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Mehrheitsfördernde Sperrklausel mit E...

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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 24. Januar 2012 - 00:38 Uhr:   

Sperrklauseln werden damit begründet, dass sie die Regierungsbildung erleichtern sollen. Tatsächlich sind sie aber völlig blind dafür, ob eine Partei förderlich oder hinderlich für die Regierungsbildung ist (ein Patt kann auch erst dadurch entstehn, dass eine Partei, die einem kompakten Lager die Mehrheit sichern würde, rausgeschmissen wird).

Das folgende Verfahren ist aus der Sicht der Parteien zunächst deutlich verzerrend zugunsten der großen Parteien, gleicht aber die unterschiedlichen Erfolgswerte dadurch aus, dass gegebenenfalls Zweitpräferenzen herangezogen werden. Die Zweitpräferenzen werden auch als Indiz dafür genommen, ob eine Partei koalitionsfähig ist. Gegenüber fester Sperrklausel mit Ersatzstimmen ist es das mildere Mittel und praktisch auch nicht komplizierter, setzt aber voraus, dass jeder Wähler zumindest eine Zweitpräferenz vergibt, wenn er sich nicht teilenthalten will.

Zunächst wird für jede Partei der Idealanspruch nach Erstpräferenzen berechnet. Davon werden jeweils z.B. 3% der Gesamtsitzzahl abgezogen. Parteien unter 3% haben damit einen negativen Anspruch. Der ideale Erfolgswert deren Wähler wird stattdessen der Zweitpräferenz gutgeschrieben. Bei den Wählern der anderen Parteien wird die Differenz zwischen idealem Erfolgswert und Erfolgswert laut reduzierten Idealansprüchen der Zweitpräferenz gutgeschrieben. Soweit die Parteien ein negatives Anspruchskonto gehabt haben, wird auf die Folgepräferenzen weiterübertragen und nur der Anteil behalten, der über null hinausgeht. Auf dem Konto der Parteien bleiben übertragene Ansprüche aber auf jeden Fall.

Beispiel mit 7 Parteien, 100 Sitzen und hundert(tausend) Stimmen (ohne Anspruch auf Bezug zur Realität):
 
36 CFEGPSL 3 * 36/39 -> F 2.769
3 CSFEGPL 3 * 3/39 -> S 0.231
2 FCEGPSL 2 -> C 2.000
5 SCGFLPE 3 * 5/35 -> C 0.429
30 SGLPCEF 3 * 30/35 -> G 2.571
10 GSLPECF 3 * 10/15 -> S 2.000
5 GPESLCF 3 * 5/15 -> P 1.000
4 PGFLESC 3 -> G 3.000
4 LSPGECF 3 -> S 3.000
1 EGCSFPL 1 -> G 1.000

Hinten steht jeweils, was an die Zweitpräferenz übertragen wird. Damit haben die Parteien folgende Ansprüche:
 
C 36 + 2 + 3*5/35 ~ 38.429
S 32 + 3*3/39 + 2 + 3 ~ 37.231
G 12 + 3*30/35 + 3 + 1 ~ 18.571
P 1 + 1 = 2.000
F -1 + 3*36/39 ~ 1.769
L 1 = 1.000
E -2 = -2.000

Nun müssen noch die anteiligen Erfolgswerte der C-Wähler, die F auf null aufgefüllt haben, übertragen werden. Damit ist E auf -1, bekommt immer noch keinen Sitz und die Ansprüche gehn auf G über. Damit sind die positiven Sitzansprüche:
 
C 38.428571
S 37.230769
G 19.571429
P 2.000000
F 1.769231
L 1.000000
E 0.000000

Das Grundprinzip ist also, dass eine Partei für die ersten (u.U. anteiligen) 3% nicht wählbar ist, sondern damit nur ermöglicht wird, dass der Überschuss zählt und Zweitpräferenzen wirksam übertragen werden können. Wenn es ein Lager gibt, in dem sich die Wähler jeweils gegenseitig die Zweitpräferenzen geben, erhalten Parteien ab 3% ihren vollen Anspruch nach Erstpräferenzen. Eine Partei unter 3% kann nicht alle Zweitpräferenzen aufnehmen; der Rest zu 3% geht dann an die Drittpräferenzen der Wähler der großen Partei.

Bei einem Lager aus drei oder mehr Parteien sind die Zweitpräferenzen entscheidend. Eine kleine Partei, die im Wettbewerb um die Zweitpräferenzen nicht mithalten kann, wird leicht marginalisiert, was aber durchaus erwünscht sein kann. Im Prinzip kann man auch gleichrangige Folgepräferenzen erlauben (macht bloß die Auszählung etwas komplizierter).

Eine chancenlose Partei als Erstpräferenz zu wählen, ist nicht vorteilhaft. Zwar bleibt dann die ganze Stimme bei der Zweitpräferenz, aber man kann den Anteil, der insgesamt weitergeleitet wird, nicht verändern; man überlässt damit nur den anderen Wählern die Entscheidung, wohin übertragen wird. Chancenlose Parteien als weitere Präferenzen sind unschädlich. Man kann damit bei beliebig vielen Parteien erreichen, dass sie für noch spätere Präferenzen eventuell wählbar werden, riskiert aber im Gegenzug, dass die eigene Stimme dabei hängen bleibt. Generell ist die Drittpräferenz nur dann relevant, wenn die Zweitpräferenz unter 3% liegt.

3% (oder auch 2%) statt 5% sind angemessen, weil wirkliche Außenseiterparteien auch dann noch deutlich dezimiert werden, wenn sie oberhalb der Schwelle liegen. Wer keine Zweitpräferenzen einsammeln kann, bekommt nur den Anteil, der die Schwelle übersteigt.

Wenn Folgepräferenzen fehlen, kann man dafür von den anderen Stimmen der jeweiligen Partei mehr übertragen. Nur dann, wenn zu einer Partei in einer Runde gar keine Folgepräferenzen mehr existieren, hat man ein Problem und muss die Quoten neu berechnen, nachdem man die Reststimmen aus dem Rennen genommen hat.

Auf Bundesebene wird eine Anwendung des Systems wahrscheinlich an der CSU scheitern. Ohne bundesweite Ausdehnung beider Unionsparteien und ohne getrennte Wahlgebiete hat die CSU keine Chance, genügend Zweitpräferenzen einzusammeln, um die Verluste auch nur annähernd auszugleichen (was dann auch ein Überhangproblem ergeben würde, wenn man das restliche System unverändert ließe). Zwillingsparteien wie bundesweite CDU und CSU wären übrigens auch ein (kleines) taktisches Problem, weil man damit die eigenen Stimmen beieinanderhalten und zusätzliche Zweitpräferenzen einsammeln kann, wenn die Wähler mitmachen.

Im Prinzip könnte man das Ergebnis mit Sainte-Laguë auf ganzzahlige Sitze umrechnen, aber nachdem ohnehin eine Präferenzfolge existiert, kann man die Restsitze auch damit verteilen. Die Wähler bekommen also anteilig ihre Reststimmen:
 
36 CFEGPSL 36*36/39 / (36 + 2 + 3*5/35) * (36 + 2 + 3*5/35 - 38) 0.370603
+ (-1 + 3*36/39 - 1) 0.769231
+ 1 / (12 + 3*30/35 + 5) * (12 + 3*30/35 + 5 - 19) 0.029197
3 CSFEGPL 36*3/39 / (36 + 2 + 3*5/35) * (36 + 2 + 3*5/35 - 38) 0.030884
+ 3*3/39 / (32 + 3*3/39 + 5) * (32 + 3*3/39 + 5 - 37) 0.001430
2 FCEGPSL 2 / (36 + 2 + 3*5/35) * (36 + 2 + 3*5/35 - 38) 0.022305
5 SCGFLPE 32*5/35 / (32 + 3*3/39 + 5) * (32 + 3*3/39 + 5 - 37) 0.028335
+ 3*5/35 / (36 + 2 + 3*5/35) * (36 + 2 + 3*5/35 - 38) 0.004780
30 SGLPCEF 32*30/35 / (32 + 3*3/39 + 5) * (32 + 3*3/39 + 5 - 37) 0.170012
+ 3*30/35 / (12 + 3*30/35 + 5) * (12 + 3*30/35 + 5 - 19) 0.075078
10 GSLPECF 12*10/15 / (12 + 3*30/35 + 5) * (12 + 3*30/35 + 5 - 19) 0.233577
+ 3*10/15 / (32 + 3*3/39 + 5) * (32 + 3*3/39 + 5 - 37) 0.012397
5 GPESLCF 12*5/15 / (12 + 3*30/35 + 5) * (12 + 3*30/35 + 5 - 19) 0.116788
4 PGFLESC 3 / (12 + 3*30/35 + 5) * (12 + 3*30/35 + 5 - 19) 0.087591
4 LSPGECF 3 / (32 + 3*3/39 + 5) * (32 + 3*3/39 + 5 - 37) 0.018595
1 EGCSFPL 1 / (12 + 3*30/35 + 5) * (12 + 3*30/35 + 5 - 19) 0.029197

C hat eine volle Harequote und erhält sofort einen Restsitz. Der letzte Sitz geht nach Streichung und Übertragung der kleinsten Ansprüche an G:
 
C 1.201345 0.201345 0.223650 -
F 0.022305 -
S 0.278205 0.296800 0.314004 -
G 0.362762 0.391959 0.47955 0.685996 1.000000
P 0.087591 -
L 0.018595 -
E 0.029197 -

Ist allerdings faktisch für die großen Parteien eine Methode, die erzwungenen Zweitpräferenzen teilweise wieder in Erstpräferenzen umzumünzen. Insofern ist es hier gegenüber einfachem Sainte-Laguë nicht unbedingt vorzugswürdig. Die Reste stattdessen auf die Erstpräferenzwähler der jeweiligen Partei umzulegen, wär jedenfalls auch nicht besser.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Dienstag, 24. Januar 2012 - 00:51 Uhr:   

Man sollte noch einen wesentlichen Nebeneffekt erwähnen, der je nach Sichtweise erwünscht oder unerwünscht sein kann: Wenn es klare Lager gibt, ist es unerlässlich, dass jedes davon mindestens durch 2 relevante Parteien (mindestens nahe 3% der Erstpräferenzen) repräsentiert wird; sonst gehn dem Lager zwangsläufig Stimmen verloren.
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Holger81
Unregistrierter Gast
Veröffentlicht am Dienstag, 01. Mai 2012 - 23:43 Uhr:   

Uff, ein kompliziertes System.

"Wenn es klare Lager gibt, ist es unerlässlich, dass jedes davon mindestens durch 2 relevante Parteien (mindestens nahe 3% der Erstpräferenzen) repräsentiert wird; sonst gehn dem Lager zwangsläufig Stimmen verloren."
Ich halte das für unerwünscht, weil es die Parteienzersplitterung fördert, die Konkurrenz zwischen den Parteien verwischt und absolute Mehrheiten einer Partei unnötig erschwert; es ist u.U. praktisch eine "Anti-Mehrheitsklausel".

Ich sehe bei dem Verfahren ehrlich gesagt keine nennenswerten Vorteile gegenüber dem (m.E. deutlich einfacheren) System einer festen Sperrklausel mit Alternativstimmen. Dabei kommt es in der Regel auch nicht nur deshalb zu einem Patt, weil "eine Partei, die einem kompakten Lager die Mehrheit sichern würde, rausgeschmissen wird" - zumindest dann nicht, wenn alle Wähler dieser Partei ihre Zweitpräferenz aus dem "Lager" wählen.
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Ratinger Linke
Registriertes Mitglied
Veröffentlicht am Mittwoch, 02. Mai 2012 - 02:30 Uhr:   

Dass ein gewisser Anreiz zur Aufsplittung existiert, solang beide Teile sicher über 3% (oder wo man die Schwelle setzt) liegen, ist richtig. Das rentiert aber nur, wenn sie auch weitgehend ununterscheidbar bleiben, womit man davon ausgehn kann, dass es keine sonderlich negativen Auswirkungen auf eine Koalitionsbildung hat.

Dass die Konkurrenz zwischen den Parteien tendenziell verwischt, ist gerade der Vorteil. Wenn man von den Parteien erwartet, dass sie sich bis auf die Knochen bekämpfen, kann man schlecht gleichzeitig verlangen, dass sie jederzeit miteinander koalitionsfähig sind. Wenn man ein konkurrenzorientiertes System will, muss man sich auf 2 Parteien beschränken (die auch per Sperrklausel selektiert werden können).

Besonders nachteilig ist das System für eine isolierte Partei, die aber eine absolute Mehrheit erreichen kann. Die kann dadurch in der Tat ihre Mehrheit verlieren. Bei einem 2-Parteien-System wird dagegen die Mehrheit verstärkt (da ist es nicht mehr sinnvoll, Zweitpräferenzen zu vergeben und damit auch die Erfolgswertgleichheit verletzt). Das System ist aber auch nur für Situationen gedacht, wo die Parteienlandschaft schon stärker gegliedert ist und das vordringliche Problem, trotzdem Mehrheiten zu finden.

Insgesamt werden randständige Positionen bestraft. Dabei kann eine breit aufgestellte große Partei randständiger wirken, als sie in Wirklichkeit ist; umgekehrt können randständige Parteien das durch geschickte Spaltung teilweise kaschieren (eine gewisse Mindestgröße vorausgesetzt). Man kann da gegensteuern, indem man bei größeren Parteien nicht nur relativ, sondern auch absolut weniger an die Zweitpräferenzen gibt (etwa linear abfallend von 3 Prozentpunkte bei 3% bis auf 0 bei 50%). Der Preis dafür ist allerdings ein genereller Bias zugunsten der großen Parteien (aber ohne Wirkung auf die Erfolgswerte).

Dass mit Alternativstimmen auch alle Stimmen im Lager (soweit existent) bleiben, ist richtig; die Aussage war auf den Status quo bezogen. Der Vorteil gegenüber Alternativstimmen ist, dass man keine starre Grenze hat, deren Über- oder Unterschreiten über die Koalitionsfähigkeit garnichts aussagt. Dafür ist das System nicht ganz dicht gegen kleinere Parteien, was eventuell eine anderweitig möglliche Mehrheit verhindert, auch wenn die nicht koalitionsfähige Partei stark dezimiert ins Parlament einzieht.

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