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Übergang zur direkten Wahl der Regierung

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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 25. März 2012 - 14:47 Uhr:   

Ich schreibe momentan an einem Blog-Beitrag über die direkte Wahl der Regierung in der Schweiz. Hintergrund ist die Initiative zur Volkswahl des Bundesrats: http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis380.html
Würde die Initiative angenommen, würde die Regierung (7 Bundesräte) statt wie bisher vom Parlament direkt vom Volk gewählt werden, und zwar nach dem Mehrheitsprinzip.

In diesem Zusammenhang stellte ich mir die Frage, ob es Beispiele von Demokratien gibt, die den Wechsel von der indirekten zur direkten Wahl der Regierung (bzw. des Regierungsoberhaupts) vollzogen haben. Mir fallen auch nach längerem Nachdenken nur zwei Beispiele ein: Indonesien und Israel.
Indonesien hatte in den ersten Jahren nach dem Ende des Suharto-Regimes ein parlamentarisches System (der Präsident wurde durch das Parlament gewählt). Bereits nach wenigen Jahren beschloss das Parlament in einer Verfassungsänderung den Übergang zum präsidentiellen System, weil man hoffte, so das Mauscheln und die intransparenten Verhandlungen unter den Parteien zu verhindern (was allerdings nur beschränkt gelang). 2004 fand die erste Direktwahl des Präsidenten statt.
Israel führte 1996 eine direkte Wahl des Premierministers ein. Diese wurde aber nach drei Wahlen wieder abgeschafft, wieso, weiss ich nicht.

Gibt es noch andere Beispiele von Demokratien, die von der indirekten zur direkten Wahl der Regierung übergegangen sind? Was waren die Erfahrungen dieser Länder?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 25. März 2012 - 23:31 Uhr:   

Das Wahlsystem ist zwar im Entwurf nicht hinreichend definiert, aber es soll wohl im Wesentlichen SNTV sein. Das kann man kaum mit "Mehrheitsprinzip" charakterisieren. Im günstigsten Fall kann es proportional sein, tendenziell geht es aber zugunsten kleiner Parteien oder sonstiger Minderheiten, die eher überproportional repräsentiert sein werden.

Sehr interessant übrigens die explizite Minderheitenregelung mit dem geometrischen Mittel. Wobei die Frage ist, ob da wirklich absolute Stimmen gemeint sind. Dann würden die Kandidaten am stärksten hochgewichtet, die bei der Minderheit prozentual wesentlich besser abschneiden als beim Rest, aber wenn sie dort zu stark sind, werden sie wieder runtergewichtet. Ganz blöd ist das jedenfalls nicht.

Insgesamt passt das schon ins System der Schweiz, wo diverse Rücksichtnahmen auf diverse Minderheiten sowieso zu zufälligen bis abartigen Ergebnissen führen, was aber im politischen Endresultat kaum eine Rolle spielt.
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El Tres
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 10:50 Uhr:   

In Österreich wurde der Bundespräsident ursprünglich von der Bundesversammlung gewählt, seit 1951 erst vom Volk. Allerdings gab es da diese Lücke von 7 Jahren ohne Bundespräsident und nach 45 wurde nur einmal der BuPrä durch die BV gewählt. Und als Regierung zählt der BuPrä auch nicht.

Zum Vorschlag (unabhängig von den Besonderheiten der Schweiz): Ich würde es ja bevorzugen, jedes Amt in der Regierung einzeln zu wählen. Schliesslich wissen die Wähler ziemlich genau, welche Partei in welchem Politikbereich kompetent ist. Für die Minderheitsvertretung ist dann das Parlament zuständig.
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Werner Fischer
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 15:32 Uhr:   

@ElTres
Das Parlament (=Legislative) ist für die Gesetzgebung zuständig.

Das kann man in Deutschland leicht übersehen, denn die Medien berichten über Gesetzentwürfe der Regierungskoalition immer so, als sei dies schon so beschlossen - faktisch ist das i. d. R. auch so.
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El Tres
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 15:47 Uhr:   

Wo ist der Widerspruch zu meinem Beitrag?
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 17:11 Uhr:   

Bei Fragen dieser Art fällt mir fast immer ein Beispiel ein, aber diesmal nicht, zumindest keins in einer Demokratie.

Sehr bedingt taugen die USA als Beispiel, wo anfangs die Wahlmänner von den Staatenlegislativen gewählt wurden, seit 1824 aber meist (ab 1828 alle Staaten außer South Carolina) und nach dem Bürgerkrieg überall durch das Volk. Von der Bundesverfassung her ist eine Volkswahl der Wahlmänner bis heute nicht zwingend.

In Bolivien wählte bis 2009 das Parlament den Präsidenten, wenn niemand die absolute Mehrheit bei der Volkswahl erreichte. 1989 wurde sogar der Drittplatzierte in der Volkswahl Präsident. In der neuen Verfassung von 2009 ist eine Stichwahl vorgesehen. Morales erreichte aber 2005 und 2009 die absolute Mehrheit.

@RL
Das Thema hatte ich letztes Jahr schon einmal im Diskussionsfaden zur Schweiz angesprochen.
http://www.wahlrecht.de/forum/messages/40/3067.html?1322409102

Beabsichtigt ist wohl eine Wahl mit so vielen Stimmen wie Kandidaten zu wählen sind. Das ist in der Schweiz üblich (bei Wahlen der Kantonsregierungen nicht kumulierbar, bei Wahlen zum Nationalrat max. 2 Stimmen für einen Kandidaten) und wurde von den Initiatoren offenbar für selbstverständlich gehalten.

@El Tres
Der österr. Bundespräsident ist kein Regierungschef.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 17:34 Uhr:   

Richtig, dass die Berechnung des "absoluten Mehrs" unabhängig von der Stimmenzahl einen gewissen Sinn macht, solang man nicht stark kumulieren kann, ist mir gestern entgangen. Dann ist es natürlich prinzipiell schon förderlich für große Parteien. Wobei die aktuelle Parteienlandschaft und die politische Praxis dem in der Schweiz Grenzen setzt.
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 18:37 Uhr:   

Vielen Dank für eure Antworten. Es scheint tatsächlich nicht viele Beispiele zu geben. Das mag damit zusammenhängen, dass Systemwechsel in Demokratien allgemein sehr selten sind. Möglicherweise gibt es eine gewisse Pfadabhängigkeit, jedenfalls hat sich z.B. jüngst in Grossbritannien gezeigt, dass die Menschen einer Änderung des Wahlsystems generell skeptisch gegenüberstehen. Am grössten sind die Chancen diesbezüglich wohl in jungen Demokratien, wo man sich noch nicht an ein bestimmtes System gewöhnt hat.
Das Beispiel der USA kommt einem Wechsel zur direkten Wahl der Regierung wohl am nächsten, auch wenn es zuvor kein reines parlamentarisches System war.
Die Wahl des Bundespräsidenten in Österreich ist ein anderer Fall. Es gibt noch andere parlamentarische Demokratien, die das Staatsoberhaupt direkt bestimmen, spontan kommt mir Finnland in den Sinn.

Noch ein paar Anmerkungen zur Volkswahl des Bundesrats in der Schweiz:

"Das Wahlsystem ist zwar im Entwurf nicht hinreichend definiert, aber es soll wohl im Wesentlichen SNTV sein. Das kann man kaum mit "Mehrheitsprinzip" charakterisieren. Im günstigsten Fall kann es proportional sein, tendenziell geht es aber zugunsten kleiner Parteien oder sonstiger Minderheiten, die eher überproportional repräsentiert sein werden."

Gemäss Wortlaut der Initiative wird nach Majorz gewählt. Das ist nach Wikipedia eine Mehrheitswahl: http://de.wikipedia.org/wiki/Majorzwahl
Nach meinem Wissen würde der Bundesrat auf die gleiche Weise gewählt wie heute die Kantonsregierungen, also wie Thomas Frings geschrieben hat. (Interessant übrigens, dass das nicht explizit gesagt wird, mir wäre das gar nicht aufgefallen.) Weil jeder so viele Stimmen hat wie es Sitze gibt (im Fall der Landesregierung also 7), haben konsensfähige Kandidaten und Parteien einen Vorteil. Das ist der Grund, warum paradoxerweise die SVP, die das System auf den Bund übertragen will, in diesem System meist schlecht abschneidet und in den Kantonsregierungen sehr schwach vertreten ist. (Siehe dazu hier: http://www.zora.uzh.ch/48933/4/Bochsler_Bousbah_Volkswahl_und_Konkordanz-V.pdf)

"Sehr interessant übrigens die explizite Minderheitenregelung mit dem geometrischen Mittel. Wobei die Frage ist, ob da wirklich absolute Stimmen gemeint sind. Dann würden die Kandidaten am stärksten hochgewichtet, die bei der Minderheit prozentual wesentlich besser abschneiden als beim Rest, aber wenn sie dort zu stark sind, werden sie wieder runtergewichtet. Ganz blöd ist das jedenfalls nicht."

Das geometrische Mittel soll wohl verhindern, dass ein Minderheitenkandidat gewählt wird, der entweder nur in seiner Herkunftsregion oder aber nur in den anderen Landesteilen Stimmen holt (wobei er im letzteren Fall möglicherweise sowieso gewählt würde). Ob das zu "zufälligen" oder "abartigen" Resultaten führen würde, ist schwer abzuschätzen, da es in der Schweiz noch nie eine Wahl gab, bei der das ganze Land ein Wahlkreis gewesen wäre. Es ist also nicht sicher, ob Absatz 6 überhaupt zur Anwendung kommen würde.

Aber vielleicht diskutieren wir die Eigenheiten besser im Diskussionsfaden zur Schweiz weiter.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 19:25 Uhr:   

Dass konsensfähige Kandidaten bei dem System einen Vorteil haben, stimmt nur dann, wenn auch deren Parteien (oder die Wähler) auf einen parteiübergreifenden Konsens ausgerichtet sind. Wenn die Parteien sauber getrennt wären, hätte die SVP bei dem System die Kontrolle über alle 7 Sitze, solang sie die stärkste Partei ist. Wobei der zweite Wahlgang die Konsensbildung unterstützt.

In der Theorie sollte so ein System, das gegenüber der Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen noch viel stärker "mehrheitsbildend" ist, zu einem 2-Parteien-System führen. Bloß sind die Schweizer zu konsensorientiert dafür. Allerdings ist die Tendenz zu einem dualen System SVG gegen den Rest, wie sie auch zu beobachten war, im System angelegt. Die SVP könnte diesen Status durchaus erreichen, aber damit verliert sie auch ihre Identität.
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Montag, 26. März 2012 - 21:44 Uhr:   

"Wenn die Parteien sauber getrennt wären, hätte die SVP bei dem System die Kontrolle über alle 7 Sitze, solang sie die stärkste Partei ist."

Das ist in der Theorie richtig, in der Praxis aber unmöglich, solange Absprachen unter den Parteien möglich sind. Die SVP alleine erreicht das absolute Mehr nicht, sie ist also ebenfalls auf Stimmen ausserhalb der eigenen Wählerschaft angewiesen. Und für konsensfähige Kandidaten/Parteien ist es nunmal viel einfacher, Stimmen aus dem ganzen politischen Spektrum zu holen.

"In der Theorie sollte so ein System, das gegenüber der Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen noch viel stärker "mehrheitsbildend" ist, zu einem 2-Parteien-System führen. Bloß sind die Schweizer zu konsensorientiert dafür. Allerdings ist die Tendenz zu einem dualen System SVG gegen den Rest, wie sie auch zu beobachten war, im System angelegt. Die SVP könnte diesen Status durchaus erreichen, aber damit verliert sie auch ihre Identität."

Interessante These. Aber weshalb ist die SVP als wählerstärkste Partei in diesem "mehrheitsbildenden" System derart krass untervertreten? Allein durch die "Konsensorientierung" lässt sich das nicht erklären.
Meiner Ansicht nach hat es eher damit zu tun, dass sich, wie Sie richtig beobachtet haben, ein tiefer Graben zwischen der SVP und den anderen Parteien aufgetan hat. Deshalb hat die SVP bei Mehrheitswahlen so wenig Erfolg: Durch die starke Mobilisierung ihrer Wähler vergrault sie gleichzeitig die Wähler anderer Parteien - genau diese wären bei Mehrheitswahlen aber nötig.

Aber ich denke, die Diskussion schweift allmählich sehr vom eigentlichen Thema ab. Könnten wir sie ins Diskussionsthema Schweiz verlegen?
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 27. März 2012 - 05:45 Uhr:   

Entscheidend ist nicht, ob Absprachen möglich sind, sondern ob sie tatsächlich passieren (direkt durch die Parteien oder implizit durch das Verhalten der Wähler). In Deutschland wär es etwa kaum denkbar, dass quer durch das ganze restliche Spektrum gewählt wird, um die Linke klein zu halten. Bei konkurrierendem Verhalten der Parteien ist das absolute Mehr irrelevant, weil es dann eh nicht erreicht wird und nur der zweite Wahlgang entscheidet.

Die SVP ist deshalb untervertreten, weil der Rest praktisch als Block dagegensteht und sie sich auch nicht ausreichend zur Mitte hin bewegt. Im Prinzip ist das das Eisverkäuferparadoxon: Die optimale Lösung ist unter Wettbewerbsbedingungen gleichzeitig die labile. In der Schweiz kann sich aber die labile Lösung mangels konkurrierendem Verhalten der Parteien halten.

Wobei das Modell ein lineares oder jedenfalls nicht zirkuläres politisches Spektrum voraussetzt. Dass nicht überall die extremsten Parteien den Rest in der Mitte zusammenquetschen, liegt auch daran, dass die Ränder in Wirklichkeit nur eingeschränkt existieren. Bei der SVP wär der relevante Rand aber wohl ausreichend abgegrenzt, um ihn vernachlässigen zu können.

Außerdem müssen die Markteintrittshürden für neue Parteien hoch sein, was aber unter Mehrheitswahlbedingungen grundsätzlich der Fall ist. Unter Verhältniswahlbedingungen können sich auch mehrere Parteien stabil halten, wenn das Spektrum mehrdimensional ist, während es eine Mehrheitswahl automatisch auf die relevanteste Dimension reduziert, solang regionale Unterschiede keine wesentliche Rolle spielen. Beim Schweizer Bundesrat wär es aber ohnehin eine Mehrheitswahl im Einheitswahlkreis. Wobei für die Existenz von Parteien alle im Wahlgebiet praktizierten Wahlsysteme eine Rolle spielen.

[Angefangene Diskussionen irgendwohin zu verlegen, ist auch nicht besser, als sie offtopic zu lassen.]
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 28. März 2012 - 10:16 Uhr:   

Ich bin nicht überzeugt. Absprachen unter den Parteien bei Mehrheitswahlen sind (ausser in 2-Parteien-Systemen) gang und gäbe. In Deutschland gibt es kaum Mehrheitswahlen, deshalb hinkt der Vergleich.
Das absolute Mehr wird bei Regierungswahlen in den Kantonen regelmässig von den meisten Kandidaten erreicht, meist schon im ersten Wahlgang. Wer nicht schon im ersten Wahlgang genug Stimmen ausserhalb der eigenen Partei holt, hat dann eben das Nachsehen.
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Clovis
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Donnerstag, 12. April 2012 - 15:39 Uhr:   

Guten Tag Lukas Leuzinger,

die Frage, ob eine Direktwahl einer Regierung sinnvoll ist oder nicht entscheidet sich eher daran, in wie fern das entsprechende Organ tatsächlich Macht ohne das Parlament ausüben kann, in wie weit also eine echte Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive institutionell realisiert ist. In Großbritannien beispielsweise gibt es kein Bedarf, da das Parlament der einzige Souverän ist (die Königin spielt seit geraumer Zeit eine rein repräsentative Rolle) und der Premierminister nichts anderes als der Führer der Parlamentsmehrheit.

Die USA verfügen im Gegensatz dazu über eine starke institutionelle Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive. Das äußert sich nicht nur dadurch, dass der Präsident über eine Vetomöglichkeit gegenüber dem Kongress verfügt und mithin über ein starkes Erpressungspotential, sondern auch dadurch, dass der Präsident in seinem Zuständigkeitsbereich via presidential orders ohne explizite gesetzliche Grundlage regieren kann (Ein feature, dass in den meisten parlamentarischen Demokratien fehlt). Das Problem mit der direkten Volkswahl in den USA zeigt sich eher in dem Umstand, dass der Zuständigkeitsbereich des Präsidenten von der Verfassungskonstruktion eigentlich nur die Außenpolitik umfasst, diese spielt aber beim Wähler natürlicher Weise eine eher untergeordnete Rolle.

Tatsächlich ist die Bedeutung der Exekutive gegenüber der Legislative in den USA im Verlauf der Geschichte stark ausgeweitet worden, am stärksten wahrscheinlich durch F.D. Roosevelt. Das geschah durch den Aufbau großer bürokratischer Apparate (sog. Bundesbehörden) die direkt dem Präsidenten unterstehen und von diesem mit presidential orders geführt werden, während der Einfluß des Kongresses auf diese Behörden meist beschränkt ist auf das traditionelle Senatsverhör der Kandidaten für den Posten des Amtsleiters und bei der Budgetgenehmigung.

Im Gegensatz dazu sind vergleichbare Behörden z.B. in Deutschland über eine umfangreiche Verwaltungsgesetzgebung sehr viel stärker von der Legislative gesteuert.

Als Fazit: Das israelische Beispiel zeigt, dass eine Direktwahl der Regierung sinnlos ist, wenn die keine Möglichkeit hat, ohne oder gegen das Parlament zu agieren.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit,
Clovis
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Donnerstag, 12. April 2012 - 18:01 Uhr:   

Dass der amerikanische Präsident im Verhältnis zum Parlament mehr Macht besitzt als in Grossbritannien oder Deutschland, kann meiner Ansicht nach nicht alleine mit dem grösseren Zuständigkeitsbereich oder dem Vetorecht erklärt werden, sondern hat eben gerade auch mit der direkten Wahl des Präsidenten zu tun. Dadurch ist er unabhängig vom Parlament, im Gegensatz z.B. zum britischen Premier, der vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig ist. Selbst wenn Merkel ein Vetorecht hätte, würde ihr das nicht viel bringen, weil sie ja doch auf das Parlament angewiesen ist und ihre Regierung mit der Parlamentsmehrheit steht und fällt.

Die Kausalität läuft meiner Meinung nach also genau in die andere Richtung. Aber das ist natürlich schwierig zu beweisen, da Systemwechsel wie gesagt äusserst selten sind.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 14. April 2012 - 13:29 Uhr:   

In der Praxis hat der britische Premier eine viel stärkere Stellung innerhalb des politischen Systems als der amerikanische Präsident. Er hat hat im Gegensatz zum US-Präsidenten praktisch immer die Mehrheit des Parlaments hinter sich. In Deutschland gilt das zumindest für den Bundestag und von daher wird auch hierzulande extrem selten ein Gesetz verabschiedet, dass dem Bundeskanzler nicht passt. In einer parlamentarischen Demokratie ist es für den Regierungschef sowieso eine weitaus größere Gefahr, dass er das nicht durchsetzen kann, was er gerne hätte.
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Clovis
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Freitag, 13. April 2012 - 09:19 Uhr:   

Guten Morgen Lukas Leuzinger,

ich verstehe nicht was Sie mit Kausalität meinen. Die Macht oder Ohnmacht eines Amtes wird sicher nicht durch die direkte Volkswahl bestimmt, sondern durch dessen institutionelle Ausgestaltung. Der österreichische Bundespräsident wird durch die Volkswahl nicht mächtiger als sein deutscher Amtskollege und der Deutsche Bundespräsident ist nicht deswegen ohnmächtiger als z.B. der Weimarer Reichspräsident, weil er nicht per Volkswahl bestimmt wird, sondern weil dem Amt heutzutage Befugnisse fehlen, die es in der Weimarer Zeit hatte, insbesondere das Mittel der Notstandsgesetzgebung.

Die Macht eines deutschen Bundeskanzlers oder britischen Premierministers beruht hingegen zu einem großen Teil auf deren herausgehobener Position innerhalb des parlamentarischen Systems. Sie können jederzeit gegenüber den Abgeordneten ihrer Fraktion darauf pochen, dass deren Wahl maßgeblich durch den Einfluß des Spitzenpolitikers zustandegekommen sei. Würden diese Ämter nicht vom Parlament bestimmt werden, würde das die Macht des Amtsinhabers keineswegs erhöhen, da die Möglichkeiten des Amtes, ohne das Parlament zu regieren, äußerst beschränkt wären. Im Gegenteil, es würde die Macht des Amtes verringern, weil es dann nur noch gewählte Verwaltungsbeamte wären, deren gestalterische Möglichkeiten völlig vom Parlament abhingen, auf dessen Zusammensetzung sie dann kaum einen Einfluß hätten. Ob das besonders sinnvoll wäre, sei mal dahingestellt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit,
Clovis
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 15. April 2012 - 12:21 Uhr:   

Wenn der amerikanische Präsident eine Mehrheit im Parlament hat, hat er mindestens so viel Einfluss wie der britische Premierminister. Und wenn er keine Mehrheit hat, hat er immer noch weitreichenden Spielraum (wie Clovis richtig bemerkt hat), während der britische Premier dann längst nicht mehr im Amt ist.

Der österreichische oder deutsche Bundespräsident lässt sich nicht mit einem Präsidenten in einem Präsidialsystem vergleichen, weil er in erster Linie eine repräsentative Funktion hat und nicht Teil der Regierung ist.

Mir ging es vor allem um die Feststellung, dass der Regierungschef in einem präsidentiellen System unabhängiger vom Parlament ist, und deshalb auch mehr Macht gegenüber dem Parlament hat. Es lässt sich nicht leugnen, dass ein Regierungschef, der vom Parlament bestimmt wird, immer vom Parlament abhängig sein wird. Das führt logischerweise zu einer grösseren Kohärenz zwischen Willen der Regierung und Willen des Parlaments. Aber daraus eine grössere Stärke des Regierungschefs abzuleiten, ist eine Verdrehung der Realität, denn wie gesagt kann der Regierungschef gar nicht anders regieren als mit einer Parlamentsmehrheit im Rücken.
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 15. April 2012 - 12:23 Uhr:   

Um zum ursprünglichen Thema zurückzukommen: Der Übergang von der vierten zur fünften Republik in Frankreich 1958 war ebenfalls ein Übergang von der indirekten zur direkten Wahl der Regierung, oder? Das wäre wohl das prominenteste Beispiel, dass sich finden lässt.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Sonntag, 15. April 2012 - 13:29 Uhr:   

"Und wenn er keine Mehrheit hat, hat er immer noch weitreichenden Spielraum (wie Clovis richtig bemerkt hat), während der britische Premier dann längst nicht mehr im Amt ist."
Woraus umgekehrt folgt, dass der brit. Premier praktisch immer die Mehrheit im Unterhaus hinter sich hat. Er hat auch jede Menge Patronagepotential ohne direkte parlamentarische Kontrolle, während der amerikanische Präsident für Ernennenungen bis hinunter zu Botschafterposten die Zustimmung des Senats braucht. Der US-Präsident ist in seinem Handlungsspielraum natürlich sehr stark eingeschränkt ohne Mehrheit im Kongress, insbesondere innenpolitisch. Obendrein gibt es in GB keinen Föderalismus, der die Macht des Premiers einschränken würde und auch keinen Supreme Court.


"Um zum ursprünglichen Thema zurückzukommen: Der Übergang von der vierten zur fünften Republik in Frankreich 1958 war ebenfalls ein Übergang von der indirekten zur direkten Wahl der Regierung, oder? Das wäre wohl das prominenteste Beispiel, dass sich finden lässt."
Der französische Präsident ist nicht Regierungschef und kaum handlungsunfähig, solange er keine parlamentarische Mehrheit hat. Während der drei Kohabitationsphasen (1986-88, 1993-95, 1997-2002) bestimmte eindeutig die Regierung die Politik und nicht der Präsident, während es in der übrigen Zeit in der 5. Republik stets umgekehrt war.
Übergänge von indirekter zur direkten Wahl des Präsidentenwahl gibt es nebenbei noch einige andere, nur ist der Präsident da in keinem Fall Regierungschef.


@Clovis
" Die Macht oder Ohnmacht eines Amtes wird sicher nicht durch die direkte Volkswahl bestimmt, sondern durch dessen institutionelle Ausgestaltung. Der österreichische Bundespräsident wird durch die Volkswahl nicht mächtiger als sein deutscher Amtskollege"
Der österr. Bundespräsident ist institutionell viel mächtiger als der deutsche. So kann er u. a. den Bundeskanzler nach Belieben ernennen entlassen und den Nationalrat jederzeit auflösen. In der Praxis hat davon noch kein Bundespräsident Gebrauch gemacht. Durch eine starke institutionelle Stellung allein wird ein Präsident eben nicht mächtig. Das gilt erst recht für Monarchen, die in vielen Ländern immer noch sehr weitreichende Befugnisse haben. Der österr. Präsident ist verfassungsmäßig sicher nicht schwächer als der französische.
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 17. April 2012 - 11:53 Uhr:   

"Der französische Präsident ist nicht Regierungschef und kaum handlungsunfähig, solange er keine parlamentarische Mehrheit hat."
Sie haben absolut recht, da ist mir ein Denkfehler unterlaufen. Auch wenn der französische Präsident einen grossen Einfluss hat, insbesondere seit Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gleichzeitig stattfinden.
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Thomas Frings
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 17. April 2012 - 21:36 Uhr:   

"Auch wenn der französische Präsident einen grossen Einfluss hat, insbesondere seit Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gleichzeitig stattfinden."
Natürlich ist es seit der Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten wesentlich wahrscheinlicher geworden, dass der Präsident eine parlamentarische Mehrheit während seiner gesamten Amtszeit hat. Ganz sicher ist das aber nicht. 1988 gewann Mitterand die Präsidentschaftswahl relativ deutlich, die anschließende Parlamentswahl brachte den Linken aber nur 303 von 577 Sitzen - für Mehrheitswahl ziemlich knapp. Bei einem geringfügig weniger Stimmen für die Linken hätten RPR und UDF ihre Mehrheit behalten. 1981 siegten den Linken dagegen sehr deutlich bei der Parlamentswahl (obwohl Mitterands Sieg knapper war als 1988), aber damals hatte die Präsidentschaftswahl gerade eine Wende nach über 20 Jahren Opposition gebracht und den Linken ein Stimmungshoch beschert.
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Lukas Leuzinger
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Samstag, 21. April 2012 - 19:13 Uhr:   

Der Blogbeitrag ist nun veröffentlicht: http://napoleonsnightmare.wordpress.com/2012/04/21/direkte-wahl-der-regierung-die-erfahrungen-von-indonesien-und-israel

Vielen Dank nochmals für die Antworten. Weitere Kommentare sind natürlich willkommen.

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