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Archiv bis 14. Oktober 2015

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Europawahl in Deutschland / Europawahlen in den EU-Mitgliedstaaten » Reform des Europawahlrechts » Archiv bis 14. Oktober 2015 « Zurück Weiter »

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Ratinger Linke
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Veröffentlicht am Mittwoch, 07. Oktober 2015 - 02:45 Uhr:   

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Martial00120
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 07. Oktober 2015 - 10:42 Uhr:   

@Ratinger Linke und andere

Das heisst, man könnte/müsste mit einer Verfassungsbeschwerde das Ratifizierungsgesetz angreifen? Hat das schon mal jemand in einem anderen Kontext geschafft?
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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 07. Oktober 2015 - 11:50 Uhr:   

@Ratinger Linke,

das der Direktwahlakt in einem besonderen Verfahren verabschiedet wird (auch unter Beteiligung nationaler Parlamente), bedeutet aber nicht, dass er nationalem Recht unterliegt. Die nationalen Parlamente handeln hier vielmehr als Beteiligte an einem EU-Gesetzgebungsakt. Sie unterliegen hierbei nur europäischen Recht - nicht nationalen Recht.

Im übrigen gehen durch den Direktwahlakt auch keine Befugnisse auf die EU über. Vielmehr erfolgte die Übertragung der Befugnisse bereits durch Art. 223 AEUV, dem Bundestag und Bundesrat durch Zustimmung zum Vertrag von Lissabon mit qualifizierter Mehrheit zugestimmt haben.

Art. 223 AEUV ermächtigt die EU zum Erlass des Direktwahlakts durch besonderes Gesetzgebungsverfahren. Die Übertragung dieser Kompetenz ist bereits erfolgt. Wenn die EU von einer bereits auf sie übertragenen Kompetenz Gebrauch macht nimmt sie lediglich ein ihr bereits übertragenes Recht war (ähnlich wie es keine Übertragung einer Kompetenz von die Länder auf den Bund darstellt, wenn der Bund von einer bislang ungenutzten konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht).

Daher reicht auch die einfache Mehrheit im Bundestag und Bundesrat für den Direktwahlakt aus, da durch diesen keine Kompetenz auf die EU übertragen wird, sondern die EU lediglich eine ihr bereits durch die Verträge übertragene Kompetenz wahrnimmt.

Welche Folgerungen das BVerfG aus einem solchen Direktwahlakt zieht, bleibt natürlich im Überlassen. Auf Grund der grundsätzlichen Verpflichtung nationaler Behörden und Gerichte zur effektiven Durchsetzung des Europarechts wäre jedwedes Urteil des BVerfG, dass bezüglich des deutschen Ausführungsgesetz zur Direktwahlverordnung deren Zweck potenziell beeinträchtigt europarechtlich problematisch. Denn die nationalen Behörden sind verpflichtet die Durchsetzung des Europarechts weitest möglich zu gewährleisten (Effet utile).

Insofern wäre lediglich ein Urteil des BVerfG, dass den nationalen Gesetzgeber den vollen Umsetzungsspielraum belässt europarechtlich unproblematisch. Ein Urteil hingegen, dass den nationalen Gesetzgeber zu einer Umsetzung zwingt, die den europarechtlich gewünschten Effekt am wenigsten fördert (wie ihr Vorschlag) ist sowohl europarechtlich wie verfassungsrechtlich problematisch. Zum einen würde Deutschland damit die europarechtliche Entwicklung konterkarieren und seine Loyalitätspflicht sehr weitgehend unterlaufen, zum anderen gibt es auch ein Gebot verfassungsrichterlicher Zurückhaltung und der Anerkennung des Primats des Gesetzgebers. Wenn der Gesetzgeber also nur eine einzige Möglichkeit gegeben wird eine Vorgabe umzusetzen, sinkt dessen Rolle ja faktisch auf das eines bloßen Ausführungsgehilfen des BVerfG herab, welches sich seinerseits zum Ersatzgesetzgeber aufschwingen würde. Das wäre wiederum mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht zu vereinbaren.

Von daher spricht aus meiner Sicht einiges dafür, dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen Ausführungsspielraum belässt. Entweder indem es sich zu einer europarechtsfreundlichen Haltung durchringt und akzeptiert, dass die Einführung einer Sperrklausel bis zu 5 % nun europarechtlich verankert ist und damit einer verfassungsrechtlichen Überprüfung entzogen ist oder indem es zumindest das Wahlrecht des Gesetzgebers hinsichtlich der Einführung eines oder mehrerer Wahlgebiete anerkennt und nur hinsichtlich der Sperrklausel auf die Wahl der geringstmöglichen von 3 % besteht.



@Martial00120,

der Direktwahlakt ist kein neuer völkerrechtlicher Vertrag, durch den eine Kompetenz auf die EU übertragen wird. Vielmehr erfolgte die Übertragung durch Art. 223 AEUV, dem Bundestag und Bundesrat durch den Vertrag von Lissabon mit qualifizierter Mehrheit zugestimmt haben.

Insofern handelt es sich auch nicht um eine Ratifizierung von neuen Verträgen (EU-Primärrecht), sondern lediglich um die Verabschiedung von EU-Sekundärrecht. Die Ermächtigung für den Erlass findet sich bereits im EU-Primärrecht (Art. 223 AEUV).

Das die nationalen Parlamente beteiligt sind, ergibt sich aus der Festschreibung eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens in Art. 223 AEUV. Das ändert allerdings nichts daran, dass es sich bei dem Direktwahlakt um reines Europarecht handelt, dessen Zulässigkeit sich nach reinen Europarecht richtet.

Insofern dürfte der Direktwahlakt selbst auf Grund des Anwendungsvorrangs des Europarechts, den das BVerfG in der Solange II-Entscheidung ausdrücklich anerkannt hat, nicht verfassungsgerichtlich angreifbar sein.

Änderungen der EU-Verträge sind hingegen genuine völkerrechtliche Verträge die verfassungsgerichtlich angegriffen werden können, soweit ein Kläger die Verletzung seiner Grundrechte durch die Vertragsänderungen geltend macht (für die Klagebefugnis ist hierbei ausreichend, dass eine solche Verletzung als möglich erscheint, insofern werden Vertragsänderungen in Deutschland ja inzwischen regelmäßig durch das BVerfG überprüft).
Die Staatspraxis in Deutschland geht inzwischen dahin, dass die Verfassungsbeschwerden oder Klagen in der Regel schon nach Verabschiedung der Vertragsänderungen durch Bundestag und Bundesrat, aber vor Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten (und damit vor Inkrafttreten) erhoben werden können.

Bei sonstigen Gesetzen ist dies nicht der Fall, da der Bundespräsident ja selbst eine Prüfungskompetenz für Gesetze beansprucht (streitig ob beschränkt auf formelle Verfassungswidrigkeit oder auch evidente materielle Verfassungswidrigkeit) und daher unklar ist, ob er verabschiedete Gesetze auch ausfertigt und verkündet (Art. 82 GG) oder nicht. De facto verweigert der Bundespräsident zwar nur in sehr wenigen Fällen die Ausfertigung (einige Bundespräsidenten haben diese sogar nie verweigert), aber rein verfassungsrechtlich ist dies keineswegs eine Formalie, sondern nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ein elementarer Bestandteil des Gesetzgebungsprozesses - der also erst mit Ausfertigung und Verkündung abgeschlossen ist, weshalb grds. auch erst dann Rechtsmittel gegen ein Gesetz eingelegt werden können.

Bei völkerrechtlichen Verträgen besteht allerdings folgendes Problem: Sobald diese international einmal in Kraft getreten sind (Hinterlegung der Ratifikationsurkunde), sind die Staaten untereinander verpflichtet diese einzuhalten - unabhängig davon ob sie mit ihrem nationalen Verfassungsrecht übereinstimmten. Kündigungsmöglichkeiten sehen heutzutage viele völkerrechtliche Verträge nicht mehr vor.

Insofern kann eine Situation entstehen, in dem das BVerfG einen völkerrechtlichen Vertrag zwar für verfassungswidrig erklärt und die Bundesrepublik daher im Rahmen des nationalen Rechts zur Nichtanwendung verpflichtet ist, sie aber völkerrechtlich weiter zur Anwendung des Vertrages gegenüber den anderen Staaten verpflichtet ist.

Da das Völkerrecht faktisch kein isolierter Rechtskreis ist, der mit dem nationalen Recht nichts oder wenig zu tun hat, entstünde so eine unlösbare Pflichtenkollision.

Aus dem Grund erlaubt das BVerfG daher Verfassungsbeschwerden und Klagen schon nach Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat. Die Bundespräsidenten warten inzwischen häufig mit der Unterzeichnung bis zur Entscheidung aus Karlsruhe (um so die Entstehung einer Pflichtenkollision zu vermeiden).

Bislang hat das BVerfG noch keinen einzigen der europäischen Vertragsänderungen für verfassungswidrig erklärt, auch wenn es immer wieder Grenzen für die europäische Integration formulierte und eine restriktive Auslegung der europäischen Verträge präferiert (ganz anders allerdings der EuGH).

Auf Grund dieser Tradition einer insgesamt - trotz einiger verbaler Bedenken - europarechtsfreundlichen und völkerrechtsfreundlichen Rechtsprechung, ist nicht zu erwarten, dass das BVerfG wirklich effektiv sich der weiteren europäischen Integration in den Weg stellt - auch wenn dies nicht nur zur Entmachtung des Nationalstaats und zum Bedeutungsverlust für das Grundgesetz, sondern auf Grund der Strukturen der EU zu einer fortschreitenden Ent-Demokratisierung führt).

Da dieser Prozess von den politischen Eliten - der auch die Verfassungsrichter entstammen - gewollt wird, kann man nicht ernsthaft erwarten, dass das BVerfG diesen Prozess stoppt. Das ist eine Frage, die letztlich durch die Politik in unserem Land und in anderen europäischen Ländern entschieden wird, nicht durch die Verfassungsgerichtsbarkeit.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 07. Oktober 2015 - 22:08 Uhr:   

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Marc
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Veröffentlicht am Mittwoch, 07. Oktober 2015 - 23:55 Uhr:   

@Ratinger Linke,

da geht gerade einiges durcheinander: Pflichtenkollision besteht bei völkerrechtlichen Pflichten, die im Gegensatz zu nationalen Recht stehen. Das GG sieht hier den Vorrang des nationalen Rechts vor - es sei denn es handelt es sich um eine allgemeine Regel des Völkerrechts (Art. 25 GG). Insofern würde nationales Recht vorgehen. Und rein machtpolitisch gibt es jedenfalls in den meisten Fällen wenig Möglichkeiten für andere Staaten Deutschland zu einem anderen Verhalten zu zwingen. Allerdings sind solche Fälle selten und werden tunlichst vermieden.


Eine ganz andere Ebene ist das Europarecht. Für das Europarecht erkennt Art. 23 GG selbst einen Anwendungsvorrang - selbst gegenüber dem Grundgesetz an (jedenfalls solange ein im wesentlich vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist). Und das gilt auch für den Direktwahlakt als EU-Verordnung (und damit Teil des europäischen Sekundärrechts). Bislang existiert keine Regelungen für eine Sperrklausel im europäischen Recht. Diese wird ja erst diskutiert. Daher stellte sich bei der bisherigen Entscheidung des BVerfG diese Frage noch nicht.

Der Direktwahlakt ist Teil des Europarechts. Er wird allerdings gemäß Art. 223 AEUV in einem besonderen Verfahren verabschiedet (Zustimmung von Europäischen Parlament, Rat und (das ist das besondere) einer weiteren gesonderten Zustimmung der Mitgliedstaaten). Das ändert allerdings nicht an seinem Charakter als europäisches Recht.

Das Europarecht kann jedoch nicht regeln welches Organ der Mitgliedstaaten diese gesonderte Zustimmung erteilt. Da es keine europarechtlichen Vorgaben hierfür gibt verweist Art. 223 AEUV darauf, dass diese Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit deren nationalen Vorschriften erteilt wird. Nach der demokratischen Verfassungstruktur sämtlicher Mitgliedstaaten kann eine Zustimmung jeweils nur durch entsprechende Parlamentsgesetze erfolgen - wobei je nach Mitgliedstaat ja verschiedene Zustimmungserfordernisse bestehen können (Zustimmung zweier Parlamentskammern oder auch nur einer, besondere Verfahrensvoraussetzunge, u.U. sogar Volksabstimmungen, etc.). Der Verweis ist m.E. nach allerdings nur auf das nationale Verfahrensrecht für die Zustimmung gemünzt, nicht auf den Inhalt des Direktwahlakts, der nur europarechtlich überprüfbar ist.

Insofern haben die Mitgliedstaaten bzw. deren nationale Parlamente im Fall der Abstimmungen nur zwei Optionen: Annahme oder Ablehnung. Änderungen sind in diesem Verfahrensschritt nicht möglich und auch keine verfassungsrechtliche Überprüfung in den Mitgliedstaaten selbst, da es sich um Europarecht handelt, dass der Überprüfbarkeit durch nationale Verfassungsgerichte entzogen ist.

Sperrklauseln sind im Übrigen auch nicht unbedingt desintegrierend. Für den Weimarer Reichstag galt keine Sperrklausel. Die Folge war eine völlige Zersplitterung der Parteienlandschaft und ein ständig instabiles Regierungssystem mit häufigen Regierungswechseln. Dieses System war hochgradig dysfunktional und nicht in der Lage verschiedene politische Strömungen der Bevölkerung von ganz links bis ganz rechts in den neuen demokratischen Staat zu integrieren. Vielmehr wirkte die Dysfunktionalität des Systems selbst desintegrierend.

Zu Ihren historischen Ausführungen: Auch historisch war es nicht üblich sämtliche Meinungsverschiedenheiten, Vertragsverletzungen und "Pflichtenkollisionen" durch Krieg zu lösen. Zum einen bestanden in vordemokratischer Zeit viele dieser Probleme gar nicht. Völkerrechtliche Verträge galten und entgegenstehendes nationales Recht wurde schlicht und ergreifend nicht erlassen oder durch die Herrscher geändert. Erst durch das Auseinderklaffen von Exekutive und Legislative entsteht in der Regel überhaupt erst das Problem.
Zum anderen befand sich auch vor 1914 Europa nicht im permanenten Kriegszustand. Der Dreißigjährige Krieg war die längste Kriegsperiode in der neueren europäischen Geschichte - und dessen Ende im Übrigen die Geburtsstunde des Völkerechts als zwischenstaatliches Recht (Westpfähliches System). Dieser erlaubte zwar die Führung von Krieg als Konfliktlösungsinstrument für die Auseinandersetzung zwischen Staaten. In der Praxis wurden aber die allermeisten Konflikte diplomatisch gelöst.
Seit dem Briand-Kellog-Pakt (1928) ist der Angriffskrieg verboten. Dies ist auch in Art. 2 der UN-Charta (1945) festgeschrieben. Tatsache ist aber dass auch nach 1945 zahlreiche zwischenstaatliche Kriege geführt wurden und in den meisten Fällen einer der Staaten als Angreifer ausgemacht werden kann. Insofern hat sich zwar die vökerrechtliche Lage verändert, die Staatspraxis hingegen hat sich weniger stark geändert.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Oktober 2015 - 01:01 Uhr:   

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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Oktober 2015 - 10:50 Uhr:   

@Ratinger Linke,

ich stimme Ihnen zu, dass die Nichtrepräsentanz der politischen Auffassungen erheblicher Teile eines Staatsvolks auf Grund von Sperrklauseln desintegrativ wirken kann. Das ist aber dann auch immer eine Frage der Höhe der Sperrklausel (die 10%-Sperrklausel in der Türkei hat ohne Zweifel desintegrative Tendenzen, wobei diese Form der Sperrklausel nicht Ursache, sondern Folge der tradierten autoritären Strukturen der Türkei sind). Eine zunehmende Zersplitterung der politischen Landschaft kann allerdings auch desintegrativ wirken (indem sie zur politischen Totalblockade führt). Gerade der Zersplitterung wirkt eine Sperrklausel entgegen, so dass sie eben auch integrative Wirkungen haben kann. Ich stimme Ihnen zu, dass die möglichen desintegrativen Folgen der Sperrklausel durch Alternativstimmen gemildert werden können und sie so noch besser integrierend und stabilisierend wirken könnte.

Zum Bundesrat: Das BVerfG trifft in seinem Urteil zur Stimmabgabe im Bundesrat keine Feststellungen zur Struktur der Landesregierungen (dies obliegt den Landesverfassungen). Es legt lediglich Art. 51 GG aus, der die einheitliche Stimmabgabe eines Landes vorschreibt.

Theoretisch sind natürlich auch andere Konstruktionen möglich (Senatsmodell - was auch unterschiedliche Stimmabgaben von Senatoren aus einem Bundesland erlaubt - diese könnten von den Landesregierungen oder Landesparlamenten nach Stärke der Fraktionen in den Landesparlamenten oder direkt vom Volk gewählt werden (gegebenenfalls in Mehrpersonenwahlkreisen, usw.; es sind viele Modelle denkbar). Das geltende Grundgesetz sieht in Art. 51 Abs. 3 GG aber die einheitliche Stimmabgabe vor. Und nichts anderes hat das BVerfG festgestellt (in dem Punkt im Übrigen einstimmig, unterschiedliche Meinungen gab es in der Frage, ob Brandenburg am Ende einstimmig abgestimmt hat, was die deutliche Mehrheit der Verfassungsrichter aus guten Gründen verneint hat). Die Landesregierungen entscheiden im Übrigen selbst wie viele Vertreter sie in den Bundesrat entsenden und ob sie Vertreter abberufen. Nur im Bundesrat selbst gelten eben nur die Vorgaben des Grundgesetzes, die keine unterschiedlichen Rang der Vertreter der Länder vorsehen.

Natürlich kann das Bundesverfassungsgericht das Verfahren zum "Zustimmungsgesetz" zum Direktwahlakt in Deutschland überprüfen, da für dieses Verfahren schon Art. 223 AEUV auf die nationalen Bestimmungen verweist. Nur inhaltlich ist es Europarecht und daher inhaltlich auch nur an europarechtlichen Vorgaben zu messen. Denn durch Art. 223 AEUV wurde bereits die Kompetenz zum Erlass von Rechtsakten zur Europawahl an die EU übertragen (und zwar mit der erforderlichen verfassungsändernden Mehrheit), so dass für den Inhalt der Bestimmungen des Direktwahlakts nicht mehr das Grundgesetz selbst, sondern gemäß Art. 23 GG nur ein im wesentlichen, vergleichbarer Grundrechtsschutz geboten ist. Und gemäß der Solange II-Rechtsprechung ist diese gegenwärtig durch das Europarecht und die Rechtsprechung des EuGH gewährleistet. Die Gleichheit der Wahl gehört nicht zu den im Europarecht verankerten Grundsätzen. Das hat das BVerfG in seiner Lissabon-Entscheidung zwar als Defizit bezeichnet und hierbei von einer "Überföderalisierung" gesprochen. Es ändert aber nichts, dass es die Verträge dennoch als verfassungsgemäß beurteilt hat. Damit hat das BVerfG entschieden, dass der Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht zu einem im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz im Sinne von Art. 23 GG gehört. Eine Abweichung von dieser Linie wäre ein Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung und würde die europäische Integration beeinträchtigen, die nach wie vor zum Elitenkonsens in diesem Land gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das BVerfG diesen Schritt gehen wird.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Oktober 2015 - 15:41 Uhr:   

Im Entwurf steht folgender Wortlaut:

...eine verbindliche Schwelle zwischen 3 % und 5 % für die Verteilung der Sitze in Mitgliedstaaten mit nur einem Wahlkreis und in Wahlkreisen, in denen eine Listenwahl stattfindet und es mehr als 26 Sitze gibt, einzuführen...

Wer solch eine Klausel befürwortet, sollte sich auch für eine Vorgabe stark machen, wie viele Wählerstimmen/-prozente bei der Sitzvergabe mindestens zu berücksichtigen sind. Bei einer Sperrschwelle von 3% und einer Mindestanzahl von 94% der zu berücksichtigenden gültigen Wählerstimmen hätte das auf das Wahlergebnis 2014 z. B. folgende Auswirkung gehabt:

Europawahl 2014 Anzahl % berücksichtigte Wählerstimmen %

CDU 8.812.653 (30,02%) 8.812.653 (30,02%)
SPD 8.003.628 (27,26%) 16.816.281 (57,29%)
GRÜNE 3.139.274 (10,69%) 19.955.555 (67,98%)
DIE LINKE 2.168.455 (7,39%) 22.124.010 (75,37%)
AfD 2.070.014 (7,05%) 24.194.024 (82,42%)
CSU 1.567.448 (5,34%) 25.761.472 (87,76%)
FDP 986.841 (3,36%) 26.748.313 (91,12%)
FW FREIE WÄHLER 428.800 (1,46%) 27.177.113 (92,58%)
PIRATEN 425.044 (1,45%) 27.602.157 (94,03%)
Die Tierschutzpartei 366.598 (1,25%) 27.968.755 (95,28%)
NPD 301.139 (1,03%)
FAMILIE 202.803 (0,69%)
ödp 185.244 (0,63%)
Die Partei 184.709 (0,63%)

Die Parteien/Listen von CDU bis FDP werden berücksichtigt, denn sie übersteigen die Sperrschwelle von 3%. FW und PIRATEN liegen zwar unter 3%, doch da die Mindestschwelle von 94% der Wählerstimmen ohne sie in beiden Fällen noch nicht erreicht ist, werden sie ebenfalls berücksichtigt. Tierschutzpartei, NPD, FAMILIE, ödp und DIE Partei bleiben bei der Sitzvergabe jedoch unberücksichtigt, da die Mindestanzahl von 94% der Wählerstimmen auch ohne sie erfüllt ist.

Dadurch verliert die Sperrklausel ihre abschreckende/ausschließende Wirkung und der politische Wettbewerb gewinnt gerade bei den kleineren Parteien an Bedeutung. Damit wäre das beschriebene Ziel einer Zersplitterung entgegen zu wirken, ebenfalls erreichbar. Doch ist den etablierten Parteien nur daran gelegen? Geht es ihnen nicht eher darum, ihre Monopolstellung auszubauen und unliebsame Konkurrenz auszuschließen? Wir werden es sehen!
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 08. Oktober 2015 - 22:59 Uhr:   

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Marc
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 09. Oktober 2015 - 11:51 Uhr:   

@Ratinger Linke,

bei der Sperrklauselentscheidung gab es aber noch keine europäischen Regelungen zu dieser Frage - so dass diese allein nationalen Recht unterstand. Sobald es hierzu aber eine verbindliche europäische Regelung gibt, gilt diese und geht nationalen Recht vor.

Art. 51 GG unterstellt gar nichts, sondern regelt nur, dass die Bundesländer nur einheitlich abstimmen können. Die Landesregierungen entsenden die Vertreter des Landes, die auf die Zahl der Stimmen des jeweiligen Landes im Bundesrat begrenzt ist. Ein Bundesland ist verfassungsrechtlich gemäß Art. 51 Abs. 3 GG nicht einmal verpflichtet mehrere Vertreter (in Höhe der jeweiligen Stimmzahl) zu benennen (auch wenn das Staatspraxis ist). So kann ein Bundesland auch bloß einen Vertreter entsenden, der dann alle Stimmen des Landes abgibt. Die Staatspraxis im Bundesrat ist ja ohnehin, dass nur ein Vertreter des jeweiligen Landes alle Stimmen für das Land einheitlich abgibt und nicht alle Vertreter einheitlich Ja oder Nein rufen.

Es ist insofern allein Sache der Landesregierungen durch Auswahl der Vertreter eine einheitliche Repräsentanz des Landes im Bundesrat sicherzustellen oder dies - etwa aus koalitionstechnischen Gründen - gerade nicht zu tun (um sicherzugehen, dass Absprachen zwischen den verschiedenen Regierungsparteien zum Abstimmungsverhalten im Bundesrat auch eingehalten werden). Das GG verhält sich zu dieser Frage völlig neutral und überlässt es den Landesregierung durch die Auswahl ihrer Vertreter sich für das ein oder andere Modell zu entscheiden.

Die einzige Vorgabe für die Vertreter ist, dass diese Mitglieder der Landesregierung sein müssen und das es pro Bundesland mindestens einen entsandten Vertreter gibt. Diese Voraussetzungen wären selbst im theoretischen Fall eines Präsidialsystems in einem Bundesland mit Miniregierung für jede Landesregierung erfüllbar.

Zur Desintegration: Vollständige Integration von allen kann es in einem repräsentative System rein denklogisch nicht geben, da ansonsten die Parlamente so groß sein müssten wie die wahlberechtigte Bevölkerung (was in der Folge dann aber gerade kein repräsentatives System, sondern ein direkt-demokratisches System wäre).

Auch eine natürliche Sperrklause auf Grund der Größe des jeweiligen Parlaments ist eine Sperrklausel mit einer gewissen desintegrativen Wirkung. Tendenziell gilt: Desto höher die Sperrklausel ist, desto größer ist die desintegrative Wirkung - und je größer die desintegrierte Gruppe ist, desto größer sind tendenziell die gesellschaftlichen Spannungen (das ist nunmal auch eine numerische Frage. Wenn ein Staat eine kleine Sekte verbietet hat er maximal ein paar Schwierigkeiten mit Gewalttaten fanatischen Sektenanhänger, versucht er eine in seinem Staatsgebiet sehr anhängerstarke Religionsgemeinschaft zu verbieten riskiert er einen Bürgerkrieg). Umgekehrt: Desto geringer die Hürden sind (niedrige Sperrklausel oder nur "natürliche Sperrklausel"), desto größer die politische Zersplitterung (die ebenfalls desintegrative Wirkungen haben kann).

Im Ergebnis bleibt sofern man beide Ziele (Integration und Verhinderung von Zersplitterung) als Ziel verfolgt ist nur eine Kompromisslösung möglich, die - wie jeder Kompromiss - angreifbar ist, insbesondere von denjenigen, die nur eine der beiden Zielsetzungen für wünschbar halten.
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Ratinger Linke
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Veröffentlicht am Freitag, 09. Oktober 2015 - 13:23 Uhr:   

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Marc
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Veröffentlicht am Freitag, 09. Oktober 2015 - 14:10 Uhr:   

@Ratinger Linke,

es handelt sich um keine Ratifizierung im eigentlichen Sinne. Der Vertrag von Lissabon hat die Kompetenz bereits auf die EU-Ebene verlagert. Dies wurde bereits ratifiziert. Es handelt sich lediglich um eine Beteiligung des Bundestags an einem europäischen Gesetzgebungsverfahren, für das - jenseits des konkreten Verfahrensablaufs auf der nationalen Ebene (Verfahrensrecht) - materiell allein europäisches Recht gilt. Diese Übertragung fand bereits durch den Vertrag von Lissabon und die Fassung von Art. 223 AEUV, der der EU das Recht gab im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens hierzu EU-Verordnungen zu lassen. Das diese Vorschrift die Beteiligung nationaler Parlamente vorsieht führt nicht zu einer Zurückübertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die Mitgliedstaaten und zur Geltung materiellen nationalen Verfassungsrechts (ansonsten würde auch die Kompetenz-Übertragung in Art. 223 AEUV praktisch leerlaufen. Die Vorschrift wäre überflüssig, da ansonsten sich auch die Staaten informell auf eine Vereinheitlichung des Wahlverfahrens hätten einige können, ohne Kompetenzen an die EU zu übertragen. Da dies jedoch in Art. 223 AEUV geschehen ist, bedeutet dies, dass für diesen Rechtsakt materiell nur europäisches Recht gilt. Lediglich bezüglich des Verfahrensrechts der nationalen Parlamente verbleibt es bei der Anwendung nationalen Verfassungsrechts bzw. der Geschäftsordnungen von Bundestag und Bundesrat.


Zur Stimmabgabe durch einzelne Vertreter eines Landes im Bundesrat enthält der Standardkommentar Maunz/Düring (74 EL 2014), Art. 51 RN 28 folgende Aussage:

2. Die Stimmen eines Landes dürfen nur „durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter“ abgegeben werden.
a) Weder für die Mitglieder des Bundesrates noch – bei deren Fernbleiben – für die Vertreter nach Art. 51 I Satz 2 besteht unmittelbar eine Anwesenheitspflicht. Art. 51 III Satz 2 begründet vielmehr nur eine sog. Obliegenheit, d.h. wenn kein Mitglied und kein Vertreter aus einem Land anwesend ist, ist das Land nicht stimmberechtigt. Dagegen ist es nicht notwendig, daß alle Bundesratsmitglieder eines Landes selbst anwesend oder doch vertreten sind. Vielmehr ist jedes Land schon dann stimmberechtigt, wenn auch nur ein ordentliches Mitglied oder ein Vertreter zugegen ist. Dieser kann dann nicht nur die von ihm verkörperte Stimme abgeben, sondern alle dem Land nach Art. 51 II zustehenden Stimmen. Auch das ist eine logische Folge der Tatsache, daß die Stimmen nicht den einzelnen Bundesratsmitgliedern, sondern dem Land als solchem zustehen und folglich nur entweder einheitlich (d.h. auch insgesamt) abgegeben werden können oder überhaupt nicht. Der Bundesrat ist also nach § 9 I GeschOBRt unter Umständen schon bei Anwesenheit von fünf ordentlichen Mitgliedern bzw. Vertretern beschlußfähig, wenn jeder von ihnen aus einem anderen Land kommt und einige Fünfstimmenländer vertreten sind.


Der Kommentar vertritt allerdings die Auffassung, dass entgegen den Wortlaut von Art. 51 Abs. 3 GG (dieser spricht von "können") die Länder verpflichtet seien, so viele Vertreter zu entsenden wie ihnen an Stimmen im Bundesrat zustehen (also maximal 6). Begründet wird dies mit den Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GG ("Mitgliedern der Regierungen der Länder). Diese Schlussfolgerung ist alles andere als zwingend: Der Plural Mitglieder kann grammatisch auch darauf zurückzuführen sein, dass es eine Mehrzahl von Bundesländern gibt, so dass der Bundesrat naturgemäß aus mehreren Mitgliedern der Regierungen der Länder besteht. Da für die Stimmabgabe aber die Anwesenheit auch nur eines Vertreters ausreichend ist, stellt sich die Frage, ob sich überhaupt eine Rechtsfolge daraus ergibt, sofern ein Bundesland weniger Vertreter benennen sollte. Praktisch kam dies bislang nicht vor. Und da die Ansicht besteht, dass zur Stimmabgabe die Anwesenheit eines Vertreters ausreicht, sehe ich nicht, dass sich aus der (möglicherweise bestehenden Verletzung einer verfassungsrechtlichen Obliegenheit) eine Rechtsfolge ergibt.

Die Existenz von Landesregierungen, Landesparlamenten und Gerichten der Länder ergibt sich im Übrigen schon aus dem Homogenitätsgebot (Art. 28 GG). Durch die Struktur von Artikel 51 GG unterstellt diese Vorschrift, dass die Landesregierungen jedenfalls aus mindestens 3-6 Ministern bestehen, eine Zahl die in der Staatspraxis in allen Fällen deutlich überschritten wird. Selbst im 19. Jahrhundert, als nur die sog. klassischen Ministerien bestanden, bestand eine Regierung mindestens aus 7-8 Ministern (+ Regierungschef). Im Zuge der Ausweitung der Staatsstätigkeit seit Ende des 19 Jhr. ist diese Zahl deutlich gestiegen - und auch alle Tendenzen heutzutage zur Kabinettsverkleinerung lassen deutlich mehr Ministerien übrig.

Sollte es also die Linkspartei in Thüringen schaffen die SPD davon zu überzeugen nur noch linke Minister als Vertreter in den Bundesrat zu entsenden, wäre dies ohne weiteres möglich. Nur stellt sich eben rein praktisch die Frage, ob die SPD bereit ist unter diesen Umständen die Koalition mit den Linken fortzusetzen, was eher unwahrscheinlich sein dürfte.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 09. Oktober 2015 - 15:36 Uhr:   

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Marc
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Veröffentlicht am Freitag, 09. Oktober 2015 - 18:29 Uhr:   

@Ratinger Linke,

die Kompetenzübertragung steht in Artikel 223 AEUV ausdrücklich drin.
Die nachfolgenden Sätze von Ihnen machen keinen Sinn.
Wenn eine Kompetenz an die EU übertragen wird, sagt dies ja erstmal noch gar nichts darüber aus, welche Organe diese Kompetenz wahrnehmen.

Eine juristische Person kann ja nur durch ihre Organe handeln.
Zu den zentralen Organen der EU gehören die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat.

Wenn die Mitgliedstaaten Kompetenzen an die EU übertragen (durch die europäischen Verträge) legen sie natürlich auch fest, welches EU-Organ/welche Organe diese Kompetenzen wahrzunehmen haben.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn eine Kompetenz nicht an die EU übertragen wurde, hat die EU (und damit logischerweise auch kein EU-Organ) die Kompetenz eine Regelung hierzu zu erlassen (Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung).
Ohne Art. 223 AEUV wäre das EU-Parlament nicht berechtigt irgendwelche Rechtsetzungsakte hinsichtlich der Wahl des Europaparlaments (mitzu)erlassen. Es könnte höchstens völlig unverbindliche Deklarationen verabschieden.

Sobald aber eine Kompetenz an die EU übertragen ist sie berechtigt Rechtsetzungsakte hierzu zu erlassen. Die Rechtmäßigkeit eines von der EU-Organen erlassenen Rechtsaktes richtet sich lediglich nach europäischen Recht. Übrigens: Auch über die Frage, ob eine Kompetenz an die EU übertragen wurde, entscheidet im Zweifel ein EU-Organ - nämlich im Fall einer Klage eines Mitgliedstaats (hier sind u.a. auch die nationalen Parlamente klagebefugt) der Europäische Gerichtshof (EuGH). Dieser neigt - als EuGH - zu einer eher großzügigen Bejahung einer bestehen Ermächtigung der EU zum Erlas von Rechtsakten.

Nationale Verfassungsgerichte haben - jedenfalls aus Sicht des EuGH - keine Kompetenz zu entscheiden, ob eine Kompetenzüberschreitung vorliegt. Sofern sie mit diesem Argument angerufen werden, müssten sie das Verfahren aussetzen und diese Rechtsfrage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen.

Richtlinien und Verordnungen sind die beiden klassischen EU-Rechtssetzungsakte (quasi EU-Gesetze). Beim Direktwahlakt handelt es sich gemäß Art. 223 AEUV um eine Verordnung. Eine Verordnung ist unmittelbar anwendbar in allen Mitgliedstaaten und geht in der Anwendung nationalen Recht vor. Sie bedarf keines Umsetzungsaktes (anders als die Richtlinie).

Beim Direktwahlakt schreibt Art. 223 AEUV nun folgende zwei Besonderheiten vor. Die Mitgliedsstaaten müssen dem Rechtssetzungsakt gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften neben den EU-Organen nochmals zustimmen. Insofern ist eine höhere Hürde für die Verabschiedung eingebaut.

Zum anderen lässt die Verordnung (was untypisch ist) einen "Umsetzungsspielraum" (was ansonsten eher typisch für eine Richtlinie ist). Insofern ist - im Rahmen des Spielraums den die Verordnung lässt Raum für nationale Gestaltungsmöglichkeiten.

Was ist nun der Zweck dieses komplizierten Verfahrens. Meiner Einschätzung nach liegt die Einfügung eines Zustimmungserfordernisses für die nationalen Parlamente darin begründet, dass zahlreiche Mitgliedstaaten befürchteten, dass ansonsten sehr detaillierte Vorgaben hinsichtlich des Wahlverfahrens erlassen würden, die mit deren demokratischer Tradition nicht vereinbar sind und die sie daher ablehnen (aus vergleichbaren Gründen setzt sich das Vereinigte Königreich sei Tony Blair für eine Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente im EU-Gesetzgebungsverfahren ein).
Durch dieses Zustimmungserfordernis der nationalen Parlamente wird verhindert, dass die EU-Organe - wie es sonst ihre Art ist - alles detailliert vorschreiben, da sie - um den Gesetzgebungsakt durchzusetzen - sicherstellen müssen, dass dieser alle Parlamente der Mitgliedstaaten passiert. Das ist politisch noch viel heikler als die Erzielung eines einstimmigen Ergebnisses im europäischen Rat, da dort Kuhhandel und politischer Druck noch weit wirksamer sind als dies rein institutionell in Bezug auf die EU-Ebene gegenüber der nationalen Ebene der Fall ist.

Gerade deshalb der doch recht weite Umsetzungsspielraum - die Geltung einer verpflichtenden Sperrklausel erst ab einer bestimmten Mindestsitzzahl (was dazu führt, dass ein Großteil der Länder im Umsetzungsgesetz gar keine Sperrklausel einführen muss) und diverse weitere Gestaltungsmöglichkeiten (mehrere Wahlkreise, was von Ländern ohne Tradition der Verhältniswahl häufig gefordert wird um eine stärkere Personalisierung der Wahl zu vereinfachen).

Zum Bundesrat: Der Grund für die Zwitternatur des Bundesrats ist begründet in dem Umstand, dass es im Parlamentarischen Rat sehr unterschiedliche Auffassungen zur Ausgestaltung des Bundesrats gab. Unstreitig war lediglich, dass es ein zweites Gremium geben sollte. Unstreitig war auch - auch auf Grund der Vorgaben der Allierten hinsichtlich einer Föderalisierung - dass dieser eine stärkere Rolle als der Reichsrat (1919-33, dieser hatte nur überstimmbare Vetorechte) haben sollte.

Es gab mehrere historische Modelle: Der Bundesrat in der Zeit von 1871-1918 (faktisch eine Art Gesandtenkongress) bzw. den amerikanischen Senat.
Die SPD favorisierte ein Senatsmodell, die Union das historische Vorbild einer Landesvertretung (im dem Fall allerdings demokratischer Landesregierung anstelle von Fürstenhäusern).

Im Ergebnis ist der Bundesrat gleicht der Bundesrat sicher mehr einem Gesandtenkongress als einem Senatsmodell. Da die SPD dies aber nicht so mittragen wollte, wurden bestimmte Formulierungen gewählt, die wiederum eher an ein Senatsmodell erinnern. Die Einheitlichkeit der Stimmabgabe passt allerdings mehr zu einem Gesandtenkongress. In der Literatur wird daher immer wieder betont, dass der Bundesrat weder das eine, noch das andere sei.

Auch der Umstand, dass der Bundesrat nicht allen Gesetzen zustimmen muss, sondern nur bestimmten, die Interessen der Länder besonders berührenden (Zustimmmungsgesetze) stellt einen historischen Kompromiss dar. In der Zeit von 1871-1918 musste der Bundesrat allen Gesetzen zustimmen. Der Reichsrat hingegen hatte nur ein überstimmbares Vetorecht.

Gewaltenteilung wird nach h.M. als ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzip angesehen, dass über das Homogenitätsgebot des Art. 28 GG auch für die Länder gilt. Dazu gehört die prinzipielle organisatorische Trennung von Exekutive, Legislative und Judikative.

Hierzu Maunz/Dürig:

Auch Art. 28 Abs. 1 Satz 1 seinerseits enthält nicht ganz spannungsfreie Aussagen zur Frage seines Verhältnisses zu Art. 20 Abs. 2, indem er einerseits nur auf „Grundsätze“ abstellt, diese andererseits aber „im Sinne dieses Grundgesetzes“ verbindlich sind. Die Aussage, „gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG“ seien „die Grundentscheidung des Art. 20 Abs. 2 GG für die Volkssouveränität und die daraus folgenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation von Staatsgewalt auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich“, stellt die Weichen für eine direkte Anwendung der aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 hergeleiteten Anforderungen an die demokratische Legitimation der Landesexekutive. Im Ergebnis fällt der Filter der in Art. 28 Abs. 1 ausschließlich in Bezug genommenen Grundsätze bei der Rechtsanwendung jedenfalls zum Demokratieprinzip weitgehend weg, ja reduziert diesen Aspekt des Homogenitätsgebots mitunter auf eine rein deklaratorische Bedeutung. Am Ende führt dies sogar zu einer punktuellen Verschärfung der Anforderungen, werden doch die Gemeinden und Kreise entsprechend Satz 2 der Vorschrift ohnehin als die einzigen Verwaltungen identifiziert, für die eine bloß mittelbare demokratische Legitimation nicht ausreicht.

Eine ähnliche Entwicklung hat sich mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip vollzogen. Zwar hat das BVerfG ausdrücklich offen gelassen, ob Art. 20 Abs. 3 unmittelbare Bindungswirkung auch für die Landesverfassungen hat. Hinsichtlich der zentralen Elemente wie Vertrauensschutz und Rechtssicherheit sucht man Unterschiede zwischen der Anwendung auf Bund und Länder aber vergeblich. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, dass auf Art. 28 Abs. 1 allenfalls deswegen (zusätzlich) Bezug genommen wird, weil der Begriff des Rechtsstaats dort ausdrücklich erwähnt wird, während er aus Art. 20 zunächst hergeleitet werden muss. Im Ergebnis muss man wohl festhalten, dass das Demokratieprinzip wie der Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 „allein dann eine gestaltende Bedeutung“ haben, „wenn man die Prinzipien des Art. 20 Abs. 2 und 3 GG nicht als ‚Durchgriffsnormen‘ begreift“. Dass die Rechtsprechung dies im Einzelfall nicht immer zum Ausdruck bringt, ändert nichts an der Überzeugungskraft der Annahme eines eigenen Regelungsbereichs von Art. 28 Abs. 1.


Man sieht schon an den Ausführungen, dass die dogmatische Konstruktion dieser "Staatsstrukturprinzipien" alles andere als klar gelungen ist. Ich habe mich im Rahmen von Seminaren mit Rechtsstaatsprinzip und Gewaltenteilung befasst, insbesondere auch mit der Frage, ob die Gewaltenteilung ein Teil des Rechtsstaatsprinzips ist.

Im Grundgesetz tauchte der Begriff "rechtsstaatlich" ursprünglich nur in Art. 28 GG überhaupt auf. Inzwischen auch in Art 23 GG (Europaartikel) und Art. 16 GG (Übertragung von Kompetenzen an internationalen Gerichtshof und ausländische Gerichte).

Was ein Rechtsstaat überhaupt sein soll, ist im Grundgesetz nirgends definiert. Art. 28 Abs. 1 GG verweist auf "rechtsstaatliche Grundsätze" im Sinne dieses Grundgesetz. D.h. also, dass das Rechtsstaatsprinzip kein einzelner, isolierter Verfassungsgrundsatz ist, sondern sich aus einer Vielzahl von Regelungen, quasi aus einer Gesamtschau von Bestimmungen des Grundgesetzes ergibt. Zentrale Normen hierzu stehen in Artikel 20 GG, insbesondere in Art. 20 Abs. 3 GG, aber auch in weiteren Grundgesetznormen.
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass der Begriff Rechtstaat (rechtstaatliche Grundsätze) nur ein Sammelbegriff für einzelne Verbürgungen innerhalb des Grundgesetzes sei (summativer Rechtsstaatsbegriffs). Zu diesen wird nach h.M. auch der Grundsatz der Gewaltenteilung gezählt. Andere sehen einen integralen Rechtsstaatsbegriff, der über die Einzelverbürgungen hinaus geht (wohl h.M.).

Die Gewaltenteilung gehört jedenfalls nach h.M. zum Kernbereich der Rechtsstaatlichkeit:


b) Gewaltenteilung und Rechtsstaat


Randnummer 16 . Gewaltenteilung ... In der Tat war in historischer Perspektive die Vorstellung, dass die staatliche Gewalt nicht ungeteilt in einer einzigen Hand liegen solle, ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zur rechtlichen Mäßigung dieser Gewalt und damit zugleich zur Dezember 2013 Lfg. 708 Lfg. 70 Dezember 20139Rechtsstaatlichkeit. Im Sinne der Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Rechtsstaatsdenken ist der Gewaltenteilungsgrundsatz dabei der Rechtsstaatlichkeit im formellen Sinn zuzuordnen, denn er sagt nichts darüber aus, wie der Staat die ihm zustehende Gewalt über seine Bürger ausüben soll. Er zeigt lediglich einen formellen Weg auf, auf dem eine bürgerfeindliche, weil auf staatlichem Machtmissbrauch beruhende Politik vermieden werden kann.zur Fussnote 1


Hierzu Maunz/Dürig:

Gewaltenteilung ... In diesem Zusammenhang ist auf die besondere Bedeutung hinzuweisen, die Verfassungsgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit zukommen. In Deutschland ist die Dritte Gewalt eine wirksame Garantie der Gewaltenteilungsidee, weil ihnen grundsätzlich jeder Hoheitsakt der beiden anderen Gewalten zur Kontrolle vorgelegt werden kann. Das gilt hinsichtlich der Verwaltungsgerichte, die sich insoweit auf Art. 19 Abs. 4 stützen können, jedenfalls insoweit, als es sich um die Kontrolle von Akten der Exekutive handelt. An die von der Legislative erlassenen Gesetze sind sie hingegen grundsätzlich gebunden und können sich ihnen lediglich durch die Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 entziehen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist solchen Beschränkungen dagegen nicht unterworfen. Ihr unterliegen nicht nur die Akte der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt, sondern auch die der gesetzgebenden Gewalt, bei deren Kontrolle sie lediglich an die Verfassung gebunden ist. Dem für parlamentarische Regierungssysteme typischen Wegfall eines gewaltenteilend wirkenden politischen Spannungsverhältnisses zwischen Legislative und Exekutive (vgl. dazu unten Rn. 24) steht insoweit eine intensive gerichtliche Kontrolle beider Gewalten gegenüber.


Alles in allem kann man festhalten, dass der Rechtsstaat verschiedene Verbürgungen enthält: Von Gesetzesbindung, Gewaltenteilung, Grundsatz des Vorrangs der Grundrechte, Unabhängigkeit der Gerichte, usw., usw., weshalb in vielen gerichtlichen Entscheidungen gar nicht auf das Rechtsstaatsprinzip selbst Bezug genommen wird, sondern jeweils auf die konkrete rechtsstaatliche Garantie (vgl. zuvor). Auf das Rechtsstaatsprinzip wird eher Bezug genommen, wenn aus einer Gesamtschau der rechtsstaatlichen Bestimmungen des Grundgesetzes weitere Verbürgungen abgeleitet werden (so etwa der Grundsatz eines Vertrauensschutzes bezüglich rückwirkend in Kraft gesetzter Gesetze (ausdrücklich verboten nur für Strafgesetze in Art. 103 Abs. 2 GG, aber unstrittig ist, dass ein gewisser Vertrauensschutz generell bei Rückwirkungen gelten soll).

Kurzum: Aus dem Rechtsstaatsprinzip werden sehr weitgehende Folgerungen durch Rechtsprechung und Rechtslehre abgeleitet, die über Art. 28 Abs. 1 GG auch für die Länder gelten. Das sind keineswegs nur ein paar formale Grundsätze - wie ich, offen gesagt anfangs auch vermutet haben, sondern eine große Zahl formeller und materieller Grundsätze des Grundgesetzes (von Staatsorganisationsprinzipien bis zur Schutzwirkung der Grundrechte).

Insofern können sie ziemlich sicher sein, dass das BVerfG nicht akzeptieren würde, wenn ein Land seine Landesregierung völlig abschafft oder die Exekutive als völlig nachrangiges Organ zum Parlament einrichten würden. Denn Art. 20 Abs. 2 GG - dessen Grundsätzeüber Art. 28 Abs. 1 GG für die Länder gelten - sieht "besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung" vor.

Ohne Zweifel wäre ein solches Modell mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Aber auf Grund des unter das Rechtsstaatsprinzip fallende Prinzip der Gewaltenteilung ist ein solches Modell ausgeschlossen.


Die Gewaltenteilung dient vor allem folgenden Funktionen:
Primär der der Mäßigung und Bändigung der Staatsgewalt im Dienste individueller Freiheit (Schutzfunktion, vgl. BVerfGE 9, 268, 279 f = NJW 1959, 1171; BVerfGE 67, 100, 130 = NJW 1984, 2271); dies rechtfertigt es auch, sie als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips zu betrachten. Daneben zielt die Gewaltenteilung darauf ab, „dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“ (sog. Prinzip der Organadäquanz, vgl. BVerfGE 68, 1, 86 = NJW 1985, 603; BVerfGE 95, 1, 15 = NJW 1997, 383; BVerfGE 98, 218, 251 f = NJW 1998, 2515). Daneben zielt die Gealtenteilung im Sinne des Grundgesetzes aber nicht auf strikte Trennung, sondern auch auf gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung (Kontrollfunktion), was etwa auch die Existenz einer Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit, ebenso wie parlamentarische Kontrollrechte gegenüber der Exekutive und wiederum die Möglichkeit der Anrufung der Verfassungsgerichte sowohl durch Exekutive wie Legislative, sofern sie einen Übergriff der jeweils anderen Gewalt in ihrem Kernbereich sieht (lediglich die Judikative ist weitgehend von Kontrolle abgeschirmt, allerdings gibt es durchaus die Problematik der Dienstaufsicht über Richter durch die Landesjustizministerien (insofern hierdurch Gefährdungen für die richterliche Unabhängigkeit entstehen).

Das Grundgesetz nennt selbst zahlreiche Ministerien, die existieren müssen. Ebenfalls gilt dies für einige Landesverfassungen. Und selbst wo dies nicht der Fall ist, wird unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip zumindest eine parlamentarische Entscheidung über die Abschaffung des Justizministeriums verlangt (NWVerfGH, Urteil vom 9. 2. 1999 - VerfGH 11–98), obwohl an sich die Strukturierung der jeweiligen Landesregierung ansonsten regelmäßig dem Regierungschef selbst vorbehalten ist.

Angesichts dieser umfassenden Ableitungen dürfte eine Ein-Personen-Regierung (abgesehen von organisatorischen Schwierigkeiten) wohl kaum verfassungsrechtlich als Exekutive toleriert werden. Genauso wenig wie etwa ein demokratisch gewähltes Ein-Personen-Parlament verfassungsrechtlich toleriert werden dürfte.}
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Jan W.
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Veröffentlicht am Freitag, 09. Oktober 2015 - 18:56 Uhr:   

@R.L.
Die Theorie der atypischen Landesregierungen ist interessant, Probleme dürften sich aber durch andockende Artikel in den Landesverfassungen lösen lassen.
"... bilden die Landesregierung im Sinne des Art. 51 GG"
So kann man diesen Begriff als Landespräsidenten und seine obersten Behördenleiter definieren, die nur dann zeremonielle Kabinettssitzungen abhalten, in denen die Behördenleiter erfahren, wer künftig mit dem Präsidenten zu den Bundesratssitzungen fährt.
Auch die Gesamtheit der Mitglieder der Regionalregierungen kann man so definieren, wobei ich die fiktive Aufsplittung der Exekutive in Regionen bei landesweiter Legislative sehr seltsam finde. Wird das irgendwo praktiziert?
Grundsätzlich wären das Ein-Zweck-Verfassungsorgane wie etwa die Bundesversammlung, nur dass es hierbei nicht um die Wahl des Bundespräsidenten sondern um die Wahrnehmung des Bundesratsstimmrecht.

Die schlanke Regierung ist eine andere Frage. Zwei sehr kleine Kabinette in der jüngeren Vergangenheit war diese Rumpfkabinette nach geplatzter Koalition
https://de.wikipedia.org/wiki/Kabinett_Carstensen_I (MP + 3)
https://de.wikipedia.org/wiki/Kabinett_Kramp-Karrenbauer_I (MP + 4)

Das letzte Jahr von Koch II war etwas speziell. Einerseits gab es mangels Koalitionspartner keine rapide Schrumpfung, andererseits gab es offenbar nur ein de facto Ausscheiden von zwei Ministern. In Hessen kann der MP nicht freihändig das Kabinett umbilden, sondern braucht die Zustimmung des Landtags. Wie ich damals den Medien entnehmen konnte, waren sogar Rücktritte ab einem bestimmten Moment quasi unmöglich. Hätte sich die Hängepartie über mehrere Legislaturperioden fortgesetzt, hätten Todesfälle unter den Ministern theoretisch die Wahrnehmung der Stimmrechte riskieren können.
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Ratinger Linke
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Veröffentlicht am Samstag, 10. Oktober 2015 - 05:53 Uhr:   

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Marc
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Veröffentlicht am Montag, 12. Oktober 2015 - 11:53 Uhr:   

@Ratinger Linke,

die Zielsetzungen Sitzaufteilung und Wahlverfahren europarechtlich zu regeln ist vom Ansatz her schon plausibel, da es letztlich um Regelungen geht, die EU-Organe betreffen. Unter Geltung nationalen Verfassungsrechts würde man die Kompetenz zur Regelung der höheren Ebene schon kraft Sachzusammenhangs/als Annexkompetenz betrachten.

Die Frage ob das Wahlrecht dann in den Verträgen oder durch Verordnung (Sekundärrecht) geregelt wird, ist - sobald erst mal die Kompetenz zur Regelung besteht - sekundär. In der Praxis wird es im Primärrecht (Art. 223 AEUV) und im Sekundärrechtes geregelt werden - wie im Bezug auf nationale Wahlen auch Regelungen zum Wahlrecht im Verfassungsrecht sowie (überwiegend) im einfachen Recht vorzufinden sind (Art. 38 GG und Bundeswahlgesetz).

Zur Staatsorganisation:
Der Grundsatz der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG - der über das Homogenitätsgebot auch für die Länder gilt - schreibt nicht vor, dass es nur drei Organe gibt, sondern dass es drei verschiedene Organsäulen gibt. Eine Staatsgewalt kann in der Tat aus mehreren Organen bestehen. Das Modell eines Zwei-Kammer-Parlaments unterstreicht dies ebenso wie die gespaltene Exekutive in semi-präsidentiellen Staatsformen (Präsident/Regierungschef, Regierung). Bei einer gespaltenen Exekutive stellt sich regelmäßig allerdings das Problem der Kompetenzverteilung. Eine "Zwei-Organ-Exekutive" (aufgebaut wie ein Zwei-Kammern-Parlament, mit gegenseitigen Zustimmungserfordernis) mag im Sinne der gegenseitigen Kontrolle, Hemmung und Mäßigung positiv sein. Allerdings kann diese auch leicht in eine gegenseitige politische Lähmung führen - und zwar mit noch gravierenderen Auswirkungen als im Fall einer parlamentarischen Blockade, da die laufenden Staatsgeschäfte ohnehin von der Exekutive - mit in unserem Modell den Ministern und der Regierung an der Spitze - wahrgenommen werden. Eine Paralyse der Spitzen der Verwaltung kann deren Tätigkeitsmöglichkeit ebenfalls teilweise blockieren - während eine parlamentarische Blockadesituation hierauf keine Auswirkungen hat.

Dieser Umstand dürfte ursächlich dafür sein, dass sich solche in der Tat denkbaren "Zwei-Organe-Regierungen" nicht entwickelt haben.

Eine funktionale Aufteilung in verschiedene Organe dürfte ebenfalls schwierig sein. Durch die Aufteilung in Ministerin besteht eine solche ja bereits eine bereichsspezifische Verteilung. Allerdings besteht ein Koordinierungsbedarf zwischen den Bereichen (daher z.B. auch die Regelung: Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung (Art. 65 Satz 2 GG).

Was die Abgrenzung der drei Gewalten betrifft, gibt es verschiedene Theorien. Im Sinne des Grundgesetzes sind Gerichte jedenfalls nur die mit Unabhängigkeit versehenen staatlichen Organe und gesetzgebende Organe nur die Parlamente. Insofern ist die - wenn auch dogmatisch unbefriedigende - Definition von Otto Mayer, dem Begründer der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft, nach wie vor am plausibelsten: Verwaltung ist die Staatstätigkeit, die nicht Gesetzgebung und nicht Rechtsprechung ist.
Mit dieser Definition hat man das Problem auf die Definition von Gesetzgebung und Rechtsprechung verschoben - wofür es in Randbereichen auch Abgrenzungsprobleme gibt. Der Verzicht auf eine positive Definition von Verwaltung/Exekutive führt aber im Ergebnis dazu, dass bestimmte Organe am Ende keiner der Staatsgewalten zugeordnet werden können. Bei der Zuordnung kann auf den Schwerpunkt der Tätigkeit abgestellt werden: So übernehmen etwa Gericht auch Funktionen, die man als Verwaltungsaufgaben beschreiben muss (zum Beispiel Führung der Grundbücher und Handelsregister). Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist aber die Rechtsprechung. Parlament haben auch eine Parlamentsverwaltung. Da der Grundsatz auf gegenseitigen Kontrolle der Staatsgewalten angelegt ist, ändern auch die Kontrollrechte der Parlamente gegenüber der Regierung nichts an der Zuordnung zur Legislative, zumal die Parlamente nicht verbindlich über die Rechtmäßigkeit von Regierungshandeln entscheiden können.

Der Umstand wiederum, dass es Rechnungshöfe gibt, die das Handeln der übrigen Verwaltung überprüfen können, zwingt nicht dazu, sie als Organe außerhalb der Verwaltung zu betrachten. Eine rechtliche Selbstkontrolle der Verwaltung ist dem deutschen Verwaltungsrecht immanent (Widerspruchsverfahren, Einspruchsverfahren). Oft werden Widersprüche/Einsprüche durch andere Abteilung eines Gebietskörperschaft entschieden (z.B. das Rechtsamt), während der ursprüngliche Verwaltungsakt durch eine Fachabteilung erlassen wurde. Die Übertragung der Verwaltungskontrolle an ein verselbständigtes besonderes Organ unterscheidet sich nicht so fundamental von dieser immanenten Selbstkontrolle, dass man es nicht mehr als Teil der Verwaltung betrachten könnte.

Die Einordnung der Wahlprüfung ist etwas komplexer. Jedenfalls handelt es sich im Bund und in einigen Bundesländern um ein zwingend einem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Verfahren, dass insoweit viele Parallelen zum Widerspruchsverfahren im Verwaltungsrecht - also einem Fall der exekutiven Selbstkontrolle - aufweist. Der Bundeswahlleiter und die Landeswahlleiter sind unproblematisch Teil der Exekutive. Die Einordnung der Wahlprüfungsausschüsse gleicht eher der legislativen Selbstkontrolle.
Soweit Wahlprüfungsgerichte vorliegen (wie in Hessen) handelt es sich nicht um Gerichte im Sinne des Grundgesetzes, sondern ebenfalls um Organe parlamentarischer Selbstkontrolle, deren Entscheidungen gerichtlich überprüfbar sind (so für Hessen: HessStGH, Beschluß vom 9. 8. 2000 - P.St. 1547) Leitsätze der Entscheidung sind:

1. Das Wahlprüfungsgericht ist ein parlamentarisches Wahlprüfungsorgan, kein Gericht i.S. des Artikel 126 HessVerf.
2. Verletzungen seines grundrechtlich geschützten aktiven und passiven Wahlrechts kann der Bürger in Hessen mit der Grundrechtsklage gegen die Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts vor dem Staatsgerichtshof geltend machen.
3. Gegenüber Entscheidungen des Wahlprüfungsgerichts greift mangels Gerichtsqualität dieses Gremiums eine Beschränkung der Kontrolldichte des Staatsgerichtshofs nicht ein.

Das BVerfG differenzierte in seinem Urteil zur Gültigkeit der hessischen Landtagswahl 1999 stärker (BVerfG, Urteil vom 8. 2. 2001 - 2 BvF 1/00). Es sprach insoweit davon, dass die Prüfung der die Prüfung der Gültigkeit der Wahl zum Hessischen Landtag in funktioneller Hinsicht nur teilweise als rechtsprechende Tätigkeit ausgeformt sei (hierfür spricht insbesondere die Entscheidung in der Form eines Urteils und die Einführung eines justizförmigen Verfahrens, dagegen jedoch, dass Abgeordnete selbst "in eigener Sache" entscheiden, was dem Wesen richterlicher Unabhängigkeit zuwiderläuft). Anders als der Hessische Staatsgerichtshof drückte sich das BVerfG vor einer klaren dogmatischen Einordnung und etwaig daraus entstehen Rechtsfolgen (bei Einordnung als parlamentarische Selbstkontrolle unter richterlicher Beteiligung: unproblematisch; bei Einordnung als (staatliches) Gericht: unvereinbar mit dem Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit - der über das Homogenitätsgebot auch für die Landesrichter gilt - und daher unzulässig).
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Ratinger Linke
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Veröffentlicht am Mittwoch, 14. Oktober 2015 - 10:44 Uhr:   

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Marc
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Veröffentlicht am Mittwoch, 14. Oktober 2015 - 11:11 Uhr:   

@Ratinger Linke,

eine solche Staatsgewalt gibt es nicht.
Wenn überhaupt trifft eine solche Selbstbeschreibung auf die öffentlich-rechtlichen organisierten Berufsvereinigungen (mit Zwangsmitgliedschaft) zu. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese (ausgelagerte) Organe der Verwaltung (und damit der Exekutive) sind.

Ebenfalls Teil der Verwaltung (Grundgesetz spricht von "vollziehender Gewalt", dies wiederum Synonym für Exekutive) sind Universitäten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Kurzum: Alle Staatsgewalt die nicht Gesetzgebung und nicht Rechtsprechung ist, ist Verwaltung. Das ergibt sich schlicht und ergreifend schon dadurch, dass andere Staatsgewalten nicht vorgesehen und im Übrigen auch nicht dogmatisch definiert sind. Funktional sind bestimmte Teile der Verwaltung ausgelagert, haben eine größere Unabhängigkeit, etc. Doch unterscheiden sie sich von der übrigen Verwaltung nicht so grundlegend und fundamental, dass man hieraus eine eigene Staatsgewalt konstruieren könnte.

Das gilt ebenso für die Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber der übrigen Rechtsprechung (trotz ihrer zum Teil bestehenden Rolle als "Ersatzgesetzgeber").

Herausgehobene oder besondere Stellung bedeutet noch lange nicht, dass ein Organ oder ein Amt nicht Teil einer bestimmten Staatsgewalt ist (abgesehen davon, dass der Bundeswahlleiter noch nicht einmal die Rolle eines Staatsorgans hat, anders als etwa die Rechnungshöfe). Die Aufgabe der Wahlorganisation und Wahldurchführung ist primär die Anwendung geltenden Rechts - ja geradezu ein Paradebeispiel für die "vollziehende Gewalt" (Gesetzesvollzug). Die allgemeine Verwaltung hat bei ihrer Aufgabenerfüllung in der Regel weit mehr Gestaltungs- und Ermessensspielraum als der Bundeswahlleiter.

Auch die Bundesbank ist - als Staatsorgan - Teil der Exekutive. Ebenso die EZB auf europäischer Ebene. Übrigens ein Beispiel für eine organisatorische Spaltung der Exekutive - da die Notenbanken als unabhängige Organe ausgestaltet sind und keinerlei Weisungen durch die Regierung bzw. Europäische Kommission (oder andere Organe) unterliegen.
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Ratinger Linke
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Veröffentlicht am Mittwoch, 14. Oktober 2015 - 11:37 Uhr:   

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