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Warum wurde die Erststimme eingeführt...

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Scott
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 05. Januar 2013 - 13:26 Uhr:   

Guten Tag! Weißt jemand die Gründe, warum der Deutsche Bundestag in der ersten Legislaturperiode die Erststimme für Bundestagswahlen einführte? Danke.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 05. Januar 2013 - 17:52 Uhr:   

Praktisch wahrscheinlich deshalb, weil sich die FDP Vorteile davon versprochen hat. Das war im Wesentlichen ein Entwurf der FDP, den sie zusammen mit SPD, Zentrum und Bayernpartei gegen die eigene Regierung durchgesetzt hat. Zumindest die SPD war eigentlich gegen ein Zweistimmensystem, hat so aber Schlimmeres verhindern können.

Eventuell hat dabei aber auch eine Rolle gespielt, dass bereits der Regierungsentwurf ein Zweistimmensystem war. Das war allerdings im Prinzip ein Grabensystem, in dem die Hauptstimme für beide Teile verwendet worden wär. Die Hilfsstimme war nur eine Art Alternativstimme, mit der FDP-Wähler den Unionskandidaten wählen sollten. Außerdem hätte es ein listenverbindungsartiges Konstrukt gegeben, bei dem der Graben intern nicht gegolten hätte, damit es für die FDP attraktiver wird und primär der SPD schadet.

Die damaligen Drucksachen sollten eigentlich längst online sein. Nachdem bisher nichts davon zu hören ist, scheint auch die Umstellung des DIP in der aktuellen Weihnachtspause nicht mehr stattzufinden (nächste Woche wär noch eine Chance). Da könnte man wohl zumindest die offizielle Begründung nachlesen.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 05. Januar 2013 - 18:56 Uhr:   

"Das war im Wesentlichen ein Entwurf der FDP, den sie zusammen mit SPD, Zentrum und Bayernpartei gegen die eigene Regierung durchgesetzt hat."
Richtig, wobei die Union noch die bundesweite 5%-Hürde durchgesetzt hat.

"Eventuell hat dabei aber auch eine Rolle gespielt, dass bereits der Regierungsentwurf ein Zweistimmensystem war."
Anzunehmen. Damals konnte die FDP nicht unbedingt auf nennenswert mehr Zweit- als Erststimmen hoffen und bekam die auch vor 1965 nicht. Eine öffentliche Debatte zu dem Thema scheint es damals nicht gegeben zu haben, wobei das Wahlgesetz ja unter großem Zeitdruck durchgepeitscht wurde. Die Wahl war am 6. September, der Bundestag verabschiedete das Bundeswahlgesetz erst am 25. Juni, 8 Tage nachdem die von Union und DP gewollte Grabenkonstruktion in zweiter Lesung durchgefallen und der FDP-Entwurf angenommen worden war. Die Ausfertigung war am 8. Juli, in Kraft trat es am 11. Juli, also nur 57 Tage vor der Wahl. Für die Union war die Zweistimmenkonstruktion mit der im Gegensatz zu Bayern (bis Ende der 70er Jahre das einzige Landtagswahlrecht mit zwei Stimmen) viel unwichtigeren Erststimme insofern vorteilhaft, als sie so Wahlkreisabsprachen machen konnte ohne (Zweit-)Stimmen zu verlieren. 1953 bekam die Union sogar mehr Zweit- als Erststimmen.
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Scott
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Mittwoch, 09. Januar 2013 - 12:19 Uhr:   

Vielen Dank!
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 07. März 2013 - 20:19 Uhr:   

Die heutige Zwei-Stimmen-Konstruktion war eher Zufallsprodukt und ist in der Form eigentlich gar nicht begründet worden. Die Einführung von zwei Stimmen geht auf einen Änderungsantrag des CDU-Abgeordneten Hugo Scharnberg in der Ausschussberatung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zurück. Da die ursprünglich vorgesehene Konstruktion mit Haupt- und Hilfsstimme kein positives Echo fand, wollte die Union sie durch eine klassische absolute Mehrheitswahl mit zwei Wahlgängen ersetzen und in dem Zusammenhang sollten dann Erst- und Zweitstimme eingeführt werden. Diese Änderung wurde im Wahlrechtsausschuss mit 14 zu 13 Stimmen angenommen. Daraufhin beantragte der FDP-Abgeordnete Onnen (der eigentlich das Wahlrecht wie 1949 wollte, nur mit 50 statt 60 % Direktmandatsanteil, was im Ausschuss mit einer Stimme Mehrheit durchfiel) eine weitergehende Änderung. Das, was von der FDP vorgeschlagen wurde, war das Wahlrecht, wie es tatsächlich beschlossen wurde, aber mit einer 3 %-Hürde in jedem Land statt einer 5%-Hürde bundesweit. Dies wurde vom Ausschuss so mit den Stimmen von SPD und FDP beschlossen. Bei der 2. Lesung im Plenum am 17.6.53 wurde die Ausschussfassung dann gegen die Stimmen von Union und Teilen von FDP und DP in eine der Union noch mehr missfallenden Richtung verschärft auf Antrag der FU-Fraktion (BP+Zentrum). Danach sollte es reichen, in einem Land 3% zu erreichen, um überall an der Sitzverteilung teilzunehmen. Zwischen dem 17.6. und der Verabschiedung am 25.6. hat die Union dann wohl offensichtlich notgedrungen das Grabenwahlrecht aufgegeben und dann mit der FDP eine Verbesserung in ihrem Sinne ausgehandelt, nämlich die 5%-Hürde auf Bundesebene.

Zur Begründung der ursprünglich für das Grabenwahlrecht gedachten Einführung von zwei Stimmen sagte Scharnberg in der Sitzung vom 17.6.53:
Außer der grundsätzlichen Änderung hatten wir in den Anträgen, die ich im Wahlrechtsausschuß namens meiner Freunde gestellt habe, noch eine zweite Änderung vorgesehen. Diese Änderung bezweckte, eine noch schärfere Trennung zwischen dem Mehrheits- und dem Verhältnissektor durchzuführen, als der Regierungsentwurf es schon vorsah. Wir hatten nämlich vorgeschlagen, dem Wähler zwei Stimmen zu geben, von denen die eine für die Mehrheitswahl und die andere für die Verhältniswahl gedacht war. Auf diese Weise sollte im Sinne des Personenwahlrechts dem Wähler die Möglichkeit gegeben werden, einer Persönlichkeit sein Vertrauen und seine Stimme auch dann zu geben, wenn diese Persönlichkeit einer Partei angehört, welcher der betreffende Wähler seine Stimme nicht geben will. In diesem Fall kann er die zweite, für die Verhältniswahl gültige Stimme der Liste einer andern Partei geben.

Der Ausschuß hat nun der Einführung der zwei Stimmen, nicht aber der von uns gewünschten Trennung zwischen Mehrheitswahl und Verhältniswahl zugestimmt, so daß alle in der Mehrheitswahl errungenen Mandate auf die verhältnismäßig zu verteilenden Sitze angerechnet werden sollen, wodurch das reine Proporzsystem für den ganzen Bundestag zum Zuge kommt. Dieses System aber lehnen wir ab, und wir wünschen, an dessen Stelle die Trennung zwischen Mehrheits- und Verhältniswahl wiederherzustellen, um auf diese Weise dem Grundsatz der Mehrheitswahl wenigstens zu 50 % Geltung zu verschaffen.
http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/01/01272.pdf

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