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Ein ganz einfaches Verfahren

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Sitzzuteilungsverfahren: Hare/Niemeyer, d’Hondt etc. » Ein ganz einfaches Verfahren « Zurück Weiter »

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Stephan Gutsch
Veröffentlicht am Sonntag, 25. Mai 2003 - 12:55 Uhr:   

Ich habe mir einmal kurz die Beschreibung der Verfahren von Hare/Niemeyer und d'Hond angesehen. Bei diesen Verfahren geht es darum, einen möglichst einfachen Algorithmus zu haben, so daß jeder mit Papier und Bleistift die Sitzverteilung berechnen kann. Das ist altmodisch. Moderner wäre es, ein einfaches P r i n z i p zu haben, wärend man das praktische Ausrechnen den Computern überläßt. Alle Streitfragen beträfen dann nur noch das Prinzip und nicht die Methode der Berechnung.

Runden bedeutet im einfachsten Falle, einer reellen oder rationalen Zahl eine ganze Zahl zuzuordnen, und zwar die, die der ursprünglichen Zahl am nächsten liegt. Zum Beispiel wird 34.4 auf 34 gerundet, denn 34 liegt der ursprünglichen Zahl näher als jede andere ganze Zahl. Bei 34.5 ergibt sich ein Unentschieden zwischen 34 und 35. Bei Wahlen ist dieser Fall praktisch ausgeschlossen, seine Wahrscheinlichkeit beträgt ein Millionstel.

Das Ganze läßt sich auf mehrere Dimensionen übertragen. Wir wollen den Vektor (10.78, 19.35) auf ein paar ganzer Zahlen runden. Dazu zeichne man diesen Punkt auf Millimeterpapier. Er liegt in einem Kästchen, das von den Punkten (10, 19), (10, 20), (11, 19) und (11, 20) begrenzt wird. Der Punkt (11, 19) liegt am nächsten, somit ist (11, 19) der gerundete Vektor. Natürlich braucht man dazu kein Milimeterapier und das ganze funktioniert auch in n Dimensionen. Der zu rundende Punkt liegt dan in einem n-dimensionalen Würfel, welcher 2 hoch n Eckpunkte besitzt. Es wird der Eckpunkt ausgewählt, der dem zu rundenden Punkt am nächsten liegt. Bei n=10 ergeben sich 2 hoch 10, also etwa 1000 Möglichkeiten, bei n=20 etwa eine Million, bei n=30 etwa eine Milliarde, für einen Computer kein Problem.

Bei einer Wahl habe wir noch die Nebenbdingung, dass die Anzahl der Sitze feststeht. Haben wir z.B. zwei Parteien und 100 Sitze, dann liegt das ungerundete Wahlergebnis auf einer geraden, die die x- und y-Achse jeweils bei 100 schneidet. Die Zahl der Abgeordneten ist dagegen die diskrete Menge bestehend aus den Punkten (0, 100), (1, 99), (2, 98), ..., (99, 1), (100, 0). Haben wir z.B. 55.65783% fuer Partei A und 44.34217% für Partei B, dann bekämen Partei A 56 Sitze und Partei B 44 Sitze, denn von allem Gitterpunkten, die auf der Geraden liegen, ist der Punkt (56, 44) dem ursrünglichen Punkt (55.65783, 44.34217) am nächsten. Bei n Parteien geht das genauso, statt einer Geraden haben wir dann eine (n-1)-dimensionale lineare Manigfltigkeit. Es müssen dann 2 hoch (n-1) Punkte durchprobiert werden.

Damit haben wir ein Verfahren gefunden, dass jeder Stimmverteilung eindeutig eine Sitzverteilung mit Hilfe eines Minimalprinzips zuordnet. Der einzige Freiheitsgrad besteht darin, was man unter dem kleinsten Abstand versteht. Es könnte sinnvoll sein, von der Euklidischen Metrik abzuweichen. Erzielte z.B. Partei A 92.501% und Partei B 7.499%, dann bekämen A 93 Sitze und B 7 Sitze. Die relativen Fehler betrügen (93-92.501)/92.501 = 0.539% bei A und (7.499-7)/7.499 = 7.129%. Bei einer Rundung auf 92 bzw. 8 Size wären die relative Fehler 0.515% bzw 6.681%. Die Summe der relativen Fehler wäre im zweiten Fall geringer. Um die relativen Fehler zu minimieren, müßte man die Rundung mit dem Logarithmus der Sitze durchführen. Statt n-dimensionalen Würfeln hätten wir dann n-dimensionale Quader, und die (n-1)-dimensionale Hyperebene wäre eine krumme Hyperfläche. Bei logarithmischer Darstellung wandert allerdings der Nullpunkt ins Unendlihe. Bei Vorhandensein einer Sperrklausel ist das kein Problem, da null Sitze nicht vorkommen. Ohne Sperrklusel dagegen würde jede noch so kleine Partei wenigstens einen Sitz bekommen, da man auf Null nicht abrunden darf. Um dises Problem zu vermeiden könnte man statt ln x die Funktion ln(1+x) verwenden.
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Mitte-Rechts
Veröffentlicht am Sonntag, 25. Mai 2003 - 13:52 Uhr:   

Eine interessante Idee, über die man weiter nachdenken sollte.

Wobei ich doch für die euklidsche Metrik bin, denn dann können sie das Verfahren gut erklären ( siehe Millimeterpapier). Auf einer n-1-Dimensionalen Hyperebene wird das "etwas" kompliziert.

Ausserdem haben wir natürlich dann auch einen Namen:

"Verfahren des kürzesten Weges"

oder natürlich

"Glutsch-Verfahren"
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Martin Fehndrich
Veröffentlicht am Sonntag, 25. Mai 2003 - 14:26 Uhr:   

@Stephan
Hinter jedem der Verfahren (Hare-Niemeyer, D'Hondt, Sainte-Lague) steckt auch ein Prinzip, bzw. eine Fehlerminimierung/Rundungsregel, die letztendlich zur Sitzverteilung führt.

Die Streitfragen ist doch in aller Regel nur dieses Prinzip und nicht welche Berechnungsschritte in welcher Reihenfolge man durchführen soll, um die zugehörige Sitzverteilung einfach und schnell zu ermitteln.
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Stephan Glutsch
Veröffentlicht am Sonntag, 25. Mai 2003 - 19:16 Uhr:   

Mitte-Rechts:

Ich gebe zu, der letzte Absatz ist Quatsch. Erstens habe ich mich da verrechnet und zweitens löst eine irgendwie eartete Reskalierung der Achsen unnötige Diskussionen aus, da sie entweder große oder kleine parteien bevorzugt.

Martin:

Ich weiß nicht, ob das jedem klar ist. Meine Darstellung hat den Vorteil, daß das Kriterium sauber von der Berechnungsorschrift getrennt ist. Und dabei fällt auf, daß es eigentlich kaum ein anderes vernünftiges Kritrium geben kann. Es erscheint mir, daß bei nichtskalierten Achsen sogar die Wahl der Norm eine untergeordnete Rolle spielt. Es sollte bei euklidischer Norm, Supremumsnorm (Betrag der größten Komponente) oder L1-Norm (Summe der Beträge aller Komponenten) dasselbe herauskommen: wenn man in jeder Raumrichtung den am nächsten gelegenen Punkt des Wüfels nimmt, wird jede dieser Normen minimiert.

So sind wahrscheinlich die von Dir aufgezählten Verfahren nur Näherungsverfahren, die sich historisch entwickelt haben und im günstigsten Fall mein Ergebnis liefern. Wenn man C. F. Gauß die Aufgabe vorgelegt hätte, wäre er wahrscheinlich auch zu minem Ergebnis gekommen, nur daß damals noch kein Bedarf dafür vorhanden war.
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c07
Veröffentlicht am Montag, 26. Mai 2003 - 04:41 Uhr:   

Stephan:

Mir scheint, dass dein Verfahren letztlich auf Hill/Huntington hinausläuft, aber der Fehler macht das etwas unklar.

Wahrscheinlich hat das gewünschte Prinzip gegenüber der konkreten Rechenvorschrift früher wirklich nur eine relativ untergeordnete Rolle gespielt (nicht immer; verschiedene kurze historische Aussagen dazu gibts z.B. hier). Aber wo heute ernsthaft über alternative Verfahren diskutiert wird, steht doch das Prinzip im Vordergrund. Genau dabei geht es ja auch bei Sainte-Laguë: Die Erfolgswertgleichheit soll optimiert werden. Und nachdem die Optimierung u.a. die Summe der quadratischen Abweichungen betrifft, ähnelt es deinem Verfahren auch sehr. Im Prinzip ist das ja genauso nur die Minimierung einer (euklidischen) Distanz, bloß dass dabei nicht Parteien gemäß ihrer Mandatszahl, sondern die einzelnen Wähler direkt als jeweils eigene Dimension eingehen.

Dabei hat Sainte-Laguë auch noch die schöne Eigenschaft, dass es zwei sinnvolle Kriterien gleichzeitig optimiert: Neben der gerade beschriebenen Distanz der Wählerschaft zum Punkt der vollen Gleichwertigkeit minimiert es auch noch die Differenz des Einflusses zweier beliebiger Wähler untereinander. Wenn man diese beiden Kriterien bezogen auf die Abgeordneten anstatt auf die Wähler optimieren will, ergeben sich dagegen zwei unterschiedliche Verfahren, nämlich Hill/Huntington (geometrische Rundung) für die Distanz und Dean (harmonische Rundung) für den paarweisen Vergleich.

Das dritte prinzipiell denkbare Kriterium, nämlich der Parteienproporz, führt in beiden Fällen wieder zu einem einheitlichen Verfahren, nämlich Hare/Niemeyer. Das entspricht deinem Vorschlag ohne die Skalierung der Achsen, und in der Tat gilt das für jede der üblichen Normen.

Bei der Entscheidung für ein Verteilungsprinzip geht es also zunächst (vorausgesetzt, dass eine irgendwie geartete Gleichheit überhaupt erwünscht ist) darum, zu bestimmen, auf wen sich die Gleichbehandlung beziehen soll: Wähler, Abgeordnete oder Parteien. Danach muss man sich dann noch darauf einigen, wie der Grad der Abweichung konkret bestimmt wird, also euklidische Distanz, Summe der Abweichungsbeträge, paarweiser Vergleich oder sonst was.

Dass der Maßstab die Wähler sein sollten, ist für mich ganz klar (vielleicht hast du ja bei der Reskalierung auch eine Anpassung an diesen Maßstab angestrebt). Über den Rest kann man diskutieren. Allerdings find ich da den paarweisen Vergleich am einleuchtendsten. Wenn man das Ungleichgewicht zwischen zwei Wählern verringern kann, indem man der Partei des einen ein Mandat nimmt und es der Partei des anderen gibt, ohne dabei das restliche Gleichgewicht zu stören, dann sollte man das auch tun. Dieses Kriterium ist konkreter greifbar als alle abstrakten Normen, und es führt zu Sainte-Laguë.
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Stephan Glutsch
Veröffentlicht am Montag, 26. Mai 2003 - 09:59 Uhr:   

Vielen Dank für die umfassende Auskunft. Es war natürlich zu vermuten, daß andere sich bereits Gedanken über ein Minimalprinzip gemacht haben.
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Hartmut Neubauer
Veröffentlicht am Montag, 25. Oktober 2004 - 23:43 Uhr:   

Auch wenn dieser Vorgang schon älter ist als ein Jahr, so will ich mich hierzu äußern. Ich finde diesen Gedanken der Metrik im (n-1)-dimensionalen Raum ebenfalls sehr interessant. Allerdings stellt sich bei einigem Nachdenken heraus, dass die zugrunde liegenden Strukturen einfacher und überschaubarer sind als oben skizziert. Bei n Parteien haben wir es in der Tat mit einem (n-1)-dimensionalen Raum zu tun, allerdings nicht als Würfel, sondern als regelmäßigem n-Eck. Bei zwei Parteien ist dies eine Strecke, bei drei ein (zweidimensionales) regelmäßiges Dreieck, bei vier ein Tetraeder usw. Nehmen wir wegen der Anschaulichkeit z.B. das Dreieck, so bedeuten die drei Ecken A, B und C die Punkte, wo die Partei A, B bzw. C 100 Prozent erzielt. Innerhalb des Dreiecks gilt Linearität. Sind m Mandate zu vergeben, so ziehen wir parallel zu den drei Seiten je m Geraden im gleichen Abstand bis zur gegenüber liegenden Ecke. Die Schnittpunkte des daraus entstehenden Gitters sind dann die „Punkte der vollen Gleichwertigkeit“.
Nimmt man nun die Euklidische Norm, so erhält man ein Wabenmuster aus regelmäßigem Sechsecken, die sich um diese Punkte scharen. Bei der Betrachtung einiger strittiger Punkte (47-47-6 oder 53-43-4 bei je 10 Mandaten) scheint mir hier das Hare-Niemeyer-Verfahren am nächsten zu liegen, bei allen Schwierigkeiten, die dieses Verfahren bietet.
Jetzt kann man natürlich umgekehrt die Frage stellen, welches Aussehen die Punktmengen hätten, die sich um einen der „Punkte der vollen Gleichwertigkeit“ scharen, wenn man ein Divisor-Verfahren – also z.B. das Sainte Laguë-Verfahren – zugrunde legen würde. Meine vermutete Antwort: Die Sechsecke wären nicht mehr so schön gleichmäßig und parallel. Denn vermutlich würden alle Begrenzungslinien sich mit mindestens einer der drei Ecken scheiden.
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Torsten Schoeneberg
Veröffentlicht am Dienstag, 26. Oktober 2004 - 19:00 Uhr:   

Wahlsimplex heißt das Ding.

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