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Archiv bis 20. Mai 2013

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Europawahl in Deutschland / Europawahlen in den EU-Mitgliedstaaten » 3%-Klausel » Archiv bis 20. Mai 2013 « Zurück Weiter »

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A
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 08:36 Uhr:   

Ich glaube, daß das Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin vom 13. Mai 2013 (wonach eine 3%-Sperrklausel verfassungsgemäß ist) der Startschuß war für eine Wiedereinführung von Sperrklauseln. Jetzt geht es nicht mehr um die Frage, ob Sperrklauseln wieder eingeführt werden, sondern nur noch um die Frage, wie Sperrklauseln wieder eingeführt werden.
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sirius3100
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 11:49 Uhr:   

Der Unterschied in Berlin ist einfach dass die 3%-Klausel dort in der Verfassung steht. Da braucht man dann deutlich stärkere Argumente um die Klausel trotzdem für verfassungwidrig zu erklären (das geht denke ich nur wenn man nachweisen kann dass dieser Artikel gegen den Grundgedanken der Verfassung, also z.B das Demokratiegebot, verstößt).

Ich finde die Begründung des Verfassungsgerichtshofs stellenweise zwar unsinnig (also gerade der Punkt dass eine 3%-Klausel relativ wenig vom natürlichen Quorum abweicht sollte mMn ja zeigen dass die 3%-Klausel unnötig wäre), aber das Urteil ansich ist denke ich, aufgrund des Verfassungsrangs der 3%-Klausel, richtig.

Falls man bei der Europawahl allerdings eine 3%-Klausel per einfachem Gesetz beschließt, dann halte ich das ehrlich gesagt für ziemlich dreist von den Parteien/Parlamentariern die dafür stimmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat Prozentklauseln soweit ich das verstanden habe eigentlich ziemlich kategorisch ausgeschlossen was die EP-Wahl angeht. Da müsste der Bundestag schon deutlich neue Argumente vorweisen um das per einfachem Gesetz verfassungskonform zu machen.
Hat das Bundesverfassungsgericht eigentlich keine Möglichkeit schon vor dem Beschluss des BTs in den Gesetzgebungsprozess einzugreifen? Etwas überspitzt ausgedrückt könnte man den Parteien ja sogar ein verfassungsfeindliches Vorgehen vorwerfen, wenn sie bewusst ein Urteil ignorieren.
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A
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 13:14 Uhr:   

@sirius3100: "Der Unterschied in Berlin ist einfach dass die 3%-Klausel dort in der Verfassung steht. Da braucht man dann deutlich stärkere Argumente um die Klausel trotzdem für verfassungwidrig zu erklären. Ich finde die Begründung des Verfassungsgerichtshofs stellenweise zwar unsinnig, aber das Urteil ansich ist denke ich, aufgrund des Verfassungsrangs der 3%-Klausel, richtig."

In den meisten Ländern, in denen die Sperrklausel für verfassungswidrig erklärt worden ist, läßt sich leicht die notwendige Mehrheit finden, um diese Sperrklausel in die Verfassung zu schreiben.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 14:52 Uhr:   

In den Ländern, in denen es kommunal nicht unbedingt Verhältniswahlen, sondern auch reine Personenwahlen gibt (Rheinland-Pfalz bis Brandenburg südwärts), ist es aber relativ komplex und offensichtlich abartig, eine Sperrklausel in die Verfassung zu schreiben. Solang nichtmal für die Europawahl eine Verfassungsänderung erwogen wird, seh ich da eher weniger Gefahr.

In den meisten Ländern ist der Bedarf nach einer kommunalen Sperrklausel auch sehr beschränkt. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen haben nie eine gehabt (und in Bayern ist sie 1952 schon vor der ersten Anwendung gekippt worden). Richtig hartnäckig ist außer den Stadtstaaten eigentlich nur NRW.

@sirius3100:
"also gerade der Punkt dass eine 3%-Klausel relativ wenig vom natürlichen Quorum abweicht sollte mMn ja zeigen dass die 3%-Klausel unnötig wäre"

Das ist aber ein politischer Aspekt und kein rechtlicher. Beim Überhang ist es ja auch nicht so, dass er erst zulässig wird, wenn er sich richtig lohnt, sondern umgekehrt (wenn man mal den Übergang zu Mehrheits- oder Grabenwahlsystem vernachlässigt, wo das Bundesverfassungsgericht effektiv ähnlich argumentiert).

Solang nichts Gesetz ist (und weder grobe formale Fehler gemacht werden noch ein Parteiverbotsantrag gestellt wird) ist dem Bundesverfassungsgericht egal, was sich die Parteien oder Fraktionen überlegen. Das wird gegebenenfalls genauso laufen wie zuletzt beim Bundeswahlgesetz.
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sirius3100
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 15:08 Uhr:   

Dem widerspreche ich auch garnicht. Ich halte solche 3%-Klauseln zwar nicht wirklich für nötig oder sinnvoll, aber natürlich haben die Länder das Recht ihre Verfassungen so zu ändern das diese erlaubt sind.
Selbst deutlich höhere Klauseln dürften von Verfassungsgerichten nicht beanstandet werden können solange diese eben in den Verfassungen stehen (und damit ähnlichen Rang haben wie die Gleichheit der Wahl bzw. die Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen).

Die Frage ist nur ob die Parteien in den Ländern wirklich Lust haben solche Sperrklauseln in den Verfassungen zu verankern.
Ein einfaches Gesetz kann man doch deutlich einfacher nebenher beschließen ohne dass es viel Aufmerksamkeit erregt.
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sirius3100
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 15:09 Uhr:   

Mein Post von eben war an A gerichtet.
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sirius3100
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 15:31 Uhr:   

@ Ratinger Linke:
"Das ist aber ein politischer Aspekt und kein rechtlicher. Beim Überhang ist es ja auch nicht so, dass er erst zulässig wird, wenn er sich richtig lohnt, sondern umgekehrt (wenn man mal den Übergang zu Mehrheits- oder Grabenwahlsystem vernachlässigt, wo das Bundesverfassungsgericht effektiv ähnlich argumentiert)."

Ich frage mich halt worum sich das Gericht oberhaupt mit dieser Frage aufhält. Sie müssen ja in erster Linie prüfen ob die 3%-Klausel mit Verfassungsrang verfassunswidrig ist und da spielt dieser Punkt doch eigentlich überhaupt nicht rein.
Eine "Kompromiss" zwischen zwei gleichwertigen Verfassungspunkten ist auch kaum möglich da der relevante Artikel in der Berliner Verfassung die 3% nicht nur erlaubt sondern explizit vorschreibt.
Also müsste das Gericht doch lediglich prüfen ob höherrangiges Recht verletzt ist. Und das kann im Falle einer Landesverfassung doch eigentlich nur entweder das Grundgesetz oder eine "übgeordnetes" Prinzip sein (wie eben das Demokratiegebot, die Rechtsstaatlichkeit etc.). Und diese Überprüfung machen sie in anderen Punkten der Urteilsbegründung ja auch.
MMn ist die Aussage zur geringen Abweichung also nichts anderes als ein politisches Statement vom Verfassungsgerichtshof, da dieser Punkt für die rechtliche Beurteilung ja eigentlich garkeine Rolle spielen sollte.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 15:38 Uhr:   

Der Verfassungsgerichtshof mußte auch feststellen, daß die Bezirksverordnetenversammlungen keine Gemeindevertretung nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ist, man daher auch nicht nach Bundesrecht Wahlgleichheit fordern könnte.

Da seh ich Relevanz allenfalls für Stadtteilgremien, die außerhalb von Berlin deutlich kleiner sind und die natürliche Hürde entsprechend deutlich größer.
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Hanseat
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 16:30 Uhr:   

"Da seh ich Relevanz allenfalls für Stadtteilgremien, die außerhalb von Berlin deutlich kleiner sind und die natürliche Hürde entsprechend deutlich größer."

Naja, in Hamburg haben die Bezirksversammlungen (planmäßig) zwischen 45 und 57 Mitgliedern. Da sehe ich kein "deutlich kleiner", zumal Hamburg meines Wissens eindeutig außerhalb von Berlin liegt.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 17:00 Uhr:   

@sirius3100:
"Ich frage mich halt worum sich das Gericht oberhaupt mit dieser Frage aufhält."

Tut es ja nicht. Das ist nur ein kurzer Absatz, der nochmal unterstreicht, dass es offensichtlich kein fundamentaler Eingriff in den Verfassungskern sein kann, nachdem das eigentlich eh schon geklärt war. Die Frage ist eher, warum das die Presseabteilung relativ prominent in die Pressemitteilung schreibt.

Ich bin nicht der Meinung, dass eine Verfassungänderung (oder gar die ursprüngliche Verfassung) materiell verfassungswiedrig sein können sollte, aber nach herrschender Meinung ist das selbst dann möglich, wenn es die Verfassung nicht selber so bestimmt. Allerdings ist das auch nicht ganz so leicht möglich, wie manche glauben.

In Berlin ist sowohl die Vereinbarkeit der Sperrklausel mit der Berliner Verfassung als auch mit dem Grundgesetz geprüft worden. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist aber schwer nachweisbar, weil sich da die Landesverfassungsgerichte eher zurückhalten und das Bundesverfassungsgericht sich nicht zuständig fühlt. Über die 10%-Hürde in Bayern hat es in der Sache nicht entschieden (der bayrische Verfassungsgerichtshof hat sie mehrfach gebilligt). Über die kommunale 5%-Hürde in Schleswig-Holstein hat es nur als Landesverfassungsgericht entschieden.

@Martin Fehndrich:

In München hat der größte Bezirksausschuss auch immerhin 45 Mitglieder. Interessantes Größenbestimmungsverfahren (Seite 21 f.) übrigens. Systembedingt kann nur 1 Bezirksausschuss die Maximalgröße haben, wenn es kein Patt gibt.
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Martin Fehndrich
Moderator
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 20:20 Uhr:   

@Hanseat, Ratinger Linke
Hamburg, vielleicht drei Bezirke in München, da seh ich jetzt nicht die ganzen Länder ihre Landesverfassungen für ändern. Wobei die Bezirke hier groß genug sind, daß man die Bezirksvertretungen doch als als Art Gemeindevertretung sehen könnte und Art. 28 jeweils zumindest prüfen müßte.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 19. Mai 2013 - 21:05 Uhr:   

@Ratinger Linke:"Real hat das EU-Parlament nichts weiter als ein Blockaderecht, und das soll ihm durch die Verhinderung eventuell blockierender Abgeordneter faktisch auch noch genommen werden"

Ein "Blockaderecht" beinhaltet immer auch ein implizites (Mit-)Auswahlsrecht; die EP-Mehrheit könnte sich prinzipiell im Voraus auf einen eigenen Kandidaten festlegen und ankündigen, alle anderen abzulehnen (der Rat kann das hingegen umgekehrt nicht, er darf einen vom EP abgelehnten Kandidaten nicht wieder vorschlagen). Tatsächlich hat das EP ja Kommissare auch schon "durchfallen" lassen (was der Bundestag bei Kanzlervorschlägen noch nie getan hat).

Und warum soll eine Sperrklausel "die Verhinderung eventuell blockierender Abgeordneter" bewirken? Von den 8 deutschen Kleinpartei-Abgeordneten, die es 2009 ohne 5%-Hürde gegeben hätte, wäre wohl nur einer (REP) "blockierend" europafeindlich gewesen, die anderen 7 sind m.W. moderat und kompromissbereit. Hingegen hat 2009 fast die Hälfte der tatsächlichen deutschen MEPs (nämlich die drei "linken" Fraktionen) nicht für Barroso gestimmt; er erhielt nur ca. 55% der Stimmen.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 01:24 Uhr:   

@Martin Fehndrich:

Das Berliner Urteil basiert ja auch im Grundgesetzteil nicht nur drauf, dass es sich um keine betroffenen Organe handelt. Ich würd nicht davon ausgehn, dass irgendein Landesverfassungsgericht in einer ordentlich in der Verfassung verankerten 3- (oder auch 5-)Prozent-Hürde ein Problem mit dem Grundgesetz sehn würde (obwohl man das Urteil nicht unbedingt direkt übertragen kann).

Die Bezirksausschüsse in Bayern sind eh so bedeutungslos, dass es nichtmal die NPD für nötig hält, da anzutreten. Außer in München und Ingolstadt gibts eh nirgends welche (wobei die in Ingolstadt noch machtloser sind und deshalb garnicht direkt gewählt werden).

@Holger81:

Abgesehn von der Frage, ob ein "neuer Kandidat" verschieden vom vorigen (oder gar allen vorigen) sein muss, lassen sich mit der Prozedur auch sonst leicht 5 Jahre rumbringen, ohne dass was passiert. Natürlich gibts faktische Zwänge, aber wenn man die als entscheidend betrachtet, warum sollten sie dann für ein etwas stärker zersplittertes EU-Parlament (falls man das unterstellen will) plötzlich nicht mehr gelten? Doch bloß deshalb, weil die zu verhindernden Abgeordneten die Bösen sind und die zu schützenden die Guten.

Ohne Überschreitung von relativ deutlichen Lagergrenzen (wozu trotz aller Bemühungen auch nationale Interessenlagen gehören) gibts im EU-Parlament auf absehbare Zeit eh nicht annähernd absolute Mehrheiten (weshalb ich auch den Begriff "Konsens" gebraucht hab). Die wirklich harte Grenze ist bloß die zwischen grundlegenden EU-Kritikern und dem Rest, und wenn Erstere mal in der Mehrheit sein sollten, wird es ein fundamentales Problem mit dem Verfahren geben. Wenn es so weit kommt, wird aber keine fehlende 3%-Klausel dran schuld sein.

Aber das ist ja als Argument eh alles schon verbrannt, weil es Karlsruhe den Parteien nicht abgekauft hat. Jetzt geht es ja um die Wahrung der deutschen Interessen in möglichst dominanten Gruppen in den Fraktionen (die SPD spricht weniger verblümt auch von einer "starken, schlagkräftigen parlamentarischen Sozialdemokratie", was das Bundesverfassungsgericht aber wahrscheinlich nicht sonderlich beeindrucken wird). Wenn sie das so betonen, sagen sie übrigens implizit auch, dass sie mit der allgemeinen Ungleichheit der Europawahl eigentlich ganz gut fahren.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 01:43 Uhr:   

@RL:"Natürlich gibts faktische Zwänge, aber wenn man die als entscheidend betrachtet, warum sollten sie dann für ein etwas stärker zersplittertes EU-Parlament (falls man das unterstellen will) plötzlich nicht mehr gelten? Doch bloß deshalb, weil die zu verhindernden Abgeordneten die Bösen sind und die zu schützenden die Guten. "

Ich verstehe nur Bahnhof; was hat das mit meinem Beitrag zu tun? Die pauschale Bewertung von Kleinparteiabgeordneten als "böse" "eventuell blockierende Abgeordneter" stammt jedenfalls nicht von mir; ich habe gerade darauf hingewiesen, dass die Kleinparteien genauso inhomogen sind wie die großen...
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 02:43 Uhr:   

(Forts.)
Die Frage "ob ein "neuer Kandidat" verschieden vom vorigen sein muss" mit Nein zu beantworten, wäre für mich eine ziemliche Perversion von Sprache. Aber selbst dann hätte das EP immer noch genauso viel Macht bei der Kommissionsauswahl wie der Rat; die beiden Institutionen müssen sich halt auf einen Kandidaten einigen.

Die Wahl von Barroso mit knapper Mehrheit durch das bürgerliche Lager gegen den Widerstand des gesamten linken Lagers (mit nur einzelnen "patriotischen" Abweichlern) war wie gesagt sehr wohl möglich, und ist für meine Begriffe das genaue Gegenteil von Konsens. (Sowohl Fraktionen als auch Länder gleichzeitig als "Lager" zu bezeichnen, macht übrigens wenig Sinn; Lager sind per Definition disjunkt. (Auch wenn sich je nach Thema andere Lager bilden können.))

Natürlich handeln die Bundestagsparteien mit der Sperrklausel nicht nur uneigennützig; das gilt aber für die nationalen Sperrklauseln genauso, die das Verfassungsgericht (und die allgemeine Bevölkerung) trotzdem akzeptiert.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 03:50 Uhr:   

Du sagst, dass der Rat den Kandidaten vorschlagen muss, den das Parlament wählen will. Das ist formal falsch, faktisch aber teilweise richtig, wenn er überhaupt eine Kommission will. Ich sag, dass das Parlament erstmal eine absolute Mehrheit braucht, damit der Rat überhaupt wen vorschlagen kann, der dann bestätigt wird. Wenn beispielsweise die EVP sagt, sie wählt nur X, dann ist das Parlament nicht weniger gezwungen, das zu akzeptieren, als der Rat, wenn es eine Kommission will. Unabhängig von der Zahl der Fraktionen und der fraktionslosen Abgeordneten. Außer es gibt eine andere Mehrheit, aber dann gibts ja kein Problem.

Also entweder führt das Verfahren wegen seiner Blockademöglichkeiten dazu, dass sich die Beteiligten mehr oder weniger gütlich einigen, oder es ist halt per se funktionsuntüchtig. Aber nicht auf der einen Seite so und auf der anderen anders, wenn man nicht den Beteiligten selektiv den guten Willen absprechen will.


Ich bezweifle nicht ernsthaft, dass mit dem "neuen Kandidaten" ein anderer als zuvor gemeint ist, auch wenn z.B. eine Neuwahl nicht ausschließt, dass die neuen Kandidaten die alten sind und auch wieder gewählt werden. Irgendwelche Abstriche am idealtypischen Neuen muss man aber sowieso machen. Sie werden ja wohl auch keinen frisch gezeugten gemeint haben (hab jetzt grad nicht präsent, ob es da noch Einschränkungen bei der Wählbarkeit gibt). In härteren Konfliktfällen muss man aber davon ausgehn, dass die Interpretationen spitzfindiger werden.

Dass Fraktionen geografisch gespalten sein können, sollte nicht implizieren, dass sich dann die Teile fraktionsübergreifend einig sind (obwohl das im Einzelfall gegeben sein kann). Von einem "bürgerlichen Lager" kann man im EU-Parlament noch viel weniger sprechen als in der hiesigen Politik. Wobei trotz Allem die Flexibilität, mit der sich die Abgeordneten in Schemata begeben, die mit den angestammten in ihren Herkunftsländern recht inkompatibel sind, noch ziemlich erstaunlich ist.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 19:54 Uhr:   

"Du sagst, dass der Rat den Kandidaten vorschlagen muss, den das Parlament wählen will."

Nein, ich sagte nur, dass das EP faktisch mindestens so viel Macht bei der Kandidatenauswahl hat, wie der Rat. In der Tat müssen sich die beiden irgendwie einigen, wenn es überhaupt eine Kommission geben soll, und es muss insbesondere überhaupt eine absolute Mehrheit für einen Kandidaten im Parlament geben.

Und je zersplitterter das Parlament ist, desto schwieriger wird potenziell die Mehrheitsunterstützung für irgendeinen Kandidaten. Das ist genau das gleiche Argument wie für die Sperrklausel bei Bundes- oder Landtagen, und erstmal völlig unabhängig vom Rat (der eine Konsensfindung unabhängig von der EP-Zusammensetzung natürlich prinzipiell zusätzlich erschwert). Siehe Weimar, Belgien, ...
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 22:31 Uhr:   

"Nein, ich sagte nur, dass das EP faktisch mindestens so viel Macht bei der Kandidatenauswahl hat, wie der Rat."
Bereits dem Vorschlag des Rates, für den die qualifizierte Mehrheit (55% der Mitglieder mit 65% der Bevölkerung) erforderlich ist, geht eine Konsensfindung über echte oder vermeintliche Lagergrenzen hinweg voraus. Das diese Einigung vom EP torpediert wird, ist unwahrscheinlich. Ein Kandidat, der im EP absehbar scheitern wird, dürfte erst gar nicht nominiert werden.


"Siehe Weimar, Belgien, ..."
Weder in Belgien noch in der Weimarer Republik sind bzw. waren die relativ vielen Parteien der Grund für die schwere Mehrheitsfindung, sondern eher der Unwille, zusammenzuarbeiten. Gerade in der Schlussphase der Weimarer hat die Zahl der relevanten Parteien abgenommen und in Österreich waren in der 1. Republik die Regierungen bei viel weniger Parteien genauso instabil.
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tg
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 22:34 Uhr:   

Belgien hat übrigens eine 5-%-Hürde in jedem der getrennten Wahlgebiete und trotzdem ein völlig zersplittertes Parlament.
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Hanseat
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 20. Mai 2013 - 22:41 Uhr:   

"Belgien hat übrigens eine 5-%-Hürde in jedem der getrennten Wahlgebiete und trotzdem ein völlig zersplittertes Parlament."

Das Parlament wäre mit einer landesweiten 5-%-Hürde wohl eher weniger zersplittert. Ich verstehe ohnehin nicht, wieso man Parteien an Sprachgrenzen teilen muss. Warum ist esíner Partei verwehrt, landesweit mit einer Liste anzutreten, deren Kandidaten sich schlicht als Belgier und nicht als Flamen oder Wallonen empfinden? Ich halte das für eine unzulässige Einschränkung der Wahlfreiheit (passiv wie aktiv).

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