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Negatives Stimmgewicht

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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 08. Oktober 1999 - 15:09 Uhr:   

Hallo Ihr beiden Beschwerdeführer,

erstmal vielen Dank für Euer Engagement.
Ich habe mir auch brav das Bundestagsdokument mit den Einwendungen bzw. Ablehnungen durchgelesen - schon mal ganz interessant.

So scheint das Meldewesen hierzulande weit von der Perfektion entfernt zu sein, die man von einer deutschen Behörde traditionell erwartet.
Nicht überraschend ein gewisser Prozentsatz an Querulanten bis hin zu echt Geistesgestörten (das ist zum Teil auch bedrückend zu lesen, wie jemand unter der Paranoia leidet, elektromagnetisch ferngesteuert zu werden etc.).

Auch andere Aspekte sind erbaulich.
Z. B. die solidarisch-patriotischen Anstrengungen der lokalen Verbände von SPD, CDU und Grünen zur Erhaltung des Wahlkreises Krefeld - und dann verpennen die Helden die Einspruchsfrist.
Oder wenn ein ganzer Wahlausschuß die eigene Arbeit anficht, weil sie selbstherrlich beschlossen haben, auf Wahlumschläge zu verzichten.

Problematischer schon die verschiedenen Fälle, bei denen Parteien ihre Listenaufstellung nicht sauber durchführen - da sind wohl die Hamburger Lehren nicht angekommen.
Merkwürdig kommt mir auch der Fall vor, bei dem in einem Wahllokal angeblich Null Stimmen für eine Splitterpartei gezählt wurden, obwohl 2 Leute eidesstattlich versichern (und glaubhaft: Ein Kandidat und ein Funktionär - die werden sich ja wohl selber wählen) diese Partei gewählt zu haben.
Da ist der Ablehnungsbescheid zu dünn (Argument: Zwei Stimmen hätten die Mandatsverteilung nicht beeinflußt). Wenn etwas an den Vorwürfen dran ist, besteht ja der begründete Verdacht, daß noch weitere Manipulationen passiert sein könnten.

Aber nun zu Eurem Einwand. Natürlich ist er berechtigt und ist die Ablehnung falsch.
Und selbstverständlich wollen wir ein möglichst perfektes Wahlrecht, in dem solche Fehler nicht vorkommen.
Trotzdem muß ich neudeutsch fragen: So what?
Sind die Auswirkungen nicht auf dem Niveau des berüchtigten Sacks Reis in China?
Was, vor allem verglichen mit den anderen Problemen unseres Wahlrechts, macht gerade diesen Punkt würdig, für seine Verbesserung Arbeit und Geld aufzuwenden?
Vielleicht habe ich da noch einige Aspekte übersehen - dann bitte ich um Nachhilfe.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Freitag, 08. Oktober 1999 - 17:54 Uhr:   

Die Auswirkung des Wahlrechtsfehlers betrifft immerhin einige Abgeordnete, die wegen zuweniger Stimmen im Bundestag sitzen, bzw. Kandidaten, die wegen zu vieler Stimmen nicht drin sind.

Nicht abzuschätzen ist die Wirkung auf das Wahlverhalten als solches, denn wenn ein Wähler weiß oder vermutet, daß eine Stimme für eine Partei sich für diese negativ auswirkt, wird die Stimmabgabe de facto zu einem Ausdruck des Mißtrauens.

Wer wählt eine Partei, wenn er weiß, daß diese Partei deshalb weniger Mandate erhalten wird?

Dieser Punkt wurde vom Bundestag leider völlig ignoriert.

Daß beispielsweise die SPD-Wähler in Bremen dieser Partei mit der Wahl grunsätzlich schaden, ist sicher mehr als ein "Sack Reis in China".
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 13. Oktober 1999 - 12:18 Uhr:   

Hmmm, so riesig überzeugt bin ich noch nicht.
Die betroffenen Abgeordneten können sich ja selber wehren - und in der Wählerschaft spielen solche Spitzfindigkeiten meiner Einschätzung nach keine Rolle.

Aber seis drum - natürlich ist dieser Effekt nicht in Ordnung und sollte in Ordnung gebracht werden. Und vielleicht ist das dann der Einstieg in eine echte Wahlrechtsreform. Meine Unterschrift kommt demnächst (hoffentlich mit anderen).

Ein Problem habe ich noch: Die Materie ist sehr schwer verständlich. Vor einigen Wochen habe ich mir das mal mühsam klargemacht, aber schon jetzt könnte ich die genaue Wirkung einem Dritten nicht mehr erklären. Das ist eine schlechte Basis fürs Unterschriftensammeln.

Meine Bitte: Vielleicht könnt Ihr ein Beispiel konstruieren, bei dem möglichst viele unwichtige Nebeneffekte eliminiert werden und nur der "schuldige" Mechanismus klar wird (als Physiker
sollte Martin das Prinzip kennen).
D.h. man nehme das Minimum, 3 Parteien und 3 Bundesländer (vielleicht reichen da auch 2) mit einer schön übersichtlichen Stimmverteilung. Dann werden die Mandate zugeteilt, so daß es auch plausibel erscheint. Und dann entscheidet sich plötzlich ein Wähler, Partei A zu unterstützen - und die verliert prompt ein Mandat. Dritter Schritt des Beispiels wäre dann die Heilung des Schadens durch Verwendung der vorgeschlagenen Korrektur.
Ich könnte mir vorstellen, daß so ein Beispiel auch vor Gericht viel hilft, zusätzlich zu den notwendigen (aber intransparenteren) Beispielen aus der Praxis.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Mittwoch, 13. Oktober 1999 - 20:17 Uhr:   

Wo Ralf oder die Wähler Spitzfindigkeiten sehen, weiß ich leider nicht.
Ein Wähler, der das Wahlrecht verstanden hat (leider eine hochgradig
unrealistische Annahme) wird bei seinem Wahlverhalten sicherlich
berücksichtigen, ob er mit der Stimmabgabe der gewählten Partei
schadet oder nützt.

Vielleicht hilft ein minimalisiertes und vereinfachtes Beispiel:

Nehmen wir 2 Bundesländer, Nord und Süd, mit je einem Wahlkreis,
2 Parteien, A und B, und insgesamt 2 zu verteilenden Sitzen.
(Die Mehrheitsklausel und das Verhältnis Direkt- zu Listenmandate von
50:50 verschwinden der Übersichtlichkeit halber.)
Die Berechnungsmethode für Ober/Unterverteilung (z.B.
Hare-Niemeyer oder Sainte Lague) ist ziemlich egal,
bei der Oberverteilung ändert sich nichts und
bei der Unterverteilung wird nur ein Sitz verteilt.

Erststimmen, Direktmandate:
A gewinne den Wahlkreis Nord, B den Wahlkreis Süd.

Zweitstimmen:
 
Partei Nord Süd total Sitze
A 40 45 85 1 + 1 = 2
B 50 55 105 1


Bei der Oberverteilung bekommen A und B für je einen Sitz
(für 85 bzw 105 Zweittimmen).
Bei der Unterverteilung zieht bei beiden Parteien die
Landesliste Süd, bei Partei B wird das gewonnenen Direktmandat
auf das gewonnenene Listenmandat angerechnet. Partei A
erhält in Süd ein zusätzliches Überhangmandat, also:
A: Direktmandat Nord, Listenmandat Süd
B: Direktmandate Süd

Nun entscheiden sich 20 B-Wähler in Nord für Partei A.
Zweitstimmen (neu):
 
Partei Nord Süd total Sitze
A 60 45 105 1
B 30 55 85 1


Das Überhangmandat in Nord entfällt für A,
Partei A verliert (wegen der Zusatzstimmen) das
Listenmandat in Süd.

(Man kann zusätzlich annehmen 10 B-Wähler in Süd wählen
auch A, dann erhält B ein Überhangmandat dazu.)

Heilung:
Schon nach der Oberverteilung Direktmandate abrechnen.
Bei Unterverteilung wird in der Reihenfolge des stärkstens
Anspruchs zugeteilt, wobei schon gewonnene Direktmndate
angerechnet werden.

In obigen Beispielen erhalten beide Partein bei der
Oberverteilung je einen Sitz. Dann werden die Direktmandate
abgerechnet und es verbleiben jeweils null Listenmandate.
(Die Unterverteilung fällt dann mangels Masse aus).

Es wird hoffentlich klar:
- Überhangmandate entstehen hier bei der Unterverteilung (also Partei-intern)
- das Prinzip Weniger-Zweitstimmen Mehr-Überhangmandate
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Donnerstag, 14. Oktober 1999 - 15:13 Uhr:   

Das Wort "Spitzfindigkeit" ist vielleicht nicht so glücklich für einen echten Fehler. Gemeint war, daß angesichts der Schwierigkeit des Themas kaum ein Wähler wirklich durchblickt, was passiert, und damit die praktische Beeinflussung des Wahlvorgangs fast Null ist.

Auf jeden Fall vielen Dank für das Beispiel.

Alle Randbedingungen hervorragend minimiert. Und ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Da ja der Effekt nicht durch Splitting entsteht, sollte man die Zahlen ruhig so wählen, daß er auch bei identischen Erst- und Zweitstimmen zu sehen ist.

Etwa so:

Partei Nord Süd Zweit-total Sitze
A 50/50 55/55 105 1 + 1 = 2
B 45/45 65/65 110 1

Etwas Schwierigkeiten habe ich noch mit:
> Die Mehrheitsklausel und das Verhältnis Direkt- zu Listenmandate von 50:50 verschwinden der Übersichtlichkeit halber.

Die Mehrheitsklausel sagt mir nichts, und auf das gleiche Verhältnis sollte man nicht verzichten, da das ja wirklich wesentlich sein könnte.
Wenn wir nämlich im Beispiel die üblichen 4 Mandate für 2 Wahlkreise annehmen, platzt die Sache und damit die Glaubwürdigkeit unserer Argumentation.

Wahrscheinlich müssen wir noch eine dritte Partei hinzunehmen, um die negativen Stimmen idealtypisch zu demonstrieren.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Donnerstag, 14. Oktober 1999 - 15:52 Uhr:   

Selbst wenn man mal vorausgesetzt, daß das Phänomen keinen Einfluß auf das Wahlverhalten hat (mangels tiefschürfender Wahlrechtskenntnisse bei deen Wählern), so bleibt nach wie vor der Umstand bestehen, daß einige Mandate schlichtweg willkürlich zugeteilt werden. Ebenso gut könnte man diese Mandate im Losverfahren verteilen - wobei dann immerhin der Nachteil des negativen Stimmengewichts wegfallen würde.

Bei knappem Wahlausgang könnten diese Mandate ausschlaggebend für die Mehrheitsverhältnisse sein - ein staatspolitisch kaum tragbarer Zustand.

Darüber hinaus wird praktisch kein Weg daran vorbeiführen, diesen Systemfehler dadurch zu korrigieren, daß Überhangmandate vollständig kompensiert werden. Und die Überhangmandate sind ja schließlich das derzeit wohl umstrittenste Element unseres Bundestagswahlrechts. Auch insofern geht die Relevanz des Problems sicher weit über einen chinesischen Reissack hinaus.

Gewiß gibt es Anlaß, staatspolitisch noch viel bedeutsamere Wahlrechtsreformen in Angriff zu nehmen. Aber beim negativen Stimmengewicht geht es um einen Sachverhalt, dessen Änderungsbedarf eigentlich für jeden - unabhängig von politischen Positionen - einleuchtend sein müßte und der im Gegensatz zu anderen Reformen (hoffentlich) auch auf dem Rechtsweg durchsetzbar ist.

Derzeit schaut es ganz danach aus, als ob wir den Bundestag tatasächlich davon überzeugt hätten, Hare/Niemeyer durch Sainte-Lague zu ersetzen. Eine solche Änderung hätte mittelfristig sicher auch Vorbildfunktion auf das Wahlrecht in den Ländern und Kommunen. Und wenn wir das BVerfG auch noch dazu kriegen, die derzeitige Überhangmandatsregelung wegen des negativen Stimmengewichts zu kippen, hätten wir m.E. schon viel erreicht.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Freitag, 15. Oktober 1999 - 10:38 Uhr:   

Zu Ralfs Frage zur Mehrheitsklausel:
Bei einer Partei mit mehr als 50% der Stimmen, aber nicht mehr als 50% der Sitze wird der Mandatsbruch aufgerundet und damit die Parlamentsmehrheit garantiert (Par. 6 (3) BWG.
Bei Bundestagswahlen hochgradig unwahrscheinlich, im gewählten Beispiel würde das aber nur zu Sitzverteilungen 2-0 bzw 0-2 führen.
Das Verhältnis Direkt zu Listenmandaten ändert nichts am prinzipiellen Effekt und es wird deutlicher, daß die Zusatzmandate Listenmandate sind.
Vor allem muß man nicht "rechnen", der größer/kleiner Vergleich reicht.

Ralfs Beispiel ist noch besser, da es auch bei Wahlsystemen ohne Zweistimmen funktioniert. Die Möglichkeit Erst- und Zweitstimme zu unterscheiden, bietet dem Wähler aber die Chance auf das Wahlsystem zu reagieren. Mit der Erststimme wählt er den Kandidaten seiner Partei und mit der Zweitstimme schadet er der anderen Partei.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Freitag, 15. Oktober 1999 - 15:56 Uhr:   

Danke für die Erklärung. Sicher sollte man die Mehrheitsklausel aus dem Beispiel fortlassen.

>Das Verhältnis Direkt zu Listenmandaten ändert nichts am prinzipiellen Effekt ...
Im Prinzip ja (sonst gäbe es ja die konkreten Fälle bei den Bundestagswahlen nicht).

Aber weder Dein noch mein Beispiel funktionieren dann noch: Jede Partei bekäme ein Direkt- und ein Listen-Mandat. Nix Überhang, nix Problem, nix Erklärungsmöglichkeit.

Splitting und Sitzzuteilverfahren wollen wir ja eliminieren, weil sonst leicht diese Verfahrensbestandteile für die Ursache der Misere gehalten werden (in genau diese Falle laufen ja sogar Bundeswahlleiter und Gericht).
Im gewählten Beispiel sagt doch jeder sofort: "Das liegt doch nur daran, daß Du zu wenig Listenplätze genommen hast. Wenn Du korrekt auswertest, d.h. mit genauso viel Listen- wie Direktmandaten, geht alles wunderbar auf."
Das Beispiel muß technisch genauso aufgebaut sein wie eine Bundestagswahl - nur mit reduzierter Teilnehmerzahl. Wenn dann überlaufende Wähler zum Mandatsverlust führen, ist der Beweis glaubhaft.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Freitag, 15. Oktober 1999 - 21:51 Uhr:   

Nun ein vereinfachtes Beispiel mit 4 Sitzen / 2 Direktmandaten und 3 Parteien A,B,C
 
Partei Nord Süd Sitze
A 37/37 40/40 1+1=2
B 35/35 45/45 1
C 30/30 60/60 2

Partei A erhält in Nord ein Überhangmandat, daß verschwindet, wennn A in Nord 4 Stimmen mehr bekommt.

Das Stimmensplitting bleibt als Verschärfung / nicht als Ursache interessant.
Die beiden Ursachen für Überhangmandate
- viele gewonnene Direktmandate
- wenige Zweitstimmen
sind damit entkoppelt.

Darüberhinaus sollte man das "Splitting" gar nicht so sehr als etwas besonderes herausstellen.
Da der Gesetzgeber die beiden Stimmen getrennt hat, gibt es keinen Grund mehr einen
Zusammenhang dazwischen herzustellen oder gar vorauszusetzen, daß es gleiche oder ähnliche
Stimmenverteilungen gibt.
Das Problem ist natürlich, daß das ganze System nicht mehr funktioniert, wenn wirklich ein nennenswerter Anteil der Stimmen nicht einheitlich abgegeben werden.

Ein glaubhaftes Beispiel brauche ich auch gar nicht zu konstruieren, die Liste der aufgetretenen Beispiele sollte mehr als ausreichen.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Montag, 19. Juni 2000 - 13:43 Uhr:   

Hallo,

wie ist eigentlich inzwischen der Stand Eures (unseres) Verfahrens?

Gibt es schon eine Reaktion, bzw. wann ist denn mit irgendeiner Stellungnahme (oder gar dem Urteil) zu rechnen?
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Montag, 19. Juni 2000 - 13:58 Uhr:   

Hallo!

Es gibt insoweit nichts Neues zu berichten. Karlsruhe ist nun am Zug und läßt sich wie üblich Zeit damit.

Mit einem Urteil rechne ich irgendwann im Laufe des Jahres 2001 - wenn's gut läuft, vielleicht noch Ende dieses Jahres.

Ich hoffe nur, daß die ja ziemlich dringliche Normenkontrollklage der Hessischen Landesregierung gegen das dortige Wahlprüfungsgericht nicht dazu führt, daß man die Wahlprüfungsbeschwerden erst einmal beiseite legt.
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Wilko Zicht
Veröffentlicht am Sonntag, 23. Juli 2000 - 02:27 Uhr:   

Inzwischen hat sich doch wieder etwas getan!

Wir haben beide ein Schreiben vom Berichterstatter (Jentsch) bekommen, in dem dieser uns seine "Bedenken gegen die Erfolgsaussichten Ihrer Wahlprüfungsbeschwerde" vorträgt. Im wesentlichen handelt es sich dabei um Zitate aus dem Überhangmandats-Urteil von 1997, die sich aber lediglich um den Gleichheitsgrundsatz drehen. Wir haben ihm daraufhin noch einmal klipp und klar geschrieben, daß es nicht um Gleichheit geht (wenn alle Wählerstimmen gleichermaßen negativ wirken würden, wäre das ja nicht gerade eine Verbesserung...), sondern um Unmittelbarkeit und Freiheit der Wahl und um die Selbstverständlichkeit, daß Stimmen gefälligst FÜR die gewählte Partei wirken sollen und nicht GEGEN sie. Wenn er es jetzt immer noch nicht kapiert, dann will er es auch nicht.

Jentsch gehörte zu den Richtern, die die Überhangmandate 1997 abgesegnet haben, so daß es insofern keine Überraschung war, daß wir ihn nicht auf unserer Seite haben. Daß ausgerechnet er den Berichterstatter macht, ist natürlich Pech. Aber die Entscheidung wird letztlich auf jeden Fall von allen acht Richtern gemeinsam getroffen.

Vielleicht hat Jentsch auch nur gehofft, wir würden unsere Beschwerden auf sein Schreiben hin zurückziehen, damit er sich den Aufwand erspart (iudex non calculat). Immerhin hat er sich bei uns den Satz "Ihre Beschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg" verkniffen, der in seinen Schreiben an andere Beschwerdeführer enthalten ist.
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Albert Kleffmann
Veröffentlicht am Sonntag, 30. Juli 2000 - 14:51 Uhr:   

Mir erscheint eine eifrige Diskussion über Verfahrensfragen zwar als redliche Mühe, aber wenn sie nicht nach dem Ergebnis fragt, dann war es eifriges Masturbieren, eine Betätigung mit mit höchst einseitigem Lustgewinn.

Da stelle mer uns doch mal janz dumm un fraren uns: »Wat ise ne Wahl?« Die einzig mögliche Antwort lautet: Es ist die Frage nach der Akzeptanz. Und nun stellt Ralf Arnemann treffend fest: Sie ist es, die fehlt. Das interessiert keinen, das versteht auch keiner. Und spätestens hier kann man einfach aufhören. Die Veranstaltung ist geplatzt. Nun brauchen wir erst einmal ein Publikum.

Gegen Zähneputzen habe auch ich nichts einzuwenden, aber wenn das Haus brennt, dann gibt es Wichtigeres als das. Marginale Größen sind sicher irgendwann wieder ein Thema.

Aber ich will bei der Akzeptanz bleiben. Eine Wahl ist also die Frage danach. Sonst nichts. Wer sich nicht dem Verdacht aussetzen will, daß er die Kompliziertheit der Materie kultiviert um ihrer Selbst willen, weil die so schön ihren Mann ernährt - denn der Wähler wird nicht gefragt, ob er die Verwirrtechniken kaufen und bezahlen will, er muß - der muß sich jetzt Wichtigerem zuwenden und er muß ein Ziel dabei im Auge haben, eben die Akzeptanz. Anderen Falls züchten wir uns eine »Volksdemokratie« nach »DDR«-Muster.

Es führt kein Weg daran vorbei, hier muß Schritt für Schritt vorgegangen werden: Ohne den Verfassungsartikel 137 kommen wir keinen Schritt weiter.

Da hat ein Wirt mir dauernd Nudeln vorgesetz und fragt mich immer, ob mir’s denn schmeckt. So blöd kann doch der nicht sein!? Ist er aber. Das klingt nach der »unmöglichen Tatsache« von Christian Morgenstern. Himmeldonnerwetter, Herr Wirt, dann bringen Sie doch endlich auch mal Pellkartoffeln auf den Tisch! Vielleicht bleibe ich dann nicht Ihr letzter und einziger Gast.

Albert Kleffmann
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Sonntag, 30. Juli 2000 - 18:20 Uhr:   

Ich hatte eigentlich gehofft, durch die Ausführungen zum negativen Stimmengewicht wäre klar, daß es sich nicht um einen marginalen Effekt handelt, sondern um eine Bewegung in die falsche
Richtung.

"Wieviel Benzin brauchen wir noch um damit das brennendes Haus zu löschen?"
ist genausowenig eine marginale Detail-Frage ist.

Dahinter steckt also durchaus ein Gesichtspunkt der Frage, "Was ist eine Wahl?".

Natürlich steht dahinter auch fehlende Akzeptanz, sonst würde so ein Blödsinn nicht 40 Jahre lang schulterzuckend toleriert werden.

Wenn das Wahlsystem aber ähnlich dem Einfluß der Zahlen auf einem Tippschein auf die gezogenen Zahlen ist, dann ist es völlig egal was
auf dem Wahlzettel steht.

Martin Fehndrich
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Hans Petermann
Veröffentlicht am Dienstag, 01. August 2000 - 12:22 Uhr:   

Sehr geehrter Herr Zicht,
sehr geehrter Herr Fehndrich,

ich muß Herrn Kleffmann zustimmen, daß es sich bei den "negativen Stimmen" um einen marginalen Effekt handelt. Es ist doch allgemein bekannt, daß _jedes_ personalisierte Verhältniswahlrecht diesen Effekt vorweist. In der englischsprachigen Literatur gibt es hierfür sogar bereits Fachausdrücke: "No-Show Paradox" und "Participation Paradox".

Daher lautet die entscheidende Frage nicht, ob es sich bei den "negativen Stimmen" um einen unerwünschten Effekt handelt. Die Frage lautet vielmehr, ob dieser Effekt "plausibel" ist, wenn man die Logik, die dem Bundestagswahlgesetz zugrundeliegt, heranzieht. Und hier muß ich antworten: Dieser Effekt ist plausibel.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Dienstag, 01. August 2000 - 21:04 Uhr:   

Bei der Bundestagswahl sind "negative Stimmen" kein marginaler Effekt.

Alle dargestellten negativen Stimmen können - wie dargelegt - ohne große Änderungen vermieden werden.

Martin Fehndrich
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Hans Petermann
Veröffentlicht am Mittwoch, 02. August 2000 - 00:47 Uhr:   

Sehr geehrter Herr Fehndrich,

auch wenn gar keine Überhangsmandate auftreten, kann es passieren, daß ein Wähler "bestraft" wird, dafür daß er wählen geht.

Beispiel: Ein Wähler stimmt mit seiner Erststimme für den Kandidaten A der Partei X und mit seiner Zweitstimme für die Liste der Partei X. Dann kann es doch passieren, daß dieser Wähler mit seiner Erststimme bewirkt, daß das Direktmandat vom Kandidaten B der Partei Y zum Kandidaten A der Partei X übergeht. Angenommen, daß dieser Wähler mit seiner Zweitstimme keine Änderung der Mandatsverteilung bewirkt. Angenommen ferner, daß der Kandidat B der Partei Y weiterhin über die Liste der Partei Y in den Bundestag einzieht. Angenommen ferner, daß dieser Wähler denjenigen Kandidaten, der über die Liste der Partei X gewählt worden wäre, wenn der Kandidat A nicht das Direktmandat gewonnen hätte, dem Kandidaten A vorzieht. Dann ist dieser Wähler doch bestraft worden, dafür daß er wählen gegangen ist.

Eine personalisierte Verhältniswahl macht doch nur dann Sinn, wenn man annimmt, daß ein Wähler nicht nur Meinungen über Parteien, sondern auch über Kandidaten hat. Dann aber muß man schlußfolgern, daß der Wähler im obigen Beispiel bestraft worden ist.
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Hans Petermann
Veröffentlicht am Mittwoch, 02. August 2000 - 16:58 Uhr:   

Sehr geehrter Herr Fehndrich,

Problem des derzeitigen Bundestagswahlgesetzes ist, daß es eigentlich überhaupt keinen Sinn macht. Der Effekt der "negativen Stimmen" ist eigentlich nur ein -und meiner Meinung nach nicht einmal der bedeutsamste- Aspekt dieses Problems.

Sie schreiben: "Die Erststimme ist völlig ungeeignet, um Einfluß auf die personelle Zusammensetzung des Bundestags auszuüben. Man ersetzt allenfalls einen (im Zweifel unbekannten) Listenkandidaten einer Partei durch einen Direktkandidaten derselben Partei. Es ist auch nicht einzusehen, warum die Nichtwähler einer Partei Einfluß auf deren personelle Zusammensetzung bekommen sollen."

Kurz gesagt: Auch wenn es gar nicht das Problem mit Überhangsmandaten gäbe, wäre der Wähler i.a. gar nicht in der Lage rational abzustimmen. Denn der Wähler weiß ja i.a. gar nicht, welcher Listenkandidat durch den Direktkandidaten derselben Partei ersetzt würde.

Meiner Meinung nach ist es hauptsächlich dieser Aspekt -und weniger der Aspekt der "negativen Stimmen"-, der dazu führt, daß die Bundestagswahlen mehr den Charakter eines Glücksspiels als den einer wirklichen Wahl haben.
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Samstag, 05. August 2000 - 17:40 Uhr:   

Sehr geehrter Herr Petermann,

mit Ihrer Kritik an der "personalisierte Verhältniswahl" und der Erststimme haben Sie natürlich recht.
Der Einfluß der Erststimme ist de facto gleich null bzw. nicht abzuschätzen und die "personalisierte Verhältniswahl" wird Ihrem Namen nicht gerecht.

Der einzige Wert des Systems liegt in der dezentralen Kandidatenaufstellung im Wahlkreis.

Die Einordnung der Erststimme als "negative Stimmen" ist allerdings problematisch.

Wenn der Wähler in Ihrem Beispiel durch die Wahl des Kandidaten As bestraft würde, dürfte er natürlich nicht A wählen (in Bezug auf Parteien gibt es keine negative Stimmen).

Die meisten Wähler dürften allerdings nicht den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme kennen oder gar einen Direktkandidaten in Vergleich zu den Listenkandidaten der Partei setzen. Viele kennen auch nicht Ihre Direktkandidaten und nur ein Bruchteil dürfte einen Überblick über alle Listenkandidaten haben.

Damit ist die Erststimme eine Stimme, die nichts oder fast nichts bewirkt, ein schwerer Mangel des Wahlsystems ist.

Gruß
Martin Fehndrich
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Sonntag, 04. März 2001 - 18:17 Uhr:   

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht die Wahlprüfungsbeschwerden gegen negative Stimmen ohne Begründung verworfen (siehe http://www.wahlrecht.de/ueberhang/beschwerde.htm).
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Katharina mueller
Veröffentlicht am Sonntag, 05. Mai 2002 - 22:42 Uhr:   

Was passiert mit meiner Stimme, wenn ich nicht zur Bundestagswahl gehe?
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Intelligenzbestie
Veröffentlicht am Montag, 06. Mai 2002 - 16:09 Uhr:   

Tja, die kriegt dann dann wohl keiner...
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Max
Veröffentlicht am Mittwoch, 11. September 2002 - 09:53 Uhr:   

Hallo,
nach dem Bericht im Handelsblatt habe ich diese Seiten gefunden. Bin begeistert - tolle Arbeit.

Eine Frage noch zu dem negativen Stimmgewicht:

Im HB stand, dass hier Tipps veröffentlicht werden wie man sich verhalten soll um seiner favorisierten Partei nicht zu schaden.

Diese Seite finde ich nicht.

Gibt es sie ?

Danke

Max
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Frank Schmidt
Veröffentlicht am Mittwoch, 11. September 2002 - 10:10 Uhr:   

http://www.wahlrecht.de/bundestagswahl-2002/
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adolf tauber
Veröffentlicht am Dienstag, 16. März 2004 - 16:57 Uhr:   

bei der bundestags- und auch bei landtagswahlen erhalten die parteien
für die abgegebenen stimmen anteilige finanzielle zuwendungen.
auf welche weise kann ich verhindern, daß ich an der verteilung
solcher mittel mit schuldig bin?
genügt die stimmenthaltung?
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Dienstag, 16. März 2004 - 17:15 Uhr:   

> auf welche weise kann ich verhindern, daß ich an der verteilung
> solcher mittel mit schuldig bin?
Keine Steuern zahlen.

> genügt die stimmenthaltung?
Nein.
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c07
Veröffentlicht am Dienstag, 16. März 2004 - 17:49 Uhr:   

Theoretisch genügt die Stimmenthaltung (oder eine Stimme für eine Partei unter 0,5 bzw. 1 Prozent) schon, weil das Geld nach absoluten Stimmenzahlen verteilt wird. Weil aber der Gesamtbetrag gedeckelt ist, bleibt dann doch mehr Geld für die anderen Parteien übrig. Nachdem damit auch mehr Geld zur Ergänzung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden übrig bleibt, profitieren Parteien mit hohen Einnahmen (relativ zu den Wählern) von einer insgesamt niedrigeren Stimmenzahl überdurchschnittlich. 2001 waren das insbesondere Graue, NPD und ÖDP.
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C.-J. Dickow
Veröffentlicht am Dienstag, 16. März 2004 - 20:24 Uhr:   

@ Ralf Arnemann

Schuldig an der Verteilung ist Herr Tauber ohnehin nicht. Wenn man überhaupt von "Schuld" sprechen kann - ich würde lieber von "Verantwortlichkeit" sprechen - sind diejenigen, die die entsprechende Gesetzeslage geschaffen haben "schuldig". Herr Tauber stellt nur über seine Steuerzahlungen Geld zur Verfügung.
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Ralf Arnemann
Veröffentlicht am Mittwoch, 17. März 2004 - 11:00 Uhr:   

> Schuldig an der Verteilung ist Herr Tauber ohnehin nicht.
Ich habe nur seine eigene Wortwahl aufgegriffen.
Vielleicht hätte ich meinen Beitrag noch dick mit "Achtung, Ironie" kennzeichnen sollen.
Ich halte seine Art der Diskussion über Parteienfinanzierung für absolut ungeeignet.
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C.-J. Dickow
Veröffentlicht am Donnerstag, 18. März 2004 - 18:11 Uhr:   

>Ich halte seine Art der Diskussion über Parteienfinanzierung für
>absolut ungeeignet.

Dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.
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mirjam
Veröffentlicht am Montag, 31. Mai 2004 - 22:29 Uhr:   

Was ist der Unterschied zwischen einem Direkt- und einem Listenmandat?

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