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Archiv bis 08. April 2017

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Neues Bundestagswahlrecht: Ausgleichsmandate » Archiv bis 08. April 2017 « Zurück Weiter »

Autor Beitrag
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 31. August 2016 - 16:19 Uhr:   

Die Frage ist doch, warum man so verzerren sollte? In der Regel bekommt man so eine zersplitterte und geschwächte Opposition. Aber durch den separaten Wahltermin kann man umgekehrt auch Vorsprünge auffressen.
Ein bisschen wie in Italien, wo unterschiedliche Bonussysteme für die beiden Parlamentskammern (regional vs. landesweit) am selben Wahltag zu gegenläufigen Sitzverteilungen führen können.

Dass die 5%-Hürde die Schwelle für die absolute Mandatsmehrheit unter 50% fallen lassen kann, mag unschön sein. Sie bei 40%+Bonus festzunageln verschlimmert das Problem aber eher.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. September 2016 - 00:09 Uhr:   

Verzerren sollte man bei der Umrechnung von Stimmanteil auf Mandatsanteil IMHO generell, denn ein rein proportionales Wahlrecht führt erfahrungsgemäß zwar zu einem sehr vielfältigen Parlament, aber auch zu sehr schwieriger Regierungsbildung (Z.B. Weimarer Republik, Italien bis 1990, Niederlande).

In Deutschland wird zur Zeit verzerrt, indem alle Parteien unter 5 % auf 0 gesetzt werden und die über 5 % entsprechend mehr Mandate bekommen als ihrem Stimmenanteil entspricht. Das sorgt für völlige Wertlosigkeit zahlreicher Stimmen und für den Ausschluß zahlreicher Parteien aus dem Parlament. Bei der letzten Bundestagswahl blieben 15,7 % der Wähler völlig unberücksichtigt.

Mein System verzerrt anders: Nur die beste Partei kriegt einen höheren Mandats- als Stimmenanteil, alle anderen werden etwas geschrumpft und nur sehr kleine Parteien werden auf 0 reduziert.

Ihren Kritikpunkt, daß die Opposition oft zersplittert und dadurch schwach wird, kann ich aber nachvollziehen. Das perfekte Wahlsystem gibt es nun mal nicht und das ist sicher ein Nachteil. Ich halte den Vorteil einer stabilen Regierungsbildung bei gleichzeitiger Vielfalt im Parlament allerdings für hinreichend, um mit diesem Nachteil leben zu können. Was natürlich nur meine ganz persönliche Wertung ist.
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cyrix
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. September 2016 - 00:17 Uhr:   

Es stellt sich bei allen Vörschlägen, die tendenziell viele kleine und kleinste Gruppierungen im Parlament erzeugen, die Frage, wie diese Grüppchen sinnvoll parlamentarisch arbeiten können sollen.

Das fängt schon bei der Ausschuss-Besetzung an: Soll weiterhin jede Gruppe in jedem Ausschuss vertreten sein? Dann muss man entweder in diesen die Spiegelbildlichkeit aufgeben (was nicht sinnvoll erscheint), oder diese recht groß wählen (was unpraktikabel ist). Also werden wohl in vielen Ausschüssen nicht alle Gruppen vertreten sein. Aber in welchen? Darf man sich das dann aussuchen?

Und wie entwickelt eine solch kleine Gruppe zu jedem möglichen Gesetzesvorschlag eine eigene Meinung bzw. kann sich da aktiv einbringen? In den großen Fraktionen gibt es für alles und jeden passende Fachpolitiker. Aber wie sollen das die kleinen stemmen? Oder sollen die sich nur zu den paar wenigen Fragen sinnvoll äußern, zu denen sie auch was sagen können?

Fragen über Fragen...
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 01. September 2016 - 17:13 Uhr:   

Das sind Fragen, für die es sicher Lösungen gibt. Ich weiß nicht, wie dies in Parlamenten geregelt wird, wo regelmäßig Parteien mit nur einem oder sehr wenigen Abgeordneten sitzen, aber irgendwie wird das z.B. in der Schweiz und Großbritannien gelöst.

Auch in Deutschland gab und gibt es Beispiele für kleine und kleinste Gruppen im Parlament:

- Die 2 Bundestagsabgeordneten der PDS 2002
- Die 1 bis 4 (aktuell 3) Abgeordneten, die der SSW seit Jahrzehnten im Landtag von Schleswig-Holstein hat.
- Die 1 bis 2 Abgeordneten, die eine Partei im Bremer Landtag bekommt, wenn sie nur in Bremerhaven über 5 % kommt (aktuell BIW)
- Die 3 Abgeordneten der BVB in Brandenburg, da diese Partei über ein Grundmandat in den Landtag gekommen ist.

Irgendwie muß es also schon möglich sein, eine parlamentarisch sinnvolle Arbeit auch in kleinen Gruppen zu organisieren.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 03. September 2016 - 15:32 Uhr:   

@tg
Danke für die seltenen Sonderfälle.
Die beiden PDS-MdBs von 2002 durften sich übrigens je einen Ausschuss aussuchen, in dem sie ohne Stimmrecht saßen.
Der SSW ist mit je einem Ausschusssitz übrigens schon stark aufgerundet. Daher sind die 3 Abgeordneten auch mit Ausschüssen zugepflastert, haben fast alle 3 Mitgliedschaften, plus Untersuchungsausschuss, plus plus plus ... es fehlt einfach irgendwann der Spielraum, sich zu spezialisieren.
Ein xy-politischer Sprecher in einer normalen Fraktion deckt üblicherweise ein Themenspektrum ab, das maximal einem Ministerium entspricht, und kann sich da in der Regel auch tiefer einarbeiten, hat ggf. eine Arbeitsgruppe aus Abgeordneten ohne Sprecherposten hinter sich. Zwergfraktionen bzw. Gruppen haben nur Einzelkämpfer, die dann inhaltlich mit 2-3 Ministerien auf Augenhöhe sein müssen.
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Nikolaus
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 04. Oktober 2016 - 17:14 Uhr:   

Meine Anmerkungen für den Beitrag in "Berlin direkt" am Sonntag:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2849978/Berlin-direkt-vom-2-Oktober-2016

Ich stimme Norbert Lammert zu, wenn er sagt, dass der Hinweis auf das nahende Ende der Legislaturperiode genauso wie Selbiger auf ihren Anfang, wie vor drei Jahren vorgebracht, ein formales und vorgeschobenes Argument ist. Wenn man eine Veränderung will, kann man sie jederzeit machen.

Andere Sprüche kann man getrost als Nebelkerzen bezeichnen. So z.B.: "Die Wähler haben einen Anspruch darauf, zu wissen, wie viele Mandate sie verteilen". Das wußten sie noch nie! Denn Überhangmandate waren auch in allen bisherigen Bundestags-Wahlsystemen möglich und sind mit Ausnahme der Zeit von 1965 - 1980 auch regelmäßig angefallen! Und das weiß Lammert auch ganz genau. Er ist seit 1980 im Bundestag und hat vor 2013 noch nie seine Stimme dagegen erhoben. Jetzt führt er plötzlich dieses Argument an.
Vor allem hat sein Vorschlag vom April dieses Problem überhaupt nicht beseitigt! Auch da weiss niemand vorher, wie viele unausgegleichenen Überhangmandate anfallen!
NB: 13 von 16 Landtagswahlgesetzen sehen Überhang- und Ausgleichsmandate vor. D.h., auch hier weiß niemand, wie groß das jeweilige Parlament werden wird. Baden-Württemberg und Berlin haben uns das vor kurzem erst eindrucksvoll vorgeführt.

http://www.heute.de/bundestagspraesident-lammert-fordert-sofortige-reform-des-wahlrechts-45450922.html
"Die Aufgabe eines Wahlsystems besteht darin, sicherzustellen, dass die Wähler wissen, was sie mit ihrer Stimme bewirken".
Richtig. Aber Lammerts eigener Vorschlag vom April genügt eben gerade diesem Anspruch ja nicht, weil er wieder unausgeglichenen Überhang, also Verzerrungen, ermöglicht. Nebenbei macht es ja auch negatives Stimmgewicht wieder wahrscheinlicher. Es sei denn, man kehrt wieder zu den Wahlsystemen von 1949 oder 1953 zurück. Aber das BVerG hat die Obergrenze für Überhangmandate bei 15 gesetzt. Aktuell gibt es aber sicher mehr als 15.
Das jetzige Sitzverteilungssystem mit seiner aufblähenden Wirkung stellt wenigstens sicher, dass der Wählerwille in Bezug auf die Parteien genau abgebildet wird.

Prof. Frank Decker: "Es stellt den Sinn einer Wahl auf den Kopf, wenn eine Partei, die Stimmen verliert, am Ende genausoviele oder sogar noch mehr Mandate bekommt".
Das ist bei jedem Wahlsystem mit Sperrklausel möglich und auch nichts Neues. Auch bei Mehrheits- oder Grabenwahlsystemen ist dieser Effekt immer möglich und wahrscheinlich. Ebenso verhält es sich beim Vorschlag von tg.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler verweist auf die Mehrkosten durch einen größeren Bundestag. Dieses Argument halte ich für vordringlich.

Lammerts Union wollte und will an den vielen Einerwahlkreisen festhalten.
Deshalb haben wir aktuell diese große Ausgleichsmandate-Regelung.
Als Maßnahme zur Verkleinerung des Bundestages fällt ihr nichts besseres ein, als nur die Listenmandate der anderen Parteien zu reduzieren.
Aber erst wenn die Union auf die Pfründe ihrer vielen Einerwahlkreise (mit vielen kanppen Mehrheiten) verzichtet, wird man endlich einen Schritt weiterkommen.
Eine Reduzierung der Zahl der Einerwahlkreise wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
Noch besser wäre aber die Schaffung von Mehrpersonen-Wahlkreisen. Mit Ausnahme von Frankreich praktizieren das alle unsere Nachbarländer so, sieht man einmal von den wenigen Einer-Wahlkreisen in der Schweiz ab (je 6 für National- und Ständerat).
Eine so detaillierte regionale Vertretung wie bisher ist dann zwar nicht mehr garantiert, aber man könnte den Wählern ja Einfluß auf die Listen-Reihenfolge geben und sie damit selbst entscheiden lassen, von wie nah oder fern ihre Abgeordneten herkommen sollen.
Maßnahmen, Wähler zu zwingen, möglichst gleich viele Frauen wie Männer zu wählen, haben sich unbeliebt gemacht. Warum sollte man aber dann z.B. im Kreis Nordsachsen mit seiner Erststimme nur jemanden aus diesem Kreis wählen können, jedoch niemanden aus Leipzig?
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 27. Januar 2017 - 21:24 Uhr:   

Volker Kauder kommt mal wieder mit dem Vorschlag, die Bundestagsgröße auf 630 Sitze zu deckeln.

Wenn Kauder es ernst meint, soll er doch einen Gesetzentwurf vorlegen. Da hätte er große Schwierigkeiten.

Es ist nicht möglich, höchstens 630 Sitze und höchstens ca. 15 unausgeglichene Überhangmandate (Vorgabe BVerfG) gleichzeitig zu garantieren. Das gilt zumindest dann, wenn Direktmandate in jedem Fall zugeteilt werden sollen (und nicht u.U. gestrichen werden können, wie es in Bayern mal der Fall war) und man das Konzept Einerwahlkreis nicht in Frage stellt. Außerdem wäre solch eine Deckelung unvereinbar mit der erst 2013 eingeführten Pseudozuteilung mit den Sitzkontigenten der Länder.

Es ist selbstverständlich locker möglich, dafür zu sorgen, dass der Bundestag 630 Sitze oder weniger hat. Aber das zieht in jedem Fall weitergehende Änderungen nach sich, als sie die Koalition will. Daraus wird also garantiert nichts.
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Bernhard Nowak
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. Februar 2017 - 08:44 Uhr:   

Lammert dringt erneut auf Deckelungsvorschlag zurück: http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/f-a-s-exklusiv-lammert-dringt-auf-aenderung-beim-wahlgesetz-in-letzter-minute-14873857.html
Am Dienstag beraten die Fraktionen erneut.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. Februar 2017 - 11:48 Uhr:   

Wie schon in meinem letzten Beitrag gesagt, ist das unrealistisch. Unausgeglichene Überhangmandate nutzen außerdem am ehesten der CSU. Allein deswegen würde die SPD ablehnen.
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Francisco Jose Grimm
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 02. April 2017 - 14:28 Uhr:   

Das Problem des Verhältniswahlrecht ist dass es teilweise dazu führt was die neue sogenannte Ausgleichsmandate im derzeitigen System zu korrigieren versuchen.

Zum Beispiel, ich wähle CDU, ich stimme mit dem Parteiprogramm zum großen Teil überein. Nach der Wahl muss die CDU eine Koalition mit der SPD bilden und meine Stimme dient dazu dass andere Partei die gegenteilige Politik umsetzen kann für die ich eigentlich gewählt habe, zum Beispiel Steuererhöhungen, Atomausstieg, usw. Vor der Wahl ist mit so vielen Parteien ziemlich unsicher, was meine Stimme letztendlich bewirkt.


Überdies führt die komplexe Koalitionsbildung und Gesetzgebung (Bundesrat und Bundestagsmehrheiten) im Mehrparteiensystem und die Entstehung populistischer Parteien des extremen Spektrum allmählich zu einer Art autoritäres Machtstruktur (die einige hier dem Mehrheitswahlrecht attestieren), wo bestimmten Positionen und Entscheidungen einfach keine Mehrheit in der Mitte haben und deshalb diese Struktur nur bedingt regierungsfähig ist aber die Parteien und Vertreter des mittleren politischen Spektrum sich an der Macht fast so lange verfestigen können wie sie wollen.

Bei einer Mehrheitswahlrecht, hätte Merkel und die Union höchstwahrscheinlich nicht 12 bzw. 16 Jahren in der Regierung überleben können
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 02. April 2017 - 17:14 Uhr:   

Bei der letzten Bundestagswahl gab es die absurde Situation, dass eine Partei mit knapp über 40% fast eine absolute Mehrheit bekommen hätte ...
Mehrheitswahlrecht dagegen hat eine noch verzerrendere Wirkung als die Sperrklausel und vergibt Mandatsmehrheiten teilweise schon an Parteien in den mittleren und hohen Dreißigern.

"Das Problem des Verhältniswahlrecht ist dass es teilweise dazu führt was die neue sogenannte Ausgleichsmandate im derzeitigen System zu korrigieren versuchen." - falsch, sowohl reines Verhältniswahlrecht als auch die Ausgleichsmandate im derzeitigen System verfolgen dasselbe Ziel - nämlich die proportionale Abbildung der Stärke der sperrklauselüberwindenden Parteien im Parlament.
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Good Entity
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 02. April 2017 - 17:44 Uhr:   

Bei einem Mehrheitswahlrecht bei den Bundestagswahlen würde die CDU/CSU unangefochten seit 2005 die Regierung bilden, und zwar allein ohne Koalitionspartner. Sie hat in jeder Wahl seit 2005 die Mehrheit der Wahlkreise gewonnen, 2005 knapp, sonst stets sehr deutlich. Nach den Umfragen hat sie diese deutliche Mehrheit auch jetzt und würde 2017 daher wieder eine Wahl nach dem Mehrheitswahlrecht gewinnen.

Wenn der Wähler nun die SPD wählt, weil er mit ihrem Parteiprogramm überein stimmt, und diese bildet nach der Wahl aufgrund des Wahlergebnisses im Verhältniswahlrecht eine Koalition mit der CDU, so wird die Regierung nicht alle Positionen der SPD umsetzen, aber zumindest doch eine ganze Reihe davon, abhängig von der Stärke der SPD wohl weit mehr als die Hälfte, denn viele Positionen haben beide Parteien auch gemeinsam. Bildet sie nach der Wahl keine Koalition, weil die CDU aufgrund des Mehrheitswahlrechts allein die Regierung bilden kann, so wird die Regierung überhaupt keine Position der SPD umsetzen, die sie nicht auch selbst hat.

Vor der Wahl ist bei einem Mehrheitswahlrecht sogar vollkommen unsicher, ob die Stimme bei der Wahl etwas bewirkt. Als Beispiel die USA: Jeder, der vor der Wahl die Demokraten und Hilary Clinton gewählt hat, wollte sicherlich bestimmte Ziele damit unterstützen oder bewirken. Jetzt nach der Wahl setzt Trump davon absolut nichts um, weil die Demokraten überhaupt nicht die Regierung bilden. Die Stimme des Wählers für die Demokraten hat also nichts bewirkt.

Wenn eine Position "einfach keine Mehrheit in der Mitte" hat, so heißt das nicht, dass die Regierung "nur bedingt regierungsfähig ist", sondern, dass diese Position wohl nur an den politischen Rändern gut gefunden wird und nicht vom Wähler. Dann sollte das auch nicht umgesetzt werden.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 02. April 2017 - 18:08 Uhr:   

@GE
2005 hätte die Union 150/299 Direktmandaten gehabt ... allerdings wurde während der Legislaturperiode auch ein direkt gewählter Abgeordneter aus der Fraktion ausgeschlossen. Das Märchen von der Stabilität ist also nicht haltbar.

Problematisch ist übrigens, dass in etwa gleich große Parteien - wie etwa Grüne und CSU - im Mehrheitswahlrecht stark unterschiedlich viele Mandate erhalten, weil hier absurderweise das Nah-beieinander-Wohnen der Wähler einer Partei belohnt wird.
Ich halte diesen Punkt nicht für förderungswürdig.
Ebensowenig halte ich Belohnungsmechanismen für Gerrymandering für überhaupt nicht sinnvoll, sogar schädlich.
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Francisco Jose Grimm
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 02. April 2017 - 23:39 Uhr:   

@jan W. @Good Entity

Mir fällt auf, wie einfach ihr die Wahlergebnisse dieses Wahlrecht auf ein mögliches Mehrheitswahlrecht übertragen. Glaubt Ihr wirklich bei einem Mehrheitswahlrecht dass eine der grössten zwei Volksparteien die andere Volkspartei als Juniorpartner in der Regierung hätte? Glaubt ihr die Opposition seit 2005, mit einer kurzen Unterbrechung, aus rein Lobbyparteien bestünde?

"Die Stimme des Wählers für die Demokraten hat also nichts bewirkt."

Ja, gerade weil sie die Wahlen verloren haben. Sie werden in 4 Jahren die Möglichkeit haben, demkortatischer Inhälte in der Regierung zu bekommen, ihre Vertreter werden in der Opposition weiter dafür kämpfen ohne andere völlig fremde Politik verantworten zu müssen

"diese Position wohl nur an den politischen Rändern gut gefunden wird und nicht vom Wähler. Dann sollte das auch nicht umgesetzt werden."

Das hat Vor und Nachteile. Der Vorteil ist hauptsächlich mehr Stabilität, der Nachteil ist die Unfähigkeit der Regierung, grundlegende Reformen in eine deutliche Richtung und mit deutlichen Verantwortlichen umzusetzen, was selbst in einer Demokratie, bei einem Mehrheitswahlrecht nicht immer so ist weil die gewählte Regierung letzendlich auch zahlreiche Einschränkungen des Systems hat (Gerichtswesen, Bundesrat usw.). Man bekommt faule Kompromisse oder bestenfalls halbwegs zufriedenstellende kleine Reformen.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 03. April 2017 - 01:17 Uhr:   

Ja genau, Mehrheitswahlrecht schafft Mehrheiten, wo keine sind. Und vor allem gestaltet sie das Parteiensystem um und lenkt mehr Menschen weg von der bevorzugten Partei hin zu einer aussichtsreicheren, als eine Sperrklausel das tut.
Im US-Repräsentantenhaus dreht das System manchmal sogar Mehrheiten um.

Die kleinen Parteien als Lobbyparteien zu verunglimpfen find ich perfide.
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Good Entity
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 03. April 2017 - 21:12 Uhr:   

Politiker, die als "deutlich Verantwortliche grundlegende Reformen in eine deutliche Richtung" lenken? Und Du, @Francisco Jose Grimm, siehst es als Nachteil, dass das System da so zahlreiche Einschränkungen wie Gerichtswesen, Bundesrat hat? Echt?

Wir benötigen Politiker, die zumindest in der Lage sind, in ihrer Regierung mit abweichenden Meinungen zu arbeiten. Der erste Test für jede Reform und jede politische Maßnahme ist es, ob die eigenen Verbündeten und nahestehenden Gruppen überzeugt werden können. Das kann insbesondere auch ein Koalitionspartner sein. Wenn das schon nicht klappt, ist entweder die Idee falsch oder die Leute, die dahinter stehen, können es nicht. Und in beiden Fällen ist es sehr gut, es ganz zu lassen. Und das gilt ganz besonders für "grundlegende Reformen in eine deutliche Richtung".

Dein erster Absatz ist etwas wirr. Warum hätte bei Mehrheitswahlrecht die CDU als Wahlsieger einen Koalitionspartner nehmen sollen? Sie hätte doch ganz allein die Mehrheit aller Wahlkreise gehabt, und zwar bei jeder Bundestagswahl der letzten 12 Jahre, und mit Ausnahme von 2005 sogar sehr deutlich. In der Opposition kämpft dann unentwegt und seit 12 Jahren erfolglos die SPD, der Rest hat eine Handvoll Mandate und löst sich wohl früher oder später auf, worauf auch @Jan W. hinweist. Und ein eigentlich "grün" orientierter Politiker ist dann gezwungen, eine ihm völlig fremde Politik in der SPD oder der CDU zu verantworten, wenn er denn überhaupt mal irgendwo etwas verantworten will.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 03. April 2017 - 22:46 Uhr:   

@GE
Ein Beispiel sind übrigens die Grünen im Vereinigten Königreich: da gab es bei Europawahlen ja das Verhältniswahlrecht und die <1%-Partei lag da im oberen einstelligen Bereich.
Die künstliche Verengung macht übrigens die Nominierungen konfliktreicher und verbreitert dann ggf. auch die Spannbreite der Parteien. Und erhöht so auch die Zahl der Abweichler.

Ein Beispiel ist auch die Wi(e)derwahl des Oppositionschefs bei der Labour Party. Der Mann wäre vermutlich in Deutschland in der Linkspartei ist aber durchs Mehrheitswahlrecht in die Labourpartei gedrängt worden. Nachdem ihm 80% der eigenen Fraktion das Misstrauen ausgesprochen haben, wurde er von der Basis komfortabel wiedergewählt.
Ich finde, solche Effekte der "heimlichen und schleichenden Zwangsfusion" von Parteien sorgen für andere Instabilitäten.
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Francisco Jose Grimm
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 04. April 2017 - 01:43 Uhr:   

@Good Entity
"siehst es als Nachteil, dass das System da so zahlreiche Einschränkungen wie Gerichtswesen, Bundesrat hat? Echt?"

Sie haben es nicht richtig verstanden, Ich habe gesagt, selbst ein MehrheitsWR, führt (in einer Demokratie) nicht zu einer uneingeschränkten Macht der Regierung und schon gar nicht zu autoritärische Verhältnise wie Sie in anderem Kommentar angedeutet hatten, was völlig in Ordnung ist, bei einer VerhältnisWR wird "Durchregieren" aber noch schwieriger

"Wenn das schon nicht klappt, ist entweder die Idee falsch oder die Leute, die dahinter stehen, können es nicht. Und in beiden Fällen ist es sehr gut, es ganz zu lassen. Und das gilt ganz besonders für "grundlegende Reformen in eine deutliche Richtung""

Das kann ich nicht zustimmen und darin besteht das Problem.

Zuerst muss es klar sein, dass ein MehrheitsWR nicht mit einer Stärkung der politischen Ränden gleichgestellt werden muss, ganz im Gegenteil.

Zweitens, es ist richtig eine gewisse Kompromissbereitschaft der Parteien zu erwarten, aber selbst die vemeintlichen Volksparteien sind bei vielen Themen ideologisch geprägt oder sind aus parteitaktischen Gründen nicht in der Lage, Massnahmen ohne absurde und völlig unnötige zusätzliche Belastungen Verordnungen usw zu ergreifen.

Dass heisst, wenn zwei Parteien mit zum Teil sehr unterschiedliche Positionen, eine ganz überfällige Reform anpacken (müssen), führt das Ergebnis nicht zur besten und unkomplizierten Lösung sondern es entsteht eine Mischung aus gesichtswahrende Kompromisse die vielleicht die jeweiligen Parteibasis zufriedenstellt und bestenfalls die minimale Ziele erfüllt aber verbunden mit zusätzliche unnötige Belastungen und Bürokratie für die Wähler. Beispiele hierfür gibt es reichlich in der deutschen Gesetzgebung, englang des gesamten Spektrum und mit jährliche milliardenkosten.

Drittens, wenn es nicht klappt könnte es falsch oder eben doch nicht, aus Scheitern und Fehler kann man auch lernen oder? nur weil bestimmte Interessengruppen etwas nicht gefällt ist es nicht gut etwas ganz zu lassen oder? Manchmal ist es vielverprechender und wertvoller etwas zu wagen als einfach nichts tun


"Dein erster Absatz ist etwas wirr. Warum hätte bei Mehrheitswahlrecht die CDU als Wahlsieger einen Koalitionspartner nehmen sollen?"

Tatsächlich habe ich das behauptet, bei einem MehrheitsWR, hätte die Union nicht die andere grosse Volkspartei und grösster polisitscher Gegner in der Regierung geholt, sie hätte allein die Regierung gestellt aber in der Opposition hätte die SPD viel stärker zugewinnen können und viel bessere Chancen gehabt, die Wahlen in 2009, 2013 und 2017 zu gewinnen. Merkel wäre vermutlich seit langem Geschichte
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Good Entity
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 07. April 2017 - 14:14 Uhr:   

" in der Opposition hätte die SPD viel stärker zugewinnen können und viel bessere Chancen gehabt, die Wahlen in 2009, 2013 und 2017 zu gewinnen. Merkel wäre vermutlich seit langem Geschichte" (@Francisco Jose Grimm)

Nein. Die SPD war von 2009 bis 2013 in der Opposition. Sie hat anschließend die Wahl verloren. Angela Merkel wurde 2013 erneut gewählt und hätte auch bei Mehrheitswahlrecht erneut die absolute Mehrheit der Wahlkreise gewonnen, ebenso wie 2009. Sie ist keineswegs Geschichte, die SPD hatte offensichtlich auch keine besseren Chancen, aus der Opposition heraus zu gewinnen.

"aus Scheitern und Fehler kann man auch lernen oder?" Durchaus. Wenn eine Regierung aber in einem Land mit der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung von Deutschland über 4 Jahre scheitert und Fehler macht, und zwar bei "überfälligen Reformen", kann das rasch in eine wirtschaftliche Katastrophe führen. Da geht es dann nicht um einen Flughafen, an dem Jahre nach der geplanten Öffnung nichts fliegt, weil einige Verantwortliche "scheitern und Fehler machen und daraus lernen (hoffentlich)". Es geht auch nicht um ein kleines Bundesland wie Bremen, wo es den für Schulen und Bildung zuständigen Politikern geradezu kontinuierlich gelingt, zu scheitern und Fehler zu machen. Da kann der Rest der Bundesrepublik mit klarkommen, auch wenn der Lerneffekt der Politiker in Bremen sich der Bildungslandschaft anpasst.

In der Schweiz wird traditionell die Regierung durch eine Koalition aus den vier größten Parteien gebildet. Eine kirchlich, eine wirtschaftlich (FDP), eine links (SP), eine rechts (SVP). Eine solche Konsensdemokratie muss kein Vorbild für andere sein und steht sicherlich auch modernisierenden gesellschaftlichen Tendenzen eher zurückhaltend gegenüber, aber sie funktioniert offensichtlich ohne gravierende Katastrophen. Die von Dir genannten Probleme treten in der Schweiz nicht ein.

Belastungen und Bürokratie für den Bürger entstehen nicht durch Koalitionsregierungen, sondern durch politischen Murks. Das schafft auch eine Partei allein, bei beliebigem Wahlrecht.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 08. April 2017 - 17:14 Uhr:   

"Angela Merkel wurde 2013 erneut gewählt und hätte auch bei Mehrheitswahlrecht erneut die absolute Mehrheit der Wahlkreise gewonnen, ebenso wie 2009."
Bei fundamental anderem Wahlsystem hätten sich Parteien und Wähler anders verhalten. Von daher sind solche Aussagen immer sehr zweifelhaft.

"Belastungen und Bürokratie für den Bürger entstehen nicht durch Koalitionsregierungen, sondern durch politischen Murks. Das schafft auch eine Partei allein, bei beliebigem Wahlrecht."
Richtig. Griechenland hatte Jahrzehnte so gut wie keine Koalitionsregierungen. Von 1967 bis 1974 gab es zwei Militärregierungen, danach gab es bis 2011 fast immer eine Einparteien-Mehrheitsregierung, die "durchregieren" konnte. Es hat dem Land offensichtlich nicht genutzt. Oft ist sich eine Regierungspartei ja auch selbst nicht einig. Cameron hatte die Mehrheit im Unterhaus und wollte gar nicht raus aus der EU, trotzdem hat er auf Druck eines Teils seiner Partei ein Referendum versprochen und dabei verloren. 1975 wollte die Mehrheit von Labour raus aus der EG, Labour-Premier Wilson aber nicht, und setzte ein Referendum an.

"Eine solche Konsensdemokratie muss kein Vorbild für andere sein und steht sicherlich auch modernisierenden gesellschaftlichen Tendenzen eher zurückhaltend gegenüber, aber sie funktioniert offensichtlich ohne gravierende Katastrophen."
Die Zurückhaltung gegenüber linken Experimenten und ist sicher der wichtigste Grund für den Erfolg der Schweiz. In der Schweiz ist es auch nicht in erster Linie das Wahlrecht, das "Durchregieren" erschwert, sondern der Föderalismus und vor allem die direkte Demokratie.

(Beitrag nachträglich am 08., April. 2017 von frings editiert)

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