mag daran liegen, dass das Auslandspersonal der großen Zeitungen und Sender insgesamt eine höhere Qualität aufweist als das inländische. Was in der Vorberichterstattung zwar etwas unterging, aber doch nicht unerwähnt blieb, war die Tatsache, dass die erhöhte Mobilisierung eben nicht nur Jungwähler und Minderheiten (demokratisch) betraf, sondern auch oder gerade die religiöse Rechte, die Bush den Sieg beschert hat. Wer wiederum diese Strömung in ihrer ausgeprägten Form auf Grund seiner europäischen Prägung als zutiefst suspekt empfindet, hat mein volles Verständnis. Soviel Intoleranz (oder auch nur Bigotterie) ist bei uns selten.
Wenn schließlich das Meinungsbild in Deutschland so ist, dass eine klare Mehrheit eher mit Kerry als mit Bush sympathisiert, dann dürfen das deutsche Medien auch durchaus berücksichtigen.

Die Perspektiven für 2008 sind dagegen jetzt schon erfrischend: Jeb gegen Hillary scheint eine nicht unwahrscheinliche Konstellation zu sein.
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Thomas Frings
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 16:24 Uhr:   

"Wenn über die Wahlen zum Repräsentantenhaus nicht viel berichtet wird, dann ist das irgendwie verständlich."

Größere Verschiebungen sind zwar selten, aber keineswegs ausgeschlossen. 1994 verloren die Demokraten 55 Sitze. Zudem gibt es noch den Senat und da gab es immerhin 8 Wechsel bei 34 Sitzen. Vor 2008 ist den Republikanern die Mehrheit im Senat kaum zu nehmen.
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tg
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 20:26 Uhr:   

@Uwe, Ralf Arnemann:
"Es ist ja nicht so, daß die ganzen Medienleute sich vorsätzlich blöd stellen"

Zumindest im TV: Wenn in der Wahlnacht Moderatoren nicht wissen, wie der Staat zwischen Kalifornien und New Mexico heißt und Montana als "bekannt durch den Yellowstone-Nationalpark" bezeichnen (liegt in Wyoming), dann gebe ich die Hoffnung auf eine präzise Analyse der Stärken und Schwächen der Kandidaten gleich auf.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 22:07 Uhr:   

Was ich auch interessant fand: als abends gemeldet wurde, die Wahlbeteiligung liege wesentlich höher als vor vier Jahren und würde eine Marke erreichen, die an die Präsidentschaftswahl von 1960 heranreiche, hieß es zunächst unisono in den Medien, dies helfe Kerry. Erst nachdem Bush gewonnen hatte, wurde differenziert: die Jungwähler waren wohl 55:45 Prozent für Kerry, gingen aber wohl nicht in dem erwarteten Umfang zur Wahl, sodass die hohe Wahlbeteiligung offensichtlich auch von Anhängern Bushs herrührte. Also die simple Gleichung, höhere Wahlbeteiligung hilft Kerry stimmte ja wohl so nicht.
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Bernhard Nowak
Veröffentlicht am Donnerstag, 04. November 2004 - 22:22 Uhr:   

Auf http://www.faz.de/ fand ich einen in der morgigen gedruckten Ausgabe erscheinenden Artikel von Matthias Rüb, der den Gründen von Bushs Wahlsieg und Kerrys Wahlniederlage nachgeht und zu der - meines Erachtens überzeugenden - Schlussfolgerung gelangt: "Es ist die Moral, Dummkopf!" (in Abwandlung von Clintons Spruch: "Es ist die Wirtschaft, Dummkopf, mit der jener den Sieg über Bush's Vater George H. W. Bush 1992 davon trug). Im übrigen dürfte 2008 eine Frau für die Demokraten antreten: Hillary Clinton. Ob sie gewählt wird?

Anbei der Artikel:

04. November 2004 Wer im politischen Kampf Barmherzigkeit erwartet, hat die Regeln des Spiels nicht verstanden. Und natürlich war es unbarmherzig von den Wahlstrategen der Republikaner, jene Aussage von Senator John Kerry immer und immer wieder hervorzuzerren, die vielleicht einmal als die Sprachikone des Wahlkampfes 2004 schlechthin in die Geschichte eingehen wird. „Tatsächlich habe ich für die 87 Milliarden Dollar gestimmt, ehe ich dagegen gestimmt habe.”


Gemeint hatte Kerry, daß er dem Nachtragshaushalt für die Finanzierung des Krieges im Irak in dessen erster Version schon zugestimmt habe, daß er aber diesen abgelehnt habe, nachdem die Republikaner in spätere Versionen allerlei zusätzliche Posten hineingeschmuggelt und damit die Finanzierung der Truppen im Irak gleichsam als politische Geisel zur Befriedigung von Lobbyisten-Interessen genommen hatten.

Mischung aus Tragik und Groteske


Das war natürlich skrupellos und auch verwerflich von den Republikanern, vielleicht war das ganze sogar ein Trick, um Leute wie Kerry hereinzulegen oder zu erpressen: Entweder du stimmst mit uns und gewährst uns um der nationalen Sache willen ein wenig Extraprofit, oder wir werden dich bei passender Gelegenheit als schlechten Patrioten und wetterwendischen Opportunisten hinstellen.

Daß es genau so gekommen ist, kann nicht überraschen, und in einer Mischung aus Tragik und Groteske blieb Kerry sogar im Augenblick der Niederlage dem ihm von den Republikanern aufgeklebten Etikett vom „flip-flopper” treu: Anstatt schon in der Wahlnacht gegen drei Uhr morgens, nachdem das Rennen um den entscheidenden Staat Ohio rechnerisch verloren war, vor seine Anhänger und das Volk zu treten und die Niederlage einzugestehen, schickte Kerry seinen „running mate” John Edwards mit dem banalen Bekenntnis vor, in der Demokratie müsse jede Wählerstimme zählen und man werde nach vier Jahren auch noch eine weitere Nacht warten können.

Der ultimative Opportunist wartet


Vielleicht werden die acht Stunden fruchtlosen Wartens, die Kerry brauchte, bis er schließlich gegen elf Uhr vormittags Präsident Bush im Weißen Haus anrief und seine Niederlage eingestand, das politische Vermächtnis des Senators aus Massachusetts prägen. Der ultimative Opportunist wartet, obwohl der Kampf ums Wahlmännergremium faktisch verloren ist, obwohl der Gegner die Volkswahl mit 3,5 Millionen Stimmen Vorsprung gewonnen hat, obwohl sich eine weitere Niederlage in beiden Kammern des Kongresses abzeichnet, bis zur allerletzten Sekunde und auf den allerletzten Rechtsanwalt, der ihm die Aussichtslosigkeit des Unterfangens bestätigt, ehe er sich ins Unvermeidliche schickt.

Angesichts der letztlich klaren Niederlage Kerrys bestätigt sich im nachhinein natürlich die Vermutung, daß Kerry nicht der richtige Kandidat war. Das Etikett des wankelmütigen Opportunisten blieb zäh an ihm haften, und tatsächlich vollzog Kerry mehrere Kurswechsel und hob sich damit - zur Freude der Republikaner - immer deutlicher von Bush ab, den er seinerseits als verbohrten und realitätsfernen Präsidenten hinstellte, der seine Fehler weder einsehen noch korrigieren könne. Die Anhänger der Demokraten haben Kerry seinen Zickzack-Kurs verziehen - mal stolzer Vietnam-Held, mal Gegner des Krieges in Südostasien, mal für den Einmarsch im Irak, mal diesen als falschen Krieg zum falschen Ort zur falschen Zeit geißelnd, mal trotzig unilateralistisch, mal einen „globalen Test” für die Legitimität der Vereinigten Staaten fordernd.

Keine überzeugende Vision Kerrys

Das haben offenbar viele unentschiedene Wähler Kerry nicht verziehen - wohl aber Bush, als dieser bei einer denkwürdigen Pressekonferenz im Weißen Haus auf die Frage nach möglicherweise begangenen Fehlern seine Stirn lange in Falten legte und schließlich antwortete: „Da sind bestimmt welche, nur fallen sie mir im Moment nicht ein.”

Kerry hatte einen Plan, nein viele Pläne zur Korrektur aller Fehler von Bush, aber er konnte offensichtlich keine überzeugende Vision vermitteln. Bush stand zu seinem Wort, zu seinen Entscheidungen und wiederholte sein Glaubensbekenntnis von der „transformierenden Kraft der Freiheit” als dem Geschenk des Schöpfers an alle Menschenkinder bis zum Überdruß.

Dickes Trostpflaster für Michael Moore

Neben dieser „Charakterfrage” wirkte sich negativ für die Demokraten aus, daß die Jungwähler nicht in dem Maße zu den Wahlurnen geströmt sind, wie es Stars wie der Filmemacher Michael Moore und der Rockstar Bruce Sprinsteen, die Schauspielerin Sharon Stone und der Rapper Eminem, oder auch der Finanzier und Philanthrop George Soros erhofft hatten und mit ihren Auftritten und ihrem Geld hatten anstoßen wollen. Daß sie John Kerry nicht zum Wahlsieg verhelfen konnten, wird sie schmerzen, aber zumal für Michael Moore ist es ein dickes Trostpflaster, daß das Feindbild, dem er sein Millionenvermögen verdankt, auch für künftigen Profit erhalten bleibt.

Dem nach dem Gießkannenprinzip verteilten Geld, den irgendwie anarchisch ungezielten Bemühungen der Demokratischen Partei und ihrer Helferkolonnen, die tatsächliche und potentielle Wählerbasis zu motivieren, standen die disziplinierten und geplanten Schritte der Republikaner zur Mobilisierung der eigenen Basis gegenüber. Der Anstieg der Wahlbeteiligung nutzte im ganzen den Republikanern mehr als den Demokraten. Ein Wahlkampfhelfer der Demokraten resümierte den Wahlausgang mit der resignierten Feststellung: „Wir haben alles getan, was wir konnten, aber die anderen waren noch besser.”

Moralische Fragen besonders wichtig

Schließlich die inhaltliche Bestimmung des Wahlkampfes. Die Befragung von gut 13.500 Wählern durch Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstituts Edison Media Research and Mitofsky International nach der Stimmabgabe ergab, daß die Frage der moralischen Werte für überraschend viele Wähler ihre Entscheidung bestimmten. Es galt am Dienstag nicht mehr der denkwürdige Kampfesruf von 1992 und 1996 „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf”, den Kerry zumal in Staaten wie Ohio, wo durch den Strukturwandel hunderttausende von Arbeitsplätzehn verloren gingen, wiederzubeleben versuchte.

22 Prozent der befragten Wähler gaben nämlich an, moralische Fragen seien für sie „das wichtigste Thema” gewesen. Die Entwicklung der Wirtschaft und Arbeitsplätze nannten nur 20 Prozent als oberste Priorität bei ihrer Wahlentscheidung. 19 Prozent bezeichneten den Krieg gegen denn Terrorismus als wichigstes Thema, 15 Prozent den Krieg im Irak.

Bushs Bekenntnis zur „Kultur des Lebens”

Für die hohe Bedeutung von Moral- und Wertfragen sprechen die eindeutigen Ergebnisse der Referenden in elf Staaten zur Homosexuellen-Ehe. Überall wurde die rechtliche Gleichstellung mit der Ehe von einer Frau und einem Mann klar abgelehnt - mit 57 Prozent im liberalen Oregon, mit 62 Prozent im hart umkämpften „Schlüsselstaat” Ohio, mit 86 Prozent in Mississippi. Monatelang hatte Bush bei seinen Wahlkampfauftritten neben der Verteidigung des Krieges im Irak und der Bekräftigung, er werde im Krieg gegen den Terrorismus nicht wanken, immer wieder sein Bekenntnis zu einer „Kultur des Lebens”, zu Familie und Ehe, auch zu Glauben und Religion bekräftigt.

Bush hat nicht wegen des Krieges im Irak die Wahlen gewonnen, sondern ungeachtet der mit der Invasion verbundenen hohen Kosten. Mit ausschlagebend war sein ethisch-moralischer Konservatismus: gegen Abtreibung, für die traditionelle Ehe, für das auch öffentliche Bekenntnis zum Gottesglauben, auch wenn die Trennung von Kirche und Staat sakrosankt bleibt. Auch beim Werben um die wachsende Zahl der Wählerstimmen der Latinos waren ethisch-moralische Frage ein Erfolgsrezept: 44 Prozent der hispanischen Wähler stimmten am Dienstag für Bush - neun Prozent mehr als vor vier Jahren.


Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.11.2004, Nr. 259
Bildmaterial: F.A.Z., FAZ.NET
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 05. November 2004 - 11:10 Uhr:   

Sehr lohnend ist auch folgender Artikel in der heutigen Welt:
[URL]http://www.welt.de/data/2004/11/05/355782.html[/URL]

Da wird noch einmal auf die Gouverneurs-Zeit von Bush zurückgeblendet (etwas, was man eigentlich vor dieser Präsidentenwahl hätte machen sollen).
Bush hatte nämlich auch in Texas seine Wiederwahl geschafft - und zwar als erster Gouverneur in 160 Jahren.
Und das ist einem Bundesstaat, der bis dahin als sichere Bastion der Demokraten galt!

Und sein Erfolgsrezept war wohl, daß er in Wirklichkeit viel gemäßigter ist, als die Europäer wahrnehmen und sehr stark überparteilich agierend auch Themen der Demokraten aufgenommen hat.

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