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Archiv bis 28. August 2012

Wahlrecht.de Forum » Wahlsysteme und Wahlverfahren » Bundestagswahlen » Negatives Stimmgewicht & Bundesverfassungsgericht » Archiv bis 28. August 2012 « Zurück Weiter »

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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Freitag, 10. August 2012 - 18:07 Uhr:   

Die Zusatzsitze nach irgendwelchen Ansprüchen zu verteilen dürfte übrigens noch deutlich schlechter sein. Damit hat man auch noch 2 konkurrierende Sätze von Unterverteilungen (oder was Ähnliches) und genau den Mechanismus aus dem alten Wahlrecht wieder drin, den man eigentlich vermeiden wollte: Überhängende Liste hat mehr Stimmen, nimmt damit einer nicht überhängenden Liste der selben Partei einen Sitz weg, womit er vom Überhang absorbiert wird und weg ist (ohne sonstige Änderung). War ja auch im Koalitionsentwurf so; an dem Punkt haben sie später noch nachgebessert.

Inzwischen sind in der Simulation (mit bundesweiter Verrechnung der Zusatzsitze; Basis 2009) 700 Fälle durchgelaufen. Absolutes negatives Stimmengewicht tritt zu 96,9% auf, relatives zu 89,0%. Durchschnittlich betroffen sind 13,8% bzw. 16,6% der Landeslisten (ohne doppelte Zählung bei Betroffenheit in beide Richtungen); absolut sind das überwiegend die überhängenden der CDU (weil da beim Kippen der Parteienoberverteilung meist etliche Listen gleichzeitig betroffen sind); relativ sind es bei der CDU weniger und bei den anderen deutlich mehr (überhängende Listen profitieren ziemlich häufig von einem absoluten Verlust, während andere auch bei einem absoluten Gewinn oft schlechter dastehn).
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Bobo
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Samstag, 11. August 2012 - 22:06 Uhr:   

Ratinger Linke schrieb:
> Der relative Nachteil ist hier überall nicht besonders groß, aber wie
> gesagt lassen sich auch Fälle konstruieren, wo ausschließlich die
> Partei mit den zusätzlichen Stimmen einen Sitz verliert.

Das gilt aber nicht für meinen Vorschlag mit Vollausgleich oder auch,
wenn man eine Anzahl von ÜM bestehen lässt. Bekommt eine Partei
zusätzliche Stimmen, so kann sie nur dann einen Sitz einbüßen, wenn eine
relevant überhängende Partei P einen Sitz verliert. P hat dann aber
nicht die zusätlichen Stimmen bekommen.

Umgekehrt: Bekommt eine Partei weniger Stimmen, so kann sie nur dann
einen Sitzzugewinn verbuchen, wenn eine andere Partei einen Sitz gewinnt
und nun die Oberverteilung sich genau an den Sitzen dieser Partei
ausrichtet.

Daher lassen sich die üblichen Beispiele von NSG, bei denen die
Sitzzahlen der anderen Parteien konstant bleiben, nicht konstruieren.

Bei meinem Hamburger Beispiel, welches für Sie offenbar im Prinzip ein
Beispiel für NSG ist, ergibt sich bei zusätzlichen Stimmen für die SPD
(bundesweit) ein Sitzanteil von 0,2447... (= 163/666) Der Anteil für die
SPD hinsichlich der Ausgangsverteilung ist aber 0,2444... Die SPD hat im
Anteil also durchaus dazugewonnen. (Das ist übrigens bei dem
NSG-Beispiel von wahlrecht.de hinsichtlich des SPD-Vorschlags nicht so,
wenn ich mich nicht irre. Der Mandatsanteil der SPD sinkt dort mit der
Zunahme der Stimmen). Hinsichtlich der relativen Erfolgswerte ergibt
sich für mein Beispiel folgendes Ergebnis für die SPD:

Bei der Ausgangsverteilung: 0,99727...
Bei zusätzlichen Stimmen für die SPD (in Hamburg eine Stimme mehr als
für die CDU): 0,99825...
Also auch hier eine Zunahme.

Der absolute Erfolgswert ist aus mehreren Gründen eine ungeeignete
Größe, deshalb wurden oben die Anteile genommen.

Da NSG sowieso ein wahrscheinlichkeitstheoretischer Effekt ist, würde
erst eine diesbezügliche genauere Analyse meines Vorschlags zu
aussagekräftigen Ergebnissen führen. Und dabei kommt es dann noch auf
das jeweilige wahrscheinlichkeitstheoretische Modell an, das ich auch
gerne sehen möchte. (Nicht nur irgenwelche Ergebnisse.)


MfG Bobo.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. August 2012 - 10:12 Uhr:   

Das Beispiel geht genauso mit der Linken statt der SPD, und die verliert auch relativ. Ist aber auch ziemlich egal, weil jedenfalls absolutes negatives Stimmengewicht auftritt, dessen Unzulässigkeit eigentlich niemand bezweifelt. Natürlich ist das eine ungeeignete Größe, aber das spielt hier keine Rolle.

Negatives Stimmengewicht ist kein wahrscheinlichkeitstheoretischer Effekt, sondern streng deterministisch. Man kann bloß Auftretenswahrscheinlichkeiten berechnen, solang das Wahlergebnis nicht bekannt ist. Ob ein Wähler daraus Konsequenzen ziehn kann, ist aber irrelevant.

Ob man alle Überhangmandate ausgleicht oder nicht, macht übrigens bei der Auftretenswahrscheinlichkeit schon einen Unterschied. Hat wahrscheinlich vorallem damit zu tun, dass bei teilweisem Ausgleich auf Basis 2009 Überhang bei in den Ländern nicht überhängenden Parteien relevant werden kann, was zusätzliches negatives Stimmengewicht verursacht.

Bei den Auftretenswahrscheinlichkeiten hab ich immer das Modell von BMI/BSI (Anhang A) verwendet, das zwar nicht besonders gut ist (insbesondere sind da die Direktmandate teilweise faktisch konstant), aber brauchbar. Getrennte Länder mit Ausgleich aller Überhangmandate per Parteienoberverteilung schneiden da auf der Basis 2009 ziemlich gut ab: Nur 60% der Fälle haben negatives Stimmengewicht (nach der Zählung von BMI/BSI, die nicht alle Vorkommen berücksichtigt).
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Bobo
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Sonntag, 12. August 2012 - 15:06 Uhr:   

Ratinger Linke schrieb:
> Das Beispiel geht genauso mit der Linken statt der SPD, und die
> verliert auch relativ.

Das ist richtig. Ich habe auch nicht behauptet, dass dieser Effekt nicht
eintreten könne. Aber das wäre noch kein hinreichender Grund, so ein
Gesetz für verfassungswidrig zu erklären. Das BVerfG hat selbst ein
"Hintertürchen" offen gelassen, welches zu einer Differenzierung führen
kann. Im übrigen könnte ein neuerliches Bedenken der Situation weitere
"Hintertürchen" liefern. (s.u.)

> Ist aber auch ziemlich egal, weil jedenfalls absolutes negatives
> Stimmengewicht auftritt [...]

Die Phrase

"Eine Partei darf nicht für mehr Stimmen weniger Sitze
erhalten und auch nicht für weniger Stimmen mehr Sitze."

ist eigentlich nur in einem bestimmten Kontext zu sehen und im Allgemeinen
untauglich. Im BWG 2008 ist absolutes NSG an relativem NSG gekoppelt gewesen.
Für das BVerfG ergab sich 2008 hier nicht die Notwendigkeit, einen Unterschied
herauszustellen. Vielleicht war dem BVerfG auch damals nicht klar, dass
es verschiedene Definitionen von NSG geben könne. Wie auch immer, beide
Typen von NSG waren beim BWG 2008 aneinander gekoppelt.

Heute gibt es aber Alternativen, bei denen z.B. eine konkrete Situation
absolutes, aber nicht relatives NSG liefert. Damit wird eine neuerliche
Betrachtung von NSG-Effekten notwendig und man wird die üblichen
"Phrasen" diesbezüglich relativieren (müssen). Insbesondere würde auch
das BVerfG bei einschlägigen Klagen gewisse seiner Phrasen relativ zu
einem Kontext beurteilen. Das wäre quasi nur eine Präzisierung in der
Rechtsprechung.

Die Frage ist, ob diese Art der Ausgleichsregelung deshalb
verfassungswidrig ist? Auch bei dem Wahlgesetz in Niedersachsen kann
eine Partei durch zusätliche Stimmen Sitze einbüßen. Wird hier bei
einschl. Klagen aber keine Verfassungswidrigkeit festgestellt, dann
ergibt sich mglw. eine Inkohärenz in der Rechtsprechung, wenn nun der
Vorschlag, den ich angeführt habe, ggf. für verfassungswidrig erklärt
wird. Es kommt natürlich im weiteren auf die Begründung an.

Damit könnte ein Dominoeffekt ausgelöst werden, bei dem andere
Wahlgesetze auch fallen. Hier ist also größte Vorsicht geboten.

> Getrennte Länder mit Ausgleich aller Überhangmandate per
> Parteienoberverteilung schneiden da auf der Basis 2009 ziemlich gut
> ab: Nur 60% der Fälle haben negatives Stimmengewicht (nach der Zählung
> von BMI/BSI, die nicht alle Vorkommen berücksichtigt).

Beim ersten Überfliegen des Modells scheint es mir so zu sein, dass nur
absolutes NSG untersucht wird. Hier müssten hinsichtlich meines
Vorschlags noch alle die Situationen herausgefiltert werden, die zwar
absolutes, nicht aber relatives NSG ergeben. In dem paper (Ihre angeg.
Referenz) wird folgendes Beispiel für NSG bzgl. des Vorschlags der SPD
angeführt::

BTW-2009: SPD 163, CDU 194, CSU 46, FDP 103, Grüne 76 und Linke 84 Sitze
Annahme: Die CDU erhalte in TH 7400 Zweitstimmen weniger.
Resultat: SPD 164, CDU 195, CSU 47, FDP 104, Grüne 76 und Linke 85 Sitze

Absoutes NSG liegt damit vor. Der Mandatsanteil der CDU beträgt in der
Ausgangssituation 194/666 ~= 0,2912. In der fiktiven Situation 195/671
~= 0,2906. Es liegt also kein relatives NSG vor. Dieser Fall wäre also
für meine Begriffe herauszufiltern. Filtert man alle diese Fälle heraus, dann
könnte dieses zu wesentlich anderen Ergebnissen führen.


MfG Bobo.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. August 2012 - 17:41 Uhr:   

@Bobo:
"Im BWG 2008 ist absolutes NSG an relativem NSG gekoppelt gewesen."

Das stimmt nicht. Richtig ist nur, dass beim alten Wahlsystem immer nur 1 Sitz gleichzeitig kippt. Es ist aber nicht um die einzelnen Sprünge gegangen, sondern um die Wirkung ganzer Stimmenpackete. Wenn die CDU z.B. in Baden-Württemberg keine einzige Zweitstimme hat, profitiert sie davon absolut, hat aber relativ einen deutlichen Verlust.

Nach Angabe von wahlrecht.de ist das auch in der mündlichen Verhandlung herausgestellt worden. Im dort verlinkten Artikel (den das Bundesverfassungsgericht sicher gelesen hat) wird auch ziemlich explizit gesagt, dass das negative Stimmengewicht einen Vorteil für die von zusätzlichen Stimmen betroffenen Parteien bedeutet ("Die kleinen Parteien hätten wegen ihres dann größeren Zweistimmenanteils mehr Sitze erhalten, trotzdem wäre ihr Sitzanteil im Bundestag gesunken").

Auch bei der Simulation nach BMI/BSI, die nur das jeweils erste Vorkommen wertet, tritt beim alten Wahlrecht absolutes ohne relatives negatives Stimmengewicht auf, nämlich dann, wenn zuerst in der Oberverteilung Sitze gewonnen werden und erst später in der Unterverteilung welche absorbiert (wenn der relative Vorteil schon so groß ist, dass er nicht mehr umgedreht werden kann). Die künstlich beschränkte Suchbreite reicht dafür allerdings nur in den größeren Ländern, deshalb ist die nominelle Wahrscheinlichkeit für ausschließlich absolutes negatives Stimmengewicht ziemlich gering. Tatsächlich tritt das aber fast immer auf (jedenfalls bei der am stärksten überhängenden Partei). Es ist auch genau der Effekt, der normalerweise für den Wähler relevant ist.

"Die Frage ist, ob diese Art der Ausgleichsregelung deshalb verfassungswidrig ist? Auch bei dem Wahlgesetz in Niedersachsen kann eine Partei durch zusätliche Stimmen Sitze einbüßen."

Niedersachsen hat aber nicht "diese Art" von Ausgleichsregel. Wenn es diese Art wär (bloß ohne unterteiltes Wahlgebiet), würd es auch kein negatives Stimmengewicht geben. Das, das es gibt, wird in Niedersachsen von der pauschalen Erhöhung der Gesamtsitzzahl verursacht. Mit schrittweiser Erhöhung würd es da kein negatives Stimmengewicht geben.

Natürlich sind auch viele andere Wahlgesetze nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts verfassungswiedrig. Aber es hat halt noch niemand dagegen geklagt.

"Beim ersten Überfliegen des Modells scheint es mir so zu sein, dass nur absolutes NSG untersucht wird."

Genau genommen sind nur die Ergebnisse zum absoluten negativen Stimmengewicht veröffentlicht worden. Lässt sich aber problemlos auf relatives erweitern.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 12. August 2012 - 17:56 Uhr:   

@Ratinger Linke:
"Im dort verlinkten Artikel (den das Bundesverfassungsgericht sicher gelesen hat) wird auch ziemlich explizit gesagt, dass das negative Stimmengewicht einen Vorteil für die von zusätzlichen Stimmen betroffenen Parteien bedeutet"

Äh, genau andersrum. Die Aussage im Artikel ist schlicht falsch, wie man auch leicht mit der dort verlinkten Tabellenkalkulation nachprüfen kann. Dann muss man natürlich in Betracht ziehn, dass das Bundesverfassungsgericht von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Das hätten sie aber im aktuellen Urteil problemlos korrigieren können.
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Bobo
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Montag, 27. August 2012 - 17:47 Uhr:   

1. Aus der Phrase "eine mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl"
lässt sich rechtlich offenbar nicht zwingend herleiten, dass ein
entsprechendes Wahlrecht ein Verhältniswahlrecht sein muss. Das BVerfG
hat im NSG-Urteil von 2008 in Absatz selbst auf die Möglichkeit
verwiesen, dass man diesbezüglich auch ein Grabensystem anordnen könne.

2. Warum wird das BWG 1956 als Verhältniswahlrecht eingestuft? Ich
meine, ist diese Kategorisierung reine Willkür oder gibt es dafür gute
Gründe? Es mag sein, dass gewisse Intentionen vor 60 Jahren eine Rolle
spielten und so schließlich auch die Rechtsprechung entsprechend
bestimmt wurde. Aber das scheint mir - vor allem heute - kein
zureichender Grund zu sein, um dieses System noch als ein
Verhältniswahlrecht ansehen zu müssen. Ein Grund, der mir eher gefällt,
ist der, dass im BWG 1956 alle Sitze im Regelfall nach Proporz verteilt
werden. (Modulo der bekannten Ausnahmen: Sitze für Unabhängige etwa.)
Die Überhangmandate, die dann bei der Unterverteilung entstehen, sind
dann Mandate außerhalb des Regelfalls. Der Terminus "Regelfall"
"impliziert" hier also das Verhältniswahlrecht. Ich will dieses Argument
hier übrigens nicht weiter bewerten, sondern eben nur einen Weg zum
Verstehen des Sachverhaltes aufzeigen.

Beim Kompensationsmodell der Grünen ist es wieder die Oberverteilung,
die es nahe legt, von einem Verhältniswahlrecht zu sprechen. Allerdings
wird hier von vornherein nur die "abstrakte" Parteistimme herangezogen.
Bezüglich der Unterverteilung können sich aber Resultate ergeben, die
man nicht mehr einem Verhältniswahlrecht zuordnen möchte; das ist auch
der eigentliche Kritikpunkt an dem Modell. Der Wähler wählt eben nicht
nur eine Partei (wenn man das überhaupt so sagen kann), sondern die
konkreten Wahlvorschläge eines Landesverbandes. Er wählt, auch wenn es
Listen sind, letztlich die Personen auf diesen Listen. Allerdings
verweisen einige Befürworter des Kompensationsmodell darauf, dass
verfassungsrechtlich eine Verzerrung des Proporzes bei der
Unterverteilung von geringerem Gewicht sei. Tatsächlich wird das
Verhältniswahlprinzip bei der Unterverteilung nämlich außer Kraft
gesetzt, um eben dem Parteienproporz auf Bundesebene Geltung zu
verschaffen.

Wenn man nun in einem Bundesland (ganz separat) nach dem
Zwei-Stimmen-System wählen würde, wobei von vornherein die
Direktmandatsbedingte Divisormethode mit Standardrundung, hier kurz mit
DDS bezeichnet, zum Einsatz kommt (also keine Ober- und dann
Unterverteilung), dann würden sich u. U. die nicht "überhängenden"
Parteien eine gewisse Anzahl von Restsitzen nach Proporz teilen müssen;
eine "überhängende" Partei bekommt alle ihre Direktmandate zugeteilt.
Wenn man hier noch ein Verhältniswahlrecht sehen möchte, dann wäre nach
heutiger Rechtsprechung die 15-ÜM-Norm zu beachten.

Aber es handelt sich hier nicht um ein Verhältniswahlrecht, sondern um
ein System, bei welchem die Personenwahl die Priorität hat und der
Proporz ggf. zurücktritt. Das ist das eigentliche Wesen der DDS, welches
sich auch direkt aus der Verfahrensweise ableiten lässt. Man kann hier
auch nicht mehr von einer Regelzahl von Sitzen sprechen, die nach
Proporz verteilt werden (wie eben etwa beim BWG 1956, s.o.). Die
Regelzahl (die nominale Hausgröße) der Sitze wird nach dem Prinzip der
DDS verteilt, wobei der Proporz ggf. eine untergeordnete Rolle spielt,
genauso wie bei der Unterverteilung in den Kompensationsmodellen.

Wird somit dieses System korrekterweise nicht als ein
Verhältniswahlrecht eingestuft, so ist auch eine 15-ÜM-Norm irrelevant.
Betrachten wir nun folgendes Modell:

(M) Gewählt wird nach der 1949'er-Regelung, wobei in den Ländern nach
der DDS abgerechnet wird.

Es gibt keine bundesweite Oberverteilung nach Zweitstimmen; die Wahl
findet in separaten "Wahlkörpern" statt, in denen ein Mischwahlsystem
etabliert ist, welches der Personenwahl die Priorität gibt.
Erfolgswertbetrachtungen, die man bei einem Verhältniswahlrecht
rechtlich ansetzen muss, sind hier von vornherein eingeschränkt und
eigentlich nur operationalistischer Natur. Aber es wird eine sog.
"bedingte Erfolgswertoptimalität" mit der DDS gewährleistet. "Bedingt"
eben deshalb, weil das Personenwahlprinzip bei konkreten Wahlen
durchschlagen könnte.

3. Nun, alle Parteien der Opposition und die FDP werden so ein System
bei einer nominalen Hausgröße von 598 Sitzen nicht haben wollen. Aber
man kann diesen Parteien entgegenkommen, indem man die Hausgröße auf -
sagen wir - 656 Sitze herauf setzt. Wegen des Ein-Stimmen-Systems werden
wohl weniger "ÜM" anfallen (ich setze hier ÜM in Anführungszeichen, da
sie, wenn das System korrekterweise rechtlich nicht als
Verhältniswahlsystem eingestuft wird, auch keine rechtliche Relevanz
haben. Die Relevanz besteht in diesem Denkmodell allenfalls darin,
gewisse Opponenten davon zu überzeugen, dass, auch wenn ein System kein
Verhältniswahlrecht ist, Bedingungen geschaffen werden können, die nicht
allzu große Abweichungen vom Proporz zur Folge haben.)
Hinzu kommt, dass bei einer Verringerung des Direktmandatsanteils - hier
auf etwa 45 % - eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen wird, dem Proporz
in den Ländern entgegenzukommen. Aber auch eine Verringerung auf 45 %
macht dieses System nicht zu einem Verhältniswahlrecht. Vielleicht mag
man ein Verhältniswahlrecht sehen, wenn der Anteil der Direktmandate bei
10 % läge. Aber das erscheint mir auch willkürlich. Die DDS spricht für
sich; bei 10 % ist es eben so, dass in der Praxis die formale Dominanz
der Personenwahl eben keine Rolle mehr spielt. Es bleibt aber formal ein
Mischsystem.

Mit dem Modell (M) (hier mit nominaler Hausgröße von 656 Sitzen und 299
Wahlkreisen) lassen sich also wohl Resultate erzielen, welche nicht
allzu große Abweichungen vom Proporz in den Ländern liefern. Der Trick
bei diesem Modell ist, dass man die 15-ÜM-Norm nicht beachten muss, aber
dennoch sehr wahrscheinlich Ergebnisse erhält, die weitgehend
proportional sein dürften, ohne dass man dabei ein Verhältniswahlrecht
hat. Die SPD könnte bei diesem System in Zukunft übrigens auch selbst in
den Genuss vieler Direktmandate, die sich für sie "günstig" erweisen,
kommen. Sie würde sich damit einige Optionen mit der Union offen halten.
Politisch gesehen würde ein Verhältniswahlrecht nach der BTW 2013 wohl
eh eine große Koalition hervorbringen. Beim Modell (M) wird es sich wohl
nicht anders verhalten. Allerdings könnte es sein, dass (M) dazu führt,
dass so eine große Koalition recht komfortabel die Zwei-Drittel-Mehrheit
überschreitet, was im Hinblick auf die anstehende Europapolitik nicht
unerheblich sein dürfte.

4. Das Modell (M) vermeidet NSG. Es respektiert (strikt) die nominale
Hausgröße von 656 Sitzen, was eindeutig ein Vorteil gegenüber allen
Ausgleichsmodellen ist, welche die Hausgröße in nicht geringer
Wahrscheinlichkeit auch auf über 700 Sitzen anwachsen lassen kann. Wird
bei solchen Ausgleichsmodellen ein Deckel unter 700 gemacht, dann kann
es auch dort passieren, dass eine gewisse Anzahl von ÜM übrig bleiben.
Hier ist dann allerdings die 15-ÜM-Norm relevant.


MfG Bobo.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 27. August 2012 - 19:56 Uhr:   

@Bobo:
"Warum wird das BWG 1956 als Verhältniswahlrecht eingestuft?"

Das ist ziemlich egal. Tatsache ist nur, dass es das Bundesverfassungsgericht tut (bezüglich dem Grundcharakter). Ursache wird halt sein, dass sie an der bedingungslosen Zulässigkeit der Mehrheitswahl festhalten wollen, andererseits aber auch am Konzept der Erfolgswertgleichheit, das man damit nicht mehr vernünftig herleiten kann. Also muss die unterstellte Grundentscheidung für die Verhältniswahl die magische Quelle der Erfolgswertgleichheit sein.

Wenn man das vernünftig machen würde, würde man die Erfolgswertgleichheit aus der Wahlgleichheit oder direkt aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ableiten, unter der Voraussetzung, dass die Parteien und/oder sonstigen Listen die überwiegend relevante Entscheidungslinie sind. Bezüglich der Parteien ist das auch ziemlich explizit vom Grundgesetz gedeckt; bloß wird dann gleichzeitiges Parteienbashing schwieriger. Ansonsten kann man einfach die wahltechnische Erfordernis zusammen mit der politischen Wirklichkeit heranziehn.

Das würd dann andere Systeme auch noch nicht ausschließen, wenn sich die Voraussetzung ändert. Bei der Relevanz der Parteien könnte der Gesetzgeber leicht nachhelfen, indem er Wahlbewerber nichtmehr von Parteien oder sonstigen Organisationen aufstellen lässt. Unter solchen Umständen wär sogar ein Mehrheitswahlrecht weiter rechtfertigbar (jedenfalls mit IRV oder Condorcet).

Einschränkungen von der maximalen Erfolgswertgleichheit wären weiter zulässig, sofern ein hinreichender Grund dafür besteht. Das könnte man etwa bei STV in ausreichend großen Wahlkreisen annehmen oder wie bisher bei der Sperrklausel. Auch eine Obergrenze für Überhang könnte man so noch halbwegs sinnvoll ableiten.

"Wird somit dieses System korrekterweise nicht als ein
Verhältniswahlrecht eingestuft, so ist auch eine 15-ÜM-Norm irrelevant."


Die 15 Überhangmandate sind ohnehin nicht fix. Das Bundesverfassungsgericht hat ja ausdrücklich gesagt, dass sie sich "innerhalb des gesetzgeberischen Konzepts halten" müssen, und zur Ermittlung der Zahl insbesondere die Neuregelung zu den Berliner Zweitstimmen herangezogen. Wenn man die wieder streicht, wären u.U. schon 20 oder 25 Überhangmandate drin.

Es schaut aber nicht danach aus, als ob man dem Bundesverfassungsgericht irgendwie vermitteln könnte, dass Überhangmandate bedingungslos zum gesetzgeberischen Konzept gehören oder wegdefiniert sind. Die konkrete Zahl ist schon deshalb ziemlich pervers, weil man ja gleichzeitig das Konzept weitgehend gekippt hat und völlig unklar ist, was das neue Konzept sein wird.
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Jan W.
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 27. August 2012 - 20:50 Uhr:   

@Bobo
Die "Anordnung" eines Grabenwahlsystems wäre sicherlich hochgradig illegal. Möglich wäre aber die demokratische Verabschiedung eines entsprechenden Bundeswahlgesetzes durch den Bundestag - aber wer sollte das dort beschließen wollen!?
Natürlich haben wir ein Verhältniswahlrecht - es strebt an, dass das Verhältnis der Zweitstimmen sich im Bundestag möglichst genau wiederspiegelt. Diesen Zweck hat es auch vor der Wiedervereinigung und dem Abrutschen der Volksparteien ziemlich gut erfüllt!

Natürlich muss man das Verhältnis von Wahlkreisen und regulärer Hausgröße neu ausloten: allerdings sollte man die Zahl der Wahlkreisen absenken, statt den Bundestag aufzublähen. Dreierwahlkreise wären hier sehr praktisch - sie erhalten die Zahl der direkt gewählten (oder können sie nach einer Testphase sogar erhöhen) Abgeordneten, verhindern aber, dass die Direktwahl durch viele kleine Einerwahlkreise einseitig in eine Richtung kippt, die durch den Sitzanspruch der Landesliste nicht mehr gedeckt werden kann.

STV ist bei Einerwahlkreisen übrigens ganz großer Blödsinn - STV und IRV machen nur Sinn, wenn hier wirklich einzelne Ämter zu besetzen sind, wie das eines Oberbürgermeisters. Die Wahl eines Gremiums in möglichst viele Einzelwahlen zu zerhacken, um einzelne Parteien zu begünstigen, deren Wähler nah beieinander wohnen (z.B. die CSU im Vergleich zu FDP/Linke/Grüne), ist grob manipulativ!
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Taugenichts
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 27. August 2012 - 20:58 Uhr:   

In einer Sendung des Deutschlandfunks ging es heute um die Wahlrechtsreform:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1850780/
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Nikolaus Krause
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 10:54 Uhr:   

Und von heute früh ein DLF-Interview mit Günther Krings:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1851143/

"Es war am Ende aber auch der Zeitdruck da, weil das Verfassungsgericht ja eine Frist gesetzt hat, die wir im Übrigen leider nicht eingehalten haben, das hat mich genug geärgert..."
Aha. Uns hat das auch geärgert. Aber Schuld waren vermutlich die anderen. Klar.

"...es geht um das Berechnungsverfahren. Das brauche ich streng genommen erst am Wahlabend um 18 Uhr..."
Haha. Ausfertigung dirch den Bundespräsidenten? Verkündung im Bundesgesetzblatt? Praktische Vorbereitung durch den Bundeswahlleiter und seine Kollegen in den Ländern?

"...man lässt sich dort in Karlsruhe jedes Mal wieder was Neues einfallen...Wenn wir im bisherigen System bleiben und dabei nicht grob ungerechte Elemente aufnehmen wollen, dann wird das Wahlrecht immer komplizierter, und das geht zu 100 Prozent auf die Rechnung des Verfassungsgerichts".
Hört, hört! Die bösen Richter! (und die bösen Kläger)
Und wie hieß es hier auf der Website? "Es ist ein Trugschluß, zu meinen, dass ein gerechtes, transparentes Wahlsystem kompliziert sein müßte". Kompliziert wird es erst dann, wenn man um jeden Preis Überhangmandate retten will.

Interne Kompensation wäre eine wahnsinnige föderale Proporzverschiebung."Das würde dazu führen können beispielsweise, dass ganze Bundesländer, wo jeder vierte Wähler sich für beispielsweise die CDU entschieden hat, dann ohne eine Vertretung dieser Partei im Bundestag dastehen." Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Nach der letzten Landtagswahl hier in Schleswig-Holstein steht die CDU-Wählerschaft aus den vier größten Städten des Landes (Kiel, Lübeck, Flensburg, Neumünster) ohne Vertretung im Landtag da. Und das scheint die SWH-CDU auch nicht zu stören.

"Ich hoffe, dass ...die anderen Parteien ... nicht auf ihren, zum Teil auch verfassungswidrigen Vorschlägen eins zu eins stehen bleiben."
Den Nachweis der Verfassungswidrigkeit der anderen Vorschläge bleibt er schuldig. Dass hingegen sein Machwerk gerade in Karlruhe mit Pauken und Trompeten durchgefallen ist, scheint er noch gar nicht realisiert zu haben.
Auf die Gefahr hin, dass mein Beitrag gelöscht wird: Solche Leute brauchen wir nicht im Bundestag! Wer in NRW außerhalb des WK Mönchengladbach wohnt, sollte mit der Erststimme CDU wählen, Mönchengladbacher die SPD, damit die CDU-Landesliste auf keinen Fall zieht und Krings abgewählt wird.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 11:18 Uhr:   

Wer ein verfassungswidriges Gesetz trotz vieler gut gemeinter Hinweise und Ratschläge so durchboxt, wie ein Herr Krings, der gehört von seiner Fraktion als Verhandlungsführer abgelöst. Doch die UNION scheint dazu weder bereit noch in der Lage zu sein. Es geht eben um Macht, Macht, Macht!

Es wäre sicher eine gute Maßnahme, das Wahlrecht auf Bundesebene zukünftig z.B. auf Vorschläge des (neuen) Bundeswahlausschusses aufzubauen, der nicht mehr nur aus Parteivertretern besteht.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 12:15 Uhr:   

Was Krings in dem Interview sagt, ist fast durchgehend vernünftig oder zumindest ein akzeptabeler Standpunkt. Hab nicht gedacht, dass er zu sowas fähig ist. Bloß bei den Aussagen zum letztes Jahr gescheiterten Kompromiss hab ich starke Zweifel. Das wird zwar insofern stimmen, als die SPD keinen unausgeglichenen Überhang dulden wollte, aber bei der Union war es wohl umgekehrt auch nicht anders. Dass der SPD-Entwurf verfassungswiedrig ist, ist aber ganz klar (und bei dem der Linken kann er das bezüglich dem enthaltenen Ausländerwahlrecht mit einem gewissen Recht behaupten).

Eine endgültige Regelung erst am Wahlabend bis 18 Uhr ist durchaus denkbar, wenn man die endgültige Festlegung der Gesamtsitzzahl einer Kommission o.Ä. überlässt. Die für 2013 sinnvollste Lösung ist eine präventive Erhöhung der Gesamtsitzzahl, und je später man die festlegt, desto vernünftigere Ergebnisse kann man kriegen. Denkbar wär sogar, das erst nach der Wahl zu machen.

Sinnvoll wär es insbesondere, dass eine Kommission in der zweiten Woche vor der Wahl eine große Umfrage durchführen lässt (Befragtenzahl in der Größenordnung von 500 (Bremen) bis 1'500 (Baden-Württemberg aufwärts)) und daraus die bei interner Kompensation nötige Gesamtsitzzahl, die mit gewisser Sicherheit gewisse Kriterien erfüllt, in der Woche vor der Wahl festlegt. Statt interner Kompensation wären z.B. auch getrennte Wahlgebiete mit Bestehenlassen von Überhang möglich.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 16:26 Uhr:   

@RL: "Denkbar wär sogar, das erst nach der Wahl zu machen."

Dann entscheidet die Kommission bei sehr knappem Wahlausgang letztendlich eigenmächtig über die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag? Das kann doch keiner wollen...

Eine Festlegung erst kurz vor der Bundestagswahl wäre je nach gewähltem System ggfs. sinnvoll, aber es gibt ja auch vernünftige Wahlrechte, die unabhängig vom konkreten Wahlergebnis "vernünftige" Ergebnisse liefern, z.B. eine partielle interne Kompensation, wie in http://www.wahlrecht.de/forum/messages/172/4824.html?1334432889 (als Verbesserung des Augsburger Vorschlags) vorgeschlagen, evtl. in Kombination mit einem NSG-freien Teilausgleich.

Ich fände es übrigens sinnvoll, wenn Wahlrecht.de als erfolgreicher Kläger einen Vorschlag für ein "vernünftiges" verfassungsgemäßes Wahlrecht veröffentlichen würde - als Information für die Öffentlichkeit und als Hilfe für unsere damit bisher offenbar überforderten Politiker, die sich darüber vielleicht sogar freuen würden...
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 16:46 Uhr:   

Dein Vorschlag im anderen Thread ist nicht frei von negativem Stimmengewicht. Das kriegt man mit dem Bezug auf die Zweitstimmen sofort wieder rein. Pukelsheim basiert ja gerade darauf, dass es eine ziemlich unvernünftige Abschätzung ist und deshalb negatives Stimmengewicht vermeiden kann. Man kann das etwas verfeinern, indem man für den Aufschlag z.B. die Standardabweichung der Anteile der gewonnen Wahlkreise bei den verbundenen Landeslisten zugrundelegt (womit bei der CSU automatisch 0 rauskommt). Noch besser geht es, wenn man die Erststimmen direkt nimmt und daraus mit Erfahrungswerten aus dem Stimmensplitting die Zweitstimmen hochrechnet. Aber es muss grundsätzlich die Möglichkeit geben, dass die Hochrechnung total falsch war (und damit die Gesamtsitzzahl unpassend), sonst gibt es negatives Stimmengewicht.

Außer einer pauschalen Erhöhung der Listenmandate (in verschiedenen Varianten) gibts für 2013 an gleichzeitig halbwegs sinnvollen und verfassungsgemäßen Lösungen bloß ein Grabenwahlrecht.
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Norddeutscher
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 17:14 Uhr:   

@Ratinger Linke

"Außer einer pauschalen Erhöhung der Listenmandate (in verschiedenen Varianten) gibts für 2013 an gleichzeitig halbwegs sinnvollen und verfassungsgemäßen Lösungen bloß ein Grabenwahlrecht."

Das stimmt nicht. Auch die Abschaffung der Wahlkreise wäre sicher verfassungsgemäß (dann gibt es keine Überhangmandate und somit auch kein negatives Stimmengewicht) und natürlich auch sinnvoll, weil es zu einer Verringerung der Vertretung lokaler Partikularinteressen führt.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 17:28 Uhr:   

Ist aber jetzt, wo schon viele Wahlkreisbewerber aufgestellt sind, mindestens problematisch.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 17:55 Uhr:   

"Dein Vorschlag im anderen Thread ist nicht frei von negativem Stimmengewicht. Das kriegt man mit dem Bezug auf die Zweitstimmen sofort wieder rein. "

Der dort von mir vorgeschlagene Vollausgleich führt (wie jeder Vollausgleich, auch bei Pukelsheim) in der Tat zu relativem negativem Stimmgewicht; man dürfte also im "zweiten Schritt" nur die 598 regulären Sitze verteilen, und könnte stattdessen in einem 3. Schritt einen NSG-freien Teilausgleich für etwaigen verbliebenen Überhang durchführen.
Mit dieser Korrektur sehe ich in meinem (und Martin Fehndrichs) Vorschlag keinerlei negatives Stimmgewicht mehr. Der Divisor im ersten Schritt bezieht sich ja gerade nicht auf die Zahl der Zweitstimmen, sondern ist fest (Zahl der Wahlberechtigten/598 bei mir, oder einfach 100.000 bei M.F.). Zusätzliche Zweitstimmen für eine überhängende Landesliste ändern die Mindestsitzzahlen für die anderen Landeslisten gar nicht, und erhöhen tendenziell die Zahl der im 2. Schritt verteilten Restmandate.


"Außer einer pauschalen Erhöhung der Listenmandate (in verschiedenen Varianten) gibts für 2013 an gleichzeitig halbwegs sinnvollen und verfassungsgemäßen Lösungen bloß ein Grabenwahlrecht."

Ich halte auch die vollständige interne Kompensation (Grünen-Vorschlag 2009) oder die vollständige Streichung von Überhangmandaten für "halbwegs sinnvoll", die beide ohne Parlamentsvergrößerung auskommen und verfassungsgemäß sind (unter 15 ÜM, kein NSG). Beides würde auch den Druck auf die großen Parteien erhöhen, die Zahl der Wahlkreise wenigstens ab 2017 zu senken. Verwaiste Wahlkreise und Länderproporzverzerrungen gibt es ja nach dem alten Wahlrecht auch schon, auch wenn Herr Krings das nicht wahrhaben will...
Weiterhin gibt es auch noch das Minimierungsverfahren, die "österreichische Methode" und das "Additional Member System", die ergänzt durch einen Teilausgleich (was zumindest bei den ersten beiden problemlos möglich wäre) m.E. alle sinnvoll und verfassungsgemäß wären.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 18:38 Uhr:   

Der Divisor wird aber immernoch auf die Zweitstimmen angewendet. Damit hat man den Mechanismus, dass es für mehr Zweitstimmen mehr Sitze geben kann, was bei überhängenden Parteien nicht passieren darf. Absolutes negatives Stimmengewicht kriegt man damit wohl weg, aber nicht relatives. Pukelsheim hat dagegen auch kein relatives, weil die relevanten Sitze völlig unabhängig von den Zweitstimmen vergeben werden. Dass Zweitstimmen bei der am stärksten überhängenden Partei absolut wirkungslos bleiben, ist zwingende Voraussetzung für einen Ausgleich, wenn man kein negatives Stimmengewicht will.

Die Minimierung ist wegen Überhang nicht mehr verfassungsgemäß, die österreichische Methode läuft (soweit für 2013 anwendbar) eben auf die pauschale Erhöhung raus, und beim "Additional Member System mit Teilausgleich" ist die Frage, wie das konkret ohne negatives Stimmengewicht funktionieren soll.

Bei der Nichtzuteilung gibts inzwischen auch das Problem, dass die Wahlkreise teilweise schon besetzt sind und es für voraussichtlich gestrichene Kandidaten zu spät ist, sich einen besseren Wahlkreis zu suchen. Das verschärft auch das Problem mit totaler interner Kompensation; inzwischen sind teilweise auch schon die Landeslisten aufgestellt, womit Kandidaten nichtmehr auf eine Liste mit Chancen ausweichen können. Derartiges landet zumindest sicher in Karlsruhe.
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Nikolaus Krause
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 28. August 2012 - 18:48 Uhr:   

Entschuldigung, aber fändet Ihr das wirklich fair, wenn die Wähler erst in der Woche vor der Wahl oder evtl. nicht mal am Wahltag erfahren, wie viele Abgeordnete grundsätzlich (also ohne Überhangmandate) gewählt werden sollen? Ich muss doch abschätzen können, um welche konkreten Kandidaten es mit meiner Zweitstimme geht!
Warum die Minimierung jetzt auf einmal "wegen Überhang nicht mehr verfassungsgemäß" sein soll, verstehe ich nicht. Sie reduziert ja den Überhang und beseitigt das NSG. Bleiben dann immer noch mehr als 15 Überhangmandate übrig, kann man ja ausgleichen.

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